Schopenhauer Aphorismen zur Lebensweisheit Grundeinteilung

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Erstdruck 1851, S. [301]




K A P I T E L    I.


G r u n d e i n t h e i l u n g.
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Nach Schopenhauers Auffassung ist der Unterschied im Loose der Sterblichen auf drei Grundbestimmungen zurückführen:

1) Was einer  i s t : also die Persönlichkeit im weitesten Sinne. Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schönheit, Temperament, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben begriffen.
2) Was Einer  h a t : also Eigenthum und Besitz in jeglichem Sinne.
3) Was Einer  v o r s t e l l t : unter diesem Ausdruck wird bekanntlich verstanden, was er in der Vorstellung Anderer ist, also eigentlich wie er von ihnen vorgsellt wir. Es besteht demnach in ihrer Meinung von ihm, und zerfällt in Ehre, Rang und Ruhm.


Die unter der ersten Rubrik zu betrachtenden Unterschiede sind solche, welche die Natur selbst zwischen Menschen gesetzt hat.

Für die Daseinsweise des Menschen sei die Hauptsache offenbar Das, was in ihm selbst besteht, oder vorgeht.

Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.

Die Welt, in der Jeder lebt, hängt zunächst ab von seiner Auffassung derselben, richtet sich daher nach der Verschiedenheit der Köpfe.

Demgemäß trägt das Leben jedes Menschen, trotz aller Abwechslung von außen, durchgängig den selben Charakter und ist einer Reihe Variationen auf ein Thema vergleichbar.

Ein geistreicher Mensch hat, in gänzlicher [303/304] Einsamkeit, an seinen eigenen Gedanken und Phantasien vortreffliche Unterhaltung, während von einem Stumpfen die fortwährende Abwechslung von Gesellschaften, Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde Langeweile nicht abzuwehren vermag.

Ein guter, gemäßigter, sanfter Charakter kann unter dürftigen Umständen zufrieden seyn; während ein begehrlicher, neidischer und böser es bei allem Reichthum nicht ist.

Für unser Lebensglück ist demnach Das, was wir sind, die Persönlichkeit, durchaus das Erste und Wesentlichste.

Aber eigentlicher Reichthum, d. h. großer Ueberfluß, vermag wenig zu unserem Glück; daher viele Reiche sich unglücklich fühlen; weil sie ohne eigentliche Geistesbildung, ohne Kenntnisse und deshalb ohne ein objektives Interesse, welches zu geistiger Beschäftigung befähigen könnte, sind.

Für geistlose Menschen gelte: Die Leere ihres Innern, das Fade ihres Bewußtseyns, die Armuth ihres Geistes treibt sie zur Gesellschaft, die nun aber aus eben Solchen besteht; weil similis simili gaudet. [Gleich und Gleich gesellt sich gern.]

Den Rang werden nur Thoren dem Besitze vorziehn.

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