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Thomas Mann und Gerhart Hauptmann. Die Peeperkorn-Affäre.

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Gerhart Hauptmann ist in «Der Zauberberg» als imponierende, aber hülsenhafte Erscheinung dargestellt, doch von solcher Anschaulichkeit, dass nach einer öffentlichen Lesung Max Liebermann Thomas Mann gegenüber äußerte, er habe bei Mynheer Peeperkorn ein paar mal an Hauptmann denken müssen.[1] Auch Gerhart Hauptmann hatte sich erkannt, was zu einer zeitweiligen Verstimmung des Porträtierten geführt hatte und zu einem Beschwerdebrief an den gemeinsamen Verleger S. Fischer.


Gerhart Hauptmann am 4. Januar 1925 an S. Fischer:

[Auszug] Kurz: einem Holländer, einem Säufer, einem Giftmischer, einem Selbstmörder, einer intellektuellen Ruine, von einem Luderleben zerstört, behaftet mit Goldsäcken und Quartanfieber [Malaria], zieht Thomas Mann meine Kleider an. Der Golem lässt Sätze unvollendet, wie es zuweilen meine Unart ist. Wie ich, wiederholt er oft die Worte "erledigt" und "absolut". Ich bin sechzig Jahre alt, er auch. Ich trage, wie Peeperkorn, Wollhemden, Gehrock, eine Weste, die bis zum Halse geschlossen ist. In dem herrlichen Hiddensee'er Klima hatten sich meine Fingernägel beinahe zu Teufelskrallen entwickelt, wie die Peeperkorns. Meine Augen sind klein und blass und werden nicht größer, wenn ich auch, wie Peeperkorn, nach Kräften versuche, die Augenbrauen heraufzuziehen. [...] Thomas Mann hat mich einmal auf seine Verantwortung den "ungekrönten König der Republik" genannt,[2] daraus ist ein Kaffeekönig geworden. Und wenn Peeperkorn eine "sommersprossige Kapitänshand" zeigt, so ist zu erwägen, dass Kapitän eben auf deutsch Hauptmann heisst.[3]


Thomas Mann am 11. April 1925 an Gerhart Hauptmann:

München, den 11. IV. 25
Poschingerstr. 1

Lieber, großer, verehrter Gerhart Hauptmann,

lassen Sie mich Ihnen endlich schreiben! Ich habe längst gewünscht, es zu tun, habe es aber nicht gewagt. Ich habe ja ein schlechtes Gewissen, weiß, daß ich gesündigt habe. Ich sage "gesündigt", weil das Wort eine doppelte Dynamik hat: es ist stark und schwer, wie es sich gebührt, und doch auch wieder, in gewissem Gebrauchsfall, ein halb gutmütiges, vertrauliches und versuchsweise humoristisches Wort, das freilich für eigentlich niederträchtige Taten nicht gelten dürfte. Ich darf sagen: ich habe gesündigt, wie Kinder sündigen. Denn glauben Sie mir, (ich glaube, Sie glauben es): ich habe vom Künstlerkinde viel mehr in mir, als diejenigen ahnen, die von meinem "Intellektualismus" schwatzen; und da Sie auch ein Künstlerkind sind, ein erhabenes, verständnisvolles und nachsichtiges Kind der Kunst, so hoffe ich, mir mit diesen Zeilen, mögen sie auch noch so unzulänglich ausfallen, Ihre Verzeihung ganz zu erringen, die ich - lassen Sie mich das glauben - halb schon immer besaß. Ich habe mich an Ihnen versündigt. Ich war in Not, wurde in Versuchung geführt und gab ihr nach. Die Not war künstlerisch: Ich trachtete nach einer Figur, die notwendig und kompositionell längst vorgesehen war, die ich aber nicht sah, nicht hörte, nicht besaß. Unruhig, besorgt und ratlos auf der Suche kam ich nach Bozen - und dort, beim Weine, bot sich mir an, unwissentlich, was ich, menschlich-persönlich gesehen, nie und nimmer hätte annehmen dürfen, das ich aber, in einem Zustande herabgesetzter menschlicher Zurechnungsfähigkeit, annahm, annehmen zu dürfen glaubte, blind von der begeisterten Überzeugung (denn natürlich handelt es sich nicht um Leben, sondern um eine der Wirklichkeit innerlich überhaupt fremde und äußerlich kaum noch verwandte Übertragung und Einstilisierung) die auf immer merkwürdigste Figur eines, wie ich nicht länger zweifle, merkwürdigen Buches daraus werden würde.

Das war kein Wahn, ich hatte recht. Ich tat Unrecht, aber ich hatte recht. Ich sage nicht, daß der Erfolg die Mittel heiligt. Aber waren diese Mittel, war der Geist, in dem ich mich jener menschlichen Äußerlichkeiten bediente, infam, boshaft, lieblos, ehrfurchtslos? Lieber, verehrter Gerhart Hauptmann, das war er nicht! Wenn ich Verrat geübt habe, so übte ich ihn gewiß nicht an meinen Empfindungen für Sie, die sich klar und deutlich noch in der Behandlung äußern, die ich der innerlich wirklichkeitsfernen Riesenpuppe zuteil werden lasse, vor der alle Schwätzer verzwergen: noch in dem Ehrfurchtsverhältnis, in das ich mein Söhnchen, den kleinen Hans Castorp, vom ersten Augenblick an zu dem Gewaltigen setze, der die Geliebte des Jungen besitzt und sie bei ihm aussticht. Kein Fühlender läßt sich darüber durch die - sagen wir: ironischen und grotesken Kunstmittel täuschen, die zu handhaben ich gewohnt bin. Ich lasse außer acht, was Sie wissen: daß keiner, der Sie nicht genau und nahe kennt, überhaupt "etwas merkt", daß mit einem Worte die Sache nicht öffentlich ist. Das dient nicht zu meiner Entlastung. Ich habe immer gewußt und gesagt, daß es eine Sache ist zwischen Ihnen und mir. Aber Ihre nächsten Freunde, Jünger und Verehrer, die Reisiger, Chapiro, Loerke, Heimann, Eulenberg, die allenfalls etwas "merken" konnten und gemerkt haben, - sind sie beleidigt durch die Figur? Haben sie Ärgernis daran genommen und sich empört? Es ist eine Tatsache: sie haben es nicht getan, und diese merkwürdige Erscheinung sollte doch, meine ich, auch Ihrem Zorne zu denken geben.

Lieber verehrter Mann! [4] Soll eines schlechten Streiches, einer Künstlersünde wegen alles vergessen sein, was ich über Sie gesagt habe, als es sich wirklich um Sie und nicht um eine großartige Maske handelte: jener Aufsatz zum Beispiel, der mir Ihre Freundschaft gewann[,] und in dem ich Sie den König des Volkes nannte? [5] In der Not darf ich Sie daran erinnern. Und auch Ihre strenge Gattin möge daran erinnert sein, - schon wage ich es, Sie zu bitten, bei ihr ein gutes Wort für mich einzulegen: so sehr glaube ich bereits an Ihre eigene Verzeihung.[6]

Ihr ergebener Thomas Mann


Telegramm Gerhart Hauptmanns an Thomas Mann:

Fern von allem Groll begrüße ich sie in alter Herzlichkeit. Brief folgt. Gerhart Hauptmann.[7]


  1. Thomas Mann am 12. November 1924 an Oskar Loerke
  2. Von deutscher Republik
  3. Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Gerhart Hauptmann. „Mit Hauptmann verband mich eine Art Freundschaft.“ Teil II, hrsg. von Hans Wysling und Cornelia Bernini. In: Thomas Mann Jahrbuch Band 7 1994. Frankfurt am Main: V. Klostermann 1995, S. 268 ff.
  4. Thomas Mann verkürzt Hauptmann zu Mann, zu seinem eigenen Namen, auf das gemeinsame Künstlertum anspielend, auf geistige Verwandtschaft und Gilde.
  5. Von deutscher Republik
  6. Thomas Mann am 4. November 1925 an Gerhart Hauptmann ( Wysling, H. und M. Fischer: Dichter über ihre Dichtungen. Thomas Mann. Teil I, S. 495).
  7. Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Gerhart Hauptmann. „Mit Hauptmann verband mich eine Art Freundschaft.“ Teil II, hrsg. von Hans Wysling und Cornelia Bernini. In: Thomas Mann Jahrbuch Band 7 1994. Frankfurt am Main: V. Klostermann 1995, S. 211. Das Datum des Telegramms ist dort nicht festgehalten.


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