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Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Grundlagen der KEA/Grundkonzept der Prozessklassen

Aus Wikiversity


Theoretische Grundlagen


Grundkonzept der Prozessklassen


in der Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten




Einleitung

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Der folgende Abschnitt begründet, warum diese Klassen notwendig sind, woraus sie sich ableiten lassen und wozu sie verwendet werden können. Es werden zudem einige triviale, allgemeine und auch spezielle Begriffe eingeführt.

Als Prozessklassen werden hier Ordnungsgruppen für Ausdrücke hinsichtlich ihrer biologischen Grundlage definiert. Ein Ausdruck gehört mit einem anderen Ausdruck in die selbe Prozessklasse, wenn er die selbe oder eine ähnliche Grundlage hat.

Prozessklassen können heute noch nicht eindeutig aufgestellt werden, weil die neuronalen Strukturen, die Ausdrucksverhalten erzeugen oder zu seiner Erkennung beitragen, nur sehr unklar verstanden werden. Sicher ist aber, dass es mindestens zwei große Unterkategorien geben muss, nämlich das überwiegend motorische Ausdrucksverhalten und das überwiegend kognitive Ausdrucksverständnis. Die beiden Unterkategorien werden im Abschnitt kea:Trennung von Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis erklärt.

     Diese beiden Unterkategorien hängen eng mit einem weiteren ausdruckspsychologischen Konzept zusammen, der Unterscheidung von kea:Person und Gegenüber.

Triviale Sachverhalte

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In diesem Abschnitt werden einige triviale Sachverhalte dargestellt, die vor jedem theoretischen Hintergrund plausibel sind und über die es in der Fachwelt keine nennenswerten Kontroversen gibt.

Die Person und ihr Gegenüber

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Die Unterscheidung der Begriffe Person und Gegenüber ist trivial. Sie ist aber wichtig für die schriftliche Beschreibung von Ausdrucksphänomenen, soweit Ausdrücke hinsichtlich ihrer kommmunnikativen Funktion beschrieben werden. Sofern Personen interagieren, ist es notwendig, Sender und Empfänger genau zu bezeichnen.

Person und Gegenüber.
Person und Gegenüber.

Lassen Sie uns diesen Teil des Projekts mit einigen sehr allgemeinen und trivialen Betrachtungen beginnen, die in der Fachwelt wenig umstritten sind, aber zu komplexeren Diskussionen überleiten.[1] Die Beschreibung von Ausdrücken ist wesentlich komplizierter als ihre Wahrnehmung. Selbst einfachste Eigenmienen sind verbal nur umständlich in Worte zu fassen und die schriftliche Beschreibung komplexer Musterabläufe zwischen zwei Menschen ist eine echte Herausforderung. Um eindeutig bezeichnen zu können, um wen es sich jeweils handelt, soll hier als „die Person“ stets jener Mensch bezeichnet werden, der den Ausdruck zeigt, während „der Gegenüber“ jener Mensch ist, der den Ausdruck wahrnimmt.

Merke: Die Begriffe Person und Gegenüber sind Abstrakta. Sie bezeichnen angenommene „Idealpersonen“ für die die Naturgesetz so gelten, wie man sie vermutet und formuliert hat.
  • Als Person bezeichne man einen Menschen, der eine Verhaltensweise zeigt. In der Sprache verschiedener psychologischer Traditionen wird die Person bezeichnet als:
    • kommunikationspsychologisch: Sender
    • allgemeinpsychologisch: Akteur, Handelnder
    • alltagspsychologisch: Subjekt, das betrachtete „Ich“
    • experimentalpsychologisch: Proband
    • kognitivistisch: Agierender
  • Als Gegenüber bezeichne man einen Menschen, der eine Verhaltensweise wahrnimmt. In der Sprache verschiedener psychologischer Traditionen wird das Gegenüber bezeichnet als:
    • kommunikationspsychologisch: Empfänger
    • allgemeinpsychologisch: Beobachter, Wahrnehmender
    • alltagspsychologisch: Objekt, der betrachtete „Andere“
    • experimentalpsychologisch: Beobachter
    • kognitivistisch: Kognizierender

Wechselseitigkeit und Gleichzeitigkeit

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Bei einer kommunikativen Interaktion zwischen zwei Menschen, z.B. Aton und Cäsar, sind sowohl Anton als auch Cäsar gleichzeitig und wechselseitig Person und Gegenüber. Beobachtet man aber nur Anton, so ist er die Person und Cäsar ist sein Gegenüber. Antons eigenes Ausdrucksverständnis wird bei der Verwendung der abstrakten Begriffe nicht beachtet.

Positionsneutralität

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Bei der Verwendung der beiden Worte soll es auch keine Rolle spielen, ob der Gegenüber der Person tatsächlich lokal gegenüber steht. Er kann sich genau so gut seitlich oder hinter ihr oder irgendwo anders innerhalb der sozialen Situation befinden. Es ist ein Merkmal der Genoausdrücke, dass sie in allen räumlichen Lagen (Extrembeispiel: Weltraum) gleich gut funktionieren.

Beobachter und Zuschauer

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Der Gegenüber kann jedoch kein stiller Beobachter (z.B. Zuschauer oder Versuchsleiter) sein, weil er dann nicht mit in der Situation steckt, die für die zu betrachtenden Psychischen Hintergründe PH eine Rolle spielt. So kommen Zuschauer oder Versuchsleiter bei ihren Beurteilungen zu ganz anderen Ergebnissen als Gegenüber. Das kommt nicht aus ihrer Individualität, denn die ist bei jedem Menschen vorhanden, sondern von der Unbeteiligtkeit, die bestimmmte Ausdruckskomponenten (vor allem im zeitlichen Ablauf) anders wahrnimmt als der Beteiligte. Oftmals ist der Beobachter objektiver

Geschlechtsspezifik

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Außerdem soll für die Verwendung dieser beiden abstrakten Begriffe das Geschlecht nicht beachtet werden, d.h. sowohl „die“ Person, als auch „der“ Gegenüber können als weiblich oder männlich gedacht werden. Im folgenden Abschnitt werden darauf hingewiesen, dass das nicht bei konkreten Situationsbeschreibungen gemacht werden sollte.

Anton, Berta, Cäsar, Dora und Emil

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Bei konkreten Fallbeschreibungen, die auf den Seiten dieses Wikiversity-Projekts verwendet werden, benötigen wir einheitliche fiktive Namen. Die Bezeichnungen sind immer dann wichtig, wenn konkrete Einzelpersonen (und nicht die allgemeine Menschheit) bezeichnet werden sollen. Einige Ausdrucksmuster können sich zudem auch geschlechtsspezifisch (statistisch) unterscheiden.[2]

  • für eine konkrete Person:
    • geschlechtsneutral: die Person
    • männlich: Anton
    • weiblich: Berta
  • für einen konkreten Gegenüber:
    • männlich: Cäsar
    • weiblich: Dora
  • für einen konkreten unbeteiligten Beobachter:
    • Emil

Ausdrucksverhalten und Ausdrucksregung

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Das Wort Ausdruck wird in der Ausdruckspsychologie als Abkürzung für den Begriff Ausdrucksverhalten benutzt und bezeichnet nichts anderes als eine allgemein vorkommende und verbreitete Verhaltensweise.

     Daneben gibt es aber auch konkrete Bewegungen, die Person X zum Zeitpunkt Y und den Umständen Z gemacht hat. Dieses nur bei dieser Gelegenheit gezeigte musterhafte Verhalten soll forthin als Ausdrucksregung bezeichnet werden. Diese Unterscheidung ist für die Beschreibung von Ausdrucksverhalten wichtig.

Konzept der Trennung von Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis

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Ausdrucksverständnis und Ausdrucksverhalten sind zwei unterschiedliche Dinge. Sie werden von unterschiedlichen Prozessen geleistet und sind auch methodisch völlig anders erfassbar.

Der bekannte Papez-Kreis, ein veraltetes Schaltschema.

Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis sind phänomenologisch gesehen ähnlich und hängen eng zusammen. In der älteren Literatur wurden beide nicht immer von einander getrennt beschrieben. Heute weiss man, dass es sich um verschiedene Prozesse handelt, die zwar eng miteinander zusammen arbeiten, aber dennoch eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen.

     Sowohl über die Prozesse innerhalb der Person, als auch innerhalb des Beobachters gibt es verschiedenste Ansichten. Die Abbildung zeigt den historischen Papez-Kreis, ein neurologisches Schaltschema für das Zustandekommen von Emotion und Ausdruck innerhalb der Person. Dieses Schema ist heute veraltet. Es kann auch nur Emotionsausdrücke erklären, die aus ausdruckspsychologischer Sicht nur einen Teil aller Ausdrücke ausmachen.

     Die heute vorgenommene Trennung von Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis ist praktisch relevant, denn für Verhaltensweise und Verständnis sind auch unterschiedliche Messmethoden verfügbar, wobei Verhaltensweisen methodisch leichter zugänglich sind. Aber bereits der Psychische Hintergrund einer Verhaltensweise ist oft ebenso schwer zu erfassen wie erkennende oder verstehende Prozesse.


Verhalten und Verständnis allgemein

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Eine sehr verallgemeinerte Skizze über die Vorgänge in der Person.
Eine sehr verallgemeinerte Skizze über die Vorgänge im Gegenüber.

Dieses sehr wichtige Konzept ist für die Ausdruckspsychologie von zentraler Bedeutung. Es nimmt an, dass Ausdrucksverhalten etwas anderes ist als Ausdrucksverständnis. Man könnte sogar mit einigem Recht behaupten, dass sie völlig unterschiedlich sind, denn die Neurowissenschaften haben gezeigt, dass im Gehirn alle Verhalten vor allem motorische Leistungen sind, während alle Verständnisse vornehmlich erkennenden, kogitiven Leistungen entspringen. Damit wäre die Diskussion abgeschlossen.

     Mehr noch, bei vielen Krankheitsbildern gehen „Störungen im Ausdruck“ oft mit spezifischen Veränderungen im Ausdrucksverständnis und/oder im Ausdrucksverhalten einher. Die Störung des Verhaltens ist nicht gleichbedeutend mit der Störung des Verständnisses. Die Musterprozesse können selektiv oder auch generell verändert sein und manche Patienten leiden unter sehr verschiedenen Defiziten, die in vielen Fällen durch generalisierte oder besonders auffällige Minderleistungen kaschiert sind. Das erzeugt ein verwaschenes Bild, das die Erklärung der wahren Gegebenheiten mindestens sehr erschwert. Das menschliche Gehirn der komplexeste Gegenstand im bekannten Universum[3] und seine Funktionsweise ist nicht einmal annähernd verstanden. In der Literatur finden sich nur Ansätze, aber die wahren Gegebenheiten sind weitgehend unbekannt und bleiben eine große Herausforderung für kommende Forscher-Generationen. In der folgenden Arbeit wird jedoch davon ausgegangen, dass beide Leistungen verschieden sind: Ausdrucksverständnis ist ein musterhafter perzeptiver und kognitiver Prozess, Ausdrucksverhalten ist eine motorische musterhafte Leistung. Beide werden durch verschiedene Funktionen erzeugt. Wenn psychische und psychiatrische Störungsbilder nicht wie so oft viele tiefere Bereiche des Gehirns gleichzeitig betreffen würden, könnte es vielleicht Patienten geben, die Ausdrücke zwar regulär zeigen, aber nicht verstehen könnten und umgekehrt, wie man es von den (höher) neocortical organisierten Broca- und Wernicke- Aphasien kennt.

     Allgemein überblickend beschrieben werden wahrgenommene Ausdrucksmuster (Perzeption) mit in neurologischen Strukturen gespeicherten Mustern verglichen.[4] Eine kognitive Komponente weist diesen Mustern dann eine Bedeutung zu, die erkannt wird. Durch die Ausdruckskognition wird der Sinngehalt des psychischen Hintergrundgeschehens der Person (Person-PH) auf den Gegenüber übertragen, so dass dieser ihn zuordnen kann. Der Gegenüber verbindet den Ausdruck mit dem „richtigen“ psychischen Hintergrundprozess PH, so dass er erkennen kann, was gerade in der Person vorgeht.

     Hinsichtlich der Ausdrucksverhalten kann verallgemeinert werden, dass bestimmte Psychische Hintergründe PH eine Person veranlassen, bestimmte Ausdrucksmuster auf den Fluß ihrer motorischen Aktivitäten zu modulieren. Dieser Prozess dürfte sehr komplex sein, denn er darf den Ablauf der Willkürmotorik keinesfalls stören, muss aber immerhin noch so durchdringend sein, dass sich die Muster regelrecht durchzusetzen, weil sie andernfalls nicht verstehbar sind. Wir werden in den Beschreibungen der Ausdrucksmuster, vor allem der erblichen Genoausdrücke sehen, dass sie auf eine relativ genaue, also restriktive Ausführung angewiesen sind.

Veraltete Theorie von Piderit
Neurokulturelle Theorie von Paul Ekman

     Über die neurophysiologischen Hintergründe der zu beschreibenden Phänomene kann hier jedoch nicht viel Konkretes gesagt werden. Angesichts der großen Fülle der Ausdrücke, die zudem auch zu unterschiedlichen Zeiten evolutionär entstanden, scheint es sehr wahrscheinlich, dass man es mit einigen oder vielen Prozessen zu hat, an denen sich viele Gehirnteile in wechselnden Funktionen beteiligen. Die Abbildung zeigt die historische aber falsche physiognomische Theorie von Piderit[5], nach der der Hintergrund der Ausdrücke derselbe ist wie der für anderes Verhalten, wobei Ausdrücke durch einen imaginären Reiz entstehen, der nur vorgestellt ist und aus der Erinnerung stammt. Die Verhaltensmuster wandeln sich dadurch ab und werden symbolisch. Zweckverhalten tritt bei realen Reizen auf. Das Ausdrucksverständnis (hier nicht eingezeichnet) ruft rückwärts über die Symbolik die Vorstellungen wach. Die emotionspsychologische Neurokulturelle Theorie[6] von Paul Ekman geht von einem komplexen Gefüge aus, in dem biologische und kulturelle Einflüsse wechselseitig wirken. Damit lassen sich Emotionsausdrücke wie die der Freude oder Traurigkeit erklären, zu denen allerdings auch Ausdrucksmuster geschlagen werden, die ausdruckspsychologisch gesehen nicht emotional sind.

Ausdruck und Eindruck

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Eine sehr verallgemeinerte Skizze über die Vorgänge im Gegenüber, die zur Bildung seines Eindrucks führen.

Im vorigen Abschnitt haben wurde der Unterschied zwischen Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis behandelt. Ein weiterer wichtiger und unbestreitbarer Sachverhalt besteht darin, dass die Perzeption und Kognition nicht alles sind. Wie nehmen die Ausdrücke nicht nur wahr und erkennen sie, sondern wir interpretieren sie auch und bilden uns einen Eindruck, zu dem weitere Eeinflüsse beitragen. Diese werden beispielsweise in Motiven, Intensionen, Denkinhalten, Emotionen, Stimmungen oder Gefühlen usw. gesehen, die weitgehend erlernt sind oder maßgeblich unter erlernten Einflüssen stehen. Hinzu kommen implizit oder extra erlernte analytischer Anstrengung, weitere individuell gelernte Gedächtnisinhalte, die den Eindruck „verfärben“. Ein „reines Ausdrucksverständnis“, das frei von Einflüssen ist, kann es bei Organismen nicht geben. Es wird jedoch spannend sein, ob es technisch hergestellt werden kann.

Merke: Ausdrucksverständnis kann niemals dazu führen, dass der Psychische Hintergrund der Person (Personen-PH) auf den Gegenüber übertragen wird. Statt dessen werden im Gegenüber Prozesse wach gerufen, die dem Personen-PH entsprechen. Lebewesen sind selbst bei mitreißensten Situationen immer „allein“ in ihrem Kopf.

Ein Ausdrucksverhalten wurde beschrieben als Bewegungen, die Personen bei vorliegenden Psychischen Hintergründen PH ausführen und die einem festgelegten, nicht beliebigen Muster folgen. Das Vorliegen dieses Musters macht das Ausdrucksverhalten aus und zwar unabhängig davon, ob und wie der Gegenüber dieses Muster individuell interpretiert. Die Interpretation eines wahrgenommenen Ausdrucksmusters in zeitlichem und kontextualem Ablauf erfordert jedoch mehr als die plane Musterkennung.

     Nun haben wir an anderer Stelle behauptet, dass es erbliche und erworbene Ausdrucksmuster gibt und dass sie ebenfalls verschiedenen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Hier soll dazu nicht mehr gesagt werden, als dass es sehr wahrscheinlich erscheint, dass Genoausdrucks-Muster oft über die anderen zusätzlichen Komponenten dominieren, so dass der Beobachter sehr oft und leicht einen „richtigen Eindruck“ gewinnen kann. Bei Memoausdrücken dominieren wahrscheinlich die anderen Einflüsse, so dass ihr Verständnis weitere und höhere Leistungen bedarf. Das ist ein Umstand, den man insbesondere bei der klinischen Diagnostik praktisch nutzen kann, denn höher angesiedelte Funktionen fallen oft selektiver und spezifischer aus als niedriger angesetze Leistungen.

Merke: Der Eindruck sei definiert als jene globale Gesamtleistung, die über die Ausdruckskognition hinaus geht. Er bezieht prozedurale Gedächtnisinhalte ein.

Der Eindruck bezeichne das Gesamtempfinden, welches ein Gegenüber aus seinem Erlebten entnimmt. Er trägt allerlei Informationen zusammen. Der Eindruck ist das, was sich der Beobachter aus dem macht, was er erblickt. Daher ist der Eindruck auch eine Mischleistung aus allen jenen kognitiven, emotionalen oder sozialen Prozessen, zu denen Menschen fähig sind.

Merke: Der Eindruck stellt eine Mischleistung dar, die hier nicht klassifiziert werden soll.[7]

Eindrücke sind also verschieden von der Ausdrucksperzeption und Ausdruckskognition. Bei der Wahnehmung von Bewegungen, die nicht ausdrucksmusterhaft sind (z.B. Zweckbewegungen) versagt die Ausdruckskognition. Dann dominieren andere Prozesse. Auch ausdrucksähnlichen Bewegungen wie Faxen oder Grimassen, wenn mit der Gesichtsmuskulatur Willkürbewegungen ausgeführt weden, greifen die Erkennungsmuster nicht oder nur partiell. Dann gewinnt der Gegenüber aber trotzdem einen Eindruck. Er könnte zum Beispiel annehmen, dass die Bewegungen etwas bedeuten sollen, das er nicht versteht. Oder er könnte auch sinnhaltige Informationen entnehmen, die mit den Ausdrücken wenig zu tun haben und auf Motive rückschließen. Eindrücke werden von jedem Beobachter implizit und unbewußt auf eine unterschiedliche Weise generiert - im Falle der Faxen sucht sich der Gegenüber etwas heraus, das er verwerten kann oder möchte oder das ihn an etwas erinnert.[8]

     Die hier verwendete Definition der Begriffe bringt einen großen praktischen Vorteil mit sich, der bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema sehr wertvoll ist: Die Trennung von Grund auf und ermöglicht, beides mit voneinander verschiedenen Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben. Eindrücke sind bsw. nicht invariant bezüglich der individuellen Verfassung des Gegenüber, während Ausdrücke schon invariant gegenüber dem psychischen Hintergrund PH der Person sind, weil sie sich spezifisch ihrem eigenen Hintergrund anhaften und sich nur verändern, wenn dieser auch wechselt. So findet man einen feindlichen Zug im Ausdrucksverhalten nur, wenn auch ein entsprechender Hintergrund vorliegt (ungeachtet sonstiger expressiver Beimengungen), während die Interpretation eines Verhaltens als „feindlich“ vom Gegenüber vorkommen kann, wenn das der Gegenüber so erwartet, wünscht oder sich herbei phantasiert. Ausdrücke (Ausdrucksverhalten) vertreten ziemlich genau das, was in der Person vorgeht. Wenn die Person etwa verstimmt ist, so zeigt sie (angeborene) regelhafte Anzeichen dieser Verstimmung im Ausdruck, die wieder einem Muster entsprechen. Ist der Beobachter verstimmt, so hat er keine Veränderung seiner (angeborenen) Ausdruckskognition, wohl aber Veränderungen der anderen psychischen Leistungen, die zum Zustandekommen des Eindrucks beitragen. Ausdruck und Eindruck sind keine Gegenpole einer psychischen Leistung, sondern separate Funktionsbereiche.

Merke: Eindrücke sind nicht invariant bezüglich der individuellen Verfassung des Gegenüber.

Allgemeine Annahmen zum Ausdrucksverhalten

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In den vorangehenden Abschnitten wurde dargestellt, dass Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis unterschiedlichen Dinge sind. Bevor wir uns dem Ausdrucksverständnis zuwenden, sollen nun spezielle Aspekte des Ausdrucksverhaltens betrachtet werden, die klassifikatorisch wichtig sind.

Ausdrucksverhalten und Nicht-Ausdrucksverhalten

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In diesem Abschnitt werden einige Überlegungen zum Ausdrucksverhalten und zu anderen Verhaltensweisen dargestellt.

Menschen können sich immer nur „insgesamt“ verhalten. Jede Unterteilung menschlichen Verhaltens in distinkte Zeitabschnitte, denen Namen zugewiesen werden, ist willkürlich und nur mit einem jeweils angegebenen Zweck brauchbar. Ausdrucksverhalten sind niemals eigenständige Verhaltensweisen, sondern immer musterhafte, zeitliche und varianzanteilige Merkmale des Gesamtverhaltens. Das wird beispielsweise bei den Gesichtsausdrücken deutlich, die sich im Mundbereich mit den Phonemen und im Augenbereich mit den zweckhaften Augenbewegungen kombinieren.

Als Ausdrucksverhalten (Ausdruck) bezeichnet man in der Ausdruckspsychologie ein Gesamtverhalten, in das Ausdrucksmuster einmoduliert sind. Fehlen Ausdrucksmuster, verhält sich die Person insgesamt nicht ausdruckshaft. Das Gesamtverhalten besteht vor allem aus Verhaltensanteilen, die nicht ausdrucksmusterhaft sind und daher auch als Nicht-Ausdrucksverhalten bezeichnet werden können. Nicht-Ausdrucksverhalten sind beispielsweise:

  • Zweckbewegungen (z.B. das Entnehmen eines Buches aus einem Regal)
  • Ausgleichsbewegungen
  • Mitbewegungen
Merke: Ausdrucksverhalten = Nicht-Ausdrucksverhalten + Ausdrucksmuster

Oder anders ausgedrückt: Ausdrucksverhalten und Nicht-Ausdrucksverhalten haben (schnell schwankende) Varianzanteile am Gesamtverhalten. Sind Ausdrucksmuster nur leicht angedeutet, spricht man von einer „expressiven Verfärbung“ des Verhaltens, bei dem der musterhafte Varianzanteil gering ist. Die Muster können aber auch deutlich zu sehen sein oder das Gesamtverhalten fast vollständig bestimmen. Ihr Varianzanteil ist dann hoch. Es gibt heute nur eine sehr aufwendige wissenschaftliche Methode, das Gesamtverhalten in seine Varianzanteile zu zerlegen. (siehe FACS)

Zeit- und Varianzanteile

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Wie bereits erwähnt, kann man auf einen ersten Blick der Annahme unterliegen, dass Menschen in einem ununterbrochenen Fluss expressiv aktiv wären. Das täuscht jedoch. Der Zeitanteil, während dem Menschen Ausdrucksmuster auf ihr Verhalten modulieren beträgt bei Gesichtsausdrücken in kommunikativen Situationen sicher nie mehr als 5 bis 10 Prozent der Gesamtzeit. Die Zeit ist schwer einzugrenzen und hängt von vielerlei Randumständen ab. Sie ist beispielsweise allgemein (unspezifisch) erhöht:

  • wenn sich die Person beobachtet fühlt
  • wenn sie überzeugen möchte

Die restliche Zeit weist keine Musterbestandteile auf. Natürliche Personen kombinieren selbst in Dialogen nur gelegentlich ein Ausdrucksmuster bei. Bei der Auswertung von künstlerischem Material wie Spielfilme kommt man auf einen deutlich höheren Anteil, der aber durch die Schauspielerei und den Zusammenschnitt bedingt ist. Künstlerlisches Material kann deshalb nicht in der Ausdruckspsychologie als empirische Quelle verwendet werden, aber es kann zur Erklärung von bestimmten Ausdrücken (Haltungsausdrücke) benutzt werden.

Psychischer Hintergrund

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In diesem Abschnitt werden einige Begriffe zum psychschen Hintergrundsgeschehen dargelegt.

Um falsche Formulierungen zu vermeiden, die die anstehenden ausdruckspsychologischen Überlegungen erheblich stören könnten, sei zuvor auf einige oft leicht zu übersehende Umstände explizit hingewiesen: Wenn hier von einem Ausdruck (Ausdrucksverhalten) die Rede ist, beispielsweise einer „Eigenmiene der Freude“, so bezeichnet dieser Begriff genau das, was im Musterschlüssel beschrieben ist. Er bezeichnet keine Emotion, keine mentale Leistung, nichts, was sich innerhalb einer Person an psychischen oder vegetativen Dingen ereignet. Er bezeichnet auch nicht das Abbild von dem Ausdruck, das sich der Gegenüber konstruiert. Es können hier keinerlei Aussage darüber gemacht werden, in wie weit eine konkret vorstellige Person, die „Freude“ zeigt, auch freudig ist und die mit einem Freudenzustand verbundenen Veränderungen im Verhalten und Erleben hat. Der Expressionsschüssel weist der Miene jene Erklärungen zu, die sich in der Literatur finden.

Die Wahl des Wortes sollte keine etablierte Sichtweise benachteiligen.

Zusammenfassung

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Hier werden folgende Begriffe eingeführt

  • Der Psychischer Hintergrund PH ist die meist unbekannte, abstrakte, gesetzmäßige Ursache eines Ausdrucksverhaltens.
  • Der Angenommener Psychischer Hintergrund APH ist eine mögliche abstrakte Erklärung für den Psychischen Hintergrund PH eines Ausdrucks. Für die meisten Ausdrücke gibt es mehrere Erklärungsansätze.
  • Die Psychische Hintergrundsregung PHR ist die konkrete Ursache eines Ausdrucks, z.B. jetzt gerade bei Anton.
  • Die Angenommene Psychische Hintergrundsregung APHR ist eine mögliche Erklärung für einen konkreten Ausdrucks, jetzt gerade bei Anton. Es kann mehrere Ansichten darüber geben, warum Anton einen Ausdruck gezeigt hat: kontrollierte Messung, Expertenurteil und Antons eigene Erklärung.
  • Der Personen-PH ist der Psychische Hintergrund, durch den ein Ausdrucksverhalten in einer Person entsteht. Er erzeugt ein Verhalten.
  • Der Gegenüber-PH ist der Psychische Hintergrund, der einen Gegenüber zu einer bestimmten Verständnis des Ausdrucks bringt. Er führt die Interpretation herbei.

Psychischer Hintergrund PH und Psychische Hintergrundregung PHR

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Als Psychischer Hintergrund PH eines Ausdrucksverhaltens bezeichne man das, was sich gemein hin in Personen ereignet, damit sie das betrachtetes Ausdrucksverhalten hervor bringen. Für jedes Ausdrucksverhalten gibt es einen eigenen PH. Der PH ist eine Gesetzmäßigkeit, die für fast alle Ausdrucksverhalten (außer einigen emotionalen) unbekannt ist.

     Was man als Psychischen Hintergrund bezeichnet, hängt von der jeweiligen fachlichen Sichtweise ab. Zulässig sei alles von biologisch orientierten Definitionen über klinisch relevante Spezialfälle bis hin zu kommunikationspsychologischen, emotionspsychologischen oder klassisch ausdruckspsychologischen Erklärungen. Der PH sollte nicht mit der PHR verwechselt werden.

Als Psychische Hintergrundsregung PHR bezeichne man das, was sich in einem konkreten Fall zu einem Zeitpunkt X in einer Person Anton oder Berta unter den Umständen Y ereignet, damit sie eine beobachtete Ausdrucksregung zeigt. Für jede Situation gibt es eine eigene PHR, die ebfanfalls meist unbekannt sind.

Merke:
  • Ein Psychischer Hintergrund PH ist eine (gesuchte) allgemeine Gesetzmäßigkeit.
  • Eine Psychische Hintergrundsregung PHR ist eine spezifischer Vorgang in einer Person.

Angenommene Hintergründe APH und APHR

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Psychische Hintergründe PH sind aus wissenschaftlicher Sicht derzeit für die meisten Ausdrucksverhalten unbekannt bzw. werden nur theoretisch vermutet. Psychische Hintergrundregungen PHR sind unbekannt, sofern es in einer speziellen Situation keine kontrollierten Messbedigungen gibt. Das ist praktisch immer der Fall.

     Im Alltag werden Psychische Hintergrundsregungen PHR vom Gegenüber interpoliert, d.h. implizit abgeschätzt und vermutet. Durch Expertenurteil können eingegrenzt werden, aber auch dann ist es nur eine Vermutung. Die wahre Bedeutung der Ausdrücke ist in fast allen Fällen und Situationen nicht wissenschaftlich angebbar, weshalb von „angenommenen“ psychischen Hintergründen APH und „angenommenen“ psychischen Hintergrundegungen APHR gesprochen werden sollte.

Merke:
  • Ein Angenommener Psychischer Hintergrund APH ist eine (von vielen Autoren oder oft) angenommene inhaltliche Bedeutung eines Ausdrucksverhaltens.
  • Eine Angenommene Psychische Hintergrundsregung APHR ist eine (vom Beobachter Emil) angenommene inhaltliche Bedeutung eines konkreten Ausdrucksverhaltens, das die Personen Anton oder Berta gezeigt haben.

Der unbeteiligte Beobachter Emil möchte wissen, ob seine APH und APHR auch den PH und PHR entsprechen. D.h. er möchter heraus finden, ob er mit seiner Interpretation „richtig“ liegt bzw. gemeinsam mit anderen Beobachtern eine konsente Sichtweise vertreten kann.

Personen- und Gegenüber-PH

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Leider ist die Ausdruckspsychologie sehr komplex und dem Leser bleiben weitere Definitionen nicht erspart.

  • Jede Verhaltensweise einer Person entsteht auf einem Psychischen Hintergrund PH. Was immer man sich jeweils darunter vorstellen mag, es ist das, was die Person dazu veranlasst, das Ausdrucksverhalten zu zeigen. Man bezeichne es daher als (den gesuchten) Personen-PH, bzw. als (den vermuteten) Personen-APH. Andere psychologische Traditionen bezeichen ihn anders:
    • kommunikationspsychologisch:
    • allgemeinpsychologisch: Motiv
    • alltagspsychologisch: Absicht
    • experimentalpsychologisch: Ursache, Herkunft, Hintergrund
    • kognitivistisch:
  • Jeder Eindruck eines Gegenüber entsteht auf einem Psychischen Hintergrund PH. Was immer man sich jeweils darunter vorstellen mag, es ist das, was den Gegenüber dazu veranlasst, etwas so und nicht anders zu verstehen. Man bezeichne es daher als (den gesuchten) Gegenüber-PH, bzw. als (den vermuteten) Gegenüber-APH.
    • kommunikationspsychologisch:
    • allgemeinpsychologisch:
    • alltagspsychologisch: Vorurteil
    • experimentalpsychologisch: Randvariabeln
    • kognitivistisch: Kontextbedingungen

Psychische Hintergründe als Mischleistungen

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Weil sich verschiedene Hintergrundprozesse an natürlichen Personen miteinander verbinden, sollten die Bezeichnungen auch kombiniert mit einander verwendet werden können. Aber sie sollten niemals im Sinne einer homogenen Mischleistung verwendet werden. Gemischte Ausdrucksverhalten können mit der Klassifikation KEA nicht formuliert werden. Es sind nur Kombinationen möglich.

Allgemeine Annahmen zum Ausdrucksverständnis

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In den vorangehenden Abschnitten wurde dargestellt, dass Ausdrucksverhalten und Ausdrucksverständnis unterschiedlichen Dinge sind. Es wurden auch einige spezielle Aspekte des Ausdrucksverhaltens betrachtet, die klassifikatorisch wichtig sind. Nun sollen hier wichtige Apsekte des Ausdrucksverständnisses betrachtet werden.

Ausdrucksverständnis als konstruktiver Prozess

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Ausdrucksverständnis ist Perzetion und Ausdruckskognition. Es umfasst nicht jene psychischen Anteile, die den Eindruck ausmachen, sondern nur die Erkennung des Ausdrucksmusters und seiner Bedeutung. Mit der ausdruckspsychologischen Methodik soll die Ausdruckskognition statistisch und experimentell von den anderen Anteilen, die zum Eindruck beitragen, getrennt werden.

Ausdrucksverhalten vom Gegenüber wahrgenommen und kogniziert (erkannt), aber nicht in einer internen Abbildung wieder gespiegelt. Vielmehr konstruiert jeder Gegenüber eine Interpretation, die von vielen Fatoren abhängig sein dürfte, darunter:

  • von den ererbten Mustererkennungstrukturen der Person
  • von den erworbenen oder trainierten Mustererkennungsfähigkeiten der Person
  • von der Beschaffenheit der vom Gegenüber ausgesendeten Ausdrucksmusters (Mustertreue)
  • von sensorischen Kontext und Kontextmerkmalen (z.B. visuelle oder gestalthafte Phänomene)
  • von den Interpretierungsfähigkeiten, Erfahrungen der Person
  • zahlreichen weiteren Umständen, aber nicht von Motiven oder Emotionen, denn diese machen nicht die Mustererkannung aus, sondern „verfärben“ sie nur, so dass der Eindruck entsteht

Fußnoten

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  1. Ein gemeinsamer Konsens aller mit Ausdrucksverhalten beschäftigten psychologischen Traditionen besteht auh darin, Ausdrücke als organismische Leistungen zu betrachten, die „kommunikationsfähig“ sind. Einige Schulen gehen davon aus, dass Ausdrücke immer kommunikativ sind, andere lehnen diese Ansicht ab. Als gemeinsamer Nenner bleibt daher die Kommunikationsfähigkeit, weshalb alle Theorien die begriffliche Unterscheidung von Person und Gegenüber benötigen.
  2. Hierunter fallen wenige Genoausdrücke, aber sehr viele Memoausdrücke.
  3. Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens, ISBN 3499193140
  4. Diese Muster sind der Wissenschaft derzeit fast vollständig unbekannt.
  5. Grundsätze der Mimik und Physiognomik, Braunschweig 1858
  6. Paul Ekman, 1988
  7. Hinweis: Es handelt sich hier nicht um eine Theorie, die man überprüfen könnte, sondern um Definitionen von Ausdrucksverhalten, Ausdruckskognition und Eindruck, die allenfalls sinnvoll oder weniger sinnvoll sein könnten. Dass der Ausdruck den Eindruck nicht direkt erzeugt, sondern letzterer als Verarbeitungsprodukt vieler Informationen entsteht, ist trivial. Ebenso trivial ist, dass der Eindruck weitere Funktionen hinzuzieht und nicht allein auf einem Mustervergleich basieren kann.
  8. Unter dem Stichwort Dekomposition von Bewegungen wurde begründet, dass jede konkrete, von einer Person ausgeführte Bewegung immer Summe von Bewegungen verschiedener Bewegungsklassen ist und dass keine tatsächlich ausgeführte Bewegung rein expressiv oder rein zweckhaft sein kann. Somit ist auch jede entnehmbare Information immer Summe von Teilinformationen. Ein sprechender Mund oder ein im Sonnenlicht zwinkerndes Auge entspricht beispielsweise keiner Ausdrucksbewegung, aber eine Person, die spricht und dabei im Sonnenlicht die Augen zusammenkneift, kann auf diese Bewegungen gleichzeitig Ausdrucksverhalten aufmodulieren.