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Das Subsidiaritätsprinzip nach der katholischen Soziallehre gehört neben dem Prinzip der Solidarität, des Gemeinwohls und Personalität zu den Grundprinzipien der christlichen Soziallehre, auf die eine menschengerechte Wirtschaft und Gesellschaft aufbauen sollen. Demnach beruht das Prinzip der Subsidiarität auf der Hilfestellung einer übergeordneten Einheit für eine untergeordnete Einheit, wenn letztere nicht in der Lage ist, sich einer Problematik anzunehmen. Grundlage dafür sind eine Reihe von päpstlichen Enzykliken ab Anfang des 19. Jahrhunderts, v.a. dem Quadragesimo anno von Papst Pius XI..

Einordnung und geschichtlicher Hintergrund[Bearbeiten]

Quadragesimo Anno

Um das Subsidiaritätsprinzip an sich zu erklären, kommt man nicht an der Definition nach der christlichen Soziallehre vorbei. Schließlich gründet Subsidiarität - wie wir sie heute in der Europäischen Union kennen - auf christlichen Wurzeln. In einer Reihe von päpstlichen Enzykliken, wie Rerum Novarum von Papst Leo XIII. und später Pacem in terris, wurde der Begriff des Subsidiaritätsprinzips vor allem im Quadragesimo anno 1931 von Papst Pius XI. begründet. Doch schon lange vor dem Quadregissimo Anno war die Idee der Subsidiarität in katholischen Kreisen bekannt. Belegt wird dies durch ein Zitat des Bischofs E. Ketteler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wonach das Volk das Recht hat, "das zu verrichten, was es in seinem eigenen Heim, seiner eigenen örtlichen Gemeinschaft, in seiner eigenen Heimat zu verrichten imstande ist."[1] In der ersten Hälfte des 19.Jh entwickelte sich die Subsidiarität als Gegenposition zum Laissez-faire des Liberalismus und als Antwort auf die schlechten Erfahrungen mit dem Frühkapitalismus, sowie der staatsinterventionistischen Konzeption des Marxismus. Es wies aber auch gegenüber protestantischen Vorstellungen einige Unterschiede auf. Das Ziel war vor allem "die Wirtschaftspolitik als Instrument zur Erreichung ihrer sozial- bzw. gesellschaftspolitischen Ziele" einzusetzen.[2]

Initiator für die Begründung des Subsidiaritätsprinzip war das Aufkommen von wirtschaftlichem Denken in der modernen Gesellschaft und damit gleichzeitig die Frage der Wirtschaftsethik, Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Diese wurden im Sinne des christlichen Menschen- und Gesellschaftsbildes beantwortet, das auf Basis des Naturrechts, also gemäß dem natürlichen Sittengesetz und als "Leitbild dessen was in der Natur der Gesellschaft grundgelegt ist"[3], besteht. Nach dem Sinn der klassischen katholischen Soziallehre, um die sittliche Problematik zu lösen, reicht nicht der Markt oder die Demokratie aus, sondern gesellschaftliche Überlegungen und die Anwendung von sittlichen Ordnungsprinzipien mit den entsprechenden Sozialprinzipien von Solidarität, Personalität, Gemeinwohl und Subsidiarität. Damit ergibt sich der Markt nach der Sozialnatur des Menschen mit dem Ergebnis von Gemeinwohl, anstelle von Nützlichkeitsdenken, wie Rentabilität oder ein Maximum von Gütererzeugung.[4]

Die Würde des Menschen[Bearbeiten]

Ein wichtiger Aspekt des Verständnisses der katholischen Soziallehre ist, dass es das Subsidiaritätsprinzip von einer reinen Hilfestellung und Unterstützung untergeordneter Einheiten, zu einer Achtung des Individuums, seiner Freiheit, und seiner Würde erweitert. In der christlichen Soziallehre steht das Individuum und die Erfüllung seiner selbst im Mittelpunkt. "Der Mensch war früher da als der Staat, also hatte er, noch bevor irgendein Staatsgebilde hätte zustande kommen können, bereits das Recht zur Erhaltung seines Lebens." (R.N. 6) Dieses Recht wurde ihm von Gott auferlegt und soll ihm Freiheit und Autonomie schenken, gleichzeitig hat das Individuum die Verpflichtung sich dieses Rechts bewusst zu sein, davon Gebrauch zu machen, und es durch Selbstbestimmung zu verteidigen, um seine Freiheit aufrechtzuerhalten. Folgende Punkte sind laut Janos Gojak wichtig zu diesem Verständnis, um zu verstehen, dass das Subsidiaritätsprinzip auf der persönlichen Würde des Menschen gründet:

1. Die Verpflichtung des Individuums ist es unter Gebrauch seiner Fähigkeiten für sich selber zu sorgen und für sein Leben eigene Verantwortung zu tragen. Tut er dies nicht, so verletzt dies seine persönliche Würde.

2. Dem Individuum steht Unterstützung und Hilfe zu, wenn er nicht alleine dazu imstande ist seine Aufgaben durchzuführen.

3. Das Individuum darf bei der Erledigung seiner Angelegenheiten nicht behindert werden.[5]

Subsidiarität als Teil der EU[Bearbeiten]

Flagge der Europäischen Union

Das Subsidiaritätsprinzip basiert zwar auf dem Ziel der Entfaltung des Menschen, dem Lösen seiner eigenen Probleme und zum Schutz seiner persönlichen Würde, es wird aber auch auf größere Einheiten als das Individuum mit seiner Familie bzw. Gemeinde angewandt. 1991, bei der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht, berief man sich ausdrücklich auf das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre. Das Ziel von diesem soll eine effiziente, aber vor allem menschengerechte und gesellschaftsgerechte Wirtschaft und Politik sein. Damit soll Subsidiarität immer als Bewegung weg von einer Repräsentation bzw. Entscheidungstreffung und Vertretung für das Volk, zu einem Miteinbeziehen des Volkes sein. Die Gemeinschaft setzt sich aus dem Volk zusammen, daher werden die Entscheidungen nicht für das Volk, sondern von dem Volk getroffen. "Diese Betonung der Personalität des Menschen ist eine Absage an alle Konzentrationsprozesse im wirtschaftlichen, politischen, sozialen, kulturellen und administrativen Bereich, eine Ablehnung aller Anonymität der Gesellschaft und aller Fremdsteuerung des Menschen durch Institutionen, Organisationen und übermächtige Instanzen."[6] Wichtig ist ebenso, dass Nationalismus und Partikularismus im Subsidiaritätsprinzip abgelehnt werden und größere Probleme "ortsübergreifend, regionübergreifend, länder- und staatenübergreifend, ja Herausforderungen weltweiten Ausmaßes auch kontinentübergreifend" [7] gelöst werden sollten, oder anders gesagt "zunächst von der Familie, dann von Gruppen, Verbänden und Gemeinden wahrgenommen werden und erst danach vom Staat als letzte Instanz."[8]

Subsidiarität ist aus diesem Grund der Inbegriff des Demokratieverständnisses, nachdem es in seiner Idealvorstellung das Volk entscheiden lässt und dem zentralistischen Staat nur eine Hilfeleistung zugesteht. „Für die christliche Soziallehre geht es dabei letztlich nicht um ein bloßes Organisationsprinzip, sondern um eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die wesentlich von ihrem Menschenbild bestimmt wird.“ [9] Jeder Mensch soll sich als Vollglied der Gesellschaft identifizieren und "das Gemeinwohl wird in einem gesellschaftlichen Pluralismus von unten nach oben - gemäß dem Subsidiaritätsprinzip - aufgebaut." [10] Der Staat solle durch seine Gesetze und Leistungen anregend eingreifen, Hilfe zur Selbsthilfe geben und nicht die Freiheit durch Abhängigkeiten einschränken.[11]

Das Subsidiaritätsprinzip basiert aber nicht nur auf der Würde des Menschen, sondern auch auf menschliche Vernunft und Einsicht und richtet sich damit nicht nur an Christen, "sondern an alle Menschen guten Willens".[12] "[Die christliche Soziallehre] enthält keine Patentlösungen, aber [sie] gibt eine Grundorientierung in der so dringenden und mühsamen Suche nach der menschengerechten Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft."[13] Diese naturrechtliche, auf der natürlichen Vernunft begründete Ansicht soll beweisen, dass ein gemeinsamer Weg der Ordnung der Gesellschaft auch zwischen Menschen verschiedener Herkunft, Bekenntnisse usw. möglich ist.[14]

Kritik[Bearbeiten]

Teilweise gefährliche Kritik wird allerdings daran geübt, dass Wirtschaft nicht gleichzeitig effizient und menschengerecht sein kann, da sich dies widerspricht. Wirtschaft ist an strenge Gesetze und Anforderungen gebunden und hat im Zusammenhang mit dem hohen Druck keinen Platz für ethische Forderungen, da es die Produktivität vermindert. Die christliche Soziallehre antwortet mit der Bitte, dass die Verbindung und der Bezug von Wirtschaft zum Menschen nicht verloren gehen solle.[15] Auch an der Effektivität des Subsidiaritätsprinzips innerhalb politischer Bezugnahme wird Kritik geübt: Werner Weidenfeld und Christian Jung berichten, dass die Anwendung des Prinzips nach der katholischen Soziallehre "eine stumpfe Waffe" gegen den "zunehmenden europäischen Zentralismus" sei und die Definition im Maastrichter Vertrag nur durch den von der christlichen Soziallehre entlehnten Begriff zu wenig sei.[16] Auch Gerhard Huemer und Jürgen Weiss bemerken, dass in den Enzyklika keine wirtschafts-politische Anleitung stehe, dass für das Subsidiaritätsprinzip vor allem "konkrete politische Konzepte und Entscheidungen maßgebend sind." [17]

Literatur[Bearbeiten]

  • Hättich, M. (1957) Wirtschaftsordnung und katholische Soziallehre: Schriften zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme. Heft 2. Gustav Fischer Verlag.
  • Gojak, J. (2000) Der Wert der Subsidiarität im praktischen Leben der Gesellschaft. In: Schnarrer, J. M. Solidarität und Sozialstaat. Institut für Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wien/Budapest. S. 89-104.
  • Laschet, A. (1993) Ein Kontinent im Umbruch: Perspektiven für eine europäische Außenpolitik. Berlin [u.a.]:Propyläen.
  • Huemer, G. (2000) Katholische Soziallehre im Spannungsfeld von Liberalismus und Interventionismus. In: Tschirf & Wohnout & Klein. Was bleibt an sozialer Gerechtigkeit? Verlag Österreich. S. 85-92.
  • Weiler, R. (2000) Sozialwirtschaft und ihre Prinzipien nach der katholischen Soziallehre. In: Schnarrer, J. M. Solidarität und Sozialstaat. Institut für Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wien/Budapest. S. 12-25.
  • Weiss, J. (1993) Regionalismus als Ausprägung der katholischen Soziallehre. In: Tschirf & Wohnout & Klein. Was bleibt an sozialer Gerechtigkeit? Verlag Österreich. S. 173-181.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Gojak (2000)
  2. Huemer (2000), S. 85ff.
  3. Hättich (1957), S. 36
  4. vgl. Weiler (2000), S. 16
  5. vgl. Gojak (2000),S. 90ff.
  6. Laschet (1993), S. 97
  7. Laschet (1993), S. 100
  8. Weiss (1993) S. 174
  9. http://www.sozialkompendium.org/files/Texte/Fokus/PZG-03_Schasching_SLehre.pdf
  10. vgl. Weiler (2000), S. 17f.
  11. vgl. Laschet (1993), S. 99
  12. http://www.sozialkompendium.org/files/Texte/Fokus/PZG-03_Schasching_SLehre.pdf
  13. http://www.sozialkompendium.org/files/Texte/Fokus/PZG-03_Schasching_SLehre.pdf
  14. vgl. Laschet (1993), S. 95
  15. http://www.sozialkompendium.org/files/Texte/Fokus/PZG-03_Schasching_SLehre.pdf
  16. Neue Züricher Zeitung, 14. März 1993
  17. Huemer (2000), S. 86; Weiss (2000), S. 176

Weblinks[Bearbeiten]