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Bamberger Einführung in die Geschichte des Islams (BEGI) 03

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3. Der Prophet von Yathrib und das neue Gemeinwesen (622-630)

Das Zentrum der neuen Religion verlagert sich in die Oase Yathrib, kriegerisches Handeln steht im Vordergrund. Muhammad und seine Anhänger kämpfen gegen das heidnische Mekka und geraten immer mehr in einen Konflikt mit den Juden von Yathrib, die schließlich aus der Oase vertrieben werden. Als Anführer des neuen Gemeinwesens führt Muhammad verschiedene rechtliche, soziale und kultische Reformen durch.

3.1. Maghāzī – Die Kriegszüge Muhammads

3.1.1. Die Provokation der Quraisch

Die arabischen Quellen berichten übereinstimmend, dass Muhammad nach seiner Auswanderung aus Mekka am 24. September 622 die Oase von Yathrib erreichte. Da er aus Mekka vertrieben worden war, sah er es als gerechtfertigt an, gegen seine frühere Heimatstadt zu kämpfen. Das geht deutlich aus zwei Koranversen hervor, die nach allgemeiner Auffassung als älteste Offenbarung zum Thema des Kampfes gelten:

„Denen, die kämpfen, ist das erlaubt, weil ihnen Unrecht angetan – siehe, Gott hat zu helfen ihnen die Macht! – Weil sie vertrieben wurden aus ihrer Heimat ohne Recht, nur weil sie sagten: Unser Herr ist Gott.“

Der Krieg mit Mekka, den Muhammad von seiner neuen Basis Yathrib aus führte, begann mit kleinen Nadelstichen. Nach der Chronologie al-Wāqidīs, der im frühen 9. Jahrhundert ein Werk über die Kriegszüge (Maghāzī) Muhammads verfasste, schickte dieser schon sieben Monate nach seiner Ankunft seinen Onkel Hamza mit einer Gruppe von Kriegern aus, um an der Küste eine aus Syrien heimkehrende mekkanische Handelskarawane unter Führung Abū Dschahls abzufangen, doch kam es zu keiner Kampfhandlung, weil ein Mann aus dem Stamm der Dschuhaina, der mit beiden Seiten verbündet war, dazwischentrat. Bei einer zweiten Unternehmung im April 623 wurde „der erste Pfeil im Islam“ abgeschossen. Der Kampf gegen die Mekkaner setzte sich bald auch über altarabische religiöse Normen hinweg, wie das Friedensgebot in den heiligen Monaten (vgl. oben 1.3.3.). So überfiel ein von Muhammad beauftragtes Kommando im heiligen Monat Radschab bei Nachla südlich von Mekka eine mekkanische Karawane. Das war nach der Überlieferung Anlass für die folgende Offenbarung:

„Sie fragen dich nach dem heiligen Monat, ob Kampf in ihm erlaubt sei. Sprich: Kampf in ihm wiegt schwer, aber jemanden abzuhalten vom Wege Gottes, darin liegt Unglaube. Und sie vom heiligen Gebetsplatz abzuhalten, und dessen Volk daraus zu vertreiben, – das wiegt schwerer vor Gott. Und Verführung (zum Abfall vom Islam) wiegt schwerer als Töten. Sie werden nicht aufhören, euch zu bekriegen, bis sie euch von eurer Religion abbringen, wenn sie können.“

Aus dem Koranwort geht hervor, dass das Weiterbestehen der alten Religion in Mekka für die Anhänger Muhammads eine ständige Versuchung war, von ihrem Glauben abzufallen. Da vielen von ihnen der militärische Kampf (qitāl) offenbar zuwider war, erklärte ihn Muhammad nun zur Pflicht (vgl. Q 2:216) und hob ihn durch die Bezeichnung ǧihād fī sabīl Allāh („Bemühung für die Sache Gottes“, so schon im folgenden Vers Q 2:218), auf eine religiöse Ebene. In der Form Dschihad hat dieser Begriff auch Eingang ins Deutsche gefunden.

Bildliche Darstellung der Schlacht von Badr in einer persischen Handschrift, frühes 14. Jahrhundert

Die erste große Konfrontation zwischen Mekkanern und den Anhängern Muhammads ergab sich im März 624 bei dem Ort Badr ca. 130 km südwestlich von Yathrib. Muhammad hatte Informationen erhalten, dass eine reiche mekkanische Karawane aus Syrien zurückkehrte. Mit 300 Mann, unter denen sich auch Angehörige des mit den Aus verbündeten Stammes Muzaina befanden, zog er nach dem an der Küstenstraße liegenden Badr, um die Karawane abzufangen. Es kam zu einer Schlacht zwischen Muhammads Männern und einer etwa 950 Mann starken Armee der Mekkaner, die der Karawane zur Hilfe geeilt war und von Muhammads erbittertem Gegner Abū Dschahl befehligt wurde. Muhammads Lager siegte überraschend. Die Mekkaner verloren zwischen 45 und 70 Mann, und eine ähnlich Anzahl von ihnen wurde gefangengenommen. Zu den gefallenen Mekkanern gehörten mehrere ihrer führenden Persönlichkeiten, darunter auch Abū Dschahl. Die Anhänger Muhammads hatten dagegen nur 14 Gefallene zu beklagen und machten große Beute.

Nach der Schlacht ließ Muhammad einige der Gefangenen enthaupten, darunter seinen früheren Gegner an-Nadr ibn al-Hārith. Der Sieg bei Badr war sowohl in militärischer als auch in religiöser Hinsicht von größter Bedeutung für die Anhänger Muhammads. Offenbar hatten aber nicht alle von ihnen an diesem Sieg mitgewirkt. Das geht aus Versen hervor, die aus der Zeit nach Badr stammen und klarstellen, dass diejenigen unter den Gläubigen, die ohne Entschuldigung zu Hause „sitzenbleiben“ bei Gott nicht auf der gleichen Stufe stehen wie die Mudschāhidūn, also diejenigen, die den Dschihad führen und dabei Vermögen und Leben aufs Spiel setzen (vgl. Q 4:95f).

3.1.2. Die Abwehr des mekkanischen Gegenschlags

Für die Quraisch von Mekka war die Niederlage bei Badr ein harter Schlag. Sie hatten in dem Ruf gestanden, ein besonders mächtiger Stamm in Arabien zu sein, und in gewissem Maße stützte sich auch der Erfolg ihrer Geschäfte auf diese Reputation, denn bei ihrem Handel denn waren sie auf die Zusammenarbeit mit vielen anderen Stämmen angewiesen, und von einigen von ihnen war nun Aufsässigkeit zu erwarten. Deshalb war es für die Quraisch von essentieller Bedeutung, zu beweisen, dass sie noch die Kraft hatten, für erlittenes Unrecht Rache zu nehmen. Zehn Wochen nach Badr unternahm Abū Sufyān ibn Harb, der nach der Schlacht von Badr die Führung von Mekka übernommen hatte, einen Blitzüberfall auf Yathrib, zog sich aber, nachdem er zwei Häuser in Brand gesteckt hatte, rasch zurück.

Darstellung der Schlacht von Uhud in einem Siyer-i Nebi von 1594, heute David Collection, Kopenhagen

In den Monaten danach gelang es Abū Sufyān, 3000 gut ausgerüstete Krieger zu rekrutieren. Im März 625 rückte er mit diesen nach Yathrib vor und drang von der Nordwestecke in die Oase ein. Beim Berg Uhud kam es zu einem Kampf, der lange hin und her wogte. Als sich das Kriegsglück zu Gunsten der Anhänger Muhammads zu wenden begann, fingen diese an, die Beute einzusammeln. Das veranlasste eine Gruppe von Muhammads Bogenschützen, ihren Platz zu verlassen, um sich ebenfalls der Beute zuzuwenden. Auf der Seite der Mekkaner nutzte diese Situation der prominente Kämpfer Chālid ibn al-Walīd aus, um Verwirrung in den Reihen von Muhammads Anhängern zu stiften und sie niederzuringen. Allerdings gelang es Muhammads Anhängern zum Schluss, wichtige Stellungen zurückzugewinnen, so dass die Mekkaner abziehen mussten, ohne sich ihres Widersachers Muhammad endgültig entledigt zu haben. Für die Anhänger Muhammads war die Schlacht von Uhud dennoch eine herbe Enttäuschung, nicht nur deshalb, weil sie 50 bis 70 Mann verloren hatten, Muhammads Onkel Hamza gefallen und Muhammad selbst verwundet worden war, sondern auch deshalb, weil sie merkten, dass sie sich der Unterstützung Gottes doch nicht immer so sicher sein konnten, wie es ihnen nach dem Sieg von Badr schien. In verschiedenen Koranworten aus dieser Zeit wird bekräftigt, dass diejenigen, die „für die Sache Gottes“ getötet wurden, nicht wirklich tot sind, sondern weiter leben (Q 2:154), bei ihrem Herrn versorgt werden (3:169), ihnen die Sünden vergeben werden (3:157) und sie direkt ins Paradies eingehen (3:195).

Der Konflikt zwischen Muhammad und den Mekkanern war mit der Schlacht von Uhud noch keineswegs beendet. Da Muhammad weiter den mekkanischen Handel störte und bei den arabischen Beduinen immer mehr Verbündete fand, sahen sich die Mekkaner genötigt, erneut gegen ihn vorzugehen. Dafür versuchten sie ihrerseits, eine Anzahl beduinischer Stämme auf ihre Seite zu ziehen. Diese Bündnisse zeigen, dass der Konflikt zwischen Mekka und Yathrib inzwischen das Umland der beiden Städte mit einschloss. Im Juli 625 massakrierten die Banū Sulaim, ein mit den Quraisch verbündeter Stamm, bei Biʾr Maʿūna zwischen Mekka und Yathrib eine größere Anzahl von Muslimen. Muhammad soll daraufhin einen Monat lang die Banū Sulaim verflucht haben. In veränderter Form hat sich dieser Ritus bis heute im sogenannten Qunūt erhalten, einem Bittgebet, das beim Morgengebet oder beim nächtlichen Witr-Gebet gesprochen wird.

Zu Beginn des Jahres 627 erschienen die Mekkaner und ihre Verbündeten mit einer Truppe von 10.000 Mann vor Yathrib. Dort hatte Muhammad allerdings um die weniger befestigten Stellen der Oasensiedlung einen Graben (ḫandaq) ausheben lassen, der so breit war, dass ein Pferd ihn nicht überspringen konnte. Diese Aktion kam für die Mekkaner offensichtlich so unerwartet, dass sie ihr kein geeignetes strategisches Mittel entgegensetzen konnten. Aus dem geplanten Angriff wurde so eine Belagerung. Aufgrund von Intrigen brach die Allianz der Mekkaner jedoch schon nach 14 Tagen zusammen, und die Belagerung von Yathrib musste beendet werden. Die Mekkaner zogen schließlich ab, ohne etwas erreicht zu haben.

3.1.3. Der militärische und politische Durchbruch

Der Sassanidenherrscher Chosrau II. (reg. 590-628) auf einer Goldmünze, Bode-Museum

Der Grabenkrieg war im Grunde genommen der letzte Defensivkrieg Muhammads. Hiernach begann die Offensivphase in seinem Leben, und gleichzeitig für das von ihm begründete Gemeinweisen die Zeit der Eroberungen. Zum Verständnis des folgenden militärischen Erfolgs von Muhammad ist es notwendig, sich die politische Situation im Vorderen Orient dieser Zeit zu vergegenwärtigen. Anfang des 7. Jahrhunderts hatte ein längerer Schlagabtausch zwischen dem Byzantinischen Reich und den Sassaniden begonnen. In den Jahren 603 bis 619 hatten zunächst die sassanidischen Truppen Syrien, Palästina und Ägypten erobert, 622 hatte der byzantinische Kaiser zum Gegenangriff ausgeholt. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen die Sassaniden ebenfalls mehrere Niederlagen erlitten, und die 628 mit einem Friedensschluss endeten, der ihren Herrscher Chosrau II. dazu verpflichtete, die eroberten Gebiete vollständig zurückzugeben. Hieraufhin wurde Chosrau von seinen Offizieren gestürzt, und es begannen im Sassanidenreich Thronwirren, die bis 633 andauerten und während derer das sassanidische Bündnissystem auf der arabischen Halbinsel zusammenbrach. Es war genau diese fünfjährige Periode des Machtvakuums, innerhalb derer Muhammad seinen neu gegründeten Staat zum militärischen und politischen Erfolg führte.

Im Jahr nach der Grabenschlacht unternahm er noch einige weitere kleinere Kriegszüge, von denen die beiden bedeutendsten derjenige gegen die Oase Dūmat al-Dschandal und derjenige gegen den westlich von Yathrib lebenden Stamm der Mustaliq waren. Im März 628 zog er dann mit einer Schar von Gläubigen nach Mekka, um eine ʿUmra zu vollziehen. Die Mekkaner, die annahmen, dass er kriegerische Absichten hegte, sorgten allerdings dafür, dass er der Stadt nicht zu nahe kam. Von seinem Lager in al-Hudaibiya am Rande des Haram nahm Muhammad Verhandlungen mit den Mekkanern auf, die mit einem Vertrag endeten. Er selbst musste in diesem Vertrag rein äußerlich einige Demütigungen hinnehmen, die zu Spannungen unter seinen Anhängern führten. So wurde er von dem mekkanischen Abgesandten nicht als „Muhammad, der Gesandte Gottes“ anerkannt, sondern nur als „Muhammad ibn ʿAbdallāh“. Bedeutender waren aber die getroffenen Vereinbarungen. Dazu gehörten ein zehnjähriger Waffenstillstand und das Versprechen der Mekkaner, Muhammad und seinen Anhängern im nächsten Jahr die Stadt für drei Tage zum Vollzug der ʿUmra zu überlassen. Umgekehrt verzichtete Muhammad für dieses Jahr auf die ʿUmra und zog sich mit seinen Männern nach Yathrib zurück.

Der Vertrag von Hudaibiya war ein Triumph für den Propheten und seine Anhänger. Der Koran berichtet, dass Gott seine Sakīna in die Herzen der Gläubigen hinabsandte, so dass sie im Glauben zunahmen (Q 48:4, 18). Der Begriff sakīna geht eigentlich auf ein jüdisches Konzept, die Schechina, zurück, das die „Gegenwart“ Gottes bei seinem Volk bezeichnet. Hier bezeichnet er aber auch den psychischen Zustand der Gelassenheit und Ruhe. Nach dem Vertrag von Hudaibiya vollzogen mehrere Araber aus anderen Gebieten Arabiens, die sich schon früher Muhammad angeschlossen hatten, die Hidschra, d.h. sie zogen nach Yathrib, um Muhammad militärisch zu unterstützen. Zu ihnen gehörten zum Beispiel auch die beiden Jemeniten Abū Huraira und Abū Mūsā al-Aschʿarī. Im folgenden Jahr, im März 629, zog Muhammad dann mit etwa 2.000 Mann nach Mekka, um wie geplant die ʿUmra zu vollziehen. Bei dieser Gelegenheit heiratete er Maimūna, die Schwägerin seines Onkels ʿAbbās, der zu dieser Zeit in Mekka die Führung der Banū Hāschim übernommen hatte. Immer mehr Mekkaner erkannten nun Muhammad als Propheten an und verließen die Stadt, um sich ihm anzuschließen, auch solche, die ihn kurz zuvor noch bekriegt hatten wie zum Beispiel der Kämpfer Chālid ibn al-Walīd, der bei der Schlacht von Uhud noch auf der gegnerischen Seite gestanden hatte (vgl. oben 3.1.2.). Für Frauen, die in das muslimische Lager überwechseln wollten, erwähnt der Koran ein eigenes Aufnahmeverfahren: man solle sie prüfen, und wenn sie als gläubige Frauen erkannt seien, solle man sie nicht zu den Ungläubigen zurückkehren lassen, diesen aber den für sie entrichteten Brautpreis ersetzen, dann sei es erlaubt, mit diesen Frauen eheliche Beziehungen einzugehen (Q 60:10).

Im Laufe des Jahres 629 ließ Muhammad noch einige weitere kriegerische Unternehmungen durchführen. So schickte er im September seinen ehemaligen Sklaven und Adoptivsohn Zaid ibn Hāritha mit einer Armee nach Mu'ta auf dem Gebiet des heutigen Jordanien, östlich der Südspitze des Toten Meeres. Dann ergab sich eine Kette von Ereignissen, die letztlich zur friedlichen Kapitulation Mekkas führten. Muhammad heiratete Umm Habība, eine schon viele Jahre früher zum Islam übergetreten Tochter Abū Sufyāns, deren muslimischer Ehemann gestorben war. Wenig später wurde ein Clan der Chuzāʿa, der in der Nähe von Mekka lebte und nach Hudaibiya einen Bund mit Muhammad geschlossen hatte, von einem Clan der Kināna, der mit den Mekkanern verbündet war, angegriffen. Der in Bedrängnis geratene Clan der Chuzāʿa wandte sich an Muhammad, der mit diesem Vorfall das Abkommen von Hudaibiya als gebrochen betrachtete.

Zur Verhinderung einer militärischen Konfrontation reiste Abū Sufyan unter dem Vorwand, seine Tochter besuchen zu wollen, nach Yathrib und führte mit Muhammad Verhandlungen. Der genaue Hergang der nachfolgenden Ereignisse ist nicht klar, doch steht fest, dass es nach der Rückkehr Abū Sufyans nach Mekka zwischen ihm und Muhammad zum Austausch von Geschenken kam. In der Sache selbst war Muhammad allerdings zu keinen Zugeständnissen bereit. Er gab das Kommando zur Vorbereitung eines Feldzuges zur Einnahme von Mekka. Mit einer Armee von ca. 10.000 Mann, die neben seinen Anhängern aus Mekka und Yathrib auch Kämpfer von Stämmen der Umgebung wie den Banū Sulaim und Muzaina einschloss, zog er von Yathrib in Richtung Mekka. Abū Sufyān zog ihm entgegen und führte die Kontaktgespräche. Im Gegenzug für seine Konversion zum Islam erhielt er eine Sicherheitsgarantie für all diejenigen Bewohner Mekkas, die keinen bewaffneten Widerstand leisteten. Die weitreichenden Garantien führten dazu, dass Muhammads Armee bei ihrem von verschiedenen Seiten erfolgendem Einrücken im Januar 630 auf nur sehr geringen Widerstand stieß. In den arabischen Quellen wird die Einnahme Mekkas als fatḥ, „Öffnung“ bezeichnet. Sie steht damit gewissermaßen archetypisch für alle späteren muslimischen Eroberungen (Futūh) von Städten und Ländern, die die Muslime unter Muhammads Nachfolgern machten. Über sie wurden später eigene Texte und Werke zusammengestellt.

3.2. Die interne Entwicklung der Gemeinschaft von Yathrib

3.2.1. Die sogenannte „Gemeindeordnung von Medina“

Die Anhängerschaft Muhammads bei seiner Ankunft in Yathrib setzte sich im Wesentlichen aus zwei Gruppen zusammen, den Angehörigen der Quraisch, die zusammen mit ihm die Hidschra aus Mekka vollzogen hatten, und den Clanen von Aus und Chazradsch, die diesen Auswanderern in Yathrib Aufnahme gewährt hatten. Um eine Gemeinschaft zwischen diesen beiden Gruppen herzustellen, war es dringend notwendig, ein Loyalitätsverhältnis zwischen ihnen zu begründen. Genau diesen Sachverhalt spricht ein Koranwort an, in dem es heißt: „Diejenigen, die den Glauben angenommen haben und ausgewandert sind und unter Einsatz ihres Vermögens und Lebens für die Sache Gottes gekämpft haben, und diejenigen, die Asyl und Hilfe gewährten, die sollen untereinander Freunde sein“ (Q 8:72). Offensichtlich wurden sogar praktische Maßnahmen ergriffen, um dieses Ziel zu verwirklichen, denn es gibt Berichte, denen zufolge zwischen verschiedenen Angehörigen der beiden Gruppen eine „Verbrüderung“ (muʾāḫāh) hergestellt wurde. Die übliche Form dieser Verbrüderung sah so aus, dass dem betreffenden Auswanderer (muhāǧir) einer von den „Helfern“ (anṣār) zur Seite gestellt wurde und die beiden sich gegenseitig zu Brüdern erklärten. Wenn einer der beiden im Kampf fiel, beerbte ihn der andere. Der wichtigste Zweck der Verbrüderung war es, größeren Zusammenhalt im Kampf zu erreichen. Die Zweiteilung der Anhängerschaft Muhammads wurde allerdings auch durch diese Maßnahme nicht völlig überwunden. Vielmehr scheint sich der Gegensatz zwischen den mekkanischen „Auswanderern“ (Muhādschirūn) und den „Helfern“ (Ansār) aus Yathrib im Laufe der Zeit noch verfestigt zu haben, wie sich zwei Koranstellen (Q 9:100, 117) aus späterer Zeit entnehmen lässt, in denen die beiden Gruppen einander gegenübergestellt werden.

Über die politischen Verhältnisse, die seit der Zeit von Muhammads Ankunft in Yathrib herrschten, gibt es ein historisches Dokument, das uns noch wesentlich genauer informiert als der Koran, nämlich die sogenannte Gemeindeordnung von Medina. In diesem Dokument, das bei Ibn Hischām überliefert ist, erscheint übrigens auch zum ersten Mal die arabische Bezeichnung al-Madīna („die Stadt, der Gerichtsort“) für Yathrib. Sie wurde später als Name für diesen Ort allgemein üblich und erscheint auch in den letzten Suren des Korans (z.B. Q 9:102; 63:8). Was nun die politische Ordnung anlangt, so wird am Anfang des Dokuments festgestellt, dass es sich um „einen Vertrag Muhammads des Propheten zwischen den Gläubigen und Muslimen der Quraisch und von Yathrib und jenen, die ihnen folgen, ihnen verbunden sind und zusammen mit ihnen kämpfen“ (§ 1), handelt. Sie sollen „eine einzige Umma“ bilden, „die sich von anderen unterscheidet“ (§ 2). Der Begriff Umma wird im Koran noch an vielen anderen Stellen verwendet und bezeichnet dort verschiedene von Propheten angeführte Gemeinschaften. Die Umma von Medina war allerdings eher an tribalen Konzepten orientiert. Die neun wichtigsten Vertragsparteien waren die „Auswanderer der Quraisch“, die offensichtlich als ein einziger Clan verstanden wurden, und acht Clane aus Yathrib. Jede Gruppe, so heißt es, sollte ihre tribale Organisation beibehalten und für die Zahlung von Blutgeld und Lösegeld unter ihren Angehörigen verantwortlich sein. Allerdings wurde diese Solidaritätspflicht auf die Gläubigen (muʾminūn) unter ihnen eingeschränkt. Der zweite Teil des Dokuments befasst sich mit den Beziehungen zu den jüdischen Stämmen von Yathrib und ihren beduinischen Verbündeten. Am Ende des Dokuments wird erklärt, dass das Tal von Yathrib für alle Vertragspartner geheiligt (ḥarām) sei (§ 39). Das Dokument zeigt, dass die Umma zu jener Zeit als etwas verstanden wurde, das Beziehungen zu Angehörigen anderer Religionen einschloss. Im Wesentlichen handelte es sich um einen Bündnisvertrag, der den traditionellen arabischen Rechtsvorstellungen entsprach. Dadurch, dass im ersten Teil die Solidaritätsverpflichtungen auf die „Gläubigen“ beschränkt wurden, kam jedoch eine religiöse Komponente ins Spiel. Muhammad selbst wurde in der Gemeindeordnung eine richterliche Funktion zugesprochen. So wird festgelegt, dass diejenigen, die über eine Sache im Streit sind, diese vor Gott und Muhammad bringen sollten (§§ 23, 42).

3.2.2. Die Auseinandersetzung mit den Juden

Muhammad hatte am Ende der mekkanischen Zeit dem Judentum äußerst positiv gegenübergestanden. Koranische Texte aus diesem Zeitabschnitt fordern dazu auf, nicht mit den „Leuten des Buches“ (Ahl al-kitāb) – gemeint sind die Juden von Yathrib – zu disputieren, sondern die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden offenbarten Religionen herauszustellen (Q 29:46). Der gute Kontakt mit den Juden in der frühen medinischen Zeit führte dazu, dass sich Muhammad und seine Anhänger noch stärker an die jüdischen Vorschriften annäherten. So wurde zu dieser Zeit nach jüdischem Vorbild ein drittes Tagesgebet eingeführt (vgl. Q 2:238f), und der Verzehr von Schweinefleisch und der Beischlaf während der Menstruation wurden verboten (vgl. Q 2:173, 222).

Ebenfalls in frühmedinischer Zeit wurde für Muhammad der Titel nabī gebräuchlich, der in der Bibel und in der jüdischen Tradition für Propheten verwendet wird. Möglicherweise wurde dieser Titel deswegen jetzt für Muhammad eingeführt, um die Juden von Yathrib dazu zu bewegen, seine religiöse Führerschaft anzuerkennen. Besonders interessant ist das Adjektiv ummī, mit dem der Begriff nabī an der ersten Stelle, an der er vorkommt (Q 7:157f), versehen ist. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Ableitung des hebräischen Ausdrucks ummot ha-ʿolam, mit dem im Talmud die nicht-jüdischen Völker bezeichnet werden, in denen Gerechte auftreten können. Die Bezugnahme auf diese heidenfreundliche Tradition war sehr wichtig, denn unter den Juden von Yathrib herrschte die Auffassung vor, dass es unter den Arabern keine Prophetie geben könne.

Die Annäherung an das Judentum bedeutete allerdings nicht, dass Muhammad seine Religion darin aufgehen lassen wollte. Die Gemeindeordnung von Medina stellt ausdrücklich fest, „dass die Juden ihre Religion beibehalten und die Gläubigen die Ihrige.“ Eine gemeinsame religiöse Basis fand er im Monotheismus, wie sich dem folgenden Koranwort entnehmen lässt:

„Sag: O Leute des Buches, kommt her zu einem Wort, das uns und euch gemeinsam ist. Ist es nicht so, dass wir Gott allein dienen, ihm nichts beigesellen und uns nicht untereinander anstelle Gottes zu Herren nehmen?“

Q 3:64

Offenbar hegte Muhammad die Vorstellung, die Juden würden in seiner Botschaft schließlich ihre eigene Religion wiedererkennen. Das brachte ihn letztendlich auch zu der Erwartung, dass sie seinen religiösen Anspruch anerkennen müssten. An mehreren Stellen im Koran werden die Israeliten aufgefordert, an das, was ihm offenbart wurde, als Bestätigung ihrer Schrift zu glauben (Q 2:41) und ihn allgemein als Bestätiger der Tora zu verstehen (Q 3:50).

Es geschah wahrscheinlich auch im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Juden von Medina, dass sich Muhammad zum ersten Mal auf den Erzengel Gabriel als Vermittler der koranischen Offenbarung berief. Gabriel spielte schon in vorislamischer Zeit eine große Rolle in den jüdischen Überlieferungen über Abraham und Mose. In Sure 2:97 wird ausgesagt, dass er es ist, der den Koran in Muhammads Herz hinabgesandt habe, „mit Erlaubnis Gottes, bestätigend, was vor ihm war, als rechte Leitung und als frohe Botschaft für die Gläubigen.“ Die Korankommentatoren erklären, dass diese Verse offenbart wurden, als die Juden von Medina Muhammad fragten, wer der Engel sei, der ihm die Offenbarungen brächte. Als er antwortete, dass dies Gabriel sei, der Freund eines jeden Propheten, sollen sie entgegnet haben, dass sie ihn dann nicht anerkennen könnten, weil ihr Freund der Engel Michael sei, Gabriel dagegen ihr Feind. In Sure 2:97-98 wird diese „Feindschaft“ zu Gabriel missbilligt und bekräftigt, dass beide Engel, Gabriel und Michael, Diener Gottes seien.

Koranstellen wie diese zeigen sehr deutlich, dass die Juden Medinas nicht bereit waren, Muhammad als Propheten in ihrer Tradition anzuerkennen. Andere Stellen erwähnen, dass es immer wieder zu Streitereien mit ihnen kam (z.B. Q 2:139). Die historiographischen Quellen berichten, dass es damals in Medina nur einen einzigen namhaften Juden gab, der zum Islam übertrat: ʿAbdallāh ibn Salām. An seine Konversion knüpfen sich in der islamischen Tradition zahlreiche Legenden. Aus Enttäuschung darüber, dass ihn die Juden von Medina nicht unterstützen, brach Muhammad nach der Badr-Schlacht mit dem Judentum. So forderte er die Juden auf, ihn nicht mehr als Schiedsrichter anzurufen, da sie sich nicht einmal an die Regeln ihrer Tora hielten (Q 5:43-45). Immer häufiger kam es nun auch zu verbalen Attacken gegen die Juden. So wird ihnen an verschiedenen Stellen Verstocktheit vorgeworfen (z.B. Q 2:87-90) und ihre strengen Speiseverbote werden damit begründet, dass die Juden sich in der Vergangenheit schwerer Sünden schuldig gemacht hätten (Q 4:160). An anderen Stellen werden sie beschuldigt, sie würden einen Teil ihrer Schriften zurückhalten (vgl. Q 11:18). Schließlich gibt es vier Passagen, die besagen, die Juden hätten die Schriften absichtlich „entstellt“ oder „verdorben“ (so Q 2:75-79, 4:46, 5:13, 5:41).

Den verbalen Attacken folgten bald reelle Angriffe auf die Juden von Yathrib. Sie waren keine einheitliche Gemeinschaft, sondern gehörten drei verschiedenen Stämmen an, den Banū Qainuqāʿ, den Banū n-Nadīr und den Banū Quraiza. Die Banū Qainuqāʿ, die in Yathrib einen eigenen Markt unterhielten, waren das Opfer des ersten Angriffs. Als Anlass wird in der Überlieferung genannt, dass nach der Schlacht von Badr (624) auf ihrem Markt eine arabische Frau von einer Gruppe von Juden beleidigt worden war. Ein Muslim, der die Begebenheit beobachtet hatte, tötete einen der Juden und wurde dann selbst umgebracht. Das war der Auslöser dafür, dass Muhammad die Banū Qainuqāʿ im April 624 in ihrem befestigten Stadtteil belagerte. Sie mussten ihre Habe zurücklassen und wanderten nach Adhriʿāt (dem heutigen Darʿā im Hauran, Syrien) aus. Die Vertreibung der Banū Qainuqāʿ hatte auch einen ökonomischen Hintergrund, denn Muhammad strebte in dieser Zeit danach, einen eigenen Markt aufzubauen, und der Markt der Qainuqāʿ war ihm dabei im Weg.

Die Oase Chaibar heute

Im August 625 ging Muhammad gegen den jüdischen Stamm der Banū n-Nadīr vor. Als Anlass für den Konflikt nennt die Überlieferung einerseits einen versuchten Mordanschlag auf Muhammad, andererseits den Vorwurf der Kollaboration mit den feindlichen Quraisch. Muhammad ließ sie in ihren befestigten Häusern belagern und außerdem ihre Palmenpflanzungen zerstören, womit er ein ungeschriebenes Gesetz der arabischen Kriegführung verletzte. Vers Q 59:5 liefert nach der islamischen Tradition eine Rechtfertigung für dieses Vorgehen. Wie die Banū Qainuqāʿ, so wurden auch die Banū Nadīr vertrieben; sie fanden mehrheitlich in der jüdischen Oase Chaibar Zuflucht, in der sie über Grundbesitz und eigene Festungen verfügten.

Nach der Grabenschlacht 627 kam es zu einer Konfrontation der Muslime mit dem dritten und letzten noch in Medina verbliebenen jüdischen Stamm, den Banū Quraiza, denen auch verschiedene andere Oasen im Norden der Halbinsel gehörten. Ihnen wurden der Bruch ihres Abkommens mit Muhammad und die Zusammenarbeit mit den Quraisch während der Grabenschlacht vorgeworfen. Es erfolgte eine mehrwöchige Belagerung ihres befestigten Stadtteil. Da die Banū Aus mit den Banū Quraiza verbündet waren und sich für sie einsetzten, legte Muhammad die Entscheidung über ihr Leben in die Hand von Saʿd ibn Muʿādh, einem Angehörigen der Banū Aus, der in der Grabenschlacht schwere Verwundungen erlitten hatte und dem Tode nahe war. Dieser sprach sich dafür aus, alle Männer umzubringen, Frauen und Kinder in die Gefangenschaft zu führen und ihren Besitz aufzuteilen, was trotz Protesten von Seiten anderer Verbündeter unverzüglich umgesetzt wurde.

Auch nach diesem Vorfall dauerte die Auseinandersetzung mit den Juden noch an. Die Banū n-Nadīr rüsteten nach ihrer Vertreibung aus Medina in Chaibar zum Krieg gegen Muhammad, wobei sie mit den arabischen Stämmen der Nachbarschaft zusammenarbeiteten. Muhammad kam ihnen im Frühjahr 628 mit einem eigenen Kriegszug zuvor. Das Koranwort aus Sure 5:33, das denjenigen, die gegen Gott und seinen Gesandten Krieg führen, eine grausame Strafe (Tötung, Kreuzigung bzw. kreuzweise Amputation von Hand und Fuß) in Aussicht stellt, wird in diesen historischen Zusammenhang gestellt. Chaibar kapitulierte im Juni 628, und die Juden der Oase wurden verpflichtet, ihr Vermögen herauszugeben und jedes Jahr die Hälfte ihrer Ernte den muslimischen Eroberern zu übergeben. Zwei andere von Juden besiedelte Oasen, Fadak und Taimāʾ, unterstellten sich Muhammads Herrschaft kurze Zeit später freiwillig.

3.2.3. Andere Gegner Muhammads

In den Koranversen, die in die Zeit nach der Uhud-Schlacht eingeordnet werden, taucht noch eine weitere gegnerische Personengruppe auf, die Munāfiqūn. Sie werden beschrieben als Personen, die zuerst den Glauben angenommen haben, sich dann aber wieder davon abwandten und nur noch so taten, als würden sie an den Gottesgesandten glauben (vgl. Q 63:1-3). Man kann insofern den arabischen Begriff munāfiqūn mit „Heuchler“ übersetzen. Der Koran bezeichnet diese Leute auch als „Menschen, die in ihrem Herzen eine Krankheit haben“ (fī qulūbi-him maraḍ; vgl. z.B. 5:52; 8:49; 9:125) und droht ihnen an, dass sie dereinst auf den untersten Grund des Höllenfeuers verbannt werden. Die Munāfiqūn stellten vor allem Muhammads richterliche Autorität in Frage. Der Koran spricht davon, dass einige von ihnen ihren Streit nicht durch Muhammad schlichten lassen wollten und sich von ihm abwandten (Q 4:60f). Gegen diese Abfallsbewegung richtet sich die Aufforderung an die Gläubigen, ihre Dispute auf jeden Fall Muhammad zur Entscheidung vorzulegen (Q 4:59). Nur diejenigen sollten fortan noch als Gläubige gelten, die sich an dieses Gebot hielten (Q 4:65). Als Anführer der Munāfiqūn wird in den arabischen Quellen ʿAbdallāh ibn Ubaiy genannt. Von ihm wird berichtet, dass er ohne Muhammads Auftreten in Yathrib „König“ (Malik) der Stadt geworden wäre. Es ging also möglicherweise um konkurrierende Machtansprüche.

Offenbar geriet in dieser Zeit aber auch die religiöse Autorität Muhammads in eine Krise. Die islamische Tradition hat den Bericht von einem Christen aus dem medinischen Clan der Banū n-Naddschār bewahrt, der zum Islam übergetreten war und dem Propheten während der Niederschrift der Suren 2 und 3 als Sekretär gedient hatte, nun aber zu seiner alten Religion zurückkehrte und sich bei seinen Glaubensbrüdern damit brüstete, Muhammad wisse nichts außer dem, was er für ihn niedergeschrieben habe. Auf skandalöse Weise fiel in dieser Zeit auch einer von Muhammads mekkanischen Schreibern ab, nämlich ʿAbdallāh ibn Abī Sarh. Er begab sich ins heidnische Mekka und brüstete sich dort, er habe Muhammad auf die Probe gestellt, indem er nachträglich an einer Stelle den Wortlaut der Offenbarung geändert habe, ohne dass Muhammad diese Abänderung bemerkte. Gegenstand der Änderung waren Reimwörter, die in ähnlicher Form an anderen Stellen des Korans vorkommen. Der Koran selbst scheint von diesem Vorfall Zeugnis abzulegen. So werden Leute erwähnt, in deren Herzen Verirrung ist, die sich nicht an den festgefügten Versen (āyāt muḥkamāt) des Korans orientieren, sondern „das suchen, was einander ähnlich (mutašābih) ist, um nach Zwietracht zu suchen“ (Q 3:7). Nach der Überlieferung ist außerdem mit dem Mann, von dem der Koran berichtet, dass er den Unglauben (Kufr) gegen den Glauben (Īmān) eintauschte (Q 2:108), ʿAbdallāh ibn Abī Sarh gemeint.

Gegen einige seiner Gegner ging Muhammad sehr grausam vor. So ließ er zum Beispiel den Dichter Kaʿb ibn al-Aschraf, der mit dem jüdischen Stamm Qainuqāʿ freundschaftlich verbunden war und Muhammad verspottet hatte, im September 624 heimtückisch ermorden. Bei der Einnahme von Mekka im Januar 630 war er dagegen sehr viel gutmütiger. Mit Ausnahme weniger Personen, die Tötungsdelikte begangen hatten, begnadete der Prophet alle seine früheren Gegner, die er in der Stadt vorfand, darunter auch seinen ehemaligen Schreiber Ibn Abī Sarh, der in Mekka Stimmung gegen ihn gemacht hatte. Er profitierte davon, dass sich sein Milchbruder ʿUthmān beim Propheten für ihn einsetzte. Muhammads Bereitschaft, früheren Gegnern zu verzeihen, spiegelt sich auch auf koranischer Ebene wieder. Wer die Umkehr (Tauba) zu Gott vollzieht, so heißt es dort, kann damit rechnen, dass es ihm wohlergeht (Q 24:31). Gott selbst wird im Koran als derjenige beschrieben, der „die Umkehr von seinen Knechten annimmt“ (Q 9:104). Wer umkehrt, dem wendet sich auch Gott wieder zu (Q 5:39). Heuchlern und Apostaten, die die Tauba nicht vollziehen, droht jedoch das Höllenfeuer (Q 9:74; 3:86-89).

3.2.4. Die Konstituierung als eigenständige Religionsgemeinschaft

Die Zusammenfügung der Gläubigen zu einem Loyalitätsverband und die Abgrenzung nach außen gegenüber anderen Gruppierungen gingen einher mit dem Bestreben, den Einfluss anderer Loyalitätsbeziehungen, die für den Zusammenhalt der Gläubigen eine Bedrohung darstellen könnten, zu beschränken. Dieses zeigt sich an verschiedenen Koranstellen der medinischen Periode, an denen die Gläubigen aufgefordert werden, sich keine Ungläubigen, sondern nur noch Gläubige zu Freunden zu nehmen (Q 3:28). Nur diejenigen sollten noch als „Gläubige“ und damit vollwertige Mitglieder dieser Gemeinschaft gelten, die die Beziehungen zu den Gegnern des Gottesgesandten komplett abbrechen und sich dabei auch über Verwandtschaftsbande hinwegsetzen. Denjenigen, die sich an diese Grundsätze halten, wird im Koran Erfolg und jenseitiges Heil verheißen (vgl. Q 5:56; 58:22).

Der Abgrenzung nach außen auf sozialer Ebene lief eine Abgrenzung auf religiöser Ebene parallel. Die Abgrenzung von den Juden betraf dabei insbesondere die religiösen Riten (vgl. unten 3.3.). Auf ideeller Ebene erfolgte gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die Gestalt Abrahams. Er wurde nun zum Prototypen der neuen Religionsgemeinschaft erhoben. An mehreren Koranstellen aus dieser Zeit findet sich die Aufforderung, der Religion der „Gemeinschaft Abrahams“ (millat Ibrāhīm) zu folgen (z.B. Q 2:130; 4:125). Es wird betont, dass Abraham kein Jude, Christ oder Muschrik war, sondern ein Muslim und Hanīf (vgl. Q 3:67; 3:95). Eine Weile war Hanīf wohl auch die übliche Bezeichnung für Muhammads Anhänger und Hanīfīya ("Hanīfentum") der Name für die von ihm gegründete Religion. Mit den auf Abraham bezogenen koranischen Passagen ließ sich auch die kultische Wiederausrichtung auf das arabische Heiligtum in Mekka gut rechtfertigen. Sie wurde damit erklärt, dass „das Haus“ (bait) in Mekka das Jerusalemer Heiligtum an Alter übertreffe, weil es das erste sei, das für die Menschen errichtet wurde (Q 3:96). Schon Abraham habe zusammen mit seinem Sohn Ismāʿīl die Grundmauern dieses „Hauses“ aufgerichtet (Q 2:127). Muhammad scheint hier auf hanīfische Konzepte (vgl. oben 1.3.6.) zurückgegriffen zu haben. An zwei Stellen des Korans (2:125; 3:97) wird das mekkanische Heiligtum zudem als der „Standplatz Abrahams“ (maqām Ibrāhīm) bezeichnet.

3.2.5. Der allmähliche Machtzuwachs des Propheten

Muhammad war nach der Gemeindeordnung von Medina keineswegs der absolute Herrscher von Medina. Er wurde lediglich als Prophet (§ 1) und Schiedsrichter (§ 23, 42) anerkannt, und möglicherweise sah man ihn auch als Oberhaupt des „Clans“ der Auswanderer an (§ 3). In den Quellen werden mehrfach Vorfälle geschildert, die zeigen, dass er sich darum bemühen musste, die Unterstützung anderer Clanoberhäupter zu gewinnen. Im Zusammenhang mit den militärischen Aktivitäten veränderten sich jedoch die Machtstrukturen innerhalb der Gemeinschaft der Muslime. Eine Folge des Misserfolges von Uhud war die Aufforderung an die Gläubigen, zukünftig dem Gottesgesandten und „denjenigen, die zu befehlen haben“ (ūlū l-amr), unbedingt zu gehorchen (Q 4:59) und vor Streuung von sicherheitsrelevanten Informationen erst diesen Personenkreis zu unterrichten, um eine Überprüfung dieser Informationen zu ermöglichen (Q 4:83). Das militärische Nachrichtenwesen wurde auf diese Weise zentralisiert. Den Gläubigen wurde außerdem mitgeteilt, dass der Gottesgesandte das Vorrecht auf mindestens ein Fünftel (ḫums) der Beute habe, um es unter den Verwandten, Weisen, Armen und Wohnungslosen zu verteilen (Q 8:41). Von seinen Anhängern, den gläubigen Männern und Frauen, forderte der Prophet nach der Vertreibung der Juden uneingeschränkten Gehorsam bei all den Dingen, die er selbst entschieden hatte (Q 33:36). Seine militärischen und diplomatischen Erfolge brachten ihm offenbar so viel Prestige und Autorität ein, dass auch seine Macht immer weiter zunahm.

Von nicht geringer Bedeutung für Muhammads Machtzuwachs war die Tatsache, dass sich in Medina auch mehrere Dichter auf seine Seite stellten. Der bekannteste von ihnen war Hassān ibn Thābit, der schon für ghassānidische und lachmidische Prinzen Lobgedichte verfasst hatte. Vor diesem Hintergrund differenzierte der Prophet seine früher allgemein ablehnende Haltung gegenüber den Dichtern. Nur diejenigen von ihnen sollten der Verdammung anheimfallen, die Unrecht getan haben, nicht aber diejenigen, „die den Glauben angenommen haben, das Rechte tun und Partei ergreifen, nachdem ihnen Unrecht angetan worden ist“ (Q 26:227). Außerdem standen Muhammad jetzt auch mehr Schreiber zur Verfügung, die seine Korrespondenz führen und seinen Koranvortrag niederschreiben konnten. Zu nennen sind insbesondere Zaid ibn Thābit, der vor der Hidschra auf einer jüdischen Schule die syrische oder hebräische Schrift erlernt hatte, und Ubaiy ibn Kaʿb. Beide gehörten sie dem chazradschitischen Clan der Banū n-Naddschār an, in deren Viertel sich Muhammad niedergelassen hatte.

Wie für einen arabischen Stammesfürsten seiner Zeit üblich, hatte Muhammad eine ganze Anzahl von Frauen nebeneinander. Viele dieser Ehen dienten vor allem politischen Zwecken. Mit ihnen wollte er zum Beispiel wichtige Anhänger enger an sich binden oder die Freundschaft des tribalen Verbands der Ehefrau gewinnen. Allerdings gab es andere Ehen, die er rein aus Zuneigung geschlossen hat. Der bekannteste Fall ist Safīya bint Huyaiy, die Tochter eines aus Medina vertriebenen Juden, der den Propheten bekämpft hatte. Sie war die Tochter des Oberhaupts des jüdischen Clans der Banū n-Nadīr, von den Muslimen aber nach dem Sieg über Chaibar gefangen genommen und bei der Beuteaufteilung einem anderen Kämpfer zugeteilt worden. Aufgrund ihrer Schönheit beanspruchte sie der Prophet aber für sich selbst. Unter der Bedingung, dass sie sich zum Islam bekehrte, kaufte er sie frei und nahm sie als reguläre Ehefrau. Die Eheschließung Muhammads mit Safīya war sehr konfliktgeladen, weil die anderen Gattinnen Muhammads auf die neue Nebenfrau eifersüchtig waren. Es wird angenommen, dass dies auch der Anlass für das seltsame Verbot war, das in Sure 33 speziell für den Propheten ausgesprochen wird. Ihm wird dort verboten, weitere Frauen zu ehelichen, „auch wenn ihre Schönheit dir gefallen sollte“ (Q 33:52). Neben seinen Ehefrauen besaß Muhammad noch verschiedene Sklavinnen, die ihm als Konkubinen dienten. Eine von ihnen, Maria, die Koptin, der Muhammad besonders zugetan war, löste in Muhammads Harem einen derart großen Eifersuchtskonflikt aus, dass Muhammad gelobte, sich zukünftig von ihr fernzuhalten. Dieses Versprechen nahm er aufgrund der Indiskretion einer seiner Ehefrauen allerdings später wieder zurück, ein Vorfall, auf den auch im Koran (Q 66:1-5) Bezug genommen wird.

Eine Tasliya in kalligraphischer Ausführung

Wie sich an Sure 33:32 ablesen lässt, wurden Muhammads Ehefrauen auch von anderen Männnern begehrt. Damit sie sich auf Avancen von dieser Seite nicht einließen, wurde ihnen eine hohe Strafe für Ehebruch angedroht (Q 33:30). Des Weiteren wurden sie aufgefordert, in ihrem Haus zu bleiben und sich nicht „nach Art der früheren Dschāhilīya“ herauszuputzen (Q 33:33). Außerdem wurden sie für die Zeit nach Mohammeds Tod mit einem ewigen Heiratsverbot belegt (Q 33:53). Der Allgemeinheit der Gläubigen wurde um diese Zeit auferlegt, für den Propheten einen speziellen Segenswunsch zu sprechen, sobald er erwähnt wird (Q 33:56). Dadurch erhielt seine Person immer mehr einen sakrosankten Charakter. Der Tasliya-Segenswunsch bei Mohammeds Erwähnung gilt bis heute im Islam als Pflicht.

3.2.6. Rechtliche und soziale Reformen

Muhammad erfüllte, wie oben (3.2.1.) beschrieben, in Medina eine richterliche Funktion und entsprach damit in etwa dem Typ des altarabischen ḥakam. Bei vielen Streitigkeiten, die vor ihn gebracht wurden, fällte er sein Urteil wahrscheinlich aufgrund früherer Rechtssetzung (Sunna). Dort, wo sich das vorhandene System allerdings als unzulänglich erwies, lieferte er mit dem Koran neue Bestimmungen und Vorschriften.

Die ersten Regelungen, die Muhammad nach der Hidschra traf, sind in Sure 2 festgehalten. Hier wird das altarabische Qisās-System bestätigt, allerdings die Empfehlung ausgesprochen, die Wiedervergeltung durch Wergeld (Diya) zu regeln (Q 2:178f). Daneben wird Zinswucher (Ribā) verboten (vgl. u.a. Q 2:275). Auch der Bereich der Ehe wurde neu geordnet. Muhammad gab den Männern die Möglichkeit, ihre Frauen zu verstoßen, verbot ihnen aber für diesen Fall, etwas von ihrem Vermögen einzubehalten. Die Frau konnte selbst auch die Auflösung der Ehe verlangen, musste sich dann aber durch Rückgabe der Brautgabe oder eines Teils davon loskaufen (Q 2:229). Diese Form des Selbstloskaufs der Ehefrau, die bis heute existiert, wird im islamischen Recht Chulʿ genannt. Nach Verstoßung seiner Frau kann der Mann diese erst dann wieder heiraten, wenn sie zwischenzeitlich einen anderen Mann geheiratet hat (Q 2:230). Außerdem wurde die Vorschrift eingeführt, dass die Frau zwischen ihren Ehen eine drei- bzw. viermonatige Wartezeit (ʿidda) einhalten muss (Q 2:228, 2:234). Auf diese Weise sollte die leibliche Vaterschaft sichergestellt werden.

Des Weiteren führte Muhammad verschiedene strafrechtliche Regeln ein. So wurde bestimmt, dass männlichen und weiblichen Dieben „als Vergeltung für das, was sie begangen haben, und als Warnung vor Gott“ die Hand abgeschnitten werden sollte (Q 5:38). Verschiedene Überlieferungen verlegen auch das in Sure 5 ausgesprochene allgemeine Weinverbot, das für den Islam kennzeichnend geworden ist, in diese Zeit. An der Stelle selbst (Q 5:90f) wird das Verbot damit begründet, dass der Weingenuss genauso wie das Losspiel Feindschaft und Hass zwischen den Anhängern Muhammads säe und sie vom Gebet abhalte. Die Berichte zum Anlass der Verhängung dieses Verbots erklären, dass zuvor Streitereien unter betrunkenen Prophetengefährten vorgefallen waren, bei denen einzelne von ihnen sogar schwer verletzt worden waren.

Nach Uhud führte Muhammad im Bereich der Geschlechter- und Eheregeln weitere wichtige Änderungen und Reformen durch, die hauptsächlich in Sure 4 festgehalten sind. Den männlichen Muslimen wurde erlaubt, bis zu vier Frauen gleichzeitig zu heiraten (Q 4:3), ihnen andererseits auferlegt, das Brautgeld den Ehefrauen selbst zu übergeben (Q 4:4). Darüber hinaus legte der Koran genaue Erbschaftsregelungen fest, die auch weibliche Verwandte und Witwen berücksichtigten, Frauen allerdings immer nur die Hälfte dessen zugestanden, das Männer desselben Verwandtschaftsgrades erhielten (Q 4:7-14). Ehefrauen gehörten fortan nicht mehr zum Erbgut des Verstorbenen (Q 4:19) und durften auch nicht mehr von dessen Söhnen geheiratet werden (Q 4:23). In Anbetracht ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den Frauen wurde den Männern erlaubt, diese im Falle der Aufsässigkeit zu züchtigen (Q 4:34). Besuchsehen (vgl. oben 1.3.2.) wurden weiter zugelassen, allerdings daran gebunden, dass der Mann die Frau entlohnte und die Frau keine Beziehungen zu mehreren Männern gleichzeitig unterhielt (Q 4:24f). Damit wurde die altarabische Institution der Polyandrie, die Ehe einer Frau mit mehreren Männern, verboten. Frauen, denen durch vier Zeugen sexuelles Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, sollten lebenslang unter Arrest gestellt werden (Q 4:15). Muhammads Haltung zum Institut der zeitlich begrenzten Besuchsehe scheint allerdings nicht ganz eindeutig gewesen zu sein. In verschiedenen islamischen Quellen wird überliefert, dass er solche Verhältnisse anlässlich der Schlacht von Chaibar verboten, später aber wieder erlaubt habe. Insgesamt lässt die neue Eheordnung den Willen erkennen, einen Ausgleich zwischen den beiden im alten Arabien existierenden Ehesystemen (vgl. oben 3.1.2.) zu schaffen.

Ein Skandal um Muhammads junge Ehefrau ʿĀ'ischa führte zu einer Verschärfung des Sexualstrafrechts. Hintergrund war ein Vorfall auf einem Feldzug im Januar 627. Es wird erzählt, dass sich ʿĀ'ischa auf dem Rückweg von diesem Feldzug nach Medina auf der Suche nach einer verlorenen Halskette vom Rastplatz entfernte, bei ihrer Rückkehr das Lager abgebrochen fand und am nächsten Tag von einem jungen Mann namens Safwān ibn al-Muʿattal zurückgebracht wurde. Der durch diesen Vorfall hervorgerufene Skandal spaltete die Gemeinschaft, weil einige prominente Muslime ʿĀʾischa öffentlich der Untreue beschuldigten. Muhammad schickte ʿĀʾischa zunächst in ihr Elternhaus zurück und erwog wohl ihre Verstoßung, überzeugte sich dann aber durch eine Eingebung (Q 24:11-20) von der Grundlosigkeit dieser Verdächtigung und nahm sie wieder zu sich auf. Im Zusammenhang mit diesem Vorfall wurde die Regel eingeführt, dass diejenigen, die ehrbare Frauen in Verruf bringen, ohne vier Zeugen beizubringen, 80 Peitschenhiebe erhalten sollten (Q 24:4). Auf außerehelichen Geschlechtsverkehr wurden als neue Strafe nun 100 Peitschenhiebe eingeführt (Q 24:2).

Eine Neuregelung, die zunächst nur die Frauen Muhammads betraf, war das Hidschāb-Gebot. Anlass für diese Neuregelung war wahrscheinlich Muhammads Hochzeit mit Zainab bint Dschahsch im Frühjahr 627. Bei der Hochzeitsfeier kam es nämlich zu einem Zwischenfall. Der Prophet fühlte sich durch Männer belästigt, die offenbar ohne Erlaubnis sein Haus betreten und mit seinen Frauen Kontakt aufgenommen hatten. Als Folge dieses Vorfalls wurde bestimmt, dass sich die Frauen des Propheten künftig hinter einem Vorhang (ḥiǧāb) verbergen sollten, wenn sie mit Männern sprachen (Q 33:53). Das Hidschāb-Gebot galt allerdings nur für Muhammads freie Frauen. Im Zusammenhang mit der Eheschließung mit Safīya wird berichtet, dass Muhammad ihr zum Zeichen ihrer Freilassung den Hidschāb auferlegte. In einem anderen Vers derselben Sure wird der Prophet aufgefordert, die „Frauen der Gläubigen“ insgesamt dazu anzuhalten, sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen (Q 33:59). Dieses Verhüllungsgebot wurde zusammen mit dem Hidschāb zu einem festen Bestandteil der traditionellen islamischen Geschlechterordnung.

Die Eheschließung mit Zainab brachte übrigens noch eine andere rechtliche Neuerung mit sich. Auch in diesem Fall war persönliche Zuneigung Muhammads mit im Spiel. Zainab war ursprünglich die Gattin von Muhammads Adoptivsohn Zaid ibn Hāritha gewesen. Es wird berichtet, dass Muhammad, als er einmal mit Zaid sprechen wollte, diesen nicht zu Hause antraf, sondern nur Zainab, die gerade leicht bekleidet war, und daraufhin in heißer Liebe zu ihr entbrannte. Zainab berichtete Zaid von dem Besuch und den Andeutungen, die Muhammad beim Weggehen gemacht hatte. Zaid verstand diese Andeutungen und trennte sich von Zainab, um sie ihm zu überlassen. Muhammads Plan, Zainab zu heiraten, löste allerdings in der Gesellschaft von Medina Empörung aus, da die Ehe mit der früheren Ehefrau des eigenen Sohns, auch wenn er nur ein „Nennsohn“ (daʿī) war, als inzestuös betrachtet wurde. Muhammad setzte sich jedoch über diese Einwände hinweg und heiratete Zainab. Durch eine Offenbarung wurde diese Ehe nachträglich gerechtfertigt (Q 33:37) und als von Gott verhängtes Geschick (Qadar) abgesegnet (Q 33.38). Wahrscheinlich im Zusammenhang mit diesen Vorfällen wurde auch insgesamt das Rechtsinstitut der Adoption verboten (Q 33:4f), ein Verbot, das bis heute die Rechtsordnung des Islams prägt.

3.3. Die Weiterentwicklung des islamischen Kultus

3.3.1. Die Anfänge der Moschee und die Weiterentwicklung der Salāt

Die Moschee von Qubā' zu Anfang des 20. Jahrhunderts

Als Muhammad nach der Hidschra im September 622 in der Oase von Yathrib ankam, wohnte er die ersten Tage in Qubā', einem südlichen Vorort von Yathrib. Für die Salāt nutzte er einen Masdschid, den Anhänger von ihm dort angelegt hatten. Masdschid hängt mit dem Wort Sudschūd zusammen und bedeutet soviel wie „Ort der Prosternation“ (vgl. oben 1.3.3.). Es ist der gleiche Begriff, der auch für das Heiligtum in Mekka verwendet wurde, das für die Muslime nun nicht mehr erreichbar war (vgl. 8:34). Von Masdschid leitet sich auch das deutsche Wort „Moschee“ ab, das wahrscheinlich über das spanische mezquita und das italienische moschea aus dem Arabischen entlehnt wurde. Aufgrund ihrer besonderen Rolle in der islamischen Geschichte gilt die Moschee von Qubā' den Muslimen als besonders heilig. Sie soll auch mit dem im Koran genannten „Masdschid, der vom ersten Tag auf Gottesfurcht gegründet war“ (Q 9:108) identisch sein. Bis heute wird sie bei der Wallfahrt von Scharen muslimischer Pilger zum Gebet aufgesucht.

Neben dem Masdschid von Qubā' bestanden in Yathrib noch verschiedene andere private Gebetsplätze. Muhammad fasste nach kurzer Zeit den Entschluss, ebenfalls einen Masdschid zu errichten. Er wählte dafür einen Ort im Viertel der Banū n-Naddschār aus, in dem er Aufnahme gefunden hatte. Zusammen mit seinen Anhängern errichtete er dort einen Hof von etwa 35 x 30 m, der mit einer Ziegelmauer eingefasst war. Muhammad selbst schlief in einer der Kammern an der Außenmauer. Der Bau war also auch gewissermaßen Muhammads Haus. An der nördlichen Seite, wo zunächst gebetet wurde, schützte ein Schattendach (ṣuffa) aus Palmblättern und Lehm die Betenden vor der Sonne. Nach der Verlegung der Gebetsrichtung nach Mekka (siehe unten) nutzten mittellose Muhādschirūn und solche, die in Yathrib keine Unterkunft hatten, den Platz als Zufluchtsort und übernachteten hier. Aufgrund ihrer Armut und besonderen Nähe zum Propheten gelten diese „Leute des Schattendachs“ (Ahl as-Suffa) bis heute vielen Muslimen als religiöses Vorbild.

Die Moschee Muhammads entwickelte sich im Laufe der Zeit zum Zentrum des Gemeindelebens seiner Anhänger. Die Gebete wurden durch einen öffentlichen Ruf, Adhān genannt, angekündigt. Als ersten Gebetsrufer (muʾaḏḏin, davon abgeleitet das deutsche Wort Muezzin) soll Muhammad den Äthiopier Bilāl ibn Rabāh eingesetzt haben, der deswegen gewissermaßen als Vorbild aller späteren Muezzine gilt. Man versammelte sich in Muhammads Moschee allerdings nicht nur zum Gebet, sondern hielt auch Beratungen ab, empfing Gesandtschaften und pflegte Verwundete. In den angrenzenden Räumlichkeiten wurden die Ehefrauen Muhammads untergebracht. Auf Grundlage des enormen ökonomischen Zugewinns, den die Gemeinschaft der Muslime nach der Schlacht von Chaibar erlebte, konnte der Bau 628 auf etwa 50 x 50 m erweitert werden.

Auch im Gebetsritus erfolgten in den Jahren nach der Hidschra einige Änderungen. Parallel zur Einführung eines dritten Tagesgebets (vgl. oben 3.2.2.) wurde die Pflicht zur Abhaltung der Vigilien gelockert (Q 73:20). Nach dem Zerwürfnis mit den Juden löste sich Muhammad von der Gebetsrichtung (Qibla) nach Jerusalem, und es begann ein Prozess der schrittweisen Umorientierung. Zunächst wurde betont, wie gleichgültig es ist, nach welcher Richtung man betet, weil Gott überall ist (Q 2:115). Schließlich wurde als neue Qibla die „Heilige Kultstätte“ (al-Masdschid al-Harām) in Mekka festgelegt (vgl. Q 2:144), wobei offensichtlich die frühere Gebetsrichtung noch als gleichberechtigt anerkannt wurde (vgl. Q 2:148). In der Mitte von Muhammads medinischer Periode wurden außerdem einige Bestimmungen für den Zustand erlassen, in dem sich die Gläubigen befinden mussten, wenn sie sich dem Gebet näherten: Wenn sie unrein (ǧunub) waren, sollten sie vorher eine Waschung vornehmen, und wenn sie vom Abort kamen oder eine Frau berührt hatten, sich vorher mit Sand über Gesicht und Hände streichen (Q 4:43; 5:6). Die Tatsache, dass die Waschung auch mit Sand vollzogen werden kann, zeigt, dass es sich dabei weniger um eine hygienische Maßnahme handelt, als vielmehr um einen symbolischen Akt der Reinigung des Menschen, der vor Gott tritt. Etwa um die gleiche Zeit wurde die Salāt für alle Muslime zu einer obligatorischen Pflicht. Das geht aus koranischen Passagen dieser Periode hervor, die beschreiben, dass die Munāfiqūn nur widerwillig an diesem Ritual teilnahmen (vgl. z.B. Q 4:142).

3.3.2. Ramadān-Fasten und Festgebet

Eines der größten Feste im Judentum ist das Fasten am Jom Kippur, dem zehnten Tag des Monats Tischri. Die Juden in Yathrib nannten diesen Tag wegen seiner Stellung im Monat einfach den Zehnten (ʿĀschūrā'), so wie er auch im Alten Testament (Lev 16:29) genannt wird. Als sich nach Muhammads Ankunft in Yathrib zum ersten Mal der zehnte Tag des Tischri näherte, befahl er seinen Anhängern, zusammen mit den Juden an diesem Tag zu fasten. Der Koran legt davon noch Zeugnis ab: „Ihr Gläubigen! Euch ist vorgeschrieben worden zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor euch lebten, vorgeschrieben worden ist“ (Q 2:183). Die Juden fasteten an diesem Tag von einem Abend zum nächsten, und auch die Muslime übernahmen diese Gewohnheit.

Im Zuge seiner Abwendung von den Juden im Jahre 624 löste sich Muhammad aber auch von den jüdischen Fastenvorschriften und führte das dreißigtägige Tagesfasten im Monat Ramadān ein. Der Ramadān hatte spätestens seit der Schlacht von Badr, die in diesem Monat stattgefunden hatte, eine besondere Bedeutung bei den Muslimen. Er galt nun auch als Monat der Herabsendung des Korans (vgl. Q 2:185) und wurde mit einem speziellen Fastenritus geehrt, der das frühere ʿĀschūrā'-Fasten ablöste. Die ersten Regelungen für das Ramadānfasten finden sich in den beiden Koranversen 2:185 und 2:187. Diese beiden Verse liefern die Grundlage für die ausführlichen Fastenvorschriften, die die muslimischen Rechtsgelehrten in späterer Zeit ausarbeiteten. Zum Fasten gehörte neben dem Verzicht auf Speisen und Getränke auch die Enthaltung vom Geschlechtsverkehr. Geschlechtsverkehr in den Nächten des Ramadān wurde dagegen ausdrücklich erlaubt, mit der Begründung, dass Mann und Frau einander wie Kleider seien. Nur für die Zeit des Iʿtikāf, eine besondere Andachtszeit am Ende des Ramadāns, wurde das nächtliche Sexualverbot aufrechterhalten (Q 2:187). Die letzten Ramadān-Nächte hatten schon früh eine Sonderstellung im religiösen Leben der Muslime, weil die Auffassung bestand, dass der Koran in einer dieser Nächte herabgesandt worden war. Diese Nacht der Herabsendung des Korans wird entsprechend Sure 97 als Lailat al-Qadr („Nacht der Vorsehung“) bezeichnet und gilt als besonders heilige Zeit.

ʿĪdgāh in Mahoba, Indien

Eingeführt wurde in dieser Zeit auch ein Fest des Fastenbrechens (ʿīd al-fiṭr) am Anfang des nachfolgenden Monats Schauwāl. Bei dieser Gelegenheit, so wird überliefert, begab sich Muhammad mit den Gläubigen in einem prozessionsartigen Zug zu einem Platz außerhalb der Stadt, wobei ihnen Bilāl mit einer Lanze (ʿanaza) – ursprünglich ein Geschenk des äthiopischen Negus – vorauslief. Während des Gebetes wurde dann die Lanze als Markierung für die Qibla an einer Stelle in den Boden gesteckt. An diesem Gebetsplatz (Musallā) fanden jetzt auch die Regengebete und das Gebet zum Opferfest (ʿīd al-aḍḥā) am 10. Dhū l-Hiddscha statt. Das Opferfest wurde zu dieser Zeit wahrscheinlich neu eingeführt und knüpfte an die Opferzeremonien an, die beim Haddsch an diesem Tag in Minā vollzogen wurden (siehe oben 1.3.3.). Üblicherweise hielt der Prophet nach Abschluss dieser Gebete eine Ansprache (Chutba), in der er die Gläubigen dazu aufforderte, sich an gemeinsamen (kriegerischen) Unternehmungen zu beteiligen. Bis heute hat sich das vormittägliche Festgebet als Sonderritus erhalten. Auch ist es in vielen islamischen Ländern bis heute üblich, Festgebete und Regengebete an einem speziellen Festsplatz (ʿĪdgāh) außerhalb der Stadt zu vollziehen.

3.4. Weiterführende Literatur

  • Michael Lecker: The 'Constitution of Medina'. Muḥammad’s First Legal Document. Darwin Press, Princeton NJ 2004.
  • Michael Lecker: Muslims, Jews and Pagans. Studies on early Islamic Medina. Leiden: Brill 1995.
  • David S. Powers: Muḥammad is not the father of any of your men. The making of the last prophet. Philadelphia 2009.
  • Richard B. Serjeant: The Sunna Jāmiʿah, „Pacts with the Yathrib Jews, and the Taḥrīm of Yathrib. Analysis and Translation of the Documents Comprised in the So-Called ‘Constitution of Medina’“ in Bulletin of the School of Oriental and African Studies 41 (1978) 1–42.
  • W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Oxford: Oxford University Press 1956.

3.5. Aufgaben/Fragen

1. Wie spiegelt sich der Übergang Muhammads und seiner Anhänger zu militärischen Aktivitäten zu Beginn der medinischen Zeit im Koran?

2. Fassen Sie die wichtigsten Ereignisse der militärischen Auseinandersetzung mit Mekka zusammen.

3. Beschreiben Sie, wie sich Muhammads Verhältnis zu den Juden in Medina entwickelt hat.

4. In welcher Weise hat Muhammad in der von ihm begründeten Gemeinschaft die Stellung der Frau verändert? Erläutern Sie dies anhand von Beispielen.

5. Nennen Sie rechtliche und soziale Reformen, die Muhammad während der Zeit in Medina durchgeführt hat.

6. Wie hat sich die Struktur der Anhängerschaft Muhammads im Laufe der medinischen Zeit verändert?

7. In welcher Weise hat sich die Position Muhammads in seiner Gemeinschaft im Laufe der medinischen Zeit verändert?

8. Erklären Sie, wie der Ramadān zum heiligen Monat der Muslime geworden ist und welche Vorstellungen und Praktiken mit ihm verbunden sind.