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Projekt Diskussion:Clothing First/Chronik/1966

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Letzter Kommentar: vor 2 Jahren von Methodios
Oktoberklub: Autogrammkarte von 1968; Datum 10.03.1968, von 1968 bis etwa 1970 als Autogrammkarte benutzt

Der w:de:Oktoberklub, 1966 als Hootenanny-Klub Berlin gegründet, war der erste Singeklub der DDR.


1. EINLEITUNG

2. DIE GROSSE SCHIZOPHRENIE EINES KLEINEN LANDES

3. DIE SINGEBEWEGUNG

3.1. Hootenanny – Die Anfänge

3.2. Die Singebewegung

4. LIEDERMACHER; LIEDTHEATER; FOLKMUSIK UND ROCK

4.1. Liedtheater

4.2. Folkmusik

4.3. Liedermacher

4.4. Rockmusik

5. FESTIVAL DES POLITISCHEN LIEDES

6. KLEINES LIED GANZ GROSS

7. SCHLUSSWORT

Literaturnachweis

1. EINLEITUNG

„Wo die Lieder sterben, da sterb auch ich ...“. Mit der DDR sind auch ihre Lieder untergegangen, die lauten, plakativen genauso wie die leisen, nachdenklichen. Und wo die Lieder sterben, da stirbt ein Stück Mensch, stirbt Verbundenheit, Identität, sterben Ideen und Träume.

In der DDR wurde viel gesungen, oft als Pflicht, aber häufig auch aus freien Stücken. Das Lied, vor allem das politische Lied, nahm eine besondere Stellung innerhalb der Kulturpolitik ein. Ihm wurde eine Bedeutung zugemessen, die eine Melodie eigentlich nie haben kann. Aber gerade weil es ernst genommen wurde, konnte es groß werden, Werte mitprägen, animieren, abschrecken oder Gemeinschaft schaffen.

Die Schizophrenie dieses Staates, der immer tiefer werdende Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit spiegelt sich gerade auch in den Liedern wider. Sie waren „Wegbegleiter“, ob man es wollte oder nicht. Sie gehörten zum öffentlichen Leben einfach dazu und wurden auch oft ins private mit übernommen. Es gab Lieder, die man haßte ob ihrer leiernden, lustlosen Wiederholung bei allen offiziellen Veranstaltungen. Und es gab Lieder, deren stille Weisheit, deren Liebe heute noch erstaunt.

Mit der Singebewegung entstand in der DDR eine sehr eigene Bewegung, die in ihrer Anfangszeit verhältnismäßig viele Jugendliche mit sich reißen konnte und später Grundstein für sich weiterentwickelnde Musikrichtungen und -tendenzen war. Viele Liedermacher, Folkmusiker, Chansonsänger, Kabarettisten, aber auch Rockmusiker gingen aus ihr hervor. Sie war janusköpfig wie alles in der DDR, hatte eine offizielle, massiv gestützte Seite, die Mitläufer, Karrieristen und sogar Denunzianten anzog. Sie war aber auch immer eine Nische, ermöglichte verdeckte und offene Kritik bis hin am Führungsstil des Politbüros und bot Platz zum Nachdenken und sich Ausprobieren, zum Eingreifen (wenn auch nur bedingt) und zum Mitgestalten.

Der privaten Initiative einiger weniger ist es zu verdanken, daß viele Tonaufnahmen alter Lieder vor der Plattmachwut der Wendesieger und der Apathie der Verlierer nach 1989 gerettet werden konnten.[1] Sie sind Zeugnis eines Stückchen Geschichte, hinter dem nicht einfach so die Tür zugeschlagen werden sollte. Ihr Reichtum - oft mehr an Quantität, aber auch so manches von guter Qualität - hält uns den Spiegel vor, zeigt die Stummheit und Gleichgültigkeit, mit der heute dieser Gesellschaft begegnet wird und offenbart die Unfähigkeit, im grellen Werbegewimmel leisen, langsameren Tönen zu lauschen.

Schwächen, Fehler und Verbrechen in der DDR werden in vielen Arbeiten zuhauf untersucht; oft gilt ihnen der einzige Blick. Sie sollen hier nicht ausgeklammert werden, denn sie zu ignorieren, wäre fatal. Trotzdem konzentriere ich mich auf die positive Seite der Singebewegung, die kreative, trotzige, nachdenkliche. Die, die es wert ist, nicht in Vergessenheit zu geraten. Die, die auch heute eine Alternative bieten könnte, und sei es wieder nur als Nische.

Zwanzig Seiten reichen kaum aus, die Geschichte der Singebewegung zu erfassen. Während der Arbeit zeigte sich, wie vielschichtig diese ist und was von Musikwissenschaftlern, Germanisten, Politikwissenschaftlern und Soziologen geleistet werden müßte, um dieses Thema aufzuarbeiten. Schon alleine mit Liedern und den dazugehörigen Anekdoten, den Streitigkeiten um Textzeilen, ja Worten, ließen sich Bücher füllen.

2. DIE GROSSE SCHIZOPHRENIE EINES KLEINEN LANDES oder

„Unsere Widersprüche sind riesig - aber es sind unsere“[2]

Es gab wohl kaum einen Bereich im öffentlichen und privaten Leben , den die Schizophrenie der DDR verschont hätte. Eine Schizophrenie, die aus der scheinbar unüberwindbaren Kluft zwischen Anspruch und Wunschdenken auf der einen Seite und ernüchternder Wirklichkeit auf der anderen Seite erwuchs. Alles war janusköpfig, hatte ein schönes, oder besser geschöntes Gesicht und ein unzufriedenes, kritisches.

Wirklich am Herzen lag die Idee des Sozialismus in der DDR nur einer verschwinden geringen Minderheit von Intellektuellen. Der überwiegende Rest arrangierte sich und schickte sich drein. Nicht die Arbeiter und Bauern also kümmerten sich um den „Aufbau des Sozialismus im Arbeiter- und Bauernstaat“, sondern die „bourgeoisen“ Intellektuellen (fast schon ein Schimpfwort in Politbürokreisen) zerbrachen sich den Kopf darüber, wie man das real Existierende menschlicher gestalten und näher an das hohe Ideal heranbringen kann. Argwöhnisch beäugt wurden sie dafür von der Politbürospitze, die ihnen ihre umfangreiche Bildung immer neidete und Unwissenheit, Unsicherheit und ein Gefühl von Unterlegenheit hinter machtvollen politischen Anordnungen zu verstecken suchte. Die Situation hätte tragikomischer nicht sein können. Die SED versuchte, mit einer trägen (Arbeiter)Masse einen Sozialismus durchzusetzen, an dem diese gar nicht interessiert war. Aber gleichzeitig mißtraute sie dem kleinen Häufchen ehrlich Überzeugter aufgrund deren kritischer Töne über die mangelhafte Umsetzung der eigentlichen Idee, grenzte sie aus und brandmarkte sie zum Teil sogar als Klassenfeinde.

Diese extrem zwiegespaltene Situation rief alle möglichen Verhaltensweisen hervor. Da gab es diejenigen (wenigen) der älteren Generation, die für ihre Ideen unter Hitler im Gefängnis und im Lager saßen oder im Exil waren und nun ihre Chance sahen, mit dem moralischen Recht der einst Verfolgten ihre Ideen mit aller Macht umsetzen zu könne. Da gab es die jüngere Generation, die an den Visionen der Eltern festhielt, diese aber anders gestalten wollte, manche auf radikalem Wege, manche innerhalb der Möglichkeiten, die ihnen der Staat bot. Viele von ihnen glaubten, im „besseren“ Teil Deutschland zu leben, sahen die historische Schuld dieses Landes und verstanden den Kapitalismus der BRD nie als Alternative. Aber auch den „realexistierenden Sozialismus“ konnten sie so nicht hinnehmen und zerbrachen irgendwann an diesem Widerspruch. Dann gab es die, die ihre Fähnchen nach dem Wind richteten und die, die stumm gehorchten. Es gab Verbohrte und Betrogene, Idealisten und welche, die mit dem Blick aufs Westgeld zu allem bereit waren. Es gab Anpasser und Duckmäuser. Manche resignierten, andere ballten die Faust in der Tasche. Doch die meisten liefen mit. Es bringt nichts zu pauschalisieren, will man die DDR, vor allem aber ihre Nischen, verstehen. So manch ein Beschluß, manche Erlaubnis oder manches Verbot lassen sich nicht aus den Schemata SED, FDJ und Politbüro heraus erklären, sondern nur, wenn man sich anschaut, wer dahinter steht.

Dies trifft auch auf die Singebewegung zu. Das Verhältnis der Funktionäre ihrem Wirken gegenüber war sehr zwiespältig. Während den einen die dortige Ästhetik - Marx mit Augenzwinkern - mißfiel, und sie in ihr Anfänge einer Opposition befürchteten und deshalb die Zügel straff hielten, unterstützten andere, soweit es ihnen möglich war, die Kreativität und Spontanität der Künstler. Viele Künstler suchten Mittelwege und nutzten aus, daß in der Kulturpolitik oft die eine Hand nicht wußte, was die andere tat - an einem Ort wurde z.B. ein Konzert gestattet, das an anderer Stelle untersagt wurde. Zum Teil veröffentlichte AMIGA[3] Lieder, die Rundfunk und Fernsehen nicht sendeten. Und selbst zwischen Rundfunk und Fernsehen gab es noch Unterschiede. Das Radio hatte hier mehr Spielräume. Vor allem der Jugendsender DT64 trug zur Verbreitung kritischer Lieder bei. Die kontroversen Diskussionen darüber, was erlaubt war und was nicht, wurden jedoch nie publik gemacht.

Doch auch die Singebewegung an sich war alles andere als homogen, weder in ihren politischen Ansprüchen, noch in ihrer Ästhetik. Vor allem änderte sich ihr Profil sehr stark im Laufe der Zeit. Spontan entstanden, fanden sich zu Beginn in ihr wirklich nur die, die einfach Lust zum singen hatten. Dies änderte sich mit zunehmender Unterstützung und Vereinnahmung durch die FDJ. Da kamen dann die „Kaisergeburtstagssänger“, wie Wolf Biermann einst die nannte, die zu allen Anlässen bereitwillig die gewünschten Lieder sangen. Sie verdarben wieder denjenigen die Norm, die sich gegen eine solche Instrumentalisierung zur Wehr setzen wollten. Und auch, als es gen Westen ging, Tourneen durch das „nichtsozialistische Ausland“ führten, gab es den einen oder anderen, der die Chance am Schopfe fassen wollte. Die Nähe zur FDJ versprach zudem Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Apparats. Doch waren solche Karrieristen in der Minderheit. Der Großteil der Singebewegung, vor allem aber auch die aus ihr hervorgegangenen Liedermacher waren ernsthaft überzeugt von dem, was sie taten. So schreibt Lutz Kirchenwitz: „Und doch gab es etwas Übergreifendes, was sie fast alle vereinte und politisch motivierte. Ihr Drang, einzugreifen und zu verändern, rührte ganz wesentlich aus sozialistischen Wertvorstellungen und Visionen, aus dem Engagement für die DDR.“[4] Viele Mitglieder der Singebewegung hatten die Hoffnung, im Dialog und mit ihren Liedern „ihre Monarchen aufklären zu können“, d.h. Alltagserfahrungen zu vermitteln, die zu einem besseren Verständnis der DDR innerhalb der DDR-Führung und zu sinnvolleren Lösungen von Problemen hätten führen können. So wie Liedermacher Gerhard Gundermann: „Ich gehöre zu der Generation, die richtig Sozialismus machen wollte. Wir wurden und werden dafür ausgelacht. Doch genau das ist unser Halt.“[5]

Auch der Umgang mit den DDR-Kulturstrukturen durch die einzelnen Künstler fiel ganz unterschiedlich aus. Während manche gar nicht hinterfragten, was sie da zu öffentlichen Anlässen eigentlich sangen, standen andere immer wieder vor der Frage, wie weit sie mit ihren Texten gehen können und sollen. Die meisten suchten hier den Mittelweg. Das Duo Wenzel/Mensching erklärte dazu: „Es gab natürlich bestimmte Freiräume, die gestattet wurden ... Wir wußten, daß wir in diesem Rahmen agierten. Das kann man populistisch nennen, klar. Der radikale Ausstieg wäre die „reine“ Haltung gewesen. Aber uns war es wichtig, trotz des Wissens darum, die Bedingungen auszunutzen, die Leute hier zu halten, wach zu halten. Ich glaube, daß das, was jetzt von westlicher Seite vielen Autoren abgestritten wird, doch eine ganze Menge bewirkt hat. Unter anderem, daß sich hier noch Geist und Humanität in bestimmten Grenzen bewahrt haben.“[6]

Andere, wenige nahmen diese „reine“ Haltung an und spielten nur noch unter dem Dach der Kirche oder gar nicht mehr. Nicht selten waren diese Konflikte auch innerhalb der Singebewegung und unter den Liedermachern Anlaß für gegenseitige Vorwürfe, Animositäten, ja Feindschaften.

3. DIE SINGEBEWEGUNG

3.1. Hootenanny - Die Anfänge

Die Musikkultur der 50-er und frühen 60-er Jahre bot nicht viel für die Jugend - die meisten Schlager waren hohl und stumpfsinnig und trafen nicht das Lebensgefühl der Jugendlichen, Volkslieder sowie die Lieder der Wandervogelbewegung und des Widerstandes waren Pflichtprogramm in jeder Schule und wurden bis zum Überdruß wiederholt. Und „die neuen Lieder“, so Gisela Steineckert, „waren eine Zeit lang zu viel, zu laut ... Und manche ... klangen auch nicht wahr. Am Anfang war unsere Armut. Das ist die Wahrheit.“[7]

Eine Idee, mitgebracht im Gepäck des kanadischen Banjospielers Perry Friedman, der die DDR zur Zweitheimat erkor, bot die Alternative. Die Songwelle der Ostermärschler, die Lieder Bob Dylans und Joan Baez’ schwappten über die Mauer, wurden in losen Treffen mit zwei, drei Gitarren und viel Lust auf Neues gesungen. Bald kamen eigene Kompositionen hinzu. Aus diesen Liederabenden - „Das Prinzip war, daß jeder auf die Bühne kommen konnte - eine tolle Zeit“ (Bettina Wegner)[8] - entwickelte sich die Hootenanny-Bewegung, deren Name man mit den Liedern gleich mit importierte, die aber auch schnell DDR-Spezifikas aufwies.

Hootenanny ist ein zwangloses Beisammensein, „Begriff für eine sehr demokratische, improvisierte und engagierte Konzertform“.[9] Bei einem Hootenanny sollten „alle zusammen auf der Bühne sitzen und Lieder austauschen ... Ein Hootenanny kann man nicht im Voraus planen. Das Publikum sollte ermutigt werden, mitzumachen. ... Das Hootenanny ist zwanglos, improvisiert, frei ... Ihre [der Teilnehmer] Vorstellung ist nicht von einer Bühne auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite. Sie amüsieren sich. Sie benutzen die Musik, um sich zu unterhalten und um einander zu informieren und um einander Mut zu machen, etwas zu unternehmen.“[10]

Hootenanny war neu. Hootenanny war (fast) revolutionär, war selbstgemachte, selbstbestimmte Freizeit. Sie ging aus spontaner, privater Initiative einiger Jugendlicher hervor, aus ihrer Lust am Singen, am Diskutieren und am Beisammensein. Man suchte Räume und fand sie - wichtigster Treff in Berlin und Ausgangspunkt der Bewegung war das Kino International. Man sprach über Tabuthemen, gestaltete sich die (Frei)Räume selbst, machte Parties und fuhr gemeinsam weg. So entstand eine der wenigen Bewegungen der DDR, die nicht von oben erfunden, übergestülpt und gesteuert war.

Diese Authentizität, das Ehrliche und Unverbrauchte, oft ganz naiv aus tiefstem Herzen Kommende machte ihre Attraktivität für die Jugend aus. „Es wäre gelogen, wollte man sagen, daß diese junge Garde der ersten Stunde etwa aus lauter glühenden Klassenkämpfern bestand (eine Schublade, in die alle „Fortschrittlichen“ von der Führung der DDR immer gesteckt wurden - Anm. der Autorin). Ehrlich waren sie fast alle, aber es befanden sich ehrliche junge Kommunisten neben ehrlichen Christen, Antifaschisten, Pazifisten Philosemiten neben Wirrköpfen, auch ehrlichen“[11], schrieb Gisela Steineckert 1981 und nahm somit gleich im Rahmen des Möglichen einer rückwirkenden Instrumentalisierung und Ideologisierung der Bewegung durch FDJ und SED ein wenig den Wind aus den Segeln.

Diese geschah allerdings trotzdem, spätestens nachdem das Potential der Hootenanny-Bewegung, Jugend zu mobilisieren, entdeckt und ihre Eigenständigkeit als möglicherweise „gefährlich“ eingeschätzt wurde, sollte sie nicht umgehendst auf die „richtigen Bahnen“ gelenkt werden. Mit dieser Aufgabe betraute die SED die Jugendorganisation FDJ, nicht ohne vorher noch dem „unwürdigen englischen Einfluß“ zu Leibe zu gehen. Für Hootenanny mußte ein deutsches Wort her.

3.2. Die Singebewegung

So wurde aus Hootenanny die Singebewegung. „Dieser vierschrötige Name, so Gisela Steineckert vom Oktoberklub, habe wohl nahegelegen, ‘da die Jugend mit ihrem Singen einiges in Bewegung gebracht hat.’“[12] Bei öffentlichen Auftritten mußte jetzt das FDJ-Hemd getragen werden; die Singebewegung immer mit dem Kürzel der Jugendorganisation vorne weg genannt werden. Kaum noch etwas ging ohne deren Erlaubnis.[13] Mit der völligen Eigenständigkeit der Bewegung war es vorbei. Das nun fließende Geld aber und der Zugriff auf die Medien ermöglichten im Gegenzug, daß die ersten Anfänge eines verhältnismäßig kleinen Kreises Interessierter sich schnell in der ganzen DDR verbreiteten und ehrlich begeisterte Nachahmer an allen möglichen Orten fanden. Denn die Grundzüge der Bewegung, ihre Spontanität und Selbstorganisation innerhalb der Klubs konnte trotz Blauhemdverpackung in einem erstaunlichen Maße beibehalten werden. Mitte er 70-er Jahre gab es über 4.000 Singeklubs, die sich in Schulen, Betrieben und Freizeiteinrichtungen bildeten oder sich ihre Räume selbst suchten. Solch ein Klub bestand zumeist aus 20 bis 30 Leuten. Nicht alle sangen oder spielten ein Instrument. Manch einer engagierte sich auch im organisatorischen Bereich, schrieb die Texte oder komponierte.

Die FDJ war den Mitwirkenden der Hootenanny - und dann Singebewegung zudem nichts grundsätzlich Entgegenstehendes, so daß zumindest in der Anfangszeit die Zusammenarbeit nicht als negativ oder nachteilig eingeschätzt wurde. Die, die da sangen, wollten in diesem Lande und im Sozialismus leben. Das Lied Die Verantwortung[14], viel später, nämlich 1988 geschrieben, bringt dies noch einmal klar zum Ausdruck. Es zeigt aber auch die unterschiedlichen Ideen, die Staat und Singebewegung trennten und offenbart die Unmündigkeit, aus der letztere sich immer zu befreien suchte.

1. Es könnte sein, ihr habt noch immer Sorgen,

wie es nach eurem Tode weitergeht,

wir waren nicht im Lager und wir haben

uns niemals eingepißt im Schützengraben,

uns fremd die Angst der Illegalität.

2. Es könnte sein, wir werden was verändern,

und weisen Fehler nach, die euch geschehn.

Was ihr als Lebenswerk verteidigt,

halten wir in Ehren, doch es wird veralten,

auch wenn’s weh tut, was wir schon verstehn ...

3. Es könnte sein, wir können drüber reden,

auch wenn ihr uns vielleicht respektlos nennt,

wir müssen wieder lernen, uns zu streiten

gerade jetzt in so bewegten Zeiten

und weil man für die gleiche Sache brennt.[15]

Hinzu kam, daß die Kluft Anfang der 70-er Jahre zwischen Schein und Sein innerhalb der FDJ noch nicht so abgrundtief war, so daß man, überzeugt von der „gleichen Sache“ ohne große Verrenkungen ihr angehören sowie ihr „Schützling“ der Kulturpolitik sein konnte.

Der Oktoberklub als bekanntester und größter Klub der Singebewegung und Initiator des Hootenanny (bis zur „Entenglischung“ des DDR-Deutsch durch die SED hieß der Klub wie die Bewegung Hootenanny-Klub) spiegelt diesen Spagat zwischen den eigenen Vorstellungen von dem, was man singen wollte, und den Aufträgen der FDJ wohl am deutlichsten wider. Zum einen blieb er ein Ort kreativer Ideen und Lebensfreude, wahrte sich zum großen Teil Spontanität und eine Art Basisdemokratie. Zum anderen war er aber auch der Vorführklub der FDJ und von ihr besonders gefördert. So kam es immer wieder zu haarspalterischen Diskussionen um Aufführungen, Lieder, Textzeilen, ja Worte. Im Lied Da sind wir aber immer noch heißt es: „und der Staat ist noch da, wenn Arbeiter sich traun.“ So zumindest die Version des OK. Von staatlicher Seite drang man darauf, das kleine Wörtchen „Wenn“ durch „Weil“ einzutauschen, was zu tun der OK sich weigerte. Man fand, wie so häufig, einen Mittelweg - alle Strophen wurden mit dem Wörtchen „wenn“ gesungen, bis auf die letzte. Da heißt es selbstgewiß „weil“.

Über die Medien wurde das Bild der singenden Blauhemdtruppe vermittelt, womit spätestens ab Mitte der 70-er Jahre die Mehrheit der DDR-Jugendlichen den Oktoberklub auch zurecht assoziierte. Doch war dies nur die eine Seite, wenn auch die, die im Laufe der Jahre zu überwiegen begann. In den Konzerten ohne öffentlichen Anlaß jedoch bot sich, was nur eingefleischten Zuschauern bekannt war: Platz für Kritik, Witz und Ironie. So war ein fester Bestandteil nichtoffizieller Auftritte der Nachrichtenteil, der hier als Beispiel dienen soll. In ihm wurden, z.T. durch kommentierte Filmausschnitte untermalt, Nachrichten wie im Radio oder Fernsehen verlesen, den offiziellen Ton nachahmend, jedoch mit anderen Inhalten, wodurch erst recht das Formelhafte der DDR offenbar wurde.

Grimmen/Mecklenburg:

Wie erwartet feierte der Großbetrieb VEB Aufschnitt auch letztes Jahr 26,5 Stunden vor Jahresende Plansilvester. Damit erklärt sich vielleicht die Tatsache, daß der Betrieb inzwischen 11,75 Jahre von der Weltspitze entfernt ist.

Hauptstadt:

Um gewissen Fehlinterpretationen von unkommentierten Pressemeldungen auf der Lokalseite unserer Tageszeitungen vorzubeugen, weisen wir darauf hin, daß die Teilnahme an der diesjährigen Maidemonstration keineswegs automatisch zu einer Reise in den NSW-Bereich (Nichtsozialistischer Währungsbereich) berechtigt.[16]

Die wurde natürlich nie in Radio und Fernsehen verbreitet. Und so kam es, daß die Singebewegung zwei Gesichter erhielt und sich auch selbst schuf. „Als ich meinen Mann kennenlernte und er mir erklärte, Mitglied des OK zu sein, hob ich abwehrend die Hände. Diese Bänkelsänger. Er überzeugte mich aber trotzdem, einmal ein Konzert ohne Blauhemdzwang von ihnen zu sehen. Ich war völlig entgeistert von dem, was ich da hörte. So viel Witz, soviel Nachdenklichkeit und auch so viele ungewohnt leise Töne. Vor allem erstaunte mich, daß das Publikum alle Lieder kannte und mitsang. Das war etwas ganz anderes als das, was ich bisher vom OK erfahren hatte.“[17]

[...]

[1] Seit 1991 existiert der Verein „Lied und soziale Bewegung e.V.“, der es sich zur Aufgabe machte, altes Liedmaterial zu sichern, zu archivieren und für die Nachwelt zu erhalten und regelmäßig Foren und Diskussionsveranstaltungen durchführt.

[2] Motto des Programms „Made in GDR“ der Gruppe Schicht von 1976

[3] staatliche Plattenfirma

[4] Kirchenwitz, Lutz: Liedermacher, Folkszene und Singebewegung in der DDR. In: Lieder aus einem verschwundene Land. Konzertforum vom 25.10.1997 in der Universität Rostock, Friedrich-Ebert-Stiftung und Verein Lied und soziale Bewegung e.V., Schwerin, 1998

[5] Gerhard Gundermann, zitiert nach Wagner, Christine: Zwischen Liebe und Zorn. In: Kunst & Kultur 2/94, S.14

[6] Steffen Mensching, Hans-Eckardt Wenzel: Letztes aus der DaDaEr. Interview Junge Welt, 06./07.10.1990, S.8

[7] Steineckert, Gisela: Covertext zu „Unterm Arm die Gitarre“ (1981), zitiert nach CD-Booklet: Oktoberklub - Hootenanny, Edition BARBArossa

[8] Bettina Wegner, zitiert nach Kirchenwitz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. Dietz-Verlag Berlin, 1993, S.33

[9] ebenda, S.27

[10] Pete Seeger, zitiert nach ebenda, S.28

[11] Steineckert, Gisela, Booklet CD Oktoberklub - Hootenanny

[12] Sudau, Christel: „... ich bin so positiv eingestellt“ In: Süddeutsche Zeitung, 27./28.02.1971, S.9

[13] Dies ist allerdings nicht so ungewöhnlich. In der DDR konnte nichts offiziell geschehen ohne die Unterstützung der Partei oder ihrer Jugend- und Gewerkschaftsorganisationen, es sei denn inoffiziell unter dem Dach der Kirche.

[14] Text: Martin Miersch, Musik: Udo Magister, CD: Oktoberklub life, Edition NEBELHORN

[15] Alle im folgenden zitierten Lieder wurden von der Autorin aus Platzgründen auf die für die Arbeit wichtige Hauptaussage gekürzt.

[16] Nachzuhören auf CD Oktoberklub life, Edition NEBELHORN

[17] Krüger, Dagmar im Gespräch mit der Autorin

Titel

Verschwundenes Land - verschwundene Lieder? Die Singebewegung der DDR

Hochschule

Freie Universität Berlin (Otto-Suhr-Institut)

Veranstaltung

Die 'sozialistischen Errungenschaften' der DDR - eine kritische Würdigung


Antje Krüger (Autor:in)

Jahr

1999

Seiten

31

Katalognummer

V17173

--Methodios (Diskussion) 08:25, 25. Dez. 2021 (CET)Beantworten