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Wikiversity:Fellow-Programm Freies Wissen/Einreichungen/Die sprachliche Konstruktion der Geistes- und Sozialwissenschaft(en)

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Projektbeschreibung

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Die Wissenschaft ist einem stetigen Wandlungsprozess unterworfen. Damit verändern sich sogleich permanent die Bedingungen, unter denen wissenschaftliche Erkenntnis hervorgebracht wird. Neue Ansätze etablieren sich, ältere werden für ungültig erklärt. Innerhalb der Sprachwissenschaft gibt es beispielsweise heute eine Reihe von Ansätzen (Theorien, Methoden, Teildisziplinen), die es vor 20 Jahren noch nicht gegeben hat: z.B. eine Internetlinguistik, eine Kulturlinguistik oder eine Interaktionale Linguistik. Damit ist die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird, auch völlig anders als vor einigen Jahren: Es gibt neue methodische Zugriffe und andere theoretische Prämissen. Die Ausdifferenzierung der Wissenschaft ist ein sprachlicher Prozess. In wissenschaftlichen Texten wird der Mehrwert neuerer Ansätze diskutiert und ältere werden für ungültig erklärt. Die Ausdifferenzierung der Wissenschaft kann somit mittels sprachwissenschaftlicher Methoden untersucht werden. Im Projekt „Sprachliche und kommunikative Praktiken zur Konstitution einer Disziplin am Beispiel der Germanistischen Sprachwissenschaft“ hat die Verfasserin untersucht, wie sich der Prozess der Ausdifferenzierung innerhalb der Germanistischen Sprachwissenschaft vollzieht. Dabei wurden unterschiedliche sprachliche Praktiken herausgearbeitet (Benennungspraktiken, Definitionspraktiken, Abgrenzungs-praktiken, Begründungspraktiken usw.), die bei der Begründung neuer linguistischer Ansätze von Bedeutung sind.

Im hier skizzierten Projekt soll anhand Open-Access-Publikationen untersucht werden, wie sich diese geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen sprachlich konstituieren: Was wird als Teil der jeweiligen Disziplin aufgefasst? Welche Ansätze werden für ungültig erklärt? Mit welchen sprachlichen Mitteln vollzieht sich der Wandlungsprozess der Geistes- und Sozialwissenschaft(en)? Die wissenschaftlichen Artikel werden für eine korpuslinguistische Analyse zunächst bereinigt und automatisch nach Wortarten annotiert. Anschließend werden sie in einer Kombination aus korpuslinguistischen und weiteren qualitativ-hermeneutischen Verfahren sprachwissenschaftlich untersucht. Die Analyse soll folgende Fragestellung beantworten:

Wie werden neue wissenschaftliche Ansätze benannt? Bezogen auf die Sprachwissenschaft hat die Verfasserin bereits herausgearbeitet, dass es zahlreiche neue Ansätze gibt, die mittels eines Determinativkompositums benannt werden. In den letzten 5 Jahren entstanden auf diese Weise etwa die Internetlinguistik, die Tierlinguistik und die Fußballlinguistik. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Benennung durch ein Adjektiv und dem Nomen Linguistik/Sprachwissenschaft. So gibt es beispielsweise inzwischen eine Digitale Linguistik, eine Interaktionale Linguistik und eine Kulturanalytische Linguistik. Durch eine solche Benennung eines Ansatzes findet gleichzeitig eine Abgrenzung zu anderen „Linguistiken“ statt. Die Interaktionale Linguistik steht beispielsweise in Konkurrenz zur Interaktionslinguistik. Auch ein Prozess von der Kleinschreibung des Adjektivs zur Großschreibung war zu beobachten, etwa an der feministischen/Feministischen Linguistik oder der interaktionalen/Interaktionalen Linguistik. Die Großschreibung des Adjektivs dient häufig als Mittel, den Ansatz als linguistische Teildisziplin zu etablieren. Für das hier skizzierte Projekt stellen sich deshalb folgende Fragen: Wie werden andere geistes- und sozialwissenschaftliche Ansätze benannt? Welche Benennungsmuster neuerer wissenschaftlicher Ansätze sind beispielsweise bei den Digital Humanities zu beobachten? Von welchen anderen wissenschaftlichen Ansätzen wird durch diese Benennung eine Abgrenzung vollzogen?

Wie werden neue Ansätze definiert und kategorisiert? Vorangegangene Untersuchungen haben gezeigt, dass es häufig Unsicherheiten bei der Kategorisierung neuerer Ansätze als Theorie, Methode, Teildisziplin o.ä. gibt. Wie erfolgt eine Definition und Kategorisierung von Ansätzen aus beispielsweise der Soziologie, der Medienwissenschaft oder der DH? Werden neue Ansätze im Kern oder in der Peripherie des jeweiligen Faches verortet? Wie geschieht das sprachlich?

Wie grenzen sich neue Ansätze von bereits bestehenden Ansätzen ab? Eine Abgrenzung zu bereits bestehenden Ansätzen erfolgt in der Sprachwissenschaft oftmals über die Zuschreibung von Nichtwissen (bezogen auf den abzugrenzenden Ansatz) und die Zuschreibung von Mehrwissen (bezogen auf den eigenen Ansatz). Wie erfolgt die Ausdifferenzierung der jeweiligen Geistes- und Sozialwissenschaften? Wie werden neue Ansätze von traditionellen Ansätzen abgegrenzt? Welche Zuschreibungspraktiken finden sich in den Texten? Ziel der Untersuchung ist es zu zeigen, mit welchen sprachlichen Mitteln sich die verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätze sowie die Ansätze aus den Digital Humanities als solche konstituieren. Die Analyse soll die kommunikative Konstruktion von Wissenschaft sowie die kulturelle Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnis bewusst machen. Dazu sollen die Ergebnisse einer möglichst breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die Methoden und Prämissen, die zu eben diesen Erkenntnissen führen, sollen ebenfalls transparent gemacht werden.


  • Name: Nina Kalwa
  • Institution: TU Darmstadt
  • Kontakt: kalwa@linglit.tu-darmstadt.de