Wikiversity:Fellow-Programm Freies Wissen/Einreichungen/The Politics of Guanxi: Eine Open Access-Plattform zu den Mitgliedern und Netzwerken chinesischer Minderheitsparteien in den 1940er und 1950er Jahren/Abschlussbericht
In den Geisteswissenschaften wird „Open Science“ häufig nur mit „Open Access“ assoziiert und auch mir waren die ganz unterschiedlichen Dimensionen von offener Wissenschaft jenseits des reinen „Offenlegens“ des Outputs noch nicht geläufig als die Laufzeit des Fellowships begann. Andere Fellows hatten sich bereits Jahre mit den Praktiken freier Wissenschaft auseinandergesetzt und so konnte ich schon auf dem Auftaktworkshop viele Anregungen sammeln und Einblicke bekommen, was „offen“ in unterschiedlichen akademischen Kontexten bedeuten kann. Insbesondere die Treffen und Gespräche haben das Fellowship zu einer großartigen Erfahrung gemacht, denn hier wurde „science done right“ greifbar, mit einem Austausch auf Augenhöhe, einer konstruktiven Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Ziel und mit einer großen Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen und dem Interesse, über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Zwar wurden auf den Workshops in Berlin und in virtuellen Seminaren auch Techniken und Tools vorgestellt, doch für mich bestand der größte Zugewinn der vergangenen Monate darin, dass ich begonnen habe, meine Grundannahmen über die Prinzipien und Praktiken der Generierung und Weitergabe von Wissen in und über den akademischen Kontext hinaus zu reflektieren. Offene Wissenschaft profitiert dabei von den digitalen Möglichkeiten der Verarbeitung und Verfügbarmachung von Daten und der breiten Dissemination von Arbeitsprotokollen über Blogs und Feeds, doch das eigentliche Kernstück von offener Wissenschaft ist eher eine Art Haltung in der eigenen Forschung und Lehre. Dadurch hat sich meine Herangehensweise bei der Planung von Lehrveranstaltungen, der Durchführung von Workshops und Tagungen und der Dokumentation und Kommunikation meiner Forschung verändert und ich hoffe auch in Zukunft mit Studierenden und KollegInnen den Dialog dazu fortzusetzen, wie wir unsere Arbeit trotz begrenzter Ressourcen und zeitlicher Kapazitäten öffnen können. Denn letztlich können mit dem Fellowship nur diejenigen erreicht werden, die bereits das Thema offene Wissenschaft für sich entdeckt haben. Ich hoffe, dass das Thema in den nächsten Jahren weiter in die Geisteswissenschaften getragen werden kann und auch jenseits der Digital Humanities ernst genommen wird und freue mich auf einen Austausch mit den Fellows der nächsten Förderrunden.
Das Projekt
Das eingereichte Vorhaben hatte drei Schwerpunktbereiche: 1. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge in der sinologischen Forschung, 2. der Aufbau einer Projekthomepage zu dem Forschungsprojekt der Jiusan Study Society und der Verfügbarmachung von Forschungsdaten sowie 3. der offenen Dokumentation des Forschungsprozesses.
Im Laufe des Förderzeitraums haben sich jedoch neue Kooperationsmöglichkeiten ergeben, die das Projekt in eine neue Richtung gelenkt haben: Anstatt eine eigene Datenbankstruktur und Homepage zur Präsentation meiner Forschungsergebnisse aufzubauen, habe ich die Möglichkeit erhalten, an der Weiterentwicklung einer bestehenden Open-Access-Datenbank mitzuwirken. Im Rahmen eines Workshops zu Forschungsdaten in den Area Studies entstand die Idee, die bestehende Struktur der ECPO-Datenbank in Heidelberg in Zusammenarbeit mit Matthias Arnold und Jörg Torkler weiterzuentwickeln und meine Forschungsdaten, sowie später auch Visualisierungen über diese Plattform verfügbar zu machen. Mit der Unterstützung zweier Hilfskräfte, die ich von den Fellowship-Mitteln finanzieren konnte, konnte ich meinen Archivdatensatz mit über 1.000 chinesischen Personen vereinheitlichen und für einen Datenbankimport aufbereiten. Ich konnte erste Ergebnisse dieser Arbeit bereits einem Fachpublikum präsentieren. Darüber hinaus habe ich Vorträge zu anderen Themen mit Bezug zu offener Wissenschaft gehalten, etwa zu OER im Bereich der Sinologie und einen Open Access Datensatz für die Lehre im Bereich der historischen Netzwerkforschung erstellt.
Mein Projekt hat in den folgenden Bereichen zu offener Wissenschaft beigetragen:
• Aufbereitung eines historischen Forschungsdatensatzes im Spannungsfeld zwischen freier Wissenschaft und der Einhaltung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten
• Erstellung eines Sample-Datensatzes, der alle Eigenschaften des Original-Datensatzes abbildet
• Dokumentierung des Stands der Wikidata-Einträge, in Zukunft auch Funktionalität zur Dokumentation des Stands der Baidu baike-Einträge über die Digital Archives of Chinese Studies (DACHS)
• Arbeit an Verknüpfung zu bestehenden Wikidata-Einträgen und anderer „Authority Data“, bspw. VIAF
• Arbeit an einer Datenstruktur zur Erfassung historischer geografischer Daten der heutigen Volksrepublik China
• Blogeinträge zur Arbeit mit historischen Daten
Um die Datenbankstruktur an die besonderen Bedürfnisse der in meinem Projekt gesammelten biografischen, mehrsprachigen, und teilweise fragmentarischen oder widersprüchlichen Daten abzubilden, habe ich einen Sample-Datensatz erstellt, der die Komplexität der Daten abbildet. Dieser dient vor allem der Illustration der Datenbank, da die Originaldatensätze aus Datenschutzgründen nicht geteilt werden können. Somit ist dennoch eine Transparenz der Datenstruktur sichergestellt. Dieser Datensatz wird im Rahmen der Online-Schaltung der Datensätze als Teil der Gesamt-Dokumentation geteilt. Zudem wurde für die im oben beschriebene Datensatz erfassten Personen im Zuge der Überarbeitung und Bereinigung der Datensätze überprüft, ob bereits Wikidata-Einträge bestehen und ggf. wurden die Wikidata-Identifiers hinzugefügt. (Siehe das Beispiel von Lao Junzhan in ECPO). Langfristig können so nicht nur Links zu Wikidata in den Suchergebnissen der Datenbank aufgeführt werden, sondern Daten können auch in Wikidata übertragen und etwa als csv-Datei exportiert werden. So würde auch ein Beitrag zur Steigerung der Erfassung bekannter chinesischer Persönlichkeiten in Wikidata geleistet werden und es könnte ein Gegengewicht zu teilweise unvollständigen Biografien in Baidu baike erzeugt werden. Zudem werden weitere Identifier, wie etwa VIAF aufgeführt und Geburtsorte mit geographischen Datensätzen etwa von OpenStreetMap verknüpft. (Gerade die systematische Erfassung von historischen Geodaten aus der heutigen Volksrepublik stellt in Wikidata noch ein großes Problem dar und könnte mit der Wikimedia-Community als zukünftiges Projekt bearbeitet werden. Dazu ist noch ein Blogeintrag in Planung.) Insgesamt sollen der Datensatz und die Plattform den FAIR-Data-Prinzipien gerecht werden, sofern dies im Rahmen eines kleinen Projekts und im Umgang mit historische Quellen möglich ist. Persönliche Daten, die aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht geteilt werden dürfen, sollen trotzdem so weit möglich als anonymisierte Metadaten zur Nachnutzung zur Verfügung stehen. Die Auseinandersetzung mit diesen datenschutzrechtlichen Fragen stellte ebenfalls einen wichtigen Arbeitsschritt während der Projektlaufzeit dar.
II. Zusammenarbeit mit Fellows und Mentor*innen
Ich wurde über die gesamte Projektlaufzeit von meiner Mentorin Katja Mayer unterstützt und wir standen in regelmäßigem Austausch. Katja hat mich nicht nur fachlich beraten, sondern mich auch bei der Entscheidung unterstüzt, meinem Projekt mit der Weiterentwicklung einer bestehenden Datenbank eine neue Ausrichtung zu geben und mich angespornt neue Wege zu gehen. Insbesondere ihre Ermutigungen, dass auch kleine Schritte zur Öffnung meines Projekts schon eine große Wirkung haben können und dass nicht alles was technisch machbar auch tatsächlich sinnvoll ist, haben mir dabei geholfen, realistische Ziele zu setzen. Insgesamt hat sich die Expertise von Katja wunderbar mit der meiner Kollegen in Heidelberg ergänzt: Über Katja und das Fellowship habe ich genaue Vorstellungen entwickelt, wie ich meine Daten aufbereiten und teilen möchte, welche Datenteile nachgenutzt werden können und wie eine Open Community konkret daran mitwirken könnte, während ich in Heidelberg bei der technischen Umsetzung unterstützt wurde.
Im Laufe des Fellowships habe ich mich insbesondere mit den anderen historisch-archäologisch arbeitenden Stipendiatinnen Rebecca Kahn und Martina Trognitz ausgetauscht und mit Tobias Wenzel und Maria Henkel einen Leitfaden zur Umsetzung von offener Wissenschaft an der eigenen Institution erarbeitet.
Für mich waren auch die Einblicke in die offene Praxis anderer Wissenschaftsdisziplinen sehr spannend und so lernte ich beispielsweise Preregistered Reports, die Ökonomisierung juristischer Lehrwerke oder auch die Ansprüche an „Open Science Beauftragte“ kennen. „Freie Wissenschaft“ ist in ihrer Diversität wie ein großer Fundus, aus dem sich alle Fachdisziplinen bedienen können, allerdings hätte ich mich über einen besseren Austausch über die Disziplingrenzen hinweg gefreut. Wie ich im institutionellen Umfeld der Universitäten feststellen musste, beschränken sich Aktivitäten unter dem Label „Open Science“ meist entweder mit dem Thema von Reproduzierbarkeit und „P-Hacking“ oder dem Schlagwort von „Open Access“. Die Vielfalt als Stärke von Open Science hätte auch im Rahmen des Fellowships noch mehr hervorgehoben werden können.
Neben meinem Blog und Twitter-Account habe ich versucht, Themen wie die Verfügbarmachung und Nachnutzung historischer Daten, aber auch die Schwierigkeiten der Wahrung des Datenschutzes auf verschiedenen Veranstaltungen und Vorträgen zu thematisieren.
11.04.2019 Vortrag „Questions of Sustainability in Using E-Learning Tools” auf dem Workshop „Sinology 3.0 – Theoretical Framework and Practical Application of E-Learning-Methods“ an der FAU Erlangen-Nürnberg (siehe dazu auch meinen Blogeintrag)
Im Rahmen der unterschiedlichen Veranstaltungen, die ich in den vergangenen Monaten besucht habe, aber auch am eigenen Institut haben wir immer wieder Diskussionen zum Thema offene Wissenschaft geführt, gerade im Kontext der schwierigen Zugänglichkeit historischer Quellen der Volksrepublik China. Darüber hinaus haben die studentischen Hilfskräfte und ich uns in die Funktionen von Wikidata und Wikipedia eingearbeitet und ich habe KollegInnen bei der Nutzung von Wikimedia-Projekten in der Forschung beraten.
Die Weitergabe von Wissen zu den Möglichkeiten, Herausforderungen, aber auch Grenzen von Open Science ist aber vor allem in der Lehre ein wichtiges Thema. Mit dem Fellowship habe ich neue Anregungen bekommen, wie ich den meist in geschlossenen Lern-Plattformen stattfindenden Austausch mit und unter Studierenden öffnen sowie die Arbeit an gemeinsamen offenen Projekten in Lehrveranstaltungen einbeziehen kann. So werde ich auch die ECPO-Datenbank mit ihren biografischen Daten und digitalisierten Originalquellen in die Lehre integrieren, insbesondere durch die Verknüpfung von ECPO- und Wikidata-Einträgen können so die Vor- und Nachteile von Open Community-basierten, Wissenschafts-basierten, aber auch staatlich kontrollieren Datenbanken diskutiert werden. Während offene Forschungsprojekte sehr sichbar sind, funktionieren die Mechanismen des Zurückhaltens oder Zensierens von historischen Quellen und Daten im Verborgenen und gerade in der sinologischen und historischen Forschung gilt es die Studirenden für diese Prozesse zu sensibilisieren.
C. Neue Kontakte mit der Community für Offene Wissenschaft
Wir werden versuchen die Arbeit an der ECPO-Datenbank für eine gemeinsame Arbeit zu öffnen, etwa an den geografischen Datensätzen beispielsweise in Kooperation mit dem HGis Club an der Uni Heidelberg.
D. Neue Kontakte mit Vertreter*innen der Wikimedia-Communitys
Zwar habe ich die Gruppe der WikiMUC am Tag der Offenen Tür am 28.10.2018 besucht, allerdings konnte ich aus zeitlichen Gründen den Kontakt mit der lokalen Community nicht vertiefen. Dennoch war es spannend zu sehen, welche Schwerpunkte die WikiMUC in ihrer Arbeit setzt und welche Erfolg bereits erzielt werden konnten, etwa das WikiProjekt Osttimor.
In Zukunft werden wir bei dem Versuch die Projektdaten auch in Wikidata zu übertragen jedoch noch die Zusammenarbeit mit der Wikimedia-Community ausbauen. Eine simple Übertragung der Daten in Wikidata wird dadurch erschwert, dass zu einigen Personen, Ereignissen und Orten bereits Wikidata-Einträge existieren, diese entweder erweitert, oder sogar korrigiert werden müssen. Dieses Verfahren wird sehr zeit- und arbeitsaufwendig, könnte aber die Datenbasis in Wikidata, in der bislang viele bedeutende chinesische Persönlichkeiten fehlen, oder nur ungenügend erfasst sind, erweitern.
Ich würde mir wünschen, dass es im Rahmen des Auftaktworkshops der nächsten Fellow-Runde (vielleicht einen Tag vorher oder nachher) eine Art Alumni-Treffen gibt, denn dann könnten wir verfolgen, was in der Zwischenzeit aus den Projekten geworden ist und neue Ideen entwickeln.
Am Lehrstuhl für Sinologie ist schon ein weiteres Projekt zu Wissenschaftsnetzwerken in der Zeit des Kalten Kriegs angelaufen, dessen Forschungsdaten ebenfalls langfristig über ECPO frei zugänglich gemacht werden sollen. So werden die bereits in ECPO enthaltenen Daten schrittweise erweitert und durch die Schnittstellen und Exportfunktionen entsteht langfristig eine mehrsprachige Datensammlung zu den politischen und akademischen Netzwerken chinesischer Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, die auch bislang unbekannte Akteure umfasst.
Darüber hinaus können die in den Projekten generierten Datensätze, etwa zu chinesischen Universitäten und Bildungseinrichtungen, in anderen Projekten nachgenutzt werden und mit den Daten anderer Projekte (etwa zu den politischen Eliten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der Aix-Marseille Université) zusammengeführt werden.
B. Initiativen zur Förderung Offener Wissenschaften
Im kommenden Semester werde ich das Thema offene Wissenschaft auch in meine Lehrveranstaltungen einbinden, um Studierende für das Thema zu sensibilisieren. Dabei sollen die Studierenden durch Rechercheaufgaben, aber auch der Arbeit an kleinen Teilprojekten einen Einblick in die Erstellung, Aufbereitung und Nachnutzung von offenen Forschungsdaten in der historischen Forschung bekommen.
Zudem werde ich den Austausch innerhalb der historischen und sinologischen Wissenschaftscommunity fördern, da ich in den vergangenen Monaten festgestellt habe, dass „open“ für viele ein Schlagwort ist, dass den Digital Humanities zugesprochen wird. Tatsächlich sind Digital Humanities-Projekte in Bezug auf die Kommunikation und Dissemination häufig besonders gut aufgestellt (ohne dies als „Open Science“ zu definieren), doch gilt es herauszufinden, wie wir die Annahme, dass digitale Forschungsmethoden eine Art Vorbedingung für Offenheit sind, überwinden können.
Ich konnte im Rahmen des Fellowships nicht nur für meinen Fachbereich ein besseres Verständnis für freie Wissenschaft entwickeln, sondern habe durch den Dialog mit KollegInnen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen interessante Einblicke in die Diskussionen etwa zu Registered Reports und Publikationspraktiken bekommen.
Der Austausch und die vielen Anregungen, die ich im Rahmen des Fellowships bekommen habe, haben dazu geführt, dass ich neue Ansprüche an meine Forschungspraxis gestellt habe und auch in Zukunft versuchen werde, diese weiter zu öffnen. Dabei bin ich jedoch gerade mit den politisch sensiblen und historisch schwierigen Datensätzen meines Projekts auch immer wieder an meine Grenzen gestoßen. In der Dokumentation der Datenstruktur und der Kommentare zu den Datensätzen, die zusammen mit meinen Forschungsdaten veröffentlicht werden sollen, sollen diese Abwägungen aber zumindest sichtbar und nachvollziehbar werden. Zudem hoffe ich, dass in Zukunft noch mehr Kollaborationen zur gemeinsamen Nachnutzung oder Anreicherung der Projektdaten entstehen. Ohne die ideelle und finanzielle Unterstützung durch das Fellowship hätte ich meine Forschung nicht in diesem Umfang öffnen können.
Ausblick:
Im Sommer 2019 soll die Einspeisung meiner Forschungsdaten in ECPO abgeschlossen sein und danach können Datensätze nach abgeschlossener Prüfung von Datenschutzfragen einzeln freigeschaltet werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen auch die Dokumentation der Funktionen und der Datenstruktur auf der Projekthomepage veröffentlicht werden. Darüber hinaus möchte ich das Projekt auch international besser vernetzen und werde im Sommer auf von mir organisierten Workshops in Shanghai und Nanjing dazu mit chinesischen HistorikerInnen und Studierenden in Austausch treten.