Wikiversity:Fellow-Programm Freies Wissen/Einreichungen/Offene Wissenschaft – Kontroverse Wissenschaft
Offene Wissenschaft – Kontroverse Wissenschaft[Bearbeiten]Projektbeschreibung[Bearbeiten]Basale Grundlagen von Wissenschaft sind die Kontroverse und der intersubjektiv nachvollziehbare Umgang mit wissenschaftlicher Unsicherheit (Liebert & Weitze 2006; Popper 1959). Wissenschaftliche Befunde, Annahmen, Ansätze und Theorien sind streitbar. Die Austragung von Kontroversen trägt zur Validierung wissenschaftlichen Wissens bei, befruchtet die Entwicklung neuer Studien und Konzeptionen und trägt langfristig zur Gewinnung eines bestimmten Bestandes an wissenschaftlichem Konsens bei. Seit einigen Jahren zeichnet sich jedoch deutlich ab, dass wissenschaftliche Kontroversen in der Wissenschaft wie in der Öffentlichkeit keinen ausreichenden Raum mehr erhalten. In den Sozialwissenschaften besteht angesichts starker Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Disziplinen und Forschungsbereichen zunehmend ein Nebeneinander verschiedener Begriffsverständnisse, Ansätze und Theorien, die kaum noch in Diskussion miteinander treten (Corner 2015; Donsbach 2006; Theis-Berglmair 2016). Craig Calhoun (2011, S. 1489) hat dies mit dem Begriff «live-and-let-live attitude» beschrieben. In der Öffentlichkeit wird Wissenschaft überwiegend als eindeutiges Wissen dargestellt. Unsicherheiten mit Blick auf wissenschaftliches Wissen sowie kontroverse Ergebnisse und Perspektiven werden in Medienberichten kaum vermittelt (Summ & Volpers 2016; Wehling 2001; Weitze & Liebert 2006). Das liegt insbesondere an einem Ausbau der strategischen Hochschul- und Wissenschafts-PR, die auf Image- und Profilbildung zielt, bei gleichzeitigem Rückgang der redaktionellen Ressourcen für kritischen Wissenschaftsjournalismus (Friedrichsmeier & Fürst 2012; Raupp 2017; Schäfer 2017; Schäfer & Vogler 2020; Wormer 2017; Yeo & Brossard 2017). Für eine Offene Wissenschaft hat das weitreichende Konsequenzen: Denn weder werden auf diese Weise offene Formen der wissenschaftlichen Selbstreflexion gefördert noch wird einer breiteren Öffentlichkeit ermöglicht, ein tieferes Verständnis von wissenschaftlicher Wissensproduktion zu gewinnen und (vorläufig) gesichertes Wissen von kontrovers diskutierten Wissensbeständen zu unterscheiden. Wie wichtig dieses Verständnis ist, hat sich in den vergangenen Monaten im Kontext der Corona-Krise gezeigt. Das Projekt hat zum Ziel, wissenschaftliche Kontroversen innerhalb der scientific community stärker sichtbar und diese Kontroversen zugleich in der breiteren Öffentlichkeit transparent zu machen und damit zu Knowledge Equity beizutragen. Dabei wird nicht nur beleuchtet, was kontrovers diskutiert wird, sondern auch, welches Wissen bereits als wissenschaftlicher Konsens tragfähig ist. Als Anwendungsfeld wird die Medien- und Kommunikationswissenschaft gewählt. Der Verlauf und die Ergebnisse des Projekts werden öffentlich gemacht, so dass weitere Disziplinen sich die verwendeten Instrumente zu eigen machen können, um wissenschaftliche Kontroversen im eigenen Fach stärker anzuregen und öffentlich transparent zu machen. Zudem werden auch Gespräche mit den TeilnehmerInnen des Fellowprogramms geführt, sodass interdisziplinäre Sichtweisen beleuchtet werden. Mit den Fellows soll dazu diskutiert werden, welche Kontroversen es rund um das interdisziplinäre Forschungsthema Digitalisierung gibt. Dies schliesst thematisch eng an Kontroversen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft an und öffnet zugleich den Blick auf diverse Perspektiven in verschiedenen Disziplinen.
Calhoun, C. (2011). Communication as Social Science (and More). International Journal of Communication 5, 1479–1496. Corner, J. (2015). The Many Spaces of Theory: Perspectives on a Dispersed Future. Communication Theory 25(4), 416–419. Donsbach, W. (2006). The Identity of Communication Research. Journal of Communication 56(3), 437–448. Friedrichsmeier, A., & Fürst, S. (2012). Neue Governance als Wettbewerb um Sichtbarkeit. Die Hochschule 2/2012, 46–64. Liebert, W.-A., & Weitze, M.-D. (Hrsg.) (2006). Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Bielefeld: Transcript. Popper, K. (1959). The Logic of Scientific Discovery. London: Hutchinson. Raupp, J. (2017). Strategische Wissenschaftskommunikation. In H. Bonfadelli, B. Fähnrich, C. Lüthje, J. Milde, M. Rhomberg & M. S. Schäfer (Hrsg.), Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation (S. 143–163). Wiesbaden: Springer VS. Schäfer, M. S. (2017). How Changing Media Structures Are Affecting Science News Coverage. In K. H. Jamieson, D. Kahan & D. A. Scheufele (Hrsg.), The Oxford Handbook on the Science of Science Communication (S. 51–59). New York: Oxford University Press. Summ, A., & Volpers, A.-M. (2016). What’s Science? Where’s Science? Science Journalism in German Print Media. Public Understanding of Science 25(7), 775–790. Theis-Berglmair, A. M. (2016). Auf dem Weg zu einer Kommunikationswissenschaft. Publizistik 61(4), 385–391. Vogler, D., & Schäfer, M. S. (2020). Growing Influence of University PR on Science News Coverage? A Longitudinal Automated Content Analysis of University Media Releases and Newspaper Coverage in Switzerland, 2003‒2017. International Journal of Communication 14, 3143–3164. Wehling, P. (2001). Jenseits des Wissens? Wissenschaftliches Nichtwissen aus soziologischer Perspektive. Zeitschrift für Soziologie 30(6), 465–484. Weitze, M.-D., & Liebert, W.-A. (2006). Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft – Probleme, Ideen und künftige Forschungsfelder. In W.-A. Liebert & M.-D. Weitze (Hrsg.), Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion (S. 7–16). Bielefeld: Transcript. Wormer, H. (2017). Vom Public Understanding of Science zum Public Understanding of Journalism. In H. Bonfadelli, B. Fähnrich, C. Lüthje, J. Milde, M. Rhomberg & M. S. Schäfer (Hrsg.), Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation (S. 429–451). Wiesbaden: Springer VS. Yeo, S. K., & Brossard, D. (2017). The (Changing) Nature of Scientist–Media Interactions: A Cross-National Analysis. In K. H. Jamieson, D. Kahan & D. A. Scheufele (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Science of Science Communication (S. 261–272). New York: Oxford University Press. Autor/in[Bearbeiten]
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