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DieDatenlaube/LIBREAS The Sound of Gesprochene Wikisource

Aus Wikiversity

LIBREAS Call for Papers: #45: The Sound of Libraries. Ein Impuls in fünf Stationen, 3. November 2023, Preprint: 2. Juni 2024, Endfassung: doi:10.18452/29142

The Sound of Gesprochene Wikisource

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Von Jens Bemme, Caroline Förster, Juliane Flade


Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müßt?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.
Ich kann’s euch sagen: (...)

Ja, was kann man abends alles machen? Lesen, Transkribieren, Editieren und Edieren. Die Verszeilen ‘An Berliner Kinder’ von Joachim Ringelnatz stehen im ‘Kinder-Verwirr-Buch’ von 1931. Das Gedicht und das Buch wurden transkribiert und sind Teil der deutschsprachigen Wikisource. Man findet den Text vertont längst auf YouTube[1], seit Weihnachten 2023 auch eingesprochen in Wikimedia Commons – verknüpft in den Wikisourceseiten, in Wikidata und eingebettet in Blogbeiträgen. So klingt ‘Gesprochene Wikisource' für uns.

Sound of… Hackathon, Editathon, dienstags

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Anfang 2022 begannen wir beim wöchentlichen ‘DatenlaubeJam’ Schriften des Dresdner Geschichtsvereins aus den Jahrzehnten um 1900 für Transkriptionen mit Wikisource ins Auge zu fassen. Ein paar Aktive und andere Freunde des Vereins und die Geschäftsführerin öffneten von da an dienstags morgens Browser und Webcams, um zu lernen mit den Methoden der ‘Datenlaube’ erst ein Mitgliederverzeichnis und dann reihenweise Vereinsmitteilungen und Sonderveröffentlichungen in Wikisource neu zu publizieren.

Hinzu kam das Podcaststudio in der SLUB-Zentralbibliothek, das 2022 eingerichtet wurde, neue Infrastruktur für digitale Töne. Erste Aufnahmen selbstgewählter Texte entstanden dort an einem vorweihnachtlichen Dienstagmorgen im Advent gemeinsam: Technikschulung, Gedichte von Ringelnatz, kurze Artikel aus der ‘Gartenlaube’ – eine kleine Weihnachtsfeier. Seitdem wächst die Liste fertiger Transkriptionen und damit der Fundus umfangreicher Vereinsmitteilungen um 1900, kurzer und unterhaltender ‘Dresdner Geschichtsblätter’, die bisher zwar gescannt und mit OCR in digitalen Sammlungen der SLUB aber gänzlich unbearbeitet zugänglich waren. 2024 werden möglicherweise einige dieser – unserer – Geschichtsblätter eingesprochen und neu veröffentlicht, und möglicherweise wieder im Advent.

Wichtig dabei: Austausch, Spaß, Reflexion und Gruppendynamik. Von ‘Hackathon ist immer (dienstags)’, einem inoffiziellen Leitspruch des ‘DatenlaubeJams’, gibt es längst Varianten: ‘Editathon (auch) ist immer’ und Hackathon ist immer (öfter). Fast alle historischen ‘Mittheilungen’ des Geschichtsvereins sind komplett in Wikisource bearbeitet. Die Autoren verwiesen darin auf ihre weiteren Veröffentlichungen und auf andere Referenzen, z.B. in den ‘Dresdner Geschichtsblättern’. Diese Verweise können wir in Wikisource direkt verlinken und in Wikidata nachweisen (WikiCite). Band 1 der Geschichtsblätter ist fast komplett, der zweite wird in Kürze gemeinsam korrigiert, Band 7 folgt.

Vereins- und Beteiligungsprojekt

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Mit dem Seitenprojekt ‘Gesprochene Wikisource’ geht es einerseits um die Inhalte und die Nutzung der historischen Texte. Basis sind auf der anderen Seite die Textproduktion und -edition: die Erstellung und das eigenhändige Bearbeiten – also das Transkribieren – von Vereinsmitteilungen, Aufsätzen und Artikeln als Aktivität des Geschichtsvereins mit dem Team der ‘Datenlaube’ und der Bibliothek.

Was motiviert uns, als Aktive, Mitglieder des Geschichtsvereins, Gründer des Datenlaube-Projekts und Mitarbeiter:innen der SLUB? Die Motivation, mit Wikisource ehrenamtlich tätig zu werden, speist sich aus eigenem Interesse an Geschichte in Dresden, Anerkennung und dem Gefühl von Selbstwirksamkeit in einer Gemeinschaft ähnlich ‘tickender’ Menschen. Welche Themen wecken überhaupt Interesse? Der Dresdner Geschichtsverein – vielmehr der historische Vorgängerverein – war als Herausgeber geschichts(bürger)wissenschaftlicher Schriften äußerst produktiv. Wir haben hier einen reichen Fundus von Textquellen, die für Dresden Stadtgeschichte beschreiben. Die SLUB erprobt nebenbei Citizen Science und Crowdsourcing und gewinnt weitere digitale Versionen und Katalogisate historischer Drucke.

Teilnehmer:innen am DatenlaubeJam suchen sich Texte selbst aus, die sie bearbeiten, und sind dann meist begeistert. Diese Bearbeitung ist zeitlich nicht an den ‘DatenlaubeJam‘ gebunden und geschieht unabhängig. Jede:r arbeitet weitgehend autonom in Wikisource und bei Bedarf mit Wikimedia Commons und Wikidata.

Anerkennung bietet der DatenlaubeJam, die digitale morgendliche Austauschrunde jeden Dienstag. Aber auch der Geschichtsverein, der Ergebnisse dieser Arbeiten in ‘Dresdner Heften’, in Vorträgen und Artikeln aufgreift und publik macht.

Selbstwirksamkeit resultiert hier aus erlernter digitaler Methodenkompetenz und gegenseitiger Hilfe. Die Bedienoberfläche von Wikisource für sich zu erschließen, dort immer sicherer und schneller zu werden, ist Erfolg und Ansporn. Dabei erhalten alle Unterstützung von erfahrenen Wikisourclern innerhalb und außerhalb der sich regelmäßig treffenden Gruppe. Diese Selbstwirksamkeit ist ein gewichtiges Motiv für diese Form bürgerwissenschaftlichen Arbeitens: Transkriptionen und Citizen Science mit historischen Quellen der Geschichtswissenschaft, deren bibliografischer Erschließung, Edition und schließlich Vertonung für ‘Gesprochene Wikisource’.

Solche selbst vertonten gesprochenen historischen Quellen fügen dem Bearbeiten und Erleben eine Stufe hinzu: Sprache und Wahrnehmung der eigenen Stimme, verschiedene Ausdrucksweisen, Aufnahmetechnik und gemeinsames Ausprobieren. Oder: die Scheu, die eigene Stimme zu hören und sich nicht als Profi zu fühlen, schreckt manche:n letztlich ab einen Wikisourcetext zu sprechen oder die Aufnahme dann auch zu veröffentlichen. So oder so: das gemeinsame digitale Treffen und Ausprobieren und die technische Einführung im Podcaststudio prägen, indirekt auch die eigene Arbeit an den Quellen, Texten und Linkzusammenhängen in Wikisource, Wikidata, Commons und in benachbarten Webprojekten, Blogs und Open Access-Publikationen wie LIBREAS. Der Dresdner Geschichtsverein hat mit Wikisource ein Vereinsprojekt entdeckt und entwickelt. ’Die Datenlaube’ vermittelt digitale Methoden. Die Bibliothek bietet Räume, Technik und Begleitung und gewinnt Erfahrungen für die Nutzung des Podcaststudios. ‘Sound’ entsteht dabei durch Kooperation.

Wikisource inklusive Klang mit Sprachen

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Die Arbeit an Texten in Wikisource und die Aufnahmen für ‘Gesprochene Wikisource’ offenbaren längst weitere Facetten und anknüpfend Ideen für Neues. Ein paar Beispiele zum Weiterdenken:

Die Texte werden gelesen, transkribiert und gesprochen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip barrierefreier Gestaltung zugänglicher.

Kinder-Verwirr-Buch, S. 18.
(...) Ich kann’s euch sagen: Da wird geküßt,
Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei. (...)

Durch die offene Wikimedia-Infrastruktur und das Podcaststudio der Bibliothek lässt sich Inklusion schnell und unkompliziert verwirklichen. Barrierefreiheit kann so von jeder und jedem selbst umgesetzt werden. Könnten wir den Ansatz auch ähnlich einfach auf Videospuren mit eingebetteter Gebärdensprache übertragen? Wikimedia Commons speichert auch Videos.

(...) Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unsagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, daß die Schädel brummen. (...)

Multilingualität – Vielsprachigkeit: Wikisource gibt es in vielen Sprachversionen. Wikidata bietet multilinguale Metadaten für all diese Transkriptionen und deren Tonaufnahmen. Wir können diese ‘Spoken Wikisources’ und Podcaststudios in Bibliotheken zusammen als offene Informationsinfrastruktur denken, in denen Tonspuren entstehen. Im Idealfall sind das neue offene Bildungsressourcen mit soliden offenen Metadaten, verknüpfbar, leicht einzubetten, einfach benutzbar und damit nützlich auch an potentiell vielen anderen Stellen im offenen Web.

Verlinkendes Datendenken: Wir können mit Tonaufnahmen transkribierter Wikisourcetexte und mit deren offenen Metadaten in Wikidata ‘Linked Open Data’-Methoden neu bzw. anders vermitteln. Wie verändert sich dann unsere Idee von ‘Digitale Bibliothek’, wenn wir ‘alles’ (immer öfter und systematischer) abtippen, transkribieren und/oder ein- und aussprechen, vertonen, annotieren und offen erschließen?

‘The Sound of Gesprochene Wikisource’ ist ein Resonanzraum für Menschen in Bibliotheken, deren offene Daten, für Ideen was man mit solchen Daten alles machen kann, für und mit Gemeinschaften, die neue Medien erzeugen.

(...) Ach schweigen wir lieber. — Pfui Spinne, Berlin!
Joachim Ringelnatz: An Berliner Kinder


Referenzen
  1. YouTube, nbWMbkPey-k: Joachim Ringelnatz "An Berliner Kinder", gesprochen von Burghart Klaußner, 2015.