Benutzer:H.-P.Haack/Entwicklung der Psychiatrie/Ideler 1841 Tafel I.

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Lithographie 22 x 15 cm von Carl Resener um 1841

Ideler, K. W.: Biographien Geisteskranker in ihrer psychologischen Entwicklung, Tafel 1.

Heutige Diagnose: Paranoide Schizophrenie.


Exzerpt aus Idelers Angaben:

Patient H., geboren 1786, ist der Sohn eines nicht unbemittelten Ackerbürgers in Rastenburg (Ostpreußen), der ihn das Gymnasium besuchen lässt. Im Unterricht zeigt er eine rasche Auffassung. Mit vierzehn Jahren ist er bereits bis Secunda vorgerückt und erteilt in Latein und Rechnen Privatunterricht. In ein Jurastudium, das der Patient wünscht, erlaubt der Vater nicht. Der Patient arbeitet daraufhin im Postdienst und erhält für diese Tätigkeit 1810 erstmals Diäten. Nebenher führt er eine bereits bestehende Leihbibliothek, „deren selbsteigene Benutzung ihm wohl eine Menge phantastischer und übelverdauter Begriffe einimpfte.“

1812 nimmt er als Feldpostsekretär des Yorckschen Armeekorps am Russlandfeldzug teil und verbleibt in dieser Stellung bis 1815. Danach erhält er eine Anstellung in der Calculatur des Hofpostamtes Berlin. Das Warten auf die erhoffte Stellung eines Postdirektors macht ihn mürrisch und reizbar, sodass er wegen eines geringfügigen Streites einem Vorgesetzten eine Ohrfeige gibt. Daraufhin wird er strafversetzt. In der neuen Stellung, in Stettin, kommt es zu auch wieder zu Tätlichkeiten gegen den neuen Vorgesetzten. Er wird nun zu drei Monaten Festungsarrest verurteilt. Während der Haft verfestigt sich der Argwohn, von Feinden verfolgt zu werden. Nach der Haftentlassung im Oktober 1828 ist er nicht mehr in der Lage, seinen beruflichen Obliegenheiten fehlerfrei nachzukommen. Er wird aus dem Postdienst entlassen.

Beschäftigungslos schickt er eine Klagschrift an den König mit einer Schadensersatz-Forderung von 30.000 Talern für das ausgebliebene Gehalt als Postdirektor, rückwirkend bis 1816. Zugleich klagt er einen namentlich genannten Arzt an, er habe ihm ein von Christus gestiftetes Vermächtnis (ein Gefäß mit Sonnenstaub) unterschlagen. Daraufhin wird vom Oberlandes-Gerichts Stettin eine ärztliche Untersuchung veranlasst und der Patient für geisteskrank erklärt. Nach zwei Jahren Krankenhausaufenthalt in Stargard erfolgt 1831 Aufnahme in die Irrenabteilung der Charité Berlin.

Dort teilt er mit, jener Arzt habe Feuerbrünste in Konstantinopel, St. Petersburg, Paris und London verursacht durch von ihm gelenkte Blitze, habe Erbeben und Überschwemmungen entstehen lassen sowie Pest und Cholera in der Welt verbreitet. Die Unglücksfälle seien seit 1810 in den Zeitungen nachzulesen.

Eine Entlassung auf Probe nach einhalbjährlicher Behandlung scheitert. Der Wahn des Patienten erweist sich als unheilbar. Sein Entstehen führt Ideler auf das vermeintliche Unrecht zurück, das der Patient erfahren hat und auf seinen Hass gegen jenen Arzt, der ihm das von Christus vermachte Gefäß mit Sonnenstaub vorenthalte.

„Haß gegen den Widersacher und Furcht vor ihm entzweien durch entgegengesetzte Antriebe die Seele, welche unvermögend diesem Widerstreit sich zu entreißen, in anhaltender Gärung zuletzt aller Klarheit und Folgerichtigkeit des Bewußtseins verloren geht.“ (S. 5)


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