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Fellow-Programm Freies Wissen - Zwischenbericht zum Projekt "OpenVG? Praktiken der Offenheit und Geschlossenheit deutscher Verwertungsgesellschaften"
[Bearbeiten]I. Infos zum eigenen Forschungsvorhaben
[Bearbeiten]A. Status Quo
[Bearbeiten]Ausgehend von meiner sozialwissenschaftlichen Dissertation zum Thema „Urheberrecht und Kreativität in der samplingbasierten Musikproduktion“ an der TU Berlin untersuche ich in meinem Projekt „OpenVG“ die Beziehung zwischen deutschen Verwertungsgesellschaften (abgekürzt VGen) und ihren Mitgliedern. Insbesondere interessiere ich mich für die Praktiken der Offenheit und Geschlossenheit von VGen gegenüber ihren Mitgliedern, also zum Beispiel in Bezug auf Abrechnungen, Verrechnungsschlüssel, Verwertungsmodalitäten sowie der Zugänglichkeit von Informationen.
Ich verstehe das Projekt als eine explorative Studie, die einen Beitrag zu einer sozialwissenschaftlichen empirischen Urheberrechtsforschung leisten soll. Das betone ich deswegen, weil es bereits Studien zu VGen gibt; diese kommen aber meist aus dem rechtswissenschaftlichen oder wirtschaftswissenschaftlichen Lager, eine empirisch-qualitative sozialwissenschaftliche Studie ist mir indes nicht bekannt. Deshalb und aufgrund des relativ kurzen Finanzierungszeitraums stellt OpenVG mehr den Auftakt meiner Forschungs-unternehmung dar und soll Fragestellungen aufwerfen, die ich dann im weiteren Verlauf bearbeiten will.
In der ersten Phase des Projekts (November 2018 bis Februar 2019) soll eine Online-Umfrage (survey) gestartet und ausgewertet werden, die thematisch breit und offen angelegt ist. Sie soll im Sinne eines Stimmungsbildes weitere Forschungsfragen generieren und Probleme in meinem Untersuchungsfeld aufwerfen; außerdem soll die Umfrage möglichst viele Mitglieder verschiedener VGen erreichen, die ich so für ein potentielles, problemzentriertes Interview gewinnen kann. In der zweiten Phase des Projekts (ab März 2019) möchte ich zunächst das Sample relevanter VGen auf Grundlage der Umfragedaten festlegen und mich anschließend auf die Anbahnung, Durchführung und Auswertung der qualitativen Interviews konzentrieren.
B. Fortschritt
[Bearbeiten]Aktuell befinde ich mich noch in der ersten Projektphase. Mit Beginn des Open Science Fellowships habe ich auf meinem Blog „Jäger und Sampler“ eine neue Sektion eingerichtet, die das Projekt als Forschungsblog im Sinne Offener Wissenschaft dokumentiert und begleitet. Dort sind aktuell zwei Blogeinträge abrufbar. Das Bloggen bereitet mir Freude und in den kommenden Wochen will ich das Blog noch stärker einbinden und nutzen. Der dritte Blogeintrag soll Ende Januar eine Literaturübersicht zu VGen enthalten.
Daneben konnte ich iRights.info, Online-Magazin für „Urheberrecht und Kreativität in der digitalen Welt“, als Projektpartner gewinnen. Sie haben sich dazu bereiterklärt, einen Beitrag zur Umfrage zu veröffentlichen und damit zu einer beträchtlichen Erhöhung der Reichweite beizutragen. Das ist sehr erfreulich, da das Thema VGen bei iRights.info in der Vergangenheit bereits des Öfteren kritisch behandelt wurde und man von einer großen Leser:innenschaft aus dem Kreativbereich ausgehen kann.
C. Ausblick
[Bearbeiten]Das Ziel, das ich mit OpenVG verfolge, besteht darin, mithilfe einer explorativen Studie mehr über das Verhältnis von VGen zu ihren Mitgliedern zu erfahren und auf Grundlage der Erhebungen Hypothesen aufzustellen, die weitere empirische Urheberrechtsforschung zu diesem Thema ermöglicht. Insofern markiert das Ende der Programmlaufzeit nicht gleichzeitig auch das Ende des Projekts. Ich plane vielmehr, die erhobenen Daten für einen größeren Projektantrag zu verwenden und hier insbesondere das Thema Offenheit – methodisch wie inhaltlich – weiter zu vertiefen.
Meine diesbezüglichen Erfahrungen möchte ich zudem mit Studierenden im Sommersemester 2019 im Rahmen eines Lehrauftrags am Lehrstuhl für Populäre Musik (HU Berlin) diskutieren, vertiefen und weiterentwickeln. Das Thema des Seminars ist Musikindustrie und Urheberrecht, insofern spielen VGen und Offenheit hier eine zentrale Rolle.
Weiteren Unterstützungsbedarf sehe ich vor allem in der Kooperation mit Wikimedia in Bezug auf aktuelle und zukünftige urheberrechtliche Entwicklungen. Sehr gerne würde ich mich dazu mit befassten Mitarbeiter:innen von Wikimedia sowie auch Wikpedianer:innen weiter austauschen (siehe Punkt III D).
II. Zusammenarbeit mit Fellows sowie Mentorinnen und Mentoren
[Bearbeiten]Der Austausch sowohl mit meiner Mentorin Claudia Müller-Birn wie auch den anderen Fellows ist überaus hilfreich. Er stellt für mich als Neuling in der Offenen Wissenschaft eine große Bereicherung dar – erfreulicherweise über Fachgrenzen hinweg! Unser Austausch findet etwa zur Hälfte online (Email) und zur anderen Hälfte in persönlichen Treffen statt (Arbeitstreffen, Berliner Stammtisch).
Mit Claudia stehe ich in regelmäßigem Kontakt: Etwa alle drei bis vier Wochen berichte ich ihr über den aktuellen Stand, schicke ihr eigene Texte zur Lektüre oder frage sie um Rat (zuletzt wegen Hinweisen zu offenen Survey-Plattformen). Dank ihrer Erfahrung und ihres interdisziplinären Profils sowie ihrer Begeisterung für alle Aspekte Offener Wissenschaft und Daten fühle ich mich von ihr sehr gut unterstützt und motiviert! Zuletzt haben wir uns Anfang Dezember zusammen mit ihrem anderem Mentee Simon Hirsbrunner getroffen; ein weiteres Treffen ist Ende Februar geplant. Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit in Zukunft weiterhin so produktiv und angenehm verläuft wie bisher.
Mit meinen Peer Fellows bin ich ebenso in engem Kontakt. Wir diskutieren per Email und unterstützen uns gegenseitig, zum Beispiel bei der Erstellung der Blogposts. Aktuell befinde ich mich mit Andreas Möllenkamp in einer spannenden Email-Diskussion zum Themenbereich offene Forschung und soziale Erwünschtheit in sozialwissenschaftlichen Interviews – wir sind nicht einer Meinung, aber genau deswegen ist es wertvoll und Gewinn bringend (siehe auch III A). Zudem hat mich meine Kollegin Julia Wildgans darum gebeten, ihr zu ihrem geplanten Blogpost eine Rückmeldung zu geben, was ich sehr gern tue. Für die Zukunft wünsche ich mir ähnlich wie für mein eigenes Projekt, dass die Zusammenarbeit und der Austausch nicht mit dem Ende der Förderlaufzeit vorbei, sondern in irgendeiner Form verstetigt werden kann.
III. Kommunikation und Vernetzung
[Bearbeiten]A. Kommunikationsaktivitäten mit Bezug zum Fellow-Programm
[Bearbeiten]Für April 2019 plane ich einen Wikimedia-Blogpost zum Problem der sozialen Erwünschtheit in sozialwissenschaftlichen Interviews unter besonderer Berücksichtigung der Maßgaben Offener Wissenschaft. Der Post soll sich mit meinen Erfahrungen im Rahmen des OpenVG-Projekts beschäftigen. In der empirischen Sozialforschung meint soziale Erwünschtheit grob gesprochen eine Tendenz zur Antwortverzerrung bei der Datenerhebung, beispielsweise aufgrund kultureller Zugehörigkeit, wirkungsmächtigen sozialen Normen oder situativen Gegebenheiten. In meiner Dissertation habe ich es mehrmals erlebt, dass ein starre Interviewsituation mit den Akteur:innen dazu führte, dass diese annahmen, es gäbe „richtige“ und „falsche“ Antworten auf meine Fragen (beispielsweise solche, die meine vermeintlichen Thesen zum Verhältnis von Urheberrecht und Kreativität stützten oder ihnen widersprachen).
Dieses methodische Problem entstand vor allem dadurch, dass ich die Interviewees vorab zu offen über meine Motive und Forschungsinteressen informierte, so dass diese darauf verbal in ihren Antworten reagierten und mir – vereinfach gesagt – Antworten lieferten, von denen sie annahmen, ich wollte sie hören. Das OpenVG-Projekt ermöglicht mir nun, vergleichbare Probleme reaktiven Antwortverhaltens methodisch zu reflektieren, sie hinsichtlich der Maßgaben offener Forschung zu diskutieren und dafür Lösungsvorschläge und Erfahrungsberichte zu unterbreiten.
B. Weitergabe von Wissen
[Bearbeiten]In zwei Konferenzvorträgen im November 2018 habe ich mein Projekt OpenVG der Fachöffentlichkeit vorgestellt und die besonderen Modalitäten offener Forschung diskutiert. Dies betraf zwei Konferenzen in den Bereichen Popular Music Studies und Kunstsoziologie. Anfang Februar bin ich auf einem Workshop zum Thema „Medienindustrien“ eingeladen, auf dem ich mein Projekt ebenfalls vorstellen werde. Nach anfänglicher Skepsis gab es gegenüber den Maßgaben Offener Wissenschaft vor allem wohlwollendes Interesse und Aufgeschlossenheit, gerade im Hinblick auf die positiven Effekte auf das Wissenschaftssystem als Ganzes. Mein Eindruck war aber auch, dass sich ein Gegen-Argument vor allem auf der Ebene des akademischen Mittelbaus wiederholte, nämlich: dass im Konkurrenzkampf um die knappen Ressourcen (Stellen, Drittmittel, Lehraufträge, etc.), der in Disziplinen wie der Soziologie, Medienwissenschaft, Musikwissenschaft und ähnlichen herrscht, sich jeglicher Informationsvorsprung auszahle. Die Menschen, mit denen ich über Offene Forschung diskutierte, schienen in der Offenheit also vor allem ein Problem zu sehen, dass sich nachteilig auf die individuellen beruflichen Karrieren in der Wissenschaft auswirken würde. Die methodischen Vorteile in der Forschung und gesamtsystemischen Effekte in Bezug auf offenes Wissen wurden dagegen selten kritisiert oder gar negiert.
C. Haben sich neue Kontakte oder Austauschmöglichkeiten mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Community für Offene Wissenschaft gebildet? Bitte beschreiben.
[Bearbeiten]Da ich bisher nur in meinen eigenen Communities dafür geworben habe, leider nicht.
D. Haben sich neue Kontakte oder Austauschmöglichkeiten mit Vertreterinnen oder Vertretern mit den Wikimedia-Communitys gebildet? Bitte beschreiben.
[Bearbeiten]Bis jetzt leider noch nicht, aber ich würde das sehr begrüßen! Gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Urheberrecht wie dem Urteil im Streit zwischen Wikimedia und dem Reiss-Engelhorn-Museum um gemeinfreie Inhalte, dem bald zu erwartenden Urteil zu Sampling auf EU-Ebene oder dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger wäre ein Austausch mit befassten Mitarbeiter:innen von Wikimedia besonders vielversprechend. Möglicherweise ergeben sich so für die Zukunft auch weitere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit.
IV. Förderung von Offener Wissenschaft
[Bearbeiten]A. Neue Initiativen zur Förderung Offener Wissenschaft
[Bearbeiten]B. Initiativen zur Förderung Offener Wissenschaften
[Bearbeiten]An meiner wissenschaftlichen Heimatinstitution, dem Institut für Soziologie an der TU Berlin, gibt es seit 2018 ein DFG-gefördertes Forschungsprojekt namens „Avida: Entwicklung einer Forschungsdateninfrastruktur für audio-visuelle Daten der Qualitativen Sozialforschung“. Das Projekt soll videografisches Datenmaterial in großem Umfang für die sozialwissenschaftliche Forschung standardisiert nachnutzbar machen. In Zukunft möchte ich mich mit den Projektmitarbeiter:innen noch stärker über Offenheit austauschen, vielleicht auch einen institutsweiten Workshop ins Auge fassen.
Mein Eindruck von der Soziologie in Deutschland ist generell, dass sie als Wissenschaftsdiziplin sehr traditionsbehaftet ist und sich Innovationen, sobald sie mit empfindlichen Änderungen der Routine und/oder bereits geringem Autonomieverlust einhergehen, nur schwerfällig ausbreiten. Man muss hier also mit starken Beharrungskräften umgehen. Ich denke daher, dass man generell noch viel mehr Informationskampagnen zu Offener Wissenschaft anstrengen müsste, um ihre Vorteile innerhalb sozialwissenschaftlicher Debatten besser zu positionieren.
Es ist erfreulich zu sehen, dass auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) ein Blogpost zum Thema „Bereitstellung und Nachnutzung von Forschungsdaten in der Soziologie“ erschienen ist, der die methodische Diskussion kritisch aufnimmt und mit Lösungsvorschlägen maßgeblich weiterentwickelt. In diesem DGS-Positionspapier werden auch Forderungen für institutionelle Mittel und Stellen formuliert. Insofern bin ich zuversichtlich, dass sich offene Praktiken in den Sozialwissenschaften weiter ausbreiten werden – wenn auch aktuell eher schwerfällig und langsam. Meine Hoffnung ist, dass dies mit jüngeren Generationen in den Lehrstuhlbesetzungen zunehmend zügiger ablaufen könnte. Ich wünsche mir, dass es in Zukunft auch eigene Lehrstühle gibt, die sich explizit mit sozialwissenschaftlicher Methodologie und Offenheit in der Forschung beschäftigen und bestenfalls als Leuchttürme für Offene Forschung fungieren.
Daneben scheint mir vor allem der Diskurs zu Open Access informationsanleitend zu sein, da sich die urheberrechtlichen Restriktionen (beispielsweise in der Diskussion um die VG Wort) selbstverständlich auch innerhalb der recht buchlastigen Publikationslandschaft der Soziologie bemerkbar machen und auch drohen, die Lehre zu beeinträchtigen. Insofern würde ich für die Sozialwissenschaften empfehlen, Offenheit als generelles wissenschaftliches Prinzip und akademisches Karrierethema diskursiv vor allem über das Thema Open Access in Stellung zu bringen.