Benutzer:H.-P.Haack/Entwicklung der Psychiatrie/Ideler 1841 Tafel IX.
Ideler, K. W.: Biographien Geisteskranker in ihrer psychologischen Entwicklung, Tafel 9.
Diagnose: Religiöser Wahnsinn.
Exzerpt aus Idelers Angaben:
Patientin M., geboren 1805. Sie ist die Tochter eines auf dem Lande lebenden, trunksüchtigen Müllers, der häufig Ehefrau und Kinder misshandelte. Nach ihrer Einsegnung mit 15 Jahren trat sie in Dienst bei ihrem Oheim, einen Fuhrmann in Charlottenburg. Dort sei sie still und schüchtern gewesen, auch während anderer Stellungen in Berliner Familien. Die Menarche trat erst mit 22 Jahren ein.
In Charlottenburg litt sie unter Heimweh und Verlangen nach der Mutter. Mehrmals am Tage sei in die Kirche gegangen. In ihren Mußestunden habe sie in der Bibel und in Erbauungsschriften gelesen. Sie heiratete schließlich einen ungeliebten Mann,, um dem Ehestand anzugehören. Der Ehemann, Gehilfen in einer Färberei, entpuppte sich bald als wüster Trunkenbold, der sie während seiner Wutausbrüchen mehrmals in Lebensgefahr brachte. Mit ihm hatte die Patientin zwei Kinder.
Nach vier Ehejahren erschien ihr, während sie betete, ein Engel in Knabengestalt und verkündete ihr, sie sei vom lieben Gott als Heilige ausgesandt, alle Menschen zu Buße und Bekehrung aufzufordern. Seither habe sie sich wie neu geboren gefühlt. Eine von innen tönende Stimme hätte ihr versichert, sie sei des Himmels gewiss.
1834 erfolgte die Scheidung, wobei der Ehemann als schuldiger Teil erklärt wurde. Ihren Lebensunteralt und den der Kinder fristete sie mit Handarbeiten. Nach der Scheidung wähnte sie mehrmals, von ihrem geschiedenen Mann und dessen Gefährtin, einer Weibsperson, auf offener Straße misshandelt worden zu sein. Auch die Kinder hätten sie ihr angeblich geraubt. Da sie überdies keine Gelegenheit versäumte, alle, die mit ihr in Berührung kamen, auf Buße und Bekehrung anzusprechen, wurde sie 1840 in die Irrenabteilung der Charité aufgenommen.
Ihr religiöses Sendungsbewusstsein blieb unbeeinflussbar. Doch, so Ideler, „wer wollte ihr diesen allein noch übrig gebliebenen Trost rauben?“