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Kurs Diskussion:Orthodoxe Kirchen in Dresden/Russisch-orthodox

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Die russisch-orthodoxe Kirche in Sachsen bis zum Ersten Weltkrieg

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Die russisch-orthodoxe Kirche in Sachsen bis zum Ersten Weltkrieg Prof. Erhard Hexelschneider

Aktuelles

17. Februar 2013 Dieser Artikel erschien in den "Sächsischen Heimatblättern", Jahrgang 49 (2003), Heft 4, S. 304-319. Auf der Webseite der Kirchgemeinde der russisch-orthodoxen Kirche Dresden wird er mit freundlicher Genehmigung des Autors, Prof. Dr. Erhard Hexelschneider, und des Verlags Klaus Gumnior veröffentlicht.

Inhalt Anfänge: Von Peter dem Großen bis Alexander I. Das Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden Die St. Alexej-Gedächtniskirche zur russischen Ehre in Leipzig Fußnoten Anmerkungen Als es um das Ablegen des alten heidnischen Glaubens in der Kiewer Rus ging, sandte Großfürst Wladimir I. Swjatoslawitsch, später der Heilige genannt, der »Nestorchronik« zufolge Emissäre aus, die den für sein Volk passenden Glauben suchen sollten. Im »griechischen« Byzanz endlich fanden sie 988 eine Religion, die sie wie folgt beschrieben haben: »Sie (die Griechen, E. H.) führten uns an die Stätte, wo sie ihrem Gott dienen, und wir wußten nicht, ob wir uns im Himmel oder auf Erden befanden: denn auf Erden haben wir so etwas noch nicht erlebt und so wunderbares Geschehen niemals geschaut; es ist unmöglich, das alles zu beschreiben. Eines aber wissen wir: mit jenen Menschen dort ist Gott; ihr Gottesdienst dem aller anderen Völker. So etwas können wir nicht vergessen; denn keiner, der einmal Süßes gekostet hat, will danach noch Bitteres schmecken. So wollen auch wir in Rußland nicht länger mehr anders leben.«[1] In der Folge breitete sich diese Religion mehr aus und wurde bald zur Staatsreligion des Russischen Reiches. Nicht nur den Russen, sondern auch den Westeuropäern imponiert diese Kirche vor allem durch die Prächtigkeit der Rituale, die wunderbare Liturgie, die herrliche Kirchenmusik und die fromme Inbrunst der Gläubigen, aber natürlich auch durch die architektonische Gestaltung der Kirchen selbst und ihre prachtvolle Innenausstattung, besonders die Ikonostase. Goethe beispielsweise war von den Ikonen fasziniert und bemühte sich (wenn auch vergeblich), einige Exemplare in seinen Besitz zu bringen. Heute zieht die orthodoxe Religion in ihren verschiedenen Ausprägungen immer wieder die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass mit den wachsenden Zahlen von Einwanderern und Spätaussiedlern aus dem Osten und Südosten Europas ein nicht unerheblicher Zustrom an Gläubigen des orthodoxen Bekenntnisses erfolgt ist. Breitere Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren auch die prozessuale Auseinandersetzung um die Besitzverhältnisse der Russisch-orthodoxen Kirche in Dresden gefunden. Im folgenden werden einige Materialien vorgestellt, die die Bemühungen um die Schaffung einer russisch-orthodoxen Kirche in Sachsen (vornehmlich in Dresden) zeigen und gleichzeitig das Spannungsverhältnis zwischen russisch-orthodoxem Gemeindeleben und sächsischer Öffentlichkeit bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs verdeutlichen sollen. Für gewöhnlich nahmen die gläubigen Russen ihre religiösen Rituale ins Ausland mit. Zwischen 1806 und 1913 wurden 20 russische Kirchen in Deutschland geweiht. Die nach Mitteleuropa verheirateten russischen Prinzessinnen reisten mit eigenen Priestern und ließen sich ihre orthodoxe Kapellen bauen, z.B. in Ludwigslust, Rotenberg bei Stuttgart, Potsdam oder Weimar.[2] Die zu den Messen in Leipzig weilenden Kaufleute aus dem europäischen Osten und Südosten besuchten die dort durchgeführten Gottesdienste der ebenfalls orthodoxen Griechen. Ähnlich war es bei den im Ausland studierenden russischen Studenten, sofern sie nicht einen eigenen Priester zur Betreuung dabei hatten. Und die großen Potentaten hatten natürlich auf Reisen ihre Geistlichen im Gefolge.

Die Anfänge: Von Peter dem Großen bis zu Alexander I.

Anfänge: Von Peter dem Großen bis Alexander I. Das Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden Die St. Alexej-Gedächtniskirche zur russischen Ehre in Leipzig Fußnoten Anmerkungen Einige frühe Beispiele aus Sachsen mögen das belegen. Als Peter der Große 1698 durch Westeuropa reiste und am 6. Juni auch Leipzig berührte, befand sich ganz selbstverständlich ein Priester bei ihm. Von David Fassmann, einem Biographen Friedrich Augusts von Sachsen, erfahren wir: In der Suite des Zaren befand sich ein vornehmer Geistlicher, so als Priester von der Czaarischen Hofstadt mitreisete. Er hatte in der Lateinischen Sprache, und in der Griechischen Kirchen=Historie, gute Wissenschafft, war auch über alle massen leutselig.[3] Sein Name ist bisher ebenso unbekannt geblieben, wie der jenes »bärtigen« Priesters (ein Rußischer Praelat[4]), der am 25. Oktober 1711 in Anwesenheit von Zar Peter die Trauung zwischen dessen Sohn, dem Zarewitsch Alexej Petrowitsch, und der Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel zu Blankenburg in der Schlosskirche zu Torgau vornahm, übrigens auf Kosten des sächsischen Kurfürsten. In dieser Stadt war die Braut 1707 konfirmiert worden; ihre Patin war die Gemahlin des sächsischen Kurfürsten August II., Christine Eberhardine von Sachsen. Die Trauung fand nach russisch-orthodoxem Ritus statt, obwohl der Prinzessin im Ehevertrag ausdrücklich die Bewahrung ihres protestantischen Glaubens für sich und ihren Hofstaat zugesichert worden war. Ihr Sohn, der spätere, nur kurze Zeit regierende Zar Peter II., wurde allerdings orthodox getauft. Nach einem zeitgenössischen Augenzeugenbericht des Braunschweiger Rates B. Toepffinger fand der Frühgottesdienst noch getrennt statt. Während die protestantischen Braunschweiger Herzöge die Schloßkirche nutzten, verrichteten die anwesenden Moscowiter [...] denselben vor sich nach Ihrer Arth in ihren Cammern. Die Trauungszeremonie fand dann in Moscowitischer Sprache (= Kirchenslawisch) statt und währete eine halbe Stunde; der Altarraum war zu diesem Zweck umgestaltet worden; Zar Peter selbst hielt seinem Sohn nach orthodoxem Ritus die Krone über das Haupt.[5] In Leipzig fanden orthodoxe Gottesdienste mindestens seit 1700 statt; man traf sich in dem später so genannten Griechenhaus oder Griechischen Bethaus, dem ehemaligen »Freundschen Hof«, in der Katharinenstraße 4. Dokumentarisch bezeugt ist der erste Gottesdienst für den 29. September 1743; den Tag des Heiligen Michael, in der Reichsstraße in der griechischen Kapelle der Heiligen Dreifaltigkeit im Haus eines gewissen D. Zipfel.[6] Sicher nahmen daran auch russische Kaufleute teil. Nach einer anderen (griechischen) Quelle sollen Mitte des 18. Jahrhunderts zwei russische, namentlich unbekannt gebliebene Fürsten, die an der Universität studiert haben, mit einem eigenen russisch-orthodoxen Priester in einer auf ihre Kosten ausgestatteten Kapelle den Gottesdienst verrichtet haben. Nach ihrem Weggang wurde das gesamte Inventar den griechischen Glaubensgenossen übereignet.[7] Im Februar 1744 stellte der in Dresden ansässige Archimandrit »griechischen Glaubens« Theoklites (russ. Feoklit) Polyeides aus Mazedonien an den Heiligen Synod in St. Petersburg den Antrag, in Leipzig mit russischen Geldmitteln (er bat um 10.000 Rubel) eine Kirche zu errichten. Er bat auch um die Entsendung junger russischer Priester und Küster, die er ausbilden wollte. Das zeigt nur, dass er entsprechenden Bedarf vorzufinden glaubte. Aber der Synod gab den Antrag (der 1746 wiederholt worden war) an das russische Außenministerium weiter, ohne dass es zu einem positiven Ergebnis kam. Die Zahl der in Leipzig lebenden Russen war offenbar doch zu gering.[8] Die griechisch-orthodoxen Gottesdienste fanden dann (auch für Russen) von 1751 bis 1909 regelmäßig im erwähnten Griechenhaus, danach in der Querstraße statt. Die erste größere russische Studentengruppe um Alexander Radischtschew und Fjodor Uschakow, die auf Geheiß von Katharina II. ab 1767 an der Universität Leipzig Rechtswissenschaften studieren sollte, hatte als geistlichen Beistand und Beichtvater den aus Nowgorod stammenden Priester Pawel bei sich. Die Zarin wusste von der Existenz einer »dortigen orientalischen«, also griechisch-orthodoxen Kirche in der Messestadt, die 1769 umgebaut, mit einem neuen russischen (!) Ikonostas versehen und dem heiligen Georg geweiht wurde [9] und wo auch die russischen Studenten ihre geistlichen Exerzitien abhalten mussten. Pawel, der bis 1775 in Leipzig weilte, war ein gebildeter und in der Leipziger Bürgerwelt wohl gelittener Mann, der intensive Kontakte zu dem Verleger und Drucker Immanuel Breitkopf hatte und dessen Söhnen Bernhard Theodor und Christoph Gottlob (wie wohl auch andere Leipziger) in Russisch unterrichtete.[10] Gerade die Universitäts- und Messestadt Leipzig war ja in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein wesentlicher Anziehungspunkt für russische Studenten und Kaufleute, aber auch für auf der Durchreise befindliche Adlige, die in vielen Fällen ganz selbstverständlich auch Geistliche in ihrer Begleitung hatten. So wird 1766 von einem russischen Geistlichen berichtet, der den russischen Offizierssohn A. K. Krishanowski begleitete und zugleich als Deutschlehrer für Russen auftrat. All das waren Möglichkeiten, den russisch-orthodoxen Glauben zu praktizieren. Es gab zwar ausgangs des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur wenige ständig in Sachsen lebende Russen und deshalb noch keinen Bedarf an eigenen Gemeinden. Nur in der russischen Gesandtschaft am sächsischen Hof in Dresden darf man eine eigene Kirche (einen geweihten Kirchenraum) vermuten. Das Prinzip der Botschaftskirche war für Rußland üblich, so dass beizeiten in den diplomatischen Vertretung des Auslandes orthodoxe Priester auf Staatskosten etabliert wurden. Die Berufung erfolgte durch den Heiligen Synod, der den Metropoliten von St. Petersburg mit der Aufsicht über die Auslandskirchen beauftragt hatte; die finanzielle Ausstattung lief über das Außenministerium. Bezeugt ist, dass der russische Schriftsteller Nikolai Karamsin im Juli 1789 in Dresden mit dem dort tätigen Geistlichen Tschudowski zusammengetroffen ist.[11] Nach den Befreiungskriegen und dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft wurde Sachsen für 12 Monate (vom 17. November 1813 bis zum 8. November 1814) zum russischen Generalgouvernement erklärt und unter die Leitung des Generals Nikolai Repnin-Wolkonski gestellt. Die russische Besatzung brachte nicht nur ihre Sitten und Gebräuche mit, ihren Hunger und ihren Durst, sondern auch ihre Festtage und die so fremdartige Religion. Und so sollte ein sächsisches Massenpublikum (vornehmlich in Dresden und Leipzig) das russische Weihnachtsfest ebenso erleben wie das russische Ostern und auch andere kirchliche Festtage. In den Geschäften konnte man im Frühjahr 1813 beim ersten Einmarsch der Alliierten russische Heiligenbilder kaufen, die nach den Ikonen des Leipziger Griechenhauses gestaltet waren. Der Altertumswissenschaftler Carl August Böttiger beschrieb die eigenartige russische Jordansweihe, eine orthodoxe Variante des Epiphanienfestes, am 18. Januar 1814 den Ufern der Elbe am Wiesentor in Dresden-Neustadt, die Parade, Auszeichnungsveranstaltung und Fahnenweihe in einem war, nur fehlte die Taufe der neugeborenen Kinder. Aber Böttiger meinte etwas spöttisch: »Käme es übers Jahr noch einmal zur Jordansweihe an unser Elbe, so könnte da wohl mancher kleine Moscowiter von einer Dresdner Mutter gleich neu getauft werden; denn das Gebot: seid fruchtbar und mehret euch! treibt die russische Garnison jetzt hier auf allerlei Wegen.«[12] In Dresden wurden — neben den uns unbekannten, durchaus üblichen Feldkirchen des Heeres — zwei russisch-orthodoxe Kultstätten eingerichtet: die erste in einem prachtvoll mit Teppichen von Raffael und Gemälden des Bellini-Schülers Giovanni Batista Cima da Conegliano ausgestatteten, ziemlich geräumigen Saal des Brühlschen Palais, dem Sitz des russischen Generalgouverneurs, in dem Zar Alexander I. dem Ostergottesdienst 1814 beiwohnte, und eine weitere Kapelle im Gartenpalais des Prinzen Maximilian in der Ostraallee für die Truppen;[13] in Leipzig blieb es bei der griechischen Kapelle in der Katharinenstraße, wo die russische Kaiserin Jelisaweta Alexejewna im Juni 1814 an einem Gottesdienst teilnahm. Übrigens sangen sächsische Chöre, darunter die Schüler der Dresdner Kreuzkirche, am 9. April im Anschluß an den russischen Ostergottesdienst eine Hymne.[14] Zum ersten Mal gab es nun ständige Kultstätten für die russischen Gläubigen, die natürlich in Dresden mit der Übergabe an die preußische Verwaltung und dann mit der Rückkehr des sächsischen Königs wieder zu bestehen aufhörten. Aber die russisch-sächsische Gouvernementsverwaltung erließ noch am 22. April 1814 ein Patent, das den Bekennern der griechischen Kirche (so nannte man alle Anhänger der Orthodoxie fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch) die bisher verweigerten gleichen bürgerlichen Rechte wie den Katholiken und Reformierten zugestand. Diese Toleranz wurde so begründet: »Die Völker griechischen Glaubens haben Anspruch auf die Gunst ihrer Mitchristen der abendländischen Kirche, denn sie haben für die geistigen und bürgerlichen Rechte des Abendlandes gekämpft und gesiegt, und die liberale Denkungsart des Sächsischen Volkes bürgt dafür, daß ihm eine Verfügung willkommen seyn werde, die auf Menschenliebe gegründet, Glaubensfreyheit entspricht.«[15] Durch das königlich-sächsische Reskript vom 7. August 1815 wurde diese Regelung »in Ansehung der bürgerlichen Gerechtsame« aufrechterhalten und sanktioniert, dennoch wurden den orthodoxen Gläubigen die Rechte auf juristische Eigenständigkeit einer Gemeinde lange nicht zugestanden. Diese Position wurde dann im sächsischen Verfassungsedikt von 1831 bestätigt, was in den sechziger und siebziger Jahren zu Auseinandersetzungen zwischen den Behörden und den russischen Initiativgruppen für einen Kirchenbau führen sollte. Danach gibt es in unseren Erkenntnissen eine große Lücke. Nur wenige Russen weilten auf Dauer in Sachsen, die meisten in Dresden, aber genauere Zahlen fehlen. Ob es bei der russischen Gesandtschaft am sächsischen Hof ständig einen Priester gab, konnte bisher nicht festgestellt werden, ist aber anzunehmen. Allerdings versuchte kein geringerer als der Revolutionär Michail Bakunin über seinen in Berlin wohnenden Bruder Pawel am 8. November 1842 wegen einer Beerdigung den dortigen russischen Priester zu erreichen, da der griechische Priester aus Leipzig wegen Krankheit verhindert war.[16] Folglich war zu diesem Zeitpunkt in Dresden ein eigener orthodoxer Priester nicht präsent. Erst seit Mitte der fünfziger Jahre kam es in ganz Deutschland zu Veränderungen. Die Zeit erleichterter Reisebedingungen unter Zar Alexander II. führte zu einem Strom vermögender Russen nach Mittel-, West- und Südeuropa. In Bädern und Kurorten, in Residenzen und Handelszentren bildeten sich »russische Kolonien« von Dauergästen und Durchreisenden, die auch um die Pflege ihres Glaubens bemüht waren. Die Zahl der russischen Kirchen nahm sprunghaft zu. Sachsen blieb davon zunächst weitgehend unberührt. Die Verfassungsurkunde des Königreichs vom 7. September 1831 gewährte zwar jedem Landeseinwohner »völlige Gewissensfreiheit« sowie »Schutz in der Gottesverehrung seines Glaubens« und war in § 33 um den Gleichheitsgrundsatz bemüht: Die Mitglieder der im Königreiche aufgenommenen christlichen Kirchengesellschaften genießen gleiche bürgerliche und politische Rechte. Sofort anschließend hieß es aber einschränkend: Alle anderen Glaubensgenossen haben an den staatsbürgerlichen Rechten nur in dem Maße Antheil, wie ihnen derselbe vermöge besonderer Gesetze zukomme. Und in § 56 wurde dann eine Bestimmung formuliert, die die sächsischen Behörden in einen über zehn Jahre dauernden Streit um eine eigenständige russisch-orthodoxe Kirche in Dresden verwickeln sollte: Nur den im Königreiche aufgenommenen oder künftig, mittelst besonderen Gesetzes, aufzunehmenden christlichen Confessionen steht die freie, öffentliche Religionsausübung zu.[17] Eben das sollte der Streitpunkt werden, denn es ging im Kern nicht schlechthin um den Bau einer russisch-orthodoxen Kirche (das natürlich auch), sondern um eine in Sachsen eigenständig agierende russisch-orthodoxe Religionsgemeinschaft, die als Anstalt des öffentlichen Rechts fungieren wollte. Nach den geltenden Bestimmungen hätte das aber eine Verfassungsänderung oder zumindest die Verabschiedung eines diesem Anliegen gerecht werdenden Sondergesetzes bedeutet, wozu man in Sachsen ganz und gar nicht bereit war.

Das Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden

Anfänge: Von Peter dem Großen bis Alexander I. Das Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden Die St. Alexej-Gedächtniskirche zur russischen Ehre in Leipzig Fußnoten Anmerkungen Verfolgen wir dieses Ringen in den Jahren 1862-1874 nach Archivakten etwas genauer. Am 8. Februar 1862 wandten sich ein Fürst Eugen Lwoff (wir verwenden die zeitgenössischen Namensschreibungen) mit anderen an den Dresdner Oberbürgermeister Friedrich Wilhelm Pfotenhauer mit der Bitte, in der Stadt eine griechisch-russische Hauskapelle errichten zu dürfen, wozu man bei einem gewissen Friedrich Albert Jüngst in der Ostraallee bereits entsprechende Räumlichkeiten gemietet habe.[18] Dazu sollte auch ein ständiger Priester bestellt werden. Der Rat hielt eine solche Einrichtung für völlig unbedenklich »bei der nicht geringen Anzahl hier lebender russischer Familien«, zumal man für die Anhänger der Anglikanischen Kirche (durch Verordnung vom 13. April 1858) bereits eine ähnliche Lösung gefunden hatte. Immerhin hatte die Polizeidirektion in diesem Jahre (1862) 466 russische Staatsbürger in Dresden registriert, die aber natürlich nicht alle russisch-orthodoxen Glaubens waren. Das für Religionsangelegenheiten zuständige Ministerium für Kultus und öffentlichen Unterricht stimmte am 8. April 1862 grundsätzlich der Errichtung einer Hauskapelle und der Einstellung eines Priesters zu, begrenzte aber dessen Funktion auf Taufen und Trauungen in den Fällen, wenn beide Eltern bzw. beide Partner gleichen russisch-orthodoxen Glaubens seien, sowie Beerdigungen mit der Informationspflicht an die zuständigen sächsischen Behörden. Die Gemeinde wählte am 24. April 1862 einen Kirchenrat, bestehend aus dem Priester Nikolai Petrowitsch Juchnowski (der aus Warschau berufen wurde), dem Kirchenältesten und weiteren 15 Gemeindegliedern; unter der Leitung von J. Saizew wurde ein Kirchenchor aus vier Sängern der Dresdner Oper gebildet. Aber schon im Juni 1862 gab es Ärger (inzwischen war die Hauskapelle aus bislang ungeklärten Gründen in der Brückenstraße 7, dem Wohnsitz des Priesters Juchnowski, angesiedelt), weil in mehreren Fällen Leichen im offenen Sarg vom Wohnsitz in die Kapelle überführt wurden, wogegen hygienische Einwände geltend gemacht wurden. Der russische Geistliche wurde entsprechend verwarnt, zumal er in anderen Fällen auch die übliche Meldepflicht bei Todesfällen vergessen hatte. Er redete sich, wohl eher aus taktischen Gründen, mit mangelnden Deutschkenntnissen heraus. Am 13. Mai 1863 hielt der Stadtrat zwar eine besondere, eigenständige kirchliche Gemeinde nicht für notwendig, sprach sich dann aber endgültig für eine »griechisch-katholische Kapelle« in Dresden aus, wenig später, am 9. Juli 1863, auch offiziell das Kultusministerium. Aber trotz der erteilten Genehmigung, eine eigene Kapelle bauen zu können, dazu entsprechenden Bauplatz zu erwerben und Gottesdienste abzuhalten, setzte das Ministerium weiterhin Widerstand unter Verweis auf § 56 der Verfassungsurkunde von 1831 entgegen, weil ja die meisten Gläubigen, die zudem nicht sächsisches Bürgerrecht genössen, nur vorübergehend in der Stadt weilen würden und zudem Gemeinderechte nicht in Frage kämen. Die russische Seite legte gegen diese Haltung umgehend Protest ein und formulierte als ihr Ziel die »Errichtung und Bildung einer besonderen kirchlichen Gemeinde mit dem Recht der Persönlichkeit«, also eine juristisch selbständige Kirchengemeinde. Die Situation war auf Jahre festgefahren, obwohl bereits Anfang August 1863 angesichts der Finanzkraft der Russen, die für die Stadt bedeutungsvoll war, seitens des Ministeriums ein Kompromiss vorgeschlagen wurde: man könne doch die »Erwerbung der Rechtsfähigkeit zum Behuf der Aquisition des Areals« für den Bau auch erreichen, indem man eine Stiftung errichte. Durch die staatliche Anerkennung könnte man dann die »Besitz- und Eigentumsfähigkeit« erlangen. Aber den damaligen russischen Antragstellern erschien das zu wenig, weil die Grundfragen dadurch keine Lösung finden würden. Ihre Forderung lautete: Erst Bewilligung des Gemeinderechts, dann Prüfung des vorgeschlagenen Kompromissvorschlags einer Stiftung. In den zeitgenössischen »Dresdner Nachrichten« fand die Position des Kultusministeriums kein Verständnis. Sie machten (allerdings wesentlich später, am 13. Oktober 1864) darauf aufmerksam, dass die hier weilenden Fremden aus den Reiche des russischen Czaaren meist sehr begüterte Leute sind, die jährlich der Residenz ganz außerordentliche Summen zuwenden. Die Zeitung brachte also deutlich wirtschaftliche Erwägungen ins Spiel. Trotz der vergeblichen Versuche, mit der sächsischen Regierung eine Grundsatzlösung in Sachen öffentlicher Anerkennung der russisch-orthodoxen Kirche als juristische Person zu erreichen, nutzte die Gemeinde schließlich doch die Chance, wenigstens Baugrund zu erwerben, um eine Kirche errichten zu können. Schon 1861 soll eine Geldsammlung für einen Kirchenbau unter den im Dresdner Raum weilenden 300 russischen Familien veranstaltet worden sein. Im Oktober 1863 wurde zu diesem Zweck eine Wirtschaftskommission gebildet.[19] Zugleich ließen die russischen Initiatoren den Architekten Ernst F. Giese den Bauplan für eine Kapelle entwerfen, der aber infolge der Einschränkungen seitens des Kultusministeriums sowie auch des Stadtrates als eigenständiges Gebäude nicht zur Ausführung kam. Für das erworbene Grundstück (unklar ist, welches hier in Rede steht) war nach Mitteilung des Rechtsanwalts Ferdinand Gottschalk vom 14. November 1863 erst ein (nicht genauer bestimmter) Teil abgezahlt, eine Hypothek aufgenommen und der Rest noch offen geblieben. Da aber generell die Finanzsituation günstig war, hielt man sich die Option einer Stiftung durchaus offen, ohne aber genau zu wissen, wie man konkret weiter arbeiten sollte. In dieser verfahrenen Situation erwarb der nach 35 Jahren aus St. Petersburg zurückgekehrte, nun in Dresden ansässige Hausbesitzer und Landschaftsmaler C. F. Ferdinand Thieme ein Grundstück am Ende der Sidonienstraße, in der späteren Beuststraße 6, auf dem er ein Privathaus baute. Der Gemeinderat wurde in eine Wirtschaftskommission umgestaltet, die schließlich dem Architekten das Grundstück zum Kaufpreis überließ; die Gemeinde wurde zum Pächter. Am 12. Oktober 1864 wurde hier in den unteren Räumen ein russisch-orthodoxer Betsaal geweiht; die Kapelle selbst wurde dem Einzug des Herrn in Jerusalem geweiht; der Pachtvertrag lief über sechs Jahre.[21] Über das Gemeindeleben gibt es verhältnismäßig wenige (zumindest mir bekannte) Zeugnisse. Dabei sind die sechziger Jahre jene Zeit, als sich in Dresden eine russische Kolonie zu etablieren begann, die im öffentlichen Leben neben den Österreichern, Amerikanern und Engländern sehr groß war. Mitte der sechziger Jahre weilten nach ungefähren Schätzungen schon 500-600 Russen in der Stadt; 1871 waren es (statistisch genau erfasst) 1.134 russische Staatsbürger. Lebendige Mitteilungen aus dem Gemeindeleben verdanken wir Anna Grigorjewna Dostojewskaja, der Gattin des russischen Romanciers. Beide wohnten von Mai bis Anfang Juli 1867 in Dresden. A. G. Dostojewskaja nahm an einigen Messen in der Beuststraße teil, die sonn- und feiertags um 11 Uhr stattfanden und beschrieb das Innere des Gottesraumes in ihrem Tagebuch so: »Für eine Hauskapelle ist die Kirche groß. Die Ikone der Gottesmutter rechts auf dem Ikonostas ist eine Kopie der Madonna von Raffael (was Fedja [F. M. Dostojewski] gar nicht gefällt). Sie sangen eine sehr seltsame Melodie, wie ich sie noch nie gehört habe, so ähnlich wie die einer Romanze.«[22] A. G. Dostojewskaja bemerkte, dass der Kirchgang eine Stätte der Begegnung für viele stark herausgeputzte russische Damen war, dass deren übliche Verkehrssprache (außer der russischen Begrüßung) französisch war und dass viele ordengeschmückte Militärs an jenem Dankgottesdienst teilnahmen, der der Errettung des Zaren Alexander II. nach einem Mordanschlag in Paris gewidmet war. Fjodor Michailowitsch Dostojewski nahm wohl erst während des zweiten Dresden-Aufenthaltes von August 1869 bis Juli 1871 sporadisch an Gottesdiensten teil. Durch die ungeklärte Situation der Kirchgemeinde, deren Sphäre auf private Hausgottesdienste (also auf einen relativ geschlossenen Kreis) reduziert blieb, konnten auch keine regelmäßigen Ankündigungen der Gottesdienste in der örtlichen Presse erscheinen; mitgeteilt wurden nur die katholischen, protestantischen und anglikanischen Veranstaltungen, die der Juden und Orthodoxen fehlten. Dennoch wurde hin und wieder öffentlich auf die russische Gemeinde aufmerksam gemacht. So erschien in den »Dresdner Nachrichten« am 5. Juni 1867 eine russischsprachige, vom Kirchenältesten Krotkoff verfasste Einladung zum Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt. Aber der Pachtvertrag mit Thieme lief 1870 aus; zudem hatte sich durch die Vergrößerung der russisch-orthodoxen Gemeinde die Situation erheblich gewandelt, so dass es eine neue Initiativgruppe innerhalb der Gemeinde für zweckmäßig hielt, erneut bei den sächsischen Behörden mit dem alten Anliegen (Kirchenbau, Religionsgemeinschaft mit den Rechten einer juristischen Person) vorstellig zu werden. Deshalb übergab eine Gruppe von 26 angesehenen russischen Bürgern unter Federführung des erwähnten »Vorstehers der Russisch-Griechischen Gemeinde« Michail Nikolajewitsch von Krotkoff (eines Militärs außer Dienst) am 4. Januar 1872 ein erneutes Gesuch,[23] in dem Folgendes festgehalten wurde: Leider sei man 1863 den vom Kultusministerium gewiesenen Weg einer Stiftung nicht gegangen, sei es aus verletztem kirchlichen oder aus Nationalgefühl, aus Unkenntnis der sächsischen Verfassungslage oder aus anderen Gründen. Im Kern wäre es natürlich immer um das Recht auf freie Religionsausübung und um staatliche Anerkennung dieser Diasporagemeinde gegangen. Auf Dauer aber, so die Antragsteller, könne man sich nicht mit einem Zustand begnügen, wonach aufgrund von § 56 der sächsischen Verfassungsurkunde von 1831 die russisch-orthodoxe Kirche als Privatgottesdienst nur geduldet würde, wodurch das Entstehen eines eigentlichen kirchlichen Gemeindegefühls behindert werde. Die russischen Gemeindeglieder hätten den seit 1862 bestehenden Zustand eines »Privatgottesdienstes« nur als Übergangsphase angesehen, um ihr Ziel zu erreichen, zu einer »ordentlichen Religionsgemeinde mit korporativen Rechten und zu einer festen geregelten Gemeindeverfassung« zu werden. Immerhin zählte die Gemeinde Ende 1871 schon 358 Glieder (bei, wie gesagt, mehr als 1.000 russischen Bürgern in Dresden) und verfügte über ein Vermögen von 37.370 Reichstalern. Daraus schlussfolgerten die Unterzeichner des Antrags, es gehe darum, die Gemeinde aus dem Status einer Sekte herauszulösen und (mit Verweis auf die mächtige russische Mutterkirche) einen anderen kirchenrechtlichen Zustand herzustellen. Denn, so die Autoren, man hätte eigentlich alles, was kirchenrechtlich als übliche Zeichen der exercitii religionis publici (der öffentlichen Religionsausübung, E. H.) gewertet würden wie ein eigenes Gotteshaus, Glocken und eigene Priester, nur dürfe man keine öffentliche Religionsgesellschaft als selbständiges Rechtssubjekt sein: Der Schein der Sache steht an der Stelle ihres Wesens, und das daraus entstandene Zwitterding heißt 'geduldete' öffentliche Religionsausübung. Es gehe aber im Wesen um die Gleichberechtigung aller Konfessionen. Die Bittsteller standen nicht an, sogar den als Rechtsgrundlage zitierten § 56 des Verfassungsedikts, noch auf Bestimmungen des Westfälischen Friedens von 1648 fußenden Paragraphen, als antiquiert und nicht mehr mit den Ansichten der Neuzeit vereinbar zu bezeichnen, als »Palladium aus der Zeit der Religionskämpfe« und als eine »alte verwitterte Mauer«. Wozu brauche Sachsen diese Intoleranz, während doch andere deutsche Staaten wie etwa Preußen längst modernere Lösungen praktizieren würden? Russischer Kirchenbau und russisch-orthodoxe Gemeinde als Rechtssubjekt wurden also zu einer grundsätzlichen Frage des Verhältnisses von Staat und Religion überhaupt erhoben. Es gehe doch darum, dass die sächsische Staatsregierung nun darauf hinzuwirken habe, »daß im Geiste der Zeit und der ganzen Kulturentwicklung die engherzige Ausschließlichkeit jener Verfassungsbestimmung wenigstens zu Gunsten aller christlichen Konfessionen geändert werde, um dadurch ihre Solidarität mit der Einen christlichen Religion anzuerkennen.« Es sind starke Argumente, die der Rechtsanwalt der russischen Gemeinde Friedrich Moritz Engel hier gegen die antiquierte Haltung des Kultusministeriums vortrug. Auch die noch 1863 seitens des Ministeriums verwendeten Argumente, man könne keine Gesetzesvorlage als Ergänzung zu § 56 einbringen, weil es sich um Ausländer handle und sich nur wenige sächsische Bürger zur russisch-orthodoxen Religion bekennen würden, werden in dem Gesuch abgelehnt unter Verweis (ohne dass der Begriff natürlich fällt und fallen kann) auf eine gewisse Ausländerfeindlichkeit dieser Grundbestimmungen. Im Ergebnis aller dieser Überlegungen ergab sich die Forderung nach einem neuen, besonderen Gesetz, das der »russisch-griechisch-orthodoxen« (sic!) Konfession das Recht auf freie öffentliche Religionsausübung mit korporativen Charakter für ganz Sachsen erteilen sollte. Hier zeigte sich ein neues Selbstbewusstsein der russischen Gemeinde, das sie aus drei Faktoren bezog: ihrer gewachsenen Gliederzahl, ihrer wirtschaftlichen Kraft in der Stadt und dem sicheren Gefühl, dass analog zu anderen deutschen Staaten auch für Sachsen die Zeit gekommen war, sich von die religiöse Toleranz einschränkenden Bestimmungen freizumachen. Interessant ist, dass dieser Vorgang von den anderen orthodoxen Gemeinden wie der griechisch-orthodoxen Gemeinde St. Georg in Leipzig sowie der wallachischen (rumänisch-orthodoxen) Gemeinde in Leipzig sehr aufmerksam verfolgt wurde, die ihrerseits für sich und ihre Kirchen die gleichen Rechte beanspruchten.[24] Dennoch lehnten Kultusministerium und sächsisches Gesamtministerium den »an sich nicht unberechtigten« Antrag (sic!) ab, weil ein solches Vorhaben zu große Schwierigkeiten parlamentarischen Charakters bereite; sie favorisierten eine Stiftung. Die Zeit für die russische Gemeinde drängte, obwohl es gelang, den mit Thieme abgeschlossenen Pachtvertrag unter einem neuen Besitzer, dem Tuchhändler Friedrich Böhme, für die Beuststraße 6 noch bis zum 1. Juni 1874 zu verlängern. Deshalb begannen intensive Verhandlungen, wie man dennoch eine Lösung finden könnte, bis endlich am 21. Februar 1874 die Genehmigung zur Begründung einer Stiftung erteilt wurde.[25] Nachdem bereits seit Sommer 1869 die Vorstellung existierte, ein Komitee zum Bau eine russischen Kirche zu schaffen, wurde am 2. Juni 1871 schließlich eine Baukommission gebildet und eine weitere Subskription für den Kirchenbau aufgelegt. Der russische Gesandte Wilhelm (russ. Wassili Jewgrafowitsch) Kotzebue, der Sohn des bekannten Schriftstellers August von Kotzebue, ein Protestant, vermittelte, so dass die russische Gemeinde am 12. Juni 1871 den Antrag an den Dresdner Stadtrat stellen konnte, ein eigenes Gotteshaus zu erbauen. Die Begründung war zunächst allgemeinstädtisch: Seit einer langen Reihe von Jahren ist Dresden der Sammelpunkt sehr zahlreicher hier domilicirender und reisender Russen; Alles vereinigt sich hier, um ihnen den Aufenthalt lieb und theuer zu machen. Nur ein Wunsch ist bis jetzt in mangelhafter Weise erfüllt, — ein eigenständiges Kirchenhaus. Es war ein vorsorglicher Antrag, denn noch hatte man nicht ausreichend Geld für den Bau beisammen. Aber — die Antragsteller — man hoffe doch analog zu Städten wie Genf, Nizza, Paris und Karlsbad auf gewaltige Unterstützungen durch den Dresdner Stadtrat. Es ging um eine nicht genauer bezifferte Summe als finanziellen Zuschuss für den Ankauf und die Bebauung des Grundstücks. Man hoffe, so schlossen die Antragsteller, auf ein monumentales Gebäude, das der K[öniglichen] Residenzstadt zur Zierde gereiche und zugleich allen hier domilicirenden wie durchreisenden Russen als ein unvergängliches Denkmal der Gastfreundschaft Dresdens dienen würde. Die Stadtverordnetenversammlung schlug am 13. Juni 1871 einen Baugrund in der Neustadt am Ende der Hauptstraße auf dem Bautzner Platz gegenüber der römisch-katholischen Kapelle vor. Aber die Russen lehnten dieses Areal ab, da die Mehrzahl der Familien im so genannten Englischen Viertel in der Altstadt wohnte und der Weg dahin zu beschwerlich sei. Die Stadt sah sich am 20. Juni außerstande, ein Gelände im öffentlichen Raum auf dem linken Elbufer zur Verfügung zu stellen. In dieser Situation meldete sich der in Dresden ansässige, aus St. Petersburg stammende Rentier Alexander Fjodorowitsch Wollner (geb. 1813). Er schenkte der russischen Gemeinde in Dresden ein an der Reichsstraße (heute Fritz-Löffler-Straße) 19 gelegenes Areal von 55 Ellen Breite und 122 Ellen Tiefe (= 5.500 m2). Die Stadt ihrerseits akzeptierte ein solches Vorgehen und erklärte sich am 19. September 1871 bereit, den Bau der Zufahrtsstraße und der Schleusen aus kommunalen Mitteln in einer Gesamthöhe von 1.419 Talern zu bestreiten. Gleichzeitig wurde aber am 29. November festgelegt, dass im Kriegsfall (sic!) die Umfassungsmauer der Parzelle zur Verteidigung einzurichten sei, die Militärbehörden sogar die Kirche besetzen könnten und die Kirchgemeinde auf jeden Entschädigungsanspruch aus Staatsmitteln bei etwaigen Kriegsschäden verzichten müsste.[26] Aber die Schenkung Wollners konnte juristisch dennoch nicht anerkannt werden, weil die Gemeinde entsprechend den früheren Verhandlungen immer noch über keinerlei Körperschaftsrechte verfügte. Der Boden gehörte weiterhin Wollner, die darauf zu erbauende Kirche eigentlich niemandem. Die Verhandlungen drehten sich im Kreis: Das Kultusministerium stimmte einer rechtlichen Anerkennung der Gemeinde erneut nicht zu, und zwar mit drei Argumenten: Die Gottesdienste würden regierungsamtlich nicht behindert; ein Glockengeläut, ja selbst eine Osterprozession würden zugestanden; für den Fall eine Anerkennung als Gemeinde müsste (ein neues Argument!) die Gemeinde dem Kultusministerium unterstellt werden und der Priester einen Eid auf die sächsische Verfassung schwören.[27]


Semjon Semjonowitsch Wikulin (1808-1891), der Begründer der Kirchenstiftung Nach dieser sehr harten und kategorischen Absage musste man eine andere Lösung finden, die letztendlich zum heutigen Status führte. Am 15. Dezember 1873 schenkte Wollner dem Wirklichen Staatsrat a. D. Semjon Semjonowitsch von Wikulin (1808-1891) in einem notariellen Vertrag sein Gelände mit dem Ziel, dass dieser das Grundstück der »Russischen Kirchengemeinde« (die ja keine juristische Person war) für immer zur Verfügung stelle. Wikulin verpflichtete sich seinerseits, das gesamte Areal mit allen jetzigen und künftig zu errichtenden Baustellen »für ewige Zeiten« der russischen Gemeinde zur eigenen freien Verfügung zu überlassen und es niemandem zu vererben. Dazu hieß es in einer Erklärung: Als Eigentümer des Grundstücks und der darauf errichteten Kirche verzichtet Herr Wikulin für immer auf seine und seiner Erben Rechte auf dieses Eigentum und überläßt es zur ewigen Nutzung den Russen orthodoxen Glaubens, die in Dresden ihren Wohnsitz haben. Als Verwalter und Beauftragter dieses Eigentums wird der orthodoxe Geistliche eingesetzt, der hier den Dienst verrichtet und der durch die Kaiserliche Russische Mission dem Ministerium für Kirchenfragen gegenüber in dieser Eigenschaft beglaubigt wird. Boden und Kirche dürfen von Niemandem und zu keiner Zeit weder verkauft noch verpachtet werden, sie bleiben als Einrichtung ‚Pia Causa‛.[28] Daraufhin genehmigte das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts per Dekret vom 21. Februar 1874 die Wikulin-Stiftung für die in Dresden aufhältlichen Bekenner der orthodoxen russischen Kirche zu Gunsten dieser letzteren und (die, E. H.) für deren gottesdienstliches Bedürfniß begründet worden ist, als pia causa (also als fromme Stiftung, E. H. ).[29] Vertreten und verwaltet wurde diese Stiftung durch die jeweiligen, über die russische Gesandtschaft ordentlich auszuweisenden russischen Geistlichen. Der Heilige Synod in St. Petersburg billigte dieses Verfahren. Im übrigen verzichtete der sächsische Staat auf die in solchen Fällen übliche Schenkungssteuer, froh über den erreichten Kompromiss und deshalb nun großzügig. Die Stadtverordneten beschlossen am 23. September 1874 ausdrücklich den Verzicht auf alle »Gemeindeanlagen«.


Alexander Fjodorowitsch Rosanow (1839-1883) mit Ehefrau Antonia, der erste Erzpriester in Dresden


Der künstlerische Entwurf zu der Kirche, die architektonische Gesamtplanung sowie die Bauaufsicht lag in den Händen des kaiserlich-russischen Hofarchitekten und wirklichen Staatsrats Harald Julius (russ. Garald Ernestowitsch) von Bosse (1812-1894), der sich bereits in Helsinki und Riga, vor allem aber in St. Petersburg und Umgebung durch seine Bauten einen Namen gemacht hatte und der seit 1862 wieder in Dresden ansässig war, wo nach seinen Plänen 1892-1894 auch die neuromanische Reformierte Kirche am Friedrichsring/Ringstraße erbaut wurde (1945 stark zerstört, 1963 abgerissen). Sein Entwurf war dem Moskauer Kirchentyp der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachempfunden: ein quadratischer, von fünf Kuppeln bekrönter Kernbau mit einer Vorkirche (Refektorium) und dem vorangestellten pyramidalen Glockenturm. Es ist ein vielfach gegliederter Ziegelbau, der von außen mit Cottaer Sandstein verblendet wurde.[30] Bosse stellte seine Entwürfe inklusive der Modelle der Kirche der Gemeinde kostenlos zur Verfügung. Dennoch waren die finanziellen Probleme des Baues immens, so dass man zeitweilig sogar die Verschiebung der Grundsteinlegung auf 1873 erwog. Die Gesamtkosten sollten sich auf 200.000 Rubel (= 40.000 Taler) belaufen, wovon 41.000 Rubel durch Spenden (offenbar aus ganz Russland) und 6.000 Rubel durch den Heiligen Synod aufgebracht wurden. Die ursprünglichen Gesamtkosten wurden aber bald auf das Doppelte angesetzt, was durch die Kirchgemeinde nicht mehr aufzubringen war. Daraufhin reichte das Baukomitee am 15. Juli 1873 an den Stadtrat wie an »eine zweite Vaterstadt« ein Gesuch mit der Bitte um eine nicht näher bezifferte Finanzspritze mit der Begründung, dass eine monumentale Kirche Dresden zum Schmuck gereiche, zugleich aber auch viele russische Familien in die Stadt ziehe würde und voraussichtlich die Grundlage einer zahlreichen russischen Colonie am hiesigen Platze werden könnte (was sich aber als Wunschdenken erweisen sollte). Der Stadtrat lehnte ein solches Ansinnen am 27. Juli 1873 einmütig unter Verweis darauf ab, dass mit der Kostenübernahme für Straßenzuführung und Schleusenbau die Grenzen des Möglichen und Finanzierbaren schon erreicht worden seien. In dieser schier aussichtslosen Finanzsituation spendete der bereits erwähnte russische Adlige S. S. Wikulin (von dem wir sonst eigentlich fast nichts wissen) die fehlende, riesige Summe von über 150.000 Rubeln, der damit wirklich zu einer Schlüsselfigur des Dresdner Kirchenbaus wurde und dem deshalb zu Recht eine Ehrentafel innerhalb des Kirchenraums gewidmet ist. Seine Schwester T. S. Narowaja-Wadkowskaja stiftete ebenfalls eine erhebliche Summe. Außer dem wurden zwei Anleihen aufgelegt. Aus Russland wurden durch Mitglieder der Zarenfamilie und weitere einflußreiche Persönlichkeiten wertvolle Kultgegenstände für die Innenausstattung gestiftet, die die Kirche bis heute zu einem nicht nur geistlichen Zentrum, sonder auch zu einem kultur- und kunsthistorisch wertvollen Denkmal machen. Damit war der Boden für die Baukommission bereitet, die nunmehr durch ihren Vorsitzenden Michail Adrianowitsch Ustinow im »Dresdner Anzeiger« am 1. Mai 1872 in russischer Sprache alle in Dresden anwesenden Russen zur Grundsteinlegung für die neue Kirche einlud, die damals noch »Rechtgläubige Kirche im Namen des Einzugs des Herrn in Jerusalem« hieß. Die Grundsteinlegung fand am 7. Mai Anwesenheit von Oberbürgermeister F. W. Pfotenhauer, des russischen Gesandten W. von Kotzebue und anderer Honoratioren statt; die örtliche Presse würdigte den kommenden Bau als »eine weithin sichtbare Zierde« der Stadt. Der Bau ging unter der Leitung des Dresdner Architekturprofessors Karl Robert Weissbach zügig voran, so dass die Baukommission (diesmal in Russisch und Deutsch) im »Dresdner Anzeiger« vom 1. Mai 1874 für den 5. Juni (nach altem Stil 24. Mai) alle Interessierten zur feierlichen Einweihung einladen konnte. Es wurde ein großes Ereignis für die Stadt. Das wird auch daraus erkennbar, dass der »Dresdner Anzeiger« in einer ausführlichen Serie »Über die russische Kirche« in vier Folgen vom 1. Juni bis zum Vorabend der Weihe berichtete. Verfasser war der Schriftsteller Dr. Nikolai Wassiljewitsch von Gerbel (1827-1883), ein bekannter Übersetzer deutscher und anderer Literaturen ins Russische (so stammte die erste große neunbändige Schiller-Ausgabe von ihm) und Herausgeber in Russland verbotener dekabristischer Dichtungen im Brockhaus-Verlag (1861), der zu dieser Zeit in Dresden lebte. Nach einer Darstellung der Christianisierung Russlands und einer Übersicht über die Besonderheiten der russisch-orthodoxen Kirche, insbesondere über ihr Verhältnis zum Staat, sowie einer knappen Darstellung der religiösen Rituale kam Gerbel zum Kirchenbau in Dresden. Wiederum unterstrich er, dass die Glieder der russisch-orthodoxen Kirche in Dresden ein stationäres Element der Bevölkerung geworden, und zwar in einem viel ausgedehnterem Sinn, als in irgend einer anderen Stadt des mittleren oder westlichen Europa.[32] Dann aber wusste Gerbel vor allem die Tatsache zu rühmen, dass es sich bei diesem artistischen Meisterwerk um das erste Gotteshaus in Mitteleuropa handle, welches (mit Kuppeln, Glockenthurm und der inneren Einrichtung) ganz genau alle Eigenthümlichkeiten einer russischen Kirche enthält.[33] Endlich konnte am 6. Juni 1874 mit Genehmigung des Metropoliten Isidor von St. Petersburg und Nowgorod die feierliche Weihe stattfinden, zu der die Erzpriester Rajewski aus Wien und Kustodijew aus Pest sowie Priester Palissadow aus Karlsbad angereist waren, die gemeinsam mit Priester A. F. Rosanow die Konsekration vollzogen. Die Kirche erhielt nun den Namen des Heiligen Simeon Diwnogorez, was zu Deutsch mit »Kirche des heiligen Simeon vom wunderbaren Berge« übersetzt wird. Die Namensgebung war in erster Linie als Geste an den Hauptgeldgeber Semjon (Simeon) Wikulin gedacht und erfolgte am Gedenktag für den Heiligen; bereits früher war Wikulin zum Kurator der Kirche ernannt worden. Zwei Kirchenchöre sangen zur Einweihung. Die Wirkung dieser Veranstaltung war in der sächsischen Öffentlichkeit enorm. Der »Dresdner Anzeiger« berichtete am 7. Juni dreispaltig über dieses gesellschaftliche Ereignis, wiederum aus der Feder von Gerbel, und kam zu dem Schluss: Die Erbauung der russischen Kirche am Ausgange der Reichsstraße setzt die orthodoxen Russen in den Stand, ihren religiösen Bedürfnissen nicht nur auf ihre Weise, sondern auch in einem genau nach den Regeln ihres Cultus erbauten Gotteshauses zu genügen.[34] Das sächsische Königspaar sowie der sächsische Premier Friedrich August von Minckwitz hatten die Kirche bereits am 4. Juni besichtigt und erhielten ein (bisher nicht aufgefundenes) großzügig ausgestattetes Prachtalbum mit Außen- und Innenfotos der Kirche, das die dankbare Gemeinde auch ihrem Architekten von Bosse verehrte. Dieser wurde vom sächsischen König Albert mit einem Orden geehrt. Priesterliche Leitfigur dieser Jahre war Erzpriester Alexander Fjodorowitsch Rosanow (1839-1883), der von 1869 bis zu seinem Tode in Dresden wirkte und auf dem dortigen Trinitatisfriedhof begraben ist. Er war im Zusammenhang mit dem Kirchenbau um ein enges Zusammenwirken mit den örtlichen Behörden bemüht und der erste wirkliche Organisator des kirchlichen Lebens noch in der Hauskapelle in der Beuststraße. Er öffnete im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Haus einem breiten Kreis von Gläubigen. Zu seinen Gästen gehörte 1870/71 auch die Familie Dostojewski; er taufte im Januar 1870 die Tochter Ljubow. Und obwohl Fjodor Dostojewski nach dem Zeugnis seiner Frau Rosanow nicht besonders schätzte, weil er (von lebhaftem Charakter und einer gewissen Leichtfertigkeit in seinen Urteilen, wie sie schrieb) für ihn nicht jenen »Typ eines Gottesdieners« verkörperte, wie er ihn sich vorstellte, war er doch sofort bereit, in dessen Haus eine Adresse an den russischen Kanzler A. M. Gortschakow zu entwerfen, die ca. 100 Russen in Dresden im Oktober 1870 zur Unterstützung seiner Schwarzmeerpolitik unterschrieben und absandten.[35]


Die russisch-orthodoxe Kirche in Dresden. Schlussarbeiten an der Kirche 1874.


Die Kirche selbst wurde 1876 durch das russische Außenministerium in den Bestand der Auslandskirchen aufgenommen, damit administrativ der russischen Gesandtschaft in Dresden unterstellt und mit einer Unterhaltssumme von 1.500 Goldrubel jährlich ausgestattet. Damit war im Grunde das Ziel einer eigenständigen Gemeinde und auch einer verfassungskonformen Lösung für Sachsen erreicht. Wieder wissen wir über das kirchliche Leben seit der Einweihung 1874 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs sowie über die Stellung in oder die Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche zur Dresdner Öffentlichkeit bisher nur wenig. Die erhaltenen Kirchenbücher (Taufe, Heirat, Tod) harren noch ihrer Freigabe zur wissenschaftlichen Nutzung, um eventuell mehr zur Statistik und auch zu einzelnen wichtigen Persönlichkeiten zu erfahren. Bisher sind nur Einzelfälle bekannt: So wurde der spätere russische Ministerpräsident Pjotr Stolypin (1862-1911) 1863 in Dresden getauft; 1924 fand in der Kirche die Hochzeit Irina Rachmaninowas, der Tochter des berühmten Komponisten Sergej Rachmaninow, mit dem Fürsten Peter Wolkonski statt. Die Dresdner Öffentlichkeit indes nahm nach meinen Beobachtungen kaum noch Notiz von der russischen Kirche. In den Zeitungen mit den wöchentlichen Ankündigungen der Gottesdienste fehlten die Anzeigen der russisch-orthodoxen Kirche nach wie vor. Nur einmal noch würdigte man die Kirche in der Presse, als nämlich Zar Alexander II. am 28. Juni 1875 von Böhmen aus über Dresden nach Russland zurückreiste und — begrüßt von seinen Landsleuten — für eine Andacht von nur einer viertel Stunde in der russischen Kirche seine Reise unterbrach.[36] Eine Gedenktafel im Innern der Kirche würdigt diesen Kurzbesuch. Über die Größe der Kirchgemeinde am Ende des Jahrhunderts sind mir keine Angaben bekannt. Das Kirchgebäude selbst wurde 1897/98 in Vorbereitung auf das 25-jährige Kirchenjubiläum für eine Summe von 15.000 Reichsmark einer gründlichen Renovierung unterzogen; dieses Jubiläum fand aber in der örtlichen Presse schon keine Resonanz mehr. 1902 wurde schließlich ein gemeinnütziger Verein gegründet, der sich in Not befindliche russische und andere Gläubige, die sich ständig oder zeitweilig in Dresden und darüber hinaus in ganz Sachsen aufhielten, unterstützen sollte. Er war auch zuständig für die Instandhaltung der Kirche, für wirtschaftliche Sicherstellung und die religiösen und kulturellen Belange der Gemeinde und finanzierte sich vornehmlich aus Spenden und Kollekten. In der Kirche selbst bestand eine kleine Bibliothek mit kirchlicher und anderer Erbauungsliteratur. Seit dieser Zeit wurde auch durch den damaligen Erzpriester Nikolai Nikolajewitsch Pissarewski Religionsunterricht für Schüler erteilt.[37]


Ansicht der Kirche nach der Zerstörung am 13. Februar 1945. Foto von 1950.


So schien sich alles normalisiert und die russisch-orthodoxe Kirche ihren Platz im religiösen Leben der Stadt Dresden gefunden zu haben. Dass dem durchaus nicht immer so war, zeigen zwei Vorfälle, die in den Akten des Sächsischen Hauptstaatsarchivs bewahrt sind.[38] Eine russische Obristenwitwe von Swett hatte der evangelisch-lutheranischen Kirche zu Dresden-Hosterwitz im November 1899 eine größere Geldsumme gestiftet, damit das Grab ihres Sohnes (neben den sie selbst später gebettet werden wollte) erhalten werde. Als Gegenleistung forderte sie allerdings, dass jährlich ein russisch-orthodoxer Priester die Liturgie am Sterbetag am Grabe abhalte. Das evangelische Landeskonsistorium war irritiert und richtete deshalb eine Anfrage an das Kultusministerium, das unter Berufung auf die entsprechenden Rechtssätze vom 8. April 1862 entschied, man könne danach zwar Menschen orthodoxen Glaubens auf protestantischen Friedhöfen begraben, ein entsprechender Gottesdienst aber sei nicht gestattet. Allerdings — und das wiederum bezeugt den Pragmatismus der sächsischen Behörden — würde man angesichts der hohen Stiftungssumme die orthodoxe Liturgie ausnahmsweise erlauben. Und in einem anderen Fall (1895) wollte ein deutscher Vater, da die russische Mutter orthodoxen Glaubens war, seine katholisch getaufte Tochter im russisch-orthodoxen Glauben erziehen lassen. Auch dazu bedurfte es der Erlaubnis des Kultusministeriums, die aber ebenfalls rasch erteilt wurde. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Schließung der russisch-orthodoxen Kirche in Dresden verfügt und ein Polizeirat mit der Verwaltung des kirchlichen Vermögens beauftragt. Am 30. März 1915 hieß es in einem Bericht der Polizeidirektion Dresden, daß gewisse sicherheitspolitische Bedenken gegen die Wiederaufnahme des Gottesdienstes in der hiesigen russischen Gesandtschaftskirche insofern bestehen, als der in russischer Sprache stattfindende Gottesdienst sich nicht genügend darauf würde überwachen lassen, ob er etwa in antideutschem Sinne abgehalten und zu Fürbitten für den Sieg der russischen Waffen benutzt wird.[39] Die deutsche Öffentlichkeit würde zudem russische Gottesdienste in Deutschland während des Krieges als »unliebsam« aufnehmen; außerdem würden schon kein Priester und nur noch wenige Russen in der Stadt weilen. Im Laufe des Krieges mussten alle Glocken für Kriegszwecke zum Einschmelzen abgeliefert werden. Seit dem 25. Oktober 1921 ging die Kirche mit ihrem gesamten Vermögen in die Verwaltung der sächsischen Regierung über und wurde dann später an Erzpriester Johannes Grigorjewitsch Mosharowski wieder übergeben. Damit war eine erneute Öffnung Kirche möglich.

Die St. Alexej-Gedächtniskirche zur Russischen Ehre in Leipzig

Anfänge: Von Peter dem Großen bis Alexander I. Das Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden Die St. Alexej-Gedächtniskirche zur russischen Ehre in Leipzig Fußnoten Anmerkungen Und was geschah zu dieser Zeit in Leipzig? Offenbar genügte es den in Leipzig anwesenden Russen (Studenten, Durchreisenden, gelegentlich Kauf- und Handelsleute), wie schon im 18. Jahrhundert und 1813/14, die griechisch-orthodoxe Kirche zu nutzen. So ist bekannt, dass der russische Lyriker und Dramatiker Alexej Konstantinowitsch Tolstoi am 15. April 1863 seine Frau Sofia Andrejewna Miller eben dieser Kirche vom griechischen Archimandriten Andronikos Demetrakopoulos in Anwesenheit der Trauzeigen N. M. Shemtschuschnikow und des Grafen A. N. Bobrinski getraut wurden, obwohl zu diesem Zeitpunkt die russisch-orthodoxe Hauskapelle in der Dresdner Beuststraße bereits existierte.[40] An eine eigene Gemeinde oder gar einen eigenen Kirchenbau scheint man über das ganze Jahrhundert hinweg in Leipzig nicht gedacht zu haben. Auch der Heilige Synod war offenbar mit der Mitnutzung der griechischen Gemeinde einverstanden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts soll diese Gemeinde etwa 100 Glieder gezählt haben, in der Mehrzahl natürlich Griechen. Erst ab dem 12. November 1907 wandte sich die russische Gesandtschaft in Dresden über ihren Ministerresidenten Baron Arist Wladimirowitsch von Wolff an das sächsische Außenministerium mit einer Note, worin der »seit langer Zeit« bestehende Wunsch der russischen Kolonie in Leipzig, vor allem der Studenten, nach einer eigenen russisch-orthodoxen Kapelle vorgetragen wurde, analog zu den orthodoxen Bulgaren, Serben und Mazedoniern, da man am griechischen Gottesdienst nicht mehr teilzunehmen wünsche.[41] Weitere Gründe wurden nicht an geben. Den Gottesdienst sollte der Dresdner Priester abhalten. Die zur Begutachtung herangezogene evangelischen Superintendantur betonte zwar den einheitlichen Charakter der orthodoxen Lehre, sah aber einerseits den autokephalen Charakter jeder orthodoxen Kirche, andererseits die unterschiedlichen Liturgiesprachen, so dass der Wunsch nach Eigenständigkeit »aus religiösen Motiven« erwachse und also zu befürworten sei. Deshalb genehmigte Oberbürgermeister Carl Bruno Tröndlin am 19. Dezember 1907 eigenständige russisch-orthodoxe Gottesdienste in der Stadt in einem noch zu bestimmenden Lokale von Leipzig. Aber es passierte wohl zunächst noch nichts.

Aber am 30. Januar 1909 tauchte zum ersten Mal in einem offiziellen Dokument, soweit ich es jedenfalls übersehe, die Idee auf, zum 100. Jubiläum der Völkerschlacht zu Leipzig eine Gedächtniskirche zu begründen, als die russische Gesandtschaft dieses Anliegen an das sächsische Außenministerium herantrug. Dem wurde durch das sächsische Kultusministerium am 4. Februar 1909 zugestimmt.[42] Es kam im April 1911 zu Vorgesprächen zwischen dem Schatzmeister des zu diesem Zweck gebildeten russischen Komitees Johann (Iwan) Pawlowitsch Lelianoff und seinem Geschäftspartner Friedrich W. Dodel von der Leipziger Firma G. Gaudig & Blum (den späteren Verhandlungsführern) und dann mit dem Leipziger Oberbürgermeister Dr. Rudolph Bernhard August Dittrich und Oberbaurat Wilhelm Scharenberg, in dem erste positive Ergebnisse erzielt werden konnten. Konkret wurde es aber erst, als sich am 13. Juni 1911 der Chef des russischen Generalstabs General H. Gilinsky als Vorsitzender eines hochrangigen russischen ad hoc-Komitees an den Rat der Stadt Leipzig wandte mit dem Wunsch, die in der Völkerschlacht 1813 gefallenen Russen durch eine zu errichtende Kapelle zu ehren, die zugleich dem Gottesdienst der dort aufhältlichen Russen orthodoxen Glaubens dienen könnte. Das gewünschte Areal sollte etwa 2.500-3.000 qm umfassen und sich auf dem Gelände befinden, auf dem die Schlacht stattgefunden hatte; vor allem aber sollte es bis zur Jahrhundertfeier am 18. Oktober 1913 vollendet sein. Die Bitte der russischen Seite war, dass der Bauplatz kostenlos solange zur Verfügung gestellt wird, als wie eine russische Kirche darauf stehen wird.[43] Oberbürgermeister Dittrich legte der Stadtverordnetenversammlung am 14. August 1911 das russische Anliegen vor mit dem Ersuchen um Zustimmung für ein Gelände von etwa 2.500 qm, das damals noch dem Johannishospital gehörte, aber unbebaut war. Für diesen »Schmuckplatz« wären dann auch die entsprechenden Entschädigungen zu gewähren. Dittrich betonte, dass die Leistung an die russische Seite unentgeltlich erfolge: Das Land wird nur auf solange zur Verfügung gestellt, als die Kapelle für den Gottesdienst der in Leipzig aufhältlichen Russen orthodoxen Glaubens dient. Geschieht dies nicht mehr, so ist der Platz der Stadtgemeinde innerhalb zu setzender angemessener Frist vollständig geräumt und eingeebnet zurückzugeben. Im Säumnisfalle ist die Stadtgemeinde berechtigt, den Abbruch selbst vorzunehmen und sich aus dem Abbruchsmaterial bezahlt zu machen.[44] Die Stadtverordnetenversammlung stimmte dem Projekt, das sich aufgrund der Zeitumstände und des historischen Anlasses so grundsätzlich von dem Ringen um eine russisch-orthodoxe Kirche in Dresden unterschied, am 6. September 1911 zu. Zwischen der Stadt und (für Russland) dem Kriegsministerium wurde ein Vertrag dieses Inhalts abgeschlossen; die Bestimmungen wurden am 28. Dezember 1912 in einer Ratsurkunde veröffentlicht. Die »St. Alexej-Gedächtniskirche zur Russischen Ehre« wurde in kürzester Frist als letzter russischer Sakralbau in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg errichtet; es ist eines der wenigen russischen Kulturgebäude in Leipzig (außer dem ehemaligen Messepavillon der UdSSR auf der Alten Messe). Das Projekt stammte von dem aus St. Petersburg stammenden russischen Architekten Wladimir Alexandrowitsch Pokrowski (1871-1931), der es den 22.000 in der Völkerschlacht gefallenen Soldaten widmete und auch an der Einweihung des Denkmals teilnahm. Erbaut wurde die Kirche von dem Leipziger Architektur-Atelier Georg Weidenbach & Richard Tschammer. Die Kirche, das früheste Beispiel einer russischen Zeltdachkirche, ist der von Zar Iwan III. Anfang des 16. Jahrhunderts gestifteten Christi-Himmelfahrts-Kirche in Kolomenskoje nachempfunden.[45] Der Baubeginn erfolgte Mitte August 1912; die Grundsteinlegung erfolgte erst am 28. Dezember 1912 (als das Gebäude schon 30 m aus dem Boden herausragte!) in Anwesenheit von viel Prominenz, wie Oberbürgermeister Dittrich, Archimandrit Paraschkewitsch, Generalkonsul Graf I. A. Mussin-Puschkin, Erzpriester A. P. Malzew sowie dem russischen Kriegsminister General Wladimir Suchomlinow. Das Bautempo war enorm, obwohl es Finanzierungsprobleme gab, denn das Gesamtprojekt Pokrowskis musste um ein Drittel reduziert werden, so fehlen die ursprünglich vorgesehenen Seitenanbauten. Die endgültige Gesamtsumme von rund 500.000 Mark wurde durch Sammlungen in ganz Russland aufgebracht; das Baumaterial von dort geliefert. Am 17. Oktober 1913 fand dann die Weihe der Kirche statt; ein glänzendes Bild griechisch-orthodoxer Riten und militärisch-höfischer Prunkentfaltung, wie das »Leipziger Tageblatt« schrieb.[46] Zar Nikolaus II. hatte zugestimmt, dass die Kirche nach seinem einzigen Sohn benannt wurde und entsandte seinen Vetter, den Großfürsten Kirill Wladimirowitsch, zur Einweihung. Freilich ging dieses Ereignis im nationalen Rausch der offiziellen Feierlichkeiten zur Weihe des Völkerschlachtdenkmals und auch in den sich abzeichnenden, in der Folge zum Krieg führenden politischen Differenzen zwischen den beiden Staaten in der Presse weitgehend unter. Die sächsische Presse nahm nicht überschwänglich, sondern eher verhalten-protokollarisch Notiz von diesem Ereignis, wenngleich die Überführung der Gebeine der gefallenen russischen Soldaten und Offiziere vom Neuen Johannisfriedhof in die Krypta der neuen Kirche am 16. Oktober und dann auch die Kirchweihe am 17. Oktober durchaus herausgestellt wurde.[47] Hervorhebung fand neben dem Moskauer Synodalchor der aus 12 Sängern bestehende Dresdner Gesandtschaftschor unter der Leitung von Franz Reiche. Dennoch erfüllte sich der Wunsch der russischen Kolonie nach eigenständigen Gottesdiensten nicht. Noch im September 1913 durften in der russischen Gedächtniskirche, wie sie fortan hieß, nur Taufen und Trauungen vollzogen werden, keine Gottesdienste. Der Erste Weltkrieg führte aber, wie in Dresden auch, zur Schließung der Kirche. Eine Neueröffnung fand erst in der Weimarer Republik am 28. Januar 1928 statt. Heute existieren in Sachsen große russisch-orthodoxe Gemeinden, die sich in den Städten Dresden (mit über 1.000 Gläubigen), Leipzig und auch Chemnitz konzentrieren, wo regelmäßig Gottesdienste stattfinden. Die im letzten Jahrzehnt stark angewachsene Zahl von Zuwanderern aus Russland und den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR, unter denen sich nicht wenige russisch-orthodoxe Gläubige finden, führte zu einer deutlichen Stärkung der Orthodoxie in Sachsen. Gerade das aber führte dazu, dass sie gemeinsam mit ihr nahestehenden kirchlichen Hilfsorganisationen, wie etwa in Leipzig mit dem im Jahre 2000 gegründeten »Deutsch-Russischen Hilfswerk zur Heiligen Alexandra e.V.«, eine nicht zu unterschätzende Arbeit bei der Integration der Neubürger in das deutsche Leben und bei der Lösung ihr großen und kleinen Sorgen spielen.

Fußnoten

[1] Die Nestorchronik, in: O Bojan, du Nachtigall der alten Zeit, Berlin 1965, S. 55. [2] Vgl. K. Gaede, Russische Orthodoxe Kirche in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert Köln 1985, S. 15ff. [3] D. Fassmann, Das Glorwürdigste Leben und Thaten Friedrich Augusti, des Großen, Königs in Pohlen und Churfürsten in Sachsen, Hamburg, Frankfurt 1733, S. 293. [4] Ebenda, S. 650. [5] Zit. nach O. Hahne, Die Hochzeit zu Torgau am 14. (25.) Oktober 1711, in: Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 1 (1911), S. 270. [6] N. Datziopoulos, Die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde in Leipzig, in: Griechen in Leipzig. Damals. Heute, Leipzig 1999, S. 60. [7] Ebenda. [8] I. K. Smolič, Istorija russkoj cerkvi (Geschichte der russischen Kirche). 1700-1917, Teil 1, Moskau 1996, S. 582. [9] In den Leipziger Adressbüchern zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird als Gründungsjahr der griechischen Kapelle immer 1769 angegeben. [10] S. Hillert, Leipzig und Rußland im 18. Jahrhundert, in: Tausend Jahre Taufe Rußlands. Taufe in Europa, Leipzig 1993, S. 645ff. [11] Vgl. E. Hexelschneider, Kulturelle Begegnungen zwischen Sachsen und Russland 1790-1849, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 148. [12] Zit. bei G. Klemm, Dresden unter dem russisch-preussischen Generalgouvernement, Dresden 1930, S. 37. [13] W. Schäfer, Zur Geschichte der öffentlichen Gebäude Dresdens. F. Die Kirchen und Kapellen, in: Dresdner Anzeiger Nr. 203 vom 21. Juli 1868. [14] Vgl. Hexelschneider (wie Anm. 11), S. 148. [15] Zit. nach Klemm (wie Anm. 12), S. 39, Anm. 18. [16] M. A. Bakunin, Sobranie sočinenij i pisem 1828-1876 (Sammlung von Werken und Briefen), Bd. 3, Moskau 1925, S. 157. [17] In: Gesetzsammlung für das Königreich Sachsen vom Jahre 1831, Dresden 1831, S. 249. [18] Hier und im folgenden nach Stadtarchiv Dresden, Kirchenamt Sect. III Cap. 11. Nr. 12. »Acta, die Entwicklung eines regelmäßigen griechisch-katholischen Privat- und Hausgottesdienstes in Dresden ... betreffend«. [19] Vgl. M. Dandar, Stätte der Anbetung und Sehnsucht nach dem Segen Gottes. Rückblick auf die hundertjährige Geschichte der Dresdner Kirche des hl. Simeon. In: Stimme der Orthodoxie 1974, H. 4, S. 19ff., leider in den Daten nicht immer genau. [20] Stadtarchiv Dresden. Sect. III Cap. II Nr. 42, BI. 28 (wie Anm. 18). [21] A. Mal'cev, Pravoslavnye cerkvi i russkie učreždenija za graniceju (Rechtgläubige Kirchen und russische Institutionen im Ausland), in: Bratskij ežegodnik, Petrograd 1906, S. 110f. [22] A. G. Dostojewskaja, Tagebücher. Die Reise nach dem Westen, Königstein/Ts. 1985, S. 28. [23] Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden. Ministerium für Volksbildung Nr. 21 547, BI. 41-46, woraus im Folgenden zitiert wird. Von diesen Russen kennen wir zwar die Namen, wissen aber sonst fast nichts über ihr Leben und die konkreten Gründe, warum sie in Dresden verweilten. [24] Ebenda, BI. 51ff. [25] Stadtarchiv Dresden, Litt. R 19/498 Acten der Stadtverordneten zu Dresden die Erbauung einer russisch griechischen Kirche betr. — Alle folgenden Zitate danach. [26] Verhandlungen der Stadtverordneten zu Dresden im Jahre 1871, 41. (1674.). Öffentliche Sitzung, S. 272f. [27] Nach dem Protokoll des Kirchenrates vom 7. Mai 1874 im Archiv der Russisch-orthodoxen Kirche. [28] Ebenda. [29] Stadtarchiv Dresden, Litt. R 19/498 (wie Anm. 251. [30] Zur architektonischen Gestaltung vgl. H. Mai / J. Flemming, Die russischen Kirchen in Potsdam, Weimar, Dresden, Leipzig, Berlin 1983, S. 15ff.; V. Schälike u. a., 125 Jahre Russische Orthodoxe Kirche des heiligen Simeon vom wunderbaren Berge zu Dresden, Dresden 1999, S.18ff. [31] Vgl. Stadtarchiv Dresden, Litt. R. 19/498 (wie Anm. 25). [32] N. v. Gerbel, Zur Einweihung der russischen Kirche, in: Dresdner Anzeiger Nr. 155 vom 4. Juni 1874. [33] Ebenda, Nr. 156 vom 5. Juni 1874. [34] Gerbel (wie Anm. 32), in: Dresdner Anzeiger Nr. 155 vom 4. Juni 1874. [35] A. G. Dostojewskaja, Erinnerungen, Berlin 1976, S. 213f. [36] Vgl. Gerbel (wie Anm. 32) in: Dresdner Anzeiger Nr. 180 vom 29. Juni 1875. [37] Dandar (wie Anm. 19), S. 23f. [38] Sächsisches Hauptstaatsarchiv (wie Anm. 23), BI. 75ff. [39] Ebenda, Bl. 93. [40] A. Lirondelle, Le poète Alexis Tolstoí. L'homme et l'œuvre, Paris 1912, S. 217. Vermutlich liegen die Gründe für diese Heirat in Leipzig in der Biographie A. K. Tolstois, der mit seiner in früherer Ehe bereits verheirateten Frau schon zehn Jahre in freier Gemeinschaft zusammenlebte. [41] Stadtarchiv Leipzig, Kap. 42. 0Nr.l. Akten, die Einrichtung russischer Gottesdienste in Leipzig betr. Alle Zitate im folgenden nach dieser Quelle. [42] Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung Nr. 21 786, Bl. 104f. [43] Ebenda, Nr. 1 300 58/44, Bl. 142. [44] Ebenda, BI. 140. [45] Mai/Flemming (wie Anm. 30), S. 20ff. [46] Leipziger Tageblatt und Handels-Zeitung Nr. 529 vom 17. Oktober 1913. [47] Vgl. Leipziger Zeitung Nr. 241 vom 16. Oktober und Nr. 242 vom 17. Oktober 1913 sowie Dresdner Anzeiger Nr. 287 vom 17. Oktober 1913.

Anmerkungen Der Verfasser dankt Erzpriester Georgi sowie Wolfgang Pilz, Valerija Schälike und Hans-Joachim Scheibe (alle Dresden) und Michael Schippan (Berlin) für die Bereitstellung wichtiger Materialien sowie für wertvolle Hinweise. Besonderer Dank gilt dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden sowie den Stadtarchiven in Leipzig und Dresden für die Möglichkeit, die entsprechenden Dokumente einsehen und auswerten zu dürfen.

Autor Prof. Dr. Erhard Hexelschneider Paul-Gruner-Straße 21a 04107 Leipzig Methodios (Diskussion) 10:35, 9. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Geschichte der Gesandtschafts- und Botschaftskirchen in Sachsen

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https://germany.mid.ru/de/embassy/russische_vertretungen_in_deutschland/generalkonsulat_leipzig/


Angesichts der Forderung der deutschen Bundesregierung, die russischen Generalkonsulate in Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig und München zu schließen, wurde seit dem 1. Januar 2024 der konsularische Service in dieser Vertreteung eingestellt.

Geschichte

Am 30 März (10. April) 1783 beschloss Kaiserin Katharina II. die Errichtung eines russischen Konsulats in Leipzig, das damit zur ältesten ausländischen konsularischen Vertretung in der Messe-, Handels- und Universitätsstadt Leipzig wurde.

In der Hansestadt Hamburg bestand bereits seit 1777 ein russisches Konsulat, das damit zum ältesten russischen Konsulat in Deutschland überhaupt avanciert. Die neuen Konsulate wurden - wie aus der Aufzählung unschwer zu ersehen ist - in solchen Städten errichtet, die für den Handel Russlands mit Mittel- und Westeuropa und für die russische Schiffahrt von strategischer Bedeutung waren.

Aber warum das binnenländische Leipzig? Die sächsische weltoffene Stadt zeichnete sich durch eine außerordentlich günstige Verkehrslage am Schnittpunkt wichtiger europäischer Fernverkehrsstraßen aus. Mit seinen damals dreimal jährlich stattfindenden Warenmessen bildete die Stadt für das Russische Reich die Drehscheibe für Handel und Wandel, für Wissenschaft und Verlagswesen zwischen Ost und West, Nord und Süd.

Außerdem existierten seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts enge geistige Berührungen zwischen St.Petersburg und Leipzig. Die von der Mitteldeutschen Aufklärung geprägte Universität war bedeutend für die Ausbildung wissenschaftlicher Fachkräfte. Besonders deutsche Gelehrte nahmen auch gern berufliche Angebote und wissenschaftliche Berufungen aus Russland an. Das Leipziger Berlagswesen und der prosperierende Buchhandel wirkten prägend auf das russische Geistesleben, auch durch die Vermittlung westeuropäischen aufklärerischen Gedankengutes.

Hinzu kamen die verstärtkten außenpolitischen Bemühungen Russlands in Mittel- und Westeuropa nach dem Frieden von Teschen (1779). Damals wurde das Russische Reich nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg zwischen Österreich und Preußen anstelle Schwedens zu einer Garantiemacht für die deutsche Reichsverfassung ernannt, wie diese im Westfälischen Frieden von 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg festgeschrieben worden war. Als Folge dieser neuen Situation wurde im Petersburger Kollegium für Auswärtige Angelegenheiten eine eigene Deutschland-Abteilung gegründet und ein ganzes Netz diplomatischer Vertretungen in den deutschen Staaten geschaffen. Damit wuchs auch das russische Interesse an Mitteldeutschland, besonders an Sachsen und damit an Leipzig. Zum ersten russischen Konsul in Leipzig wurde Fjodor Issajewitsch Saposhnikow (1749-1789), damals Kollegienassessor, ernannt.

Die konsularische und handelspolitische Arbeit nahm bereits vor der Reichsgründung enorm zu, so dass ab 1847 die Funktion eines Vizekonsuls im russischen Generalkonsulat eingeführt wurde. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde das Personal Schritt für Schritt auf drei, ja sogar auf vier konsularische Mitarbeiter aufgestockt. Um der zunehmenden Arbeit gerecht zu werden, schuf man außerdem später noch zusätzlich das Amt eines deutschen Honorarkonsuls im Range eines Vizekonsuls.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Tätigkeit des Generalkonsulats in Leipzig aufgehört. Mit dem 2. August 1914 wurde allen russischen Konsuln in Deutschland das Exequatur entzogen. Nach der Russischen Revolution von 1917 und der Errichtung der Sowjetmacht wurde die Tätigkeit der russischen Konsulats in Leipzig von den sowjetischen Behörden zunächst nicht erneuert, obwohl das offenbar beabsichtigt war. Der bolschewistische Berufsrevolutionär und zeitweilige Volkskommissar für Finanzen Wjatscheslaw Rudolfowitsch Menshinski, seit 22. April 1918 sowjetrussischer Generalkonsul für Berlin und Preußen, sollte in Übereinstimmung mit dem Bolkskommissariat für auswärtige Angelegenheiten der RSFSR die Bestellung russischer Wahlkonsuln in Sachsen vorbereiten. Auf seine Bitte hin unterbreitete der damalige Oberbürgermeister von Leipzig, Karl Wilhelm August Rothe, in Abstimmung mit dem Vorsitzenden der Leipziger Handelskammer Richard Schmidt am 24. Juni 1918 eine Liste von zehn honorigen Bürgern für diesen Posten. Kriterien für die Berufung waren die geschäftliche und gesellschaftliche Stellung des Kandidaten, seine persönliche Eignung und die bisherigen Beziehungen zu Russland. Methodios (Diskussion) 10:40, 9. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Sächsische Beziehungen nach Rußland

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Kurs Diskussion:Orthodoxe Kirchen in Dresden/Russisch-orthodox/Sächsische Beziehungen nach Rußland Moskau und Russland

Die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gilt als das zentrale Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen-Kirche.


Bereiche der Zusammenarbeit

  • Aktuelle Zusammenarbeit
  • Stadtentwicklung
  • Gedenken an die Völkerschlacht
  • Jugendaustausch
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Hintergrund und Historie

Die Stadt Leipzig blickt auf langjährige Kooperationen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet mit Russland zurück. Dabei war insbesondere die Stadt Moskau stets ein wichtiger Kooperationspartner, zu dem die Stadt Leipzig vielfältige Kontakte seit der vertraglichen Grundlage von 2014 pflegt. Bereits 1783 wurde durch einen Erlass von Kaiserin Katherina der Großen das älteste Generalkonsulat in Leipzig gegründet, welches auch heute noch die Interessen der Russischen Föderation in Leipzig vertritt.

Weitere Kooperationen bestehen mit Tomsk, Ufa, Woronesch und Kazan. Die Republiken Tatarstan und Tschetschenien unterhalten Vertretungen in Leipzig. Der Freistaat Sachsen pflegt seit Mitte der 1990er Jahre eine enge Regionalpartnerschaft mit Tatarstan.

Zu einer kleinen russischen Gemeinde im Ural mit dem Namen Leipzig (Ле́йпциг) gibt es schon namentlich eine ganz besondere Verbindung. Der Ort trägt den Namen zum Andenken an die Völkerschlacht bei Leipzig. Natürlich waren auch die besonderen Beziehungen im Rahmen der deutsch-sowjetischen Freundschaft während der DDR-Zeit prägend für das langfristige Verhältnis zwischen Leipzig und Russland. Gemeinsam mit den vielen Vereinen und bürgerschaftlichen Initiativen, die sich für lebendige deutsch-russische Beziehungen und ein Europa der Verständigung einsetzen, entwickelte sich so über Jahre eine vielfältige Zusammenarbeit.

Projektgruppe Russland in Leipzig

Auftakttreffen der Projektgruppe Russland in Leipzig© Mikhail Vachtchenko Im März 2020 wurde vom Referat Internationale Zusammenarbeit der Stadt Leipzig die Projektgruppe Russland ins Leben gerufen. Es haben circa 40 Initiativen und Vereine aus den Bereichen Bildung, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik am Auftakttreffen teilgenommen. Gebremst durch die Corona Pandemie, fand ein zweites Treffen im Februar 2021 im digitalen Raum statt. Ziel der Gründung des Netzwerkes war es, engagierte Akteure mit Fokus auf Projektarbeit mit Russland in Leipzig zusammenzubringen, den wechselseitigen Dialog, die Kulturverständigung und den Austausch zwischen Leipzig und Russland zu fördern. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine ist der Ausbau der Kontakte von Leipzig mit Partnerorganisationen in Russland aktuell in der Neuausrichtung. Methodios (Diskussion) 11:15, 9. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Aktuell

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2012

Feierlichkeiten anlässlich des 200. Jahrestages der Schlacht von Borodino 2012 in Moskau

Im September 2012 beging Russland den 200. Jahrestag des Sieges im Vaterländischen Krieg 1812-1814 und der Schlacht von Borodino. Die Großveranstaltungen, darunter die Eröffnung eines Museums und die historische Inszenierung der Schlacht von Borodino, fanden in verschiedenen Großstädten Russlands statt, unter anderem Moskau, Sankt-Petersburg, Smolensk und natürlich in Borodino. Auf Einladung des Oberbürgermeisters der Stadt Moskau, Sergej Sobjanin, nahm Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung an den Feierlichkeiten teil und präsentierte die Vorhaben zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht 2013.


2013

2013 beging Leipzig neben dem 200. Jahrestag der Völkerschlacht zu Leipzig auch das 100-jährige Jubiläum seines Völkerschlachtdenkmals. Die Russisch-Orthodoxe St.-Alexij-Gedächtniskirche, die zum Gedenken an die 22.000 gefallenen russischen Soldaten in der Völkerschlacht ebenfalls im Jahre 1913 errichtet und geweiht wurde, wird gegenwärtig auch mit Unterstützung der Stadt Moskau baulich renoviert. An den Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag nahmen hochrangige russische Vertreter, wie eine Delegation unter Leitung des Ministers für Außenwirtschaft und internationale Beziehungen, teil. Ebenso besuchte eine Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche Leipzig.

Gedenkwoche zum 200. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig, Besuch einer großen Moskauer Delegation unter Leitung des Ministers für Außenwirtschaft, Sergej Tscherjomin, Ansprache vor dem Leipziger Stadtrat

Gedenkzeremonie in der Russischen Kirche zu Leipzig

Teilnahme eines Moskauer Ensembles sowie Vertretern der sibirischen Ural- und Orenburgerkosaken am Bürgerfest im Rahmen des Gedenkens der Völkerschlacht

Lebendige Historie: Teilnehmer aus Leipzig in Borodino und russische Gruppen an den Nachstellungen der Völkerschlacht in Leipzig, Biwak

Sanierung der Russischen Kirche zu Leipzig mit großzügiger Unterstützung der Stadt Moskau

Besuch des Leiters des Außenamtes des Patriarchats der Russisch-Orthodoxen Kirche Moskau in Leipzig, Gespräch des Metropolit Ilarion mit Oberbürgermeister Jung


2014

Übergabe der sanierten Kuppel der Russischen Kirche in Anwesenheit von Vertretern der Stadtregierung Moskau


Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine sind die Kontakte mit staatlichen Vertretungen der russischen Regierung aktuell auf das Wesentliche beschränkt. So wurde durch den Stadtratsbeschluss vom 18. Mai 2022 auch die protokollarische Zusammenarbeit mit dem russischen Generalkonsulat in Leipzig bis auf Weiteres eingestellt und auf notwendige Absprachen und Pflichtaufgaben reduziert. Damit soll ein deutliches Zeichen gegen den Krieg und die Aggression der russischen Regierung sowie für Frieden und den Wert der Demokratie gesetzt werden.

Unser tiefer Respekt und unsere Unterstützung gelten nach wie vor allen Menschen der russischen Zivilgesellschaft, die sich gegen diese Aggression und für ein geeintes und weltoffenes Europa einsetzen. Weder die gesamte russische Bevölkerung noch die im Ausland lebenden russischstämmigen Menschen dürfen in eine Generalverantwortung für die aggressive Politik des russischen Staates genommen werden.

In der „Resolution der Leipziger Stadtratsfraktionen und des Jugendparlaments zur russischen Invasion in der Ukraine“ (Dokument hier hinterlegen) vom 24. Februar 2022 drücken die unterzeichnenden Leipziger Stadtratsfraktionen und das Jugendparlament ihre Solidarität mit der Ukraine und ihr Mitgefühl gegenüber allen Opfern sowie vom Konflikt betroffenen Menschen aus. Gleichzeitig laden die Unterzeichner/-innen „alle russischstämmigen Menschen in Leipzig dazu ein, sich […] gemeinsam für den Frieden einzusetzen“.

In diesem Sinn hat Oberbürgermeister Burkhard Jung seine Amtskollegen in Moskau, Kazan, Woronesch, Ufa und Wolgograd in einem Schreiben zu einem gemeinsamen Wirken für Frieden angerufen.

Russische und ukrainische Diaspora in Leipzig im Spannungsverhältnis des Krieges in der Ukraine

In Leipzig leben circa 10.000 Menschen russischer Herkunft. Die ukrainische Gemeinschaft umfasste bisher 3.500 Menschen. Diese Gemeinschaften sind ein fester Bestandteil der Leipziger Stadtgesellschaft. Über 8.800 Ukrainer/-innen mussten vor dem Krieg in ihrem Heimatland fliehen und haben in Leipzig Schutz gefunden.

Die Stadt Leipzig sieht sich verpflichtet, sich gemeinsam mit Vereinen, Gemeinden und der Zivilgesellschaft für ein friedliches Miteinander in der Stadt zu engagieren und potenzielle Spannungen abzubauen – stets im Geist des Erbes der Friedlichen Revolution und dem bürgerschaftlichen Einsatz für Demokratie und Frieden.

Dafür wurde in einem ersten Schritt ein zivilgesellschaftlicher Dialog „Für ein friedliches Miteinander in unserer Stadt im Spannungsverhältnis des Ukraine-Krieges“ vom Referat Internationale Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Referat Migration und Integration ins Leben gerufen, bei welchem Oberbürgermeister Burkhard Jung, Vertreter/-innen ukrainischer und russischer Vereine, Religionsgemeinden und Ämter der Stadtverwaltung am 6. April 2022 bei einem Gespräch zusammenkommen konnten, um über aktuelle Problemlagen und mögliche Lösungswege zu debattieren. Alle Beteiligten sprachen sich zum Ende der Veranstaltung für ein friedliches Miteinander in der Stadt Leipzig und für die Entwicklung konkreter Formate und Projekte aus.

Das Gesprächsformat wird zukünftig ausgeweitet werden, Raum für Diskussionen und einen offenen, gegebenenfalls auch kontroversen Austausch, ermöglichen. Die Fortführung dieses Gesprächsformats wird in Kooperation des Referats Internationale Zusammenarbeit, des Referats Migration und Integration und des Referats Demokratie und Gesellschaftlicher Zusammenhalt verantwortet. Ziel des Formats ist nicht nur der gemeinsame Einsatz für ein friedliches und solidarisches Miteinander in Leipzig, sondern auch die Botschaft des Zusammenhalts und der Völkerverständigung über die Stadtgrenzen hinweg.

Resolution der Leipziger Stadtratsfraktionen und des Jugendparlaments zur russischen Invasion in der Ukraine

--Methodios (Diskussion) 11:18, 9. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Historisch

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Messen 1781

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In der Ost er messe 1781 fand eine so starke Waarenzufuhr statt, »dass fast von allen Arten in- und ausländischer Waaren Ueberfluss auf dem Platze wai*. Allein der Verkauf stimmte hiermit nicht tiberein. Als Gründe hierfür wurden angegeben:

1. dass weniger Polen, als in der vorjährigen Ostermesse anwesend waren und geringere Partien von Waaren kauften;

2. dass nur wenig Russen auf den Platz gekommen und selbst diese wenigen hier keine Geschäfte machten , auch die russischen in dieser Messe fälligen Ri- messen ausblieben und selbst die von diesen bestellten Waaren abgeschrieben worden wären;

3. dass der holländische Einkauf fast ganz fehle und auch die Iserlohner Kaufleute, welche sonst zum Handel nach Holland auf hiesigen Messen fast eben- soviel wieder einkauften, als sie verkauften, wenig diesmal gethan hätten ;

4. dass mehrere Einkäufer aus verschiedenen Gegenden von Deutschland, besonders aus den Fürstl. Sachs. Landen und selbst aus Chursachsen vermisst wurden , welche sich wegen der allhier aus dem Cours gesetzten Karl- und Maxd'or und Laubthaler nach Frankfurt a/M. gewendet hätten und die hiesigen Messen ganz verliessen.

Zum Wegbleiben der Polen habe der dortige Geldmangel und die neue dortige Kleiderordnung beigetragen.

An der russischen Grenze seien neue Zollämter errichtet und die Revisionen


NACH DEN BkRICHTBN DER GoMMERZIENDEPUTATlON. 345

verschärft worden , so dass die russischen Schleichhändler sich nicht mehr ge- trauten, die Messen zu besuchen. Ausserdem hätten sich die Russen durch den auf hiesigem Platz gefundenen fast ungemessenen Credit so sehr mit Waaren überladen, dass sie solche noch grösstentheils unverkauft liegen hätten. Auch fingen die Russen an, grosse Partien Waaren direct aus Frankreich zu beziehen, die nur transito Leipzig kämen.

Holland sei durch die grössere Ausbreitung des Seekrieges sehr gehemmt, besonders nachdem es nicht nur die Neutralität seiner Flagge, sondern auch neuerlich in Amerika die vornehmsten Depots seiner dortigen Handlung ver- loren. Die Holländer hätten aber alle ihre Zahlungen geleistet und sei auf Besserung zu hoffen. Dermalen leiden allerdings durch den unterbrochenen Seehandel mehrere hiesige Landesmanufacturen , besonders aber die Leinwand- handlung.

Ehe der Krieg zwischen England und Holland*) declarirt wurde, war St. Eu- stache^) der Sammelplatz und die Hauptniederlage von allen europäischen Waaren und amerikanischen Producten, wo eine beständige Messe war. Seitdem aber dieser Ort in die Hände der Engländer gefallen (wobei jedoch kein diesseitiges Haus etwas an Waare verloren) , ist auf holländische Entrepöts zum amerika- nischen Handel nicht zu rechnen, sowie auch neutrale Schiffe mangeln. Doch ist die dänische Flagge diejenige, deren sich die Kaufleute am meisten bedienen, und die dänischen Inseln St. Croix und St. Thomas sind die Plätze, über welche dermalen die europäischen Waaren nach Amerika hauptsächlich spedirt werden. Man soll auch daselbst zur Beförderung und Erleichterung der dahin sich wen- denden Handlung Maassregeln genommen haben.

Jedoch wurde geklagt , dass die Handlung in Dänemark nicht thätig genug sei, und es daselbst an grossen Handlungshäusern fehle.

Eine der ergiebigsten Quellen für den Leipziger Messhandel dürften die Juden sein, in Ansehung deren die guten Folgen der 1772 wegen der Mess- Judenpässe getroffenen Einrichtungen sich immer noch bewähren.

Obgleich die Plauen'schen Mousseline , welche sonst nach Russland und Holland gingen, nur wenig Abnehmer fanden, versicherte doch der dortige Kauf- mann Höfer, dass die jährliche Fabrikation von Nesseltüchern von 50 000 bis auf etliche 70 000 gestiegen sei und dass diese Waare in Ermangelung der ostin- dischen Nesseltücher in alle Weltgegenden verlangt würde.

Von den eingeführten 11 977 Stück Tuch blieben nur 2000 unverkauft.« 

Nicht nur die Leipziger Michaelismesse 1781, »sondern auch die Messen zu Braunschweig , Frankfurt a/0., Brunn, Frankfurt a/M. litten darunter, dass der zwischen England und Holland fortdauernde Krieg den Handel nach Amerika hemmte.

»Doch war immer noch eine hinreichende Zahl Einkäufer anwesend, auf die


i ) Der Krieg dauerte von 1 780 bis 1 784 und war veranlasst durch die Haltung der Nieder- lande im nordamerilianischen Befreiungskriege.

2) St. Eustach oder Eustatius in den lileinen Antillen, noch jetzt holländische Besitzung.

2) St. Eustach oder Eustatius in den lileinen Antillen, noch jetzt holländische Besitzung.


846 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

russischen Rückstände gingen gute Zahlungen ein , auch entnahmen die Russen von neuem grosse Partien von Waaren.

Die Messe war deshalb im Allgemeinen mitteimässig.

Guten Absatz fanden nur Mousseline, Pique's, goldene und silberne Tressen, ziemlichen Absatz Halbtuche, einige wollene Zeuge und seidene Waaren.

Den grössten Einkauf haben noch die Polen, Russen und Griechen gemacht. Die Russen sowohl als die Polen haben sich nach ihrer gewöhnlichen Art zum geschwindern Transport der benöthigten Waaren allhier viel Wagen bauen lassen und die Russen sollen sich noch über 100 Pferde dazu gekauft und allein an die 87 beladne Wagen von hier abgeführt haben, so man auf 1800 Gtnr. geschätzt hat. Diese Waaren haben theils in viel Iserlohner Waaren, als seidenen Tüchern, Dosen etc. und theils in seidnen und reichen Zeugen, feinen Tüchern, feiner Leinwand, Tafelzeugen, Plauen'schenMousselinen, weissen Piques und vielen wollenen Zeugwaaren bestanden, davon ein sehr grosser Theil aus hiesigen Landesmanufacturen entnommen worden.

Die polnischen Juden und andere Kaufleute, besonders von Lissa und Brody, sollen theils auf ihren eigenen V^agen theils an Fuhrleute ca. 4000 Gtnr. ver- laden haben , wovon das wenigste in Seiden , das meiste aber in wollenen und baumwollenen, ebenfalls grösstentheils in diesseitigen Landwaaren bestanden haben soll.

Die Kleiderordnung in Polen und das Verbot des Gold- und Silber- tragens fährt fort, dem diesseitigen Gommerzio und vorzüglich den hiesigen Gold- und Silberfabriken sehr nachtheilig zu sein.

Alle genannten Güter sind über Gabel und Bielitz gesandt worden, und weder die Russen noch die Polen haben etwas von ihren Waaren durch die preussischen Lande gehen lassen, weil in kaiserlichen Landen bekanntermaassen weit weniger transito , als in preussisch Schlesien bezahlt wird. Die Russen sollen zwar dem Vernehmen nach, von Königl. Preuss. Seits sehr animirt wor- den sein, ihre Güter durch dasige Lande gehen zu lassen, unter dem Versprechen, dass selbige statt 8  % nur 4  % geben sollten. Es haben aber selbige nicht ge- traut, sondern befürchten , den Polen gleich geschätzt und behandelt zu werden.

Die von hiesiger Messe nach Prag und Wien und weiter über diese Plätze hinaus versendeten Güter werden auf 1500 bis 1600 Gtnr. gerechnet und sollen in allerhand Nürnberger Waaren , feinen wollenen und Rauchwaaren bestanden haben. Hierunter sind der Griechen Güter begriffen , bei deren Wagen allzeit einer von ihnen zugegen sein muss, welcher die specifica über die Colli bei sich führt und den Transito davon erlegt.« 


--Methodios (Diskussion) 18:24, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1782

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Ueber die Ostermesse 1782 berichtet die Commerziendeputation : »Bei der fortwährenden fast gänzlichen Hemmung des Handels nach Spanien , Frank- reich, England, Holland und Amerika war nach der im abgewichenen Jahre ge- machten Erfahrung mit Recht zu befürchten, dass auch diese Messe nicht von der Beträchtlichkeit sein dürfte , als es der Wohlstand der Manufacturen , der Fabriken und der Handlung überhaupt erheischte. Einige Nebenumstände, wo- runter vorzüglich der geringe Erfolg der Messe zu Frankfurt a/M., die schlechten


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation. 347

Wege, die theure Fracht und das Aussenbleiben vieler Einkäufer aus verschie- denen selbst aus chursächsi sehen Landen zu rechnen, vermehrten diese Be- sorgniss.

Die Ursache von der diesmaligen minderen Beträchtlichkeit der Messe zu Frankfurt a/M., welche wegen der vortheilhaftesten Lage des Orts, der daselbst zu entrichtenden geringen Abgaben und verschiedener günstiger Nebenumstände vor anderen Messplätzen viele Fieranten an sich zieht, liegt unstreitig darin, dass dasiger Messhandel grossentheils auf dem Einkauf der Holländer beruht, dieser aber seit dem Ausbruch des holländischen Kriegs ungemein gefallen ist. Leipzig hingegen geniesst noch des Vorrechts , der Marktplatz der nor- dischen Nationen zu sein, auf welche jener Krieg in Absicht des Handels nicht so nachtheiligen Einfluss hat, daher auch deren Einkauf in der diesmaligen Messe noch von Erheblichkeit gewesen ist. Die Russen, Polen und Griechen haben auch diesmal den grössten Einkauf gemacht.

Von Gera waren diesmal 51 Fieranten (plus 12 gegen Ostern 1781) , meist Verkäufer anwesend. Dies bestätigt das Steigen der Handlung zu Gera. Zum Nachtheil des diesseitigen Commerzii gewinnt dieser Ort immer mehr die Ge- stalt eines ansehnlichen Handelsplatzes, so dass dermalen schon zum Theil un- mittelbar auf Gera und nicht, wie vor Zeiten in allen Fällen über Leipzig dahin gewechselt wird.

Plauen'sche Mousseline gehen vielfach unter einem nachgemachten Zeichen als ostindische Waaren, gemeiniglich durch die Schweiz nach Frankreich pr. Gon- trebande, wozu selbst die französischen mit ostindischen Waaren handelnden Kaufleute die Hände bieten.« 

Ein Umstand war der Michaelismesse 1782 vorzüglich günstig »und ver- sprach für die Zukunft noch wichtigere Folgen. Des fortwährenden Seekrieges ungeachtet, wurde nämlich der Handel nach Westindien wieder leb- hafter, indem mehrere neutrale Flaggen in Dänemark, zu Hamburg und Ostende entstehn, wodurch die Waaren zur See ohne Gefahr ausgeführt werden können. Solcher neutraler Flaggen bedienen sich selbst die holländischen Häuser, deren auswärtige bisher sehr eingeschränkt gewesene Geschäfte seitdem zahl- reicher werden. Daher rührt auch unstreitig der diesmalige starke Messeinkauf.« 

»Dänemark benutzt bei weitem nicht alle die wichtigen Vortheile, die gegenwärtiger Zeitpunkt seiner Schiffahrt darbietet, sondern überlässt solche grösstentheils der Stadt Hamburg, deren Handlung auch hierdurch seit kurzer Zeit zu einer unerwarteten Grösse angestiegen ist und bei fortdauerndem Kriege zur See unfehlbar noch höher steigen wird , da sich allmälig mehrere Geschäfte, die vormals über England und Holland gegangen, dahin ziehen.« 

»Es ergiebt sich von selbst , dass auf diesseitigen Handel- und Manufactur- stand, dessen Debouchees nach oben genannten Ländern zeither merklich abge- nommen, dies Steigen der Handlung zu Hamburg den wohlthätigsten Einfluss haben muss. Dieser hat sich auch gegenwärtig durch den ansehnlichen Einkauf der Hamburger und durch ihre Bestellungen für inländische Manufacturwaaren bereits veroffenbart. In Absicht auf diesseitige Handlung wird Hamburg wegen


348 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

seiner älteren Verbindungen und wegen der wohlfeilem Landfracht dahin all- zeit den Vorzug vor Ostende behaupten, umsomehr, da die Hamburger Schiffe ebenfalls mit kaiserlichen Flaggen segeln.« 

»Auch dürfte überhaupt der Handel zu Ostende sich nicht mit Anhalten vergrössern , da selbiger hauptsächlich auf den Geschäften der gegenwärtig aus Noth dahin gegangenen holländischen Familien beruht, die nach Endigung des Seekriegs ohne Zweifel nach Holland zurückkehren werden.« 

»Mit dem starken Absatz vereinigte sich diesmal der seltene Vorlheil, dass die Polen und Russen weniger auf Credit handelten, sondern meistens mit baarem Gelde oder guten Assignationen bezahlten und besonders in dieser Rücksicht lässt sich mit Gewissheit behaupten, dass für die Seidenhandlung seit langer Zeit keine so günstige Messe als gegenwärtige, gewesen ist. Aehn- lich war es mit den Plauen'schen Mousselins etc.

Der Leipziger Lederhandel ging zurück und zog sich zum Theil nach Gera.

Zum starken Einkauf der Russen trug der nach Ostern zu Petersburg ge- wesene grosse Brand bei, wodurch viele dasige englische und fremde Waaren- lager verzehrt worden. Von einem einzigen Moskauer, Namens Tatora, sollen an 100 000 Thlr. Waaren eingekauft sein und der Gesammtbetrag der von den Russen mit ihrem eigenen Geschirr abgeführten Güter wird auf ungefähr 2600 Gtnr. geschätzt.

Der Geld- und Wechselhandel ging sehr stark. Der Kammerrath Frege setzte allein 600000 Thlr. um.

Sehr starken Einkauf, ca. 2000 Ctnr., machten auch die polnischen Kaufleute und Juden von Brody und Lemberg. Man hat bemerkt, dass die polnischen Juden hiesigen Platz immer häufiger besuchen, wogegen sie sich aber von den Messen in Frankfurt a/0. immer mehr abwenden, welche letztere überhaupt wegen der fortwährenden Bedrückungen dergestalt fallen , dass man von vielen hieländischen und andern, selbst Berliner Kaufleuten äussern hörte , sie würden solche künftighin nicht mehr beziehen.

Der König von Preussen, von der misslichen Lage der Frankfurter Messe unterrichtet, hat zwar die Untersuchung und Abstellung ihrer Verfallsursachen dem dasigen Minister von Heynitz aufgegeben , doch ist von besonderen hierauf erfolgten Anstalten z. Zt. nichts bekannt.« 

--Methodios (Diskussion) 18:31, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Messen 1783

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Grosse Hoffnungen setzte man^auf die Ostermesse 1783. Hierfür sprach »die nach dem zwischen den kriegführenden Seemächten geschlossenen Frieden wiederhergestellte Sicherheit der Seehandlung und Schifffahrt überhaupt, der in die nordamerikanischen Staaten eröfifnete frei unmittelbare Handel und die vor- nehmlich durch letzteren allenthalben veranlassten häufigen Speculationen , die glücklichen Wirkungen jener Ursachen in der Frankfurt a/M. Messe, von deren grösserer oder minderer BeträchtHchkeit man bekanntlich auf den Erfolg der nächsten Leipziger zu schliessen pflegt. Hierzu trat noch der Umstand, dass die Messe diesmal ungleich später als gewöhnlich einfiel, und gemeiniglich die späteren Ostermessen , theils weil inzwischen mehr Waaren consumirt wurden, theils weil die entfernten Fieranten mehr Zeit zur Reise zwischen den Messen für


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NACH DEN Berichten der Commerziendbputation. 349

sich haben, theils auch weil dann Wetter und Weg der Reise und dem Transport der Waaren günstiger sind, vortheilhafter auszufallen pflegen, wie denn in der That alle diese Umstände eine ungewöhnlich grosse Anzahl Fieranten herbei ge- zogen hatten. Gleichwohl äusserte bei diesen vortheilhaften Aussichten sich gleich Anfangs die Besorgniss, dass die vorgenommenen Zolländerungen in Russ- land und Livland, die in einigen Ländern eingeschränkte Kleiderpracht und ab- sonderlich das ausgebreitete Gerücht eines nahen Krieges mit der Pforte schäd- lichen Einfluss auf die diesmaligen Messgeschäfte haben dürften. Inzwischen hat sich dieses Besorgniss nur zum Theil bestätigt und der dadurch im einzelnen erwachsene Nachtheil ist durch grössere allgemeine Vortheile überwogen worden.

Es ist nämlich fast von allen Artikeln und vornehmlich von solchen , deren Fabrikation die hiesigen Manufacturen am häufigsten beschäftigt, als ordinäre und mittlere Tuche, Leinwand, Mousseline, Pique, gedruckte und rohe Cottons und andere wollene und baumwollene Waaren , ein überaus beträchtlicher Ab- zug gewesen, mithin die gegenwärtige Messe überhaupt, insbesondere aber in Absicht auf diesseitigen Manufacturstand, als eine vorzüglich gute Messe zu betrachten ist.« 

»Seit geraumer Zeit ist keine Messe so vortheilhaft als die diesmalige für die inländischen Cotton-Druekereien ausgefallen« »Die Seidenhand- lung ist auf hiesigem Platze erheblicher als auf irgend einem andern deutschen Handelsplatze und mögen auf jeder hiesiger Messe und besonders zur Ostermesse für nahe an eine Million Thaler seidne Waaren auf hiesigem Platze sein« 

»Von den Hamburgern sind vorzüglich ordinäre Tuche, Chemnitzer baum- wollene Waaren und andere nach Nordamerika brauchbare Artikel aufge- kauft worden. Ueberhaupt hat der in jenem Welttheile sich neuerlich eröffnete freie Handel zum glücklichen Erfolg der diesmaligen Messe nicht wenig beige- tragen, da ausser den Hamburgern auch die Holländer und mehrere nach Amerika speculirende Handelsleute von verschiedenen Orten grosse Partien Waaren er- handelt haben. Aus hiesigen Landen ist der Gommissarius Mühlberger nach Hamburg abgegangen, um sich daselbst mit einer ansehnlichen Pacotille, die seinem Vorgeben nach grösstentheils in hier zu Lande gefertigten Kleidungs- stücken, als Tuchen, Kleidern, Hemden, Stiefel, Schuhen bestehen, nach Nord- amerika einzuschiflfen. Ueberdies sind von einigen Leipziger, Zittauer und anderen inländischen Kaufleuten, theils einzeln, theils in verschiedenen kleinen Societäten unmittelbare Waaren Versendungen nach Boston und Phila- delphia gemacht worden und ferner zu erwarten. Gleichwohl ist die Errichtung einer Actiencompagnie zum directen Handel nach Nordamerika, worauf vor Kur- zem angetragen worden war, noch ausgesetzt geblieben und es hat die Handel- schaft zuförderst ihr Gesuch erneuert, dass Ihrer Churfürstl. Durchl. gefällig sein möge, eine mit hinlänglichen Handelskenntnissen versehene Person nach Nordamerika abzusenden, durch welche sichere Erkundigung von allen Theilen der dasigen Handlung zum Unterricht der hiesigen Kaufmannschaft eingezogen und das diesseitige Handelsinteresse überhaupt in jenen Gegenden nachdringlich


350 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

befördert werden könne , welches Gesuch man dem Etranger Departement des Churfürstl. Geheimen Cabinets in Verfolg der in der Sache vorhin erhaltenen Veranlassungen unverzüglich commuuicirt hat. Während dass jetzt in Deutsch- land von allen Seiten auf Nordamerika speculirt wird , fällt dagegen allmälig, nach Endigung des Seekrieges, die bisher von Dänemark nach Westindien be- triebene ansehnliche Handlung. Diese würde unfehlbar während fortdauernden Krieges noch höher gestiegen sein , auch vielleicht jetzt noch bestehen , wenn Dänemark die mannigfaltigen von selbst sich dargebotenen Vortheile gehörig zu benutzen gewusst und nicht anderen, vornehmlich der Stadt Hamburg, deren Handlung sich dadurch so sehr emporgeschwungen, überlassen hätte. Zu Ostende nehmen ebenfalls, seit wiederhergestelltem Frieden zur See, die Han- delsgeschäfte merklich ab und ziehen sich, so wie man es voraus gesehen, wieder nach Holland zurück. Dagegen steigt dem Vernehmen nach die Handlung zu Tri est, wohin der Waarenzug von Wien aus bisher so stark gewesen, dass an letzterem Orte Mangel an Fuhrwerk entstanden und das gewöhnliche Frachtlohn daselbst um 1/3 aufgeschlagen ist. Seit einiger Zeit hat man sich Kaiserl. Königl. Seits zwar bemüht ein neues Debouche auf der Donau nach dem schwarzen Meere zu eröffnen und es sind bereits unter der Direction des Wiener Handels- hauses Vilishafen & Co. zwei Schiffe dahin abgesendet worden. Diese Unter- nehmungen mögen zur Zeit jedoch als blose Handelsversuche angesehen werden und man hat nicht gehört, dass solche auf diesseitigen Handel und Manufactur- stand einigen Einfluss gehabt hätten.« 

Ueber die Michaelismesse 1783 berichtet die Deputation U.A.: »Viele russische Kaufleute , polnische Juden und andere entfernte auswärtige Käufer, welche, ohne auf den diesmaligen spätem Eintritt der Michaelismesse zu achten, ihre Anherreise zu der gewöhnlichen Zeit angetreten hatten, befanden sich un- gleich früher als die mehrsten Waarenverleger auf hiesigem Platze, nach deren Ankunft sie sofort zum Einkauf ihrer Bedürfnisse verschritten. Dieser Umstand veranlasste schon vor Anfang der Messe einen ausserordentlich lebhaften Handel und jedermann schmeichelte sich mit der Hoffnung auf einen beträchtlichen Waarenabsatz , da zumal die anhaltende gute Witterung die Ankunft der Fie- ranten und den Transport der Waaren begünstigte. Indessen ist diese Hoffnung, weil in der Messe selbst die Nachfrage nach mehreren Waaren sich verminderte, nicht durchgehends in Erfüllung gegangen.

Doch haben nur einige Waaren, u. A. Tuche, Halbtuche, Raschen und wollene Strümpfe theils mittelmässige , theils geringe Nachfrage gehabt, sonst ist aber von den mehrsten und besonders von den Seidenwaaren , wollenen Zeugen, halbseidenen Kamelotts, Mousselins, Piques, Ganevas, rohen und ge- druckten Kattunen, Leinwand, leonischen, Gold- und Silberwaaren und Material- waaren ein beträchtlicher Abzug erfolgt. Daher kann diese Messe, selbst im Vergleich mit der sehr günstig ausgefallenen Ostermesse, noch als eine gute Messe betrachtet werden.« 

--Methodios (Diskussion) 19:04, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1784

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Die Aussichten auf die Ostermessse 1784 waren ungünstig in Folge des vorhei'gegangenen harten Winters, grosser Ueberschwemmungen und schlechten


NACH DEN Berichten der Commbrzibndeputation. 351

Ausfalls der letzten Messe in Frankfurt a/M. Einen ungtlnstigen Einfluss auf das Seidengeschäft übte auch eine verunglückte Speculalion der polnischen Juden in Hasenfellen aus. »Bekanntlich ist der Handel mit inländischen, böhmischen und besonders mit litthauischen Hasenfellen auf hiesigen Messen von Jahr zu Jahr in eben dem Maasse beträchtlicher geworden, wie bei den Hutmanufacturen, so- wohl durch den häufigen Gebrauch der Hüte, als durch den vorwaltenden Mangel der amerikanischen Biber, das Bedürfniss der Hasenhaare sich vermehrt hat.« 

Die Preise waren binnen wenigen Jahren sehr gestiegen und schliesslich künstlich auf 52 Thaler für das Hundert getrieben worden. Da die Juden nun zu diesem Preise die Hasenfelle nicht mehr an den Mann bringen konnten , ver- fügten sie nicht über die Mittel zum Einkauf. Der grössere Theil ihres Einkaufs bestand aber gewöhnlich in seidenen Waaren.

Zu dem geringen Umsatz in Seidenwaaren trug aber auch der UriTstand bei, »dass die Bussen ihre Bedürfnisse von diesem Artikel grösstentheils aus Frankreich verschrieben und nur nach Leipzig instradirt hätten, von da sie solche während der Messe durch Diener und eigenes Geschirr abholen Hessen, wie denn wirklich bei unserer Anwesenheit ein starker Transport dergleichen Waaren hier durchging«  . . . »Den stärksten Einkauf in der Messe haben nicht die Russen, sondern die Gurländer, die polnischen Juden, die Griechen, die Hamburger und die Holländer gemacht. Von den Russen sind dem Vernehmen nach nicht mehr als 4000 Ctnr. Güter, welche mehrentheils in wollenen und baumwollenen Waaren , hiernächst in feiner Leinwand und Seidenwaaren be- standen, über Crossen abgeführt worden. Unstreitig hat die an der russischen Grenze angeordnete strenge Vernehmung der einbringenden Waaren mit den dortigen hohen Zöllen an dem dermaligen Aussenbleiben der Bussen den grössten Antheil gehabt. Hiernächst mag der schon oben erwähnte Umstand, dass die Russen immer mehr Mittel und Wege finden, die benöthigten Waaren aus der ersten Hand zu ziehen, etwas mit beigetragen haben. Dass aber die Anstellung des russischen Consuls allhier die Entfernung vom hiesigen Platze veranlasst haben sollte , wurde allgemein bezweifelt. Zur Zeit hat benannter Consul auf den Messhandel, mit dem er sich überhaupt nicht bekannt zu machen scheint, so wenig merklichen Einfluss gehabt, dass viele Kaufleute nicht einmal von seiner Ankunft etwas wussten. Auch haben von den hier anwesenden Russen sich nur einige bei ihm gemeldet und diese hat er blos dahin beschieden, dass, wenn sie hier in Rechtshändel verwickelt würden, sie sich an ihn wenden möchten. Der zu Königsberg angestellte Consul ist zu Frankfurt a/0., wo man gleichwohl seine Ankunft vermuthete , nicht bemerkt worden. Nach dem Vor- geben einiger Berliner Kaufleute wird zu Biga ein preussischer Consul nächstens angestellt werden. Einigermassen ist dasjenige , was der Messhandel bei dem mindern Absätze an die Russen verloren hat, durch den ungewöhnlich starken Einkauf der Gurländer in eben denselben Artikeln, welche jene hier zu holen pflegen, wiederum ersetzt worden. Auch sind die von den Curländern erkauften Waaren wirklich zum Schleichhandel nach Lievland und weiter nach Russland bestimmt und zur sicheren Einbringung derselben sind nach der Aeusserung


352 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

eines Mitauer Kaufmanns, in einem kleinen curländischen Orte nahe an der liev- ländischen Grenze bereits Waarenniederlagen angelegt worden. Dieser schon jetzt so wichtige Gontrebandhandel besteht erst seit vorigem Jahre und zu selbigem hat allein die Einführung des neuen allgemeinen russischen Zolltarifs in Lievland, wo vorher die eingehenden Waaren nach weit minderen Sätzen ver- nommen worden, die Veranlassung gegeben. Wahrscheinlich wird sich derselbe künftig noch weiter ausbreiten und dem hiesigen Messplatze noch mehr Vortheile bringen. Zwar sind, wie oben umständlicher angezeigt worden, die polnischen Juden durch den schlechten Erfolg ihrer Speculation auf litthauische Hasenfelle in ihren Messgeschäften sehr zurückgesetzt worden , haben auch überhaupt ge- klagt, dass das Geld in Polen immer seltner und der Waarenabzug geringer werde. Indessen sollen doch die Juden von Brody und Lemberg an feinen und ordinären Tuchen, wollenen Zeugen, baumwollenen V^aaren, Leinwand, Seiden- waaren, Iserlohner und Nürnberger Kurzwaaren ungefähr 700 Gtnr., theils mit eigenem Geschirr, über Sebastiansberg und Teschen von hier abgeführt haben. Neueren Nachrichten zufolge hat Se. Maj. der Kaiser die Stadt Brody zur Be- gründung ihrer Handlung mit Polen, Deutschland und der Türkei zu einem freien Handelsorte wie Triest und Fiume erhoben, dergestalt, dass daselbst von allen eingehenden Waaren kein Zoll ausser den wenig Eingangsgebühren erlegt werden soll. Sollte dies wirklich geschehen sein, so würden die hiesigen Messen , auf welchen die Brodyer Juden schon gegenwärtig wichtige Handels- geschäfte machen, auf alle Fälle dabei gewinnen. Die letzte Messe in Frank- furt a/0. haben die polnischen Juden in geringerer Anzahl als jemals besucht und überhaupt ist dieselbe der allgemeinen Versicherung nach sehr schlecht ausge- fallen. Von den Griechen sind vornehmlich feine Tücher, Mousseline, ächte und leonische Gold- und Silberwaaren, Iserlohner und Nürnberger kurze Waaren, in- gleichen Seidenwaaren und Rauchwerk gekauft und von ihnen überhaupt 900 bis 1000 Gtnr. Güter über Wien versendet worden, wovon der grössere Theil für die Türkei bestimmt sein soll. Noch würde ihr Einkauf beträchtlicher gewesen sein, wenn nicht die Nachricht, dass in Dalmatien die Pest ausgebrochen sei, mancherlei Besorgnisse , besonders wegen Sperrung der , mit ihren Waaren zu passirenden Wege, bei ihnen erregt hätten. Nach Prag und Wien sollen ungefähr 600 Gtnr. Güter, die mehrstentheils in wollenen , baumwollenen und seidenen Waaren, ingleichen in Rauchwerk und in Büchern bestanden, von hier abgegangen sein. Von den Holländern und Hamburgern sind hauptsächlich baum- wollene und Schock- und Matrosen-Leinwand gekauft worden. Auch sind einige dänische Juden auf dieser Messe zum Einkauf gewesen. Man vermuthet, dass der Holländer und Hamburger Einkauf, theils auf Bestellungen aus Spanien, welche der Zurückkunft der spanischen Flotte halber veranlasst worden, theils auch zum Handel nach Nordamerika geschehen sei. Von diesem letzteren haben sich bekanntlich die Franzosen, Holländer und Hamburger vieler wichtigen Zweige bemeistert und werden ohne Zweifel , so sehr auch England bemüht ist ihnen selbige wieder zu entreissen, noch lange im Besitz derselben verbleiben. Dahingegen soll über Dänemark und die dänischen westindischen Inseln fast gar


NACH DEN Berichten T)er Commerziendeputation. 353

nichts mehr nach Nordamerika gethan werden. Der Erfolg der dahin geschehenen kleinen Handelsversuche von hierländischen Kaufleuten lässt sich zur Zeit nicht bestimmen, weil die Retourladungen noch nicht angelangt sind. Indessen er- wartet der hiesige Handels- und Manufacturstand zu seinen künftigen Specula- lionen bald nähere Nachrichten der gegenwärtigen Lage des nordamerikanischen Handels zu erlangen, indem zufolge neuerlich hier eingegangener Briefe der von Ihro Churf. Durchl. als Gommissionär des sächsischen Handels bei den nordamikanischen Staaten angestellte Kaufmann Thieriot nach einer langen und höchst gefährlichen Fahrt endlich in Philadelphia angekommen sein soll.« 

Der geringe Erfolg der Michaelismesse 1784 »hatte seine Ursache haupt- sächlich in dem kurz vor Eintritt derselben ergangenen Verbote der Ein- bringung ausländischer Waaren in die Kaiserl. Königl. Staaten. Solches hat veranlasst, dass viele fällig gewesene Zahlungen von böhmischen, österreichischen und galizischen Unterthanen ausgeblieben, von Lemberg gar keine und aus Böhmen und Oesterreich nur wenig Käufer anher gekommen, auch selbst die Brodyer Juden nur so viel als sie zum Handel nach Russland und in andere auswärtige Lande gebraucht, eingekauft haben. Zu solchem Behuf ist zwar der Stadt Brody das Einbringen und Aufbewahren ausländischer Waaren nachgelassen worden, weil dem Vernehmen nach die dasigen Juden gedroht haben, sich widrigenfalls in den eine Stunde von Brody unter königl. polnischer Hoheit liegenden Ort Rodowil zuwenden und daselbst ihren bisherigen Handel zu treiben. Allein der Verkauf ausländischer Waaren zur inneren Gonsumtion ist besagten Juden gänzlich untersagt geblieben, wie denn überhaupt nach den neuesten bei hiesigen Bankiers eingegangenen Nachrichten dieses Verbot und sogleich vom 1 . November anbefohlenen Verwahrung der ausländischen Kaufmannsgüter in den kaiserlichen Magazinen während der Messe keine Abänderung erlitten hat. Jedoch sollen der Ausführung des eben gedachten Verbotes sich schon gegenwärtig solche Hindernisse entgegenstellen, welche vielleicht nächstens eine wesentliche Abänderung desselben bewirken dürften. Sollte aber auch diese nicht erfolgen, so muss nach der Meinung mehrerer erfahrener Kaufleute sich mit der Zeit ein beträchtlicher Schleichhandel in die österreichischen Lande um so gewisser eröffnen, als nach der bekannten Beschaffenheit der dasigen kaum den fünften Theil des inneren Bedürfnisses hervorbringenden Manufacturen die Zu- fuhr ausländischer Waaren daselbst gar nicht entbehrt werden kann. Unter- dessen steht allerdings zu besorgen, dass, solange der Handel bis dahin auf eine oder die andere Art sich eingerichtet haben wird, einige hierländische Manufac- turen, besonders die Zeug-Manufacturen zu Penig, Frankenberg und Burgstädt in ihrem Umtrieb leiden dürften. Den gesammten Betrag der von jetziger Messe nach Prag und Wien versendeten Güter, so meistens in Rauchwaaren und Büchern bestanden haben sollen, schätzt man nicht höher als auf 400 Gtnr. Von den Bro- dyer Juden sind vorzüglich baumwollene und ordinäre wollene Waaren gekauft und von ihnen dem Vernehmen nach überhaupt 900 bis 1 000 Gtnr. Güter abge- führt worden. Da, wie oben bemerkt, den zwar in Menge meistens aber zum

Hasse, Gescliiclite der Leipziger Messen. 23


354 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

ersten Male zur Messe gekommenen Russen der verlangte Credit selten oder gar nicht zugestanden worden, sie auch mit baarem Gelde und Wechseln nicht reich- lich versehen waren, so haben sich dieselben fast blos auf den Einkauf der noth- wendigsten Bedürfnisse einschränken müssen. Auch soll dasjenige, was sie an Waare hier abgeführt nicht mehr als ca. 400 bis 500 Clnr. ausgemacht und aller- grösstentheils in Leinwand , Piques, gedruckten Gattun und anderen baum- wollenen Waaren, in Tuchen und wollenen Zeugwaaren, zum kleinsten Theile aber in Seidenwaaren bestanden haben.« 

»Die Abwesenheit der meisten der gewöhnlichen russischen Käufer und das Aussenbleiben ihrer fälligen Zahlungen setzt die mit ihnen in Verbindung stehen- den hiesigen Handelshäuser in nicht geringe Verlegenheit, da es zumal dadurch immer mehr das Ansehen gewinnt, als wollten dieselben, nachdem sie nun, zur Erlangung der benöthigten Waare aus der ersten Hand vielleicht Mittel und Wege genug gefunden, von hiesigem Messplatz ganz abziehen. Der nach be- schehener Erhöhung der russischen Eingangszölle entstandene Schleich- handel von Kurland aus nach Livland und Russland soll immerfort sehr lebhaft betrieben werden. Man hofft daher, dass die Mitauer und Libauer Kaufleute, welche zu solchem Behuf bereits in diesjähriger Ostermesse starken Einkauf ge- macht, sich in künftiger Ostermesse (denn die Michaelismessen werden von ihnen gar nicht besucht) noch häufiger einstellen und vielleicht noch beträchtlicheren Einkauf machen werden. Bei dem hier angestellten russischen Gonsul haben sich wenige von den anher gekommenen Russen gemeldet und überhaupt hat dessen Anstellung , wie hier allgemein versichert wird , auf den Leipziger Messhandel zur Zeit keinen besonderen Einfluss gehabt. Der Einkauf der Griechen ist in dieser Messe von ungewöhnlicher Beträchtlichkeit gewesen. Am häufigsten haben sie feine und mittlere Tuche, gedruckte Flanelle, Plauen'sche Mousseline und Rauchwerk, hiernächst ächte und leonische Gold- und Silberwaaren, Nürnberger und Iserlohner Kurzewaaren, auch etwas von Seidenwaaren eingehandelt. Diese nebst den den übrigen von ihnen eingekauften Waaren sollen gegen 1200 Gtnr. betragen haben und allergrösstentheils für die Türkei bestimmt gewesen sein. Von den Holländern sind vornehmlich die baumwollenen Waaren und die Buch- und Matrosenleinwand, von welcher letzterer allein der Amsterdamer Kaufmann Hese für 8000 Thlr. bei der May'schen Leinwandhandlung aus Löbau entnommen, aufgekauft worden. Auch der Einkauf der Hamburger hat meist in Leinwand bestanden, da hingegen geringe Tuche und andere nach Nordamerika gangbare Artikel weniger als sonst gesucht worden. Ueberhaupt soll zu Hamburg der Handel nach Nordamerika , wegen des geringen Erfolges der bisherigen Unternehmungen dahin, weniger lebhaft betrieben werden. Zu der Schwierigkeit daselbst für europäische W^aaren annehmliche Preise und hinreichende Retours zu erlangen , gesellt sich noch der nachtheilige Umstand , dass viele Avanturiers allda sich zu Kaufleuten aufgeworfen haben, mithin die Solidität dasiger Corres- pondenten überall noch sehr zweifelhaft ist. Inmittelst hat die (nach Inhalt vor- jähriger Michaelismess-Relation) von dem hiesigen Kaufmann Vollsack und dem Kammerrath Frege zum ersten Versuch nach Philadelphia beschehene Speculation


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation. 355

einen ganz guten Ausgang gehabt. Die von daher erhaltenen Retours bestehen hauptsächlich in virginischen Tabakblättern, von welchen theils wegen ihrer vor- züglichen Güte, theils weil diese Waare neuerlich im Preise gestiegen, besagte beide Kaufleute einen vortheilhaften Absatz zu machen gedenken, auch zu künf- tigen ähnlichen Speculationen nicht abgeneigt scheinen. Dagegen der mit be- trächtlichen Waarenquantitäten selbst nach Nordamerika gegangene Hofcommissar Mühlberger aus Dresden dadurch seine Umstände so wenig verbessert hat, dass er nach seinem jüngsthin auf hiesigem Platze verlassenen Gircularschreiben seinen Greditoribus wenig mehr als 25^ (welche nicht einmal in baarem Gelde vorhanden sind, sondern erst aus dem Verkaufe einiger Grundstücke zu Dresden gelösst werden sollen) zu offeriren im Stande ist.« 

--Methodios (Diskussion) 19:10, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1785

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Auch die Ost er messe 1785 wird als »nicht vortheilhaft«  bezeichnet. Das österreichische Verbot der Einfuhr ausländischer Waaren und die in den Nieder- landen fortdauernden Kriegsrüstungen lähmten die Speculation. Der Winter war hart und lang gewesen, so dass die Schiffahrt zur See bis zum April ganz unter- brochen war. Nach grossem Schneefall trat im Anfang der Messe Thauwetter ein, so dass die Strassen vielfach ganz unfahrbar wurden und sich die Ankunft sowohl der Waaren als der Fieranten sehr verzögerte. Viele Ausländer kamen erst in der Zahlwoche an. Der Leipziger Rath sah sich deshalb veranlasst, den auswärtigen Fieranten ansagen zu lassen, »dass , wenn sie bis mit der Mittwoch nach der Zahlwoche ihre Gewölbe und Buden offen behalten und stehen lassen wollten, ihnen solches unver wehrt bleiben werde.« 

»Es ist auch diese Anstalt nicht ohne gute W^irkung gewesen.« 

In der Michaelismesse 1785 »gingen einige Artikel, vornehmlich die Tuche und Leinwand, hiernächst die Mousseline, Barchente, Piques, baum- wollene Strumpfwaaren , gedruckte Cattune und Flanelle, incl. die Rauch- und Quincailleriewaaren gut ab , alle übrigen aber hatten entweder einen massigen oder geringen Abzug ; mithin war , die Messe zwar für den grösseren Theil der Landesmanufacturen noch ganz vortheilhaft, im Ganzen jedoch höchstens nur von mittelmässigem Erfolge. In Anbetracht des besonders durch die russischen Zahlungen bewirkten lebhaften Geldumlaufs dürfte sie den Vorzug vor der vor- jährigen Michaelismesse verdienen. Im Gegentheil kommt sie dieser, soviel den gesammten Waarenvertrieb anlangt, nicht völlig gleich.

Der Einkauf der Russen hat vornehmlich bestanden in ostindischen und Plauen'schen Mousselin, feiner Webeleinwand , Seidenwaaren, Tuchen, Rauch- waaren und Iserlohner kurzen Waaren. Sowohl mit dem Einkauf als mit Ein- wiegung und Verpackung der Güter waren die Russen so eilig zu Werke ge- gangen, dass sie mit Ausgang der Messe ihre Geschäfte allergrösstentheils been- digt hatten, welches denn zu der in der Messzeit selbst sich geäusserten Leb- haftigkeit im Handel vieles beitrug. Mit den Russen ist diesmal überhaupt weit vortheilhafter als die letztere Zeit zu handeln gewesen. Insbesondere aber sind mit 4 oder 5 angesehenen Handelsleuten dieser Nation , welche den Besuch hie- siger Messen lange ausgesetzt halten, sehr wichtige Geschäfte gemacht worden und da selbige unter anderen auch ziemliche Quantitäten Seidenwaaren gekauft,

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356 XIV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1729 — 1785

so will man daraus den Schluss folgern, dass sie bei der bisherigen unmittel- baren Verschreibung gedachter Waaren aus Frankreich wohl nicht ihre Gon- venienz ganz gefunden haben mögen und daher wieder anfangen, ihre Bedürfnisse auf hiesigen Plätzen zu erheben. Die von den polnischen Juden hier er- kauften meistens in Chemnitzer baumwollenen Waaren, ingleichen in hierländi- schen und englischen wollenen Zeugen, Seidenwaaren und Iserlohner kurzen Waaren bestandenen Güter sind theils mit deren eignem Geschirr, theils mit Frachtwagen über Böhmen abgeführt worden. Von den Griechen sind die feinen und mittleren Tuche, die Plauen'schen Mousseline, die gedruckten Flanelle, die hiesigen Wachsleinwande, ächte und leonische Gold- und Silberwaaren und englische und Nürnberger Quincaillerien am häufigsten gesucht worden. Der Einkauf der Holländer und Hamburger soll durchgehends von wenigem Be- lang gewesen sein, dagegen haben einige Bremer und Lübecker Handelsleute von hierländischen Tuchen und anderen Landesmanufacturen viel gekauft und wie man vermuthet, zur weiteren Versendung nach Russland. Nach Wien und Prag sind ausser Rauchwaaren und Büchern sehr wenig Güter von hier verführt worden. Zwar haben die anwesenden Böhmen nach verschiedenen Artikeln Nach- frage gehalten, allein weil sie meistens auf Credit kaufen wollen, hat man für zu gefährlich erachtet, sich in Geschäfte mit ihnen einzulassen, da ohnehin jetzt schon beträchtliche Summen an böhmischen und österreichischen, sowohl christ- lichen als jüdischen Handelsleuten verloren worden, die sich fast insgesammt des Vorwandes bedienen, dass sie durch das dasige Verbot der Einbringung auslän- discher Waaren ganz zu Grunde gerichtet und folglich für immer ausser Stand gesetzt worden, ihre Gläubiger zu befriedigen. Ob dieses Verbot ohne den grössten Nachtheil für die Kaiserl. Königl. Lande selbst in der Folge werde be- stehen können, lässt sich um so weniger absehen, da wegen Unzulänglichkeit dortiger Manufacturen der Mangel und die Theuerung der unentbehrlichsten Waaren von Zeit zu Zeit drückender wird, wie denn z. B. in Prag die Elle Soy, so vormals 20 Kr. gegolten, dermalen 40 bis 45 Kreutzer kostet und überdem nicht allemal zu haben sein soll. Nach den bisherigen Vorgängen steht gleichwohl eine Milderung dieses Verbots nicht sobald zu erwarten und wenn auch dasselbe nach der Aeusserung einiger hiesigen Manufacturen-Verleger noch manche Wege zur Einschleifung offen lässt, so können doch diese bei der gegenwärtigen Ver- fassung der dortigen , alles auswärtigen Credits verlustig wordenen Kaufmann- schaft nicht benutzt werden. Hierdurch sowohl als durch die neuerliche Ab- nahme der Cattunfabrikation leidet jetzt allerdings ein Theil des hierlän- dischen Manufacturenstandes absonderlich in den Städten Penig, Burgstädt, Lunzenau, Frankenberg und Mittweida. Indessen versichern die Ver- leger dieser Manufacturorte einstimmig, dass die nothwendige Herabsetzung der Arbeitslöhne die Anfangs besorgte grosse Muthlosigkeit bei den Fabrikanten zur Zeit nicht hervorgebracht habe, noch weniger aber bei dem einen oder andern Nei- gung zu verspüren sei, an den in den Kaiserl. Königl. Landen jedem sich daselbst niederlassenden fremden Fabrikanten zngesicherlen vermeintlichen Vortheilen Antheil nehmen zu wollen. Es dürfte auch letzteres in der Folge nicht leicht zu


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation. 357

befürchten sein, so lange die grösseren und wichtigeren Branchen des inländi- schen Manufacturwesens bei demjenigen Vertriebe, welchen sie obigen speciellen Anzeigen zufolge bisher gehabt, sich erhallen und solchem nach einzelnen in Ab- nahme gekommenen Fabrikorten die Gelegenheit nicht entzogen wird , mit der Zeit andere Beschäftigungen an die Stelle der verlorenen treten zu lassen.« 

»Der Handel mit hierländischen wollenen Waaren nach Spanien zur wei- teren Versendung nach Südamerika geht zur Zeit noch sehr lebhaft und wird durch die neuerlich erfolgte Erhöhung der spanischen Eingangszölle nicht er- schwert, indem diese allgemein ist und überdies blos darin besteht, dass von jedem Hundert des Zollbetrags noch 2Y2 drüber entrichtet werden muss. Der Kammerralh Oehler von Crimmitzschau allein hat seiner Angabe nach im abge- wichenen Sommer für nahezu 100 000 Thlr. von seinen Fabrikaten nach Cadix gesendet, und der Kammerrath Frege allhier, der sich gleich anderen hiesigen Bankiers mit dergleichen Waaren Versendungen beschäftigt, versichert, dass der Be- trag der in jetzt laufendem Jahre überXeipzig nach Spanien gegangenen Landes- manufacturen wenigstens auf eine halbe Million Thlr. zu schätzen sei. lieber die längere Fortdauer dieses wichtigen Debouches sind die Meinungen getheilt. Einige erhoffen solche mit desto grösserer Zuversicht, weil die Waarenbestel- lungen von daher eher zu- als abnehmen, andere aber wollen das Gegentheil be- sorgen und führen als Grund ihrer Besorgniss an, dass der Handel nach dem spa- nischen Amerika, der vormals nur von einer jährlich dahin gesendeten Anzahl Königl. spanischer Schiffe, und allenfalls noch unter besonderer Goncession von einigen sogenannten im Privateigenthum befindlich gewesenen Registerschiffen betrieben ward, jetzt in mehreren spanischen Häfen freigegeben worden sei und das bisherige fast allgemeine Bestreben, an den Vortheilen dieser neuen Handels- freiheit Theil zu nehmen, nothwendig die Folge haben müsse , dass die südame- rikanischen Handelsplätze demnächst eben so sehr wie die nordamerikanischen mit europäischen Waaren überführt sein würden. Die Weiss'sche Handlung von Langensalza ist mit ihrem zeitherigen Absätze nach Italien und Spanien sehr zufrieden und, wie sie versichert, macht sie auch nach Frankreich, des dortigen Verbotes der Einbringung ungeachtet, immerfort ansehnliche Versen- dungen über Genf, ein Weg, der ihr zur Contrebande stets offen gestanden und noch jetzt offen steht, den sie aber auf den Fall zu verlieren befürchtet, wenn diesseits bei dem französischen Hofe auf Milderung des neuerlichen Waarenver- botes angetragen und dadurch auf die zeitherige Einschleifung hierländischer Manufacturen Aufmerksamkeit erregt werden sollte. Auch bei der Albrecht' sehen Zeugmanufactur zu Zeitz ist im abgewichenem Sommer der Abzug nach Spanien und Italien, besonders in die venetianischen Staaten zum weiteren Ver- triebe in die Levante beträchtlich gewesen, wann anhero auch Albrecht das, von ihm und mehreren hierländischen Manufacturverlegern angebrachte auch schon durch die Deputation zum Etranger-Departement des Churfürstl. Geheimen Gabinets mit beifälligem Gutachten beförderte Gesuch um Erneuerung des dies- seits mit der Republik Venedig bestehenden Handelsvertrages dringend wiederholte. Albrecht hält jetzt seiner Aeusserung nach gegen 60 Zeugmacher-


358 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Stühle zu Zeitz im Umtriebe, indem er nicht allein auf drei Draht-Barracanes 20 Stühle gehen lässt, sondern auch die vorlangst dort gefertigte Art Zeuge zu de- bitiren sucht. Ausserdem zieht er den grössten Theil seiner Bedürfnisse von hierländischen Zeugmanufacturorten und fast nur allein die gestreiften Kamelotts aus Gera, welche letztere aber auch die Appretur in der Manufactur erhalten.« 


XV.

Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786—1806 nach den Berichten der Commerziendeputation und der Greheimen

Finanzräthe.

--Methodios (Diskussion) 19:14, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1786

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358 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Stühle zu Zeitz im Umtriebe, indem er nicht allein auf drei Draht-Barracanes 20 Stühle gehen lässt, sondern auch die vorlangst dort gefertigte Art Zeuge zu de- bitiren sucht. Ausserdem zieht er den grössten Theil seiner Bedürfnisse von hierländischen Zeugmanufacturorten und fast nur allein die gestreiften Kamelotts aus Gera, welche letztere aber auch die Appretur in der Manufactur erhalten.« 


XV.

Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786—1806 nach den Berichten der Commerziendeputation und der Greheimen

Finanzräthe.

Mit dem Jahre 1 786 beginnt die Berichterstattung der zu den Leipziger Messen entsendeten Geheimen Finanzräthe neben der Berichterstattung der Landes-, Oeconomie-, Manufactur- und Commerziendeputation herzulaufen. In der nachfolgenden Darstellung wird es nicht immer nöthig sein, beide Quellen auseinander zu halten. Da wo es wünschenswerth erschien , sind die Angaben der Commerziendeputation mit CD., die der Geheimen Finanzräthe mit F. be- zeichnet worden.

Die Ostermesse 1786 war gut. Der Einkauf der Russen verstärkte sich gegen die vorigen Messen um Vieles. Ungeachtet des Fortbestehens des öster- reichischen Einfuhrverbotes erschienen auch Käufer aus Böhmen und Oeslerreich zum ersten Mal wieder in grösserer Zahl.

»Uebrigens ist merkwürdig , dass , so wie bald nach Erlassung des Kaiserl. Königl. Waaren Verbots, nicht nur eine Abnahme der böhmischen und österreichi- schen Käufer, sondern auch der inländischen Fieranten erfolgte, dermalen hin- wiederum mit der zahlreichen Ankunft der ersteren , zugleich auch die Anzahl der letzteren sich verhältnissmässig verstärkt hat, welches dann, verglichen mit den sonst hier eingegangenen Nachrichten, ausser Zweifel setzet, dass ungeachtet jenes Verbot unverändert besteht, dennoch mit Erneuerung der vorigen Handels- verbindungen zwischen hiesigen Landen und den Kaiserl. Königl. Staaten bereits wieder ein Anfang gemacht worden ist.«  CD.

In der Ostermesse waren die Lager fast sämmtlich geräumt worden, so dass im Sommer schon eine starke Zufuhr von Waaren erfolgte und die Michaelis- messe 1786 zeitig einen lebhaften Verkehr aufwies.

»Der Erfolg der Messe ist im Ganzen genommen nicht schlecht ausgefallen. Die russischen christliehen Kaufleute , sowie dasige und polnische Juden haben beträchtliche Geschäfte und zum Theil starke Zahlungen gemacht. Andere De-


NACH DEN Berichten her Commerzibndeputation und der Geh. Finanzräthe. 359

bouches haben aber sehr gestockt und haben daher die mehrsten der Kaufleute und Manufacturiers, welche nicht mit jenen Käufern in Handlungsverbindungen stehen, über geringe Messe zu klagen Ursache gehabt. a F.

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Messen 1787

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Die Ostermesse 1787 war gut.

»Unstreitig aber wtlrde sie in ihrem Erfolge sehr mittelmässig gewesen sein, wenn nicht ein so gar beträchtlicher Waareneinkauf von Seiten der Russen ge- schehen wäre.

Dieser ist auf fast alle Messartikel vornehmlich auf Seidenwaaren, Rauch- waaren, Quincaillerien, Piques, Mousselin, gedruckte Kattune, baumwollene und schafwollene Strumpfwaaren, wollene Zeuge, Leinwand und leonische Gold- und Silberwaaren gerichtet gewesen. Ausser baarem Gelde und Wechselbriefen, hatten die Russen zur Erlangung mehrerer Zahlungsmittel viele von ihren Lan- desproducten, vornehmlich Talg und Pelzwerk anher gebracht. Ueberhaupt erhellt aus allen Umständen, dass der hiesige Messhandel der Russen sich in seinen verschiedenen Zweigen nicht nur merklich weiter ausbreitet, sondern auch mehr Solidität erhält : wie man denn diesmal statt der vormaligen häufigen Klagen über zurückgebliebene russische Zahlungen , allenthalben Zufriedenheit über deren richtigen Eingang bezeigen hörte.

Auch an die Livländer ist zum Theil viel Waare, an die Kurl ander aber, zumal was die Seidenwaaren betrifft, weniger als sonst abgesetzt worden, weil diese Waaren in Mitau, wo bisher keine Hofhaltung gewesen, keinen sonderlichen Abgang gefunden haben sollen.

Nächst den Russen haben jedoch die Polen und unter diesen einige War- schauer Kaufleute den wichtigsten Einkauf gemacht und zwar wie gewöhnlich, in Seiden- und Baumwollen waaren, Leinwand, wollenen Zeugen , Quincaillerien u. dergl. m.

Aus Furcht vor einem nahen Kriege zwischen Russland und der Pforte hielten die, obwohl in Zeiten hier angekommenen Griechen gleich Anfangs mit ihrem Einkaufe zurück, gaben jedoch Hoffnung zu einem weit ansehnlichem, falls die aus Rukarest von ihnen erwarteten Briefe einigermassen beruhigende Nachrichten für sie enthalten sollten.

Allein nach Einlangung dieser Briefe haben sie ihre Messgeschäfte nicht leb- hafter als vorher betrieben, so dass der an dieselben beschehene Verkaufsich auf sehr massige Partieen von Mousselinen , gedruckten Flanellen, feinen und mittleren Tuchen und dergleichen eingeschränkt hat.

Gleichermassen haben die Holländer von baumwollenen, leinenen und anderen Waaren ungleich weniger als sonst gekauft, indem sie, ihrer eigenen Aeusserung nach, bei der jetzigen gefährlichen Lage der vereinigten Niederlande auf keinen gewissen Absatz grosser Waarenvorräthe rechnen könnten.

An Käufer aus dem Reich und aus Niedersachsen ist zum Theil ein nicht unerheblicher Absatz von hierländischen schafwollenen und baumwollenen Waaren geschehen. Von dergleichen ordinären Artikeln haben unter andern auch die mecklenburgischen Kaufleute ziemliche Quantitäten abgeführt , wenig aber von seidenen, reichen und ähnlichen Waaren, weil, wie sie zu erkennen


360 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

gegeben, die neuerlich in Mecklenburg eingeführte Uniform, nebst den übrigen neuen Prachtgesetzen den Absatz kostbarer W^aaren allda geschwächt habe.

Von dem zwischen Grossbritannien und Frankreich geschlossenen Handelsvertrage hat sich noch kein merklicher Einfluss auf das hierländische Manufacturwesen gezeigt. Jedoch fürchtet man , solchen für die Folge beson- ders in Ansehung der schafwollenen, weniger aber bei den baumwollenen W^aaren, weil bekanntermassen die Engländer in solchen Artikeln, zu deren Dar- stellung sie ein fremdes Material verarbeiten müssen, wegen des zu bezahlen- den höhern Arbeitslohnes mit andern gleichartige Waaren fabricirenden Nationen nicht leicht Preis halten können.

Der für hiesige Manufaeturen bisher so wichtig gewesenen Handlung nach Spanien und insonderheit nach Cadix soll ausser dem Stocken, welches einige dortige Falliten und die Ueberführung der Lager verursacht, besonders dies ent- gegenstehen, dass der spanische Finanzminister diesem Handelsplatze sehr ab- geneigt sei und von Zeit zu Zeit die dortige Zolleinrichtung für die Handlung be- schwerlicher mache.

Da aber alle diese Umstände die sächsischen Waaren nicht allein , sondern alle fremden Waaren und wie z. B. bei der Wolle bemerkt worden, selbst die spanischen Producte betreffen, demnächst das Reich an sich in Europa und in seinen weitläufigen amerikanischen Besitzungen eine grosse Anzahl Menschen enthält, deren Bedürfnisse täglich zunehmen , gleichwohl die dortige Fabrication mit solchen Bedürfnissen zur Zeit in keinem Verhältniss steht, auch sobald dahin nicht gebracht werden dürfte , dass sie zur eigenen Versorgung hinreichte ; so dürfte die dermalige augenblickliche Stockung von keiner langen Dauer sein und wenn die Waarenlager in etwas aufgeräumt sein werden, doch wiederum stär- kerer Begehr nach auswärtiger Waare dort eintreten müssen, nur dass solche der Consument wegen der höheren Auflagen theurer zu bezahlen haben , oder mehr Contrebandhandel entstehen würde.«  CD.

»Da gegen die vorjährige Ostermesse oder eigentlich gegen das halbe Jahr vom 1 . October 1785 bis 30. April 1786 die von den eingegangenen ausländischen Waaren entrichteten Accisen um 6130 Thlr. 23 Gr. 1 Pf. gestiegen sind, so er- giebt sich , dass während dieser Zeit wenigstens für eine Million Waaren mehr, als voriges Jahr, auch da der Durchgang nur mit Y3 ^ verrechnet wird, vielleicht noch mehr nach und durch Leipzig gegangen sein müssen.«  F.

Der Michaelismesse 1787 ging man mit geringen Hoffnungen entgegen: »Der unlängst zwischen Russland und der Pforte ausgebrochene Krieg liess den fast gänzlichen Wegfall des sonst so wichtigen Waareneinkaufs der Griechen für die Türkei mit Gewissheit voraussehen und zugleich mancherlei Nachtheil in Ansehung des Vertriebes an die Russen und Polen befürchten. Nächstdem hatten die Unruhen in Holland nicht nur auf die jüngst abgewichene Messe zu Frankfurt a/M. sehr schädlichen Einfluss gehabt und hierdurch schon die Besorg- niss einer nicht mindern nachtheiligen Wirkung auf hiesige Michaelismesse ver- anlasst, sondern sie waren auch gerade mit dem Eintritte der letztern aufs Höch- ste gestiegen, hatten die gesammte Handlung Hollands vollends in ein gänzliches


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 361

Stocken und besonders die Stadt Amsterdam in die gefährlichste Lage gebracht und hierdurch im Gommercio überhaupt um so grössere Furcht und Störung er- regt, da Amsterdam, ausser seinen sonstigen allgemein ausgebreiteten Handels- verbindungen, bekanntlich auch der Hauptwechselplatz für ganz Europa ist. Zu diesem allen kam auch der widrige Umstand , dass seit kurzetn in den Preisen einiger der wesentlichsten Fabrikmaterialien, absonderlich der Baum- wolle und der Seide, ein sehr beti'ächtlicher Aufschlag (Baumwolle 30 bis 40^, rohe Seide 40 bis 50  %) erfolgt, dadurch die Waare verhältnissmässig theurer und daher weniger verkäuflich geworden war.

Da jedoch in Zeiten Käufer aus Russland in ungewöhnlicher grossen Menge, sowie aus Polen zahlreicher als sonst auf dem Platze ankamen und von beiden, vornehmlich aber von den Russen, sogleich nach Waaren aller Art häufige Nach- frage geschähe, so ist die Messe im Ganzen genommen unstreitig mehr gut als schlecht ausgefallen.«  CD.

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Messen 1788

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Die Ostermesse \ 788 fiel sehr früh , was immer als Nachtheil betrachtet wurde. Es vereinigten sich hiermit auch noch andere nachtheilige Umstände. »Die ausserordentliche T heuerung der wesentlichen Fabrikmaterialien dauerte ununterbrochen und zum Theil in vermehrten Maassen fort. Zugleich hatte der K r i e g zwischen der Pforte und Russland und Oesterreich so- fort beim ersten Anfange den aus hiesigen Landen nach der Türkei gehenden starken Waarenvertrieb, so wie hinwiederum die Zufuhr der für die hierlän- dischen Manufacturen unentbehrlichenBaumwolle aus Macedonien, ganz unterbrochen und sonst im Gommercio mancherlei nachtheilige Störungen, unter andern einen auf den meisten deutschen Handelsplätzen und zu Leipzig selbst fühlbaren Mangel an klingender Münze veranlasst. Hierzu kam, dass sowohl der schädliche Einfluss des französisch-grossbritannischenCommerztr ac- ta ts auf die gesammte Handlung Deutschlands, als auch die fortwährende Ab- nahme der Handlung in Holland sich zeither verschiedentlich und noch neuer- dings durch den schwachen Einkauf der Franzosen und Holländer auf der jüngst abgewichenen Messe zu Frankfurt a/M. geäussert hatte. Es geschah auch wirk- lich, dass nicht allein die für die Türkei sonst so ansehnlichen Einkauf machen- den Griechen diesmal meistens alle ausgeblieben, sondern auch aus mehreren Gegenden die Käufer in geringerer Anzahl als im vorigen Jahre auf den Platz gekommen und verschiedene Waarenartikel theils nicht in gewöhnlichen grossen Quantitäten angelangt, theils zurückgeblieben waren.

Ob nun wohl alle diese ungünstigen Aussichten bei dem anfänglich anschei- nenden Stocken des Messhandels vollständig in Erfüllung zu gehen drohten: so ward doch derselbe allmälig durch den zunehmenden Einkauf der Russen und Polen und dadurch, dass ein Theil der zurückgebliebenen Messgüter einging, lebhafter, also dass er zwar nicht durchgehends, jedoch zum Theil beträchtlicher, als zu erwarten gewesen, ausgefallen ist.«  CD.

Die Michaelismesse 1788 verlief günstig, entgegen den gehegten Be- fürchtungen. »Von den russischen, sowohl christlichen als jüdischen Kaufleuten nämlich, welche sonst die Leipziger Messe in nicht geringer Anzahl besucht und


362 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

die wichtigsten Geschäfte gemacht hatten, war nicht einmal der vierte Theil ein- getroffen. Auch fehlten sehr viele griechische Kaufleute. Die Ursache hiervon ist lediglich in den Kriegsunruhen und bei den Russen vorzüglich in dem grossen Geldmangel, so dermalen in Russland herrscht, zu suchen. Schon in der letzten Ostermesse stand der Cours der Rubel gegen holländisch Courrant sehr niedrig. Allein seit Ausbruch des Kriegs zwischen Russland und Schweden ist selbiger noch um einige Stüber herunter gegangen, dergestalt, dass die Russen auch bei dem besten Willen gänzlich ausser Stand gesetzt worden , Ri- messen auf den Leipziger Platz zu machen. Indessen kamen doch, im Forlgange der Messe, wegen der aus Russland zurückgebliebenen Zahlungen, von daher mehrere beruhigende Nachrichten.

Verschiedene dasiger Kaufleute hatten sich nicht nur erboten, in Petersburg, Moskau und andern russischen Orten die auf Wechsel gefälligen Gelder einst- weilen bis zur Erhöhung des Cours zu deponiren und inmittelst mit 4 ^ zu ver- interessiren, sondern auch zum Theil wirklich schon deponirt.

Insbesondere wurden die, mehreren beigegangenen Besorgnisse wegen des Aussenbleibens eines der ansehnlichsten russischen Kaufleute des Juden Nathan Ghaim aus Szkloff bei Mohilew, welchem Ew. Ghurfürstl. Durchl. die Erlaubniss, zwischen den Messen in Leipzig einen jüdischen Handelsbedienten halten zu dürfen sowohl als Höchstdero Lande unter gewissen Begünstigungen, in Handelsgeschäften zu bereisen, gegen gewisse zu bezahlende, jedoch zur Zeil noch rückständige Aversional-Geld-Qu-anta ertheilel haben , durch die , gegen Ende der Messe von seinen Umständen eingegangenen Briefe , gar sehr vermin- dert.

Nach solchen hat er selbst dermalen das Feldlazareth von der russischen Armee, unter dem Feldmarschall Grafen von Romanzow, zu besorgen, wird aber demungeachtet zwei seiner Ilandelsbedienten auf die Martinimesse nach Frank- furt a/0. absenden und nicht geringe Zahlungen machen.

Inzwischen machten zu Leipzig die sich eingefundenen russischen Kauf- leute, im Verhältniss ihrer Anzahl, weit mehr Geschäfte als sonst.

Auch wurden die fehlenden russischen Handelsleute durch die in grösserer Anzahl als ehedem angekommenen polnischen. luden ersetzt. Diese haben sehr viele Geschäfte gemacht und würden noch weit mehr gemacht haben, wenn man ihnen mehrern Credit einräumen wollte. Man trug aber hierunter Beden- ken, da viele von ihnen diese Messe zum erstenmale besucht und von ihrer Soli- dität zur Zeit noch keine Beweise gegeben hatten.

Von den W^aaren hatten die feinen Tuche , Mousseline , Spitzen , Blonden, rohe Kattune, die Material- und Rauchwaaren weniger und die seidenen und halbseidenen Waaren, die seidenen Bänder, die Farbewaaren, die gedruckten Flanelle, die Piques, die Weber, auch baumwollene Waaren und bunte Lein- wand, die leonischen Gold- und Silberwaaren, mittelmässigen Absatz gefunden. Dahingegen wurden die groben Tuche, Strümpfe, englische, auch zum Theil in- ländische Zeugwaaren, die Schockleinwand, das Leder werk, auch bunte Kattune und Barchent, vorzüglich gesucht. Nur allein die Barchentweber zu Suhl gaben


NACH DEN Berichten der Commkrziendeputatiün und der Geh. Finanzrathe. 363

ihren Verkauf auf 450 Centner an. Auch in Kleinigkeiten wurden grosse Ge- schcifte gemacht, wie denn ein russischer Jude bei einem Kaufmann aus Iserlohn nur allein 13 Millionen Nähnadeln für 8000 Thlr. gekauft hat. Nichtweniger waren 214 Stück Pferde mehr als in der letzten Ostermesse, nämlich 578 Stück verkauft worden.«  CD.

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Messen 1789

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Die Aussichten für die Ostermesse 1789 waren ebenfalls schlecht: »Den gesammten Betrag der russischen Rückstände schätzte man zu Michaelis 1788, wo ein Rubel statt ehemaliger 40 bis 42, höchstens nur 32 holländische Slüber zu stehen kam und folglich von Russland aus mit 20 ^ reinem Verlust auf Holland gewechselt wurde, weit über eine Million Thaler.

So empfindlich aber auch damals schon die hierdurch veranlasste Störung im Handel mit den Russen war, so wurden doch diesen — im Vertrauen auf ihre Solidität und in der Hoffnung, dass mehrgedachter holländische Cours noch vor Eintritt des jetztlaufenden Jahres wieder einigermaassen herabsinken werde, anderweit beträchtliche Summen auf neue Rechnung creditirt, auch mit ihnen wegen Tilgung ihrer altern Schulden Arrangements von verschiedener Art getroffen, welchen zufolge theils gegen einen gewissen Rabatt baare Zahlung in der heurigen Neujahi'smesse geleistet, theils der Betrag der Forderungen einst- weilen bei bekannten Bankiers zu Petersburg und Moskau in Rubeln deponirt und mit den desfallsigen Rimessen bis zu niedrigerem Cours der holländischen Wechsel Anstand genommen werden sollte.

Nun ist aber seitdem der Cours diesör Wechsel noch weiter bis auf 28 Stüber gesunken, was einen Verlust von 25 ^ ausmacht.

Da bei so bewandten Umständen die Russen , ohne sich durch jenen Unge- heuern Verlust zu Grunde zu richten, weder die, wegen ihrer altern Rückstände getroffenen Arrangements im Wesentlichen realisiren , noch die Valuta der in letzter Michaelismesse von Neuem contrahirten Schulden anher remittiren können, so hatten sie bereits vor Eintritt der Messe bei ihren Gläubigern theils um längere Gestundung gegen fernerweite einstweilige Deposition der Rubel bei dortigen Bankiers angesucht, theils gegen einen ungleich stärkern Rabatt , als den vorhin ihnen bewilligten , sich zu terminlichen Zahlungen erboten. Es war also schon vor Anfang der Messe entschieden , dass in selbiger von den ausserordentlich grossen Geldsummen, welche die Russen hier abzuführen haben, wenig oder nichts eingehen würde, und mit gleicher Gewissheit war vorauszusehen, dass die Käufer dieser Nation wegen ihnen ermangelnder Zahlungsmittel für diesmal meistens zurückbleiben würden ; welches denn auch wirklich geschah.

Diese höchst widrigen Ereignisse, womit noch andere bedenkliche Umstände, besonders das fernere Aussenbleiben der für die Türkei einkaufenden Griechen, das in letzter Messe zu Frankfurt a/M. bemerklich gewesene fort- währende Stocken im Handel nach Frankreic|h und Holland und endlich der durch viele zu C[adix neuerlich ausgebrochenen F a 1 1 i m e n t e bewirkte plötz- liche Stillstand im spanischen Commerz sich vereinigten , mussten nothwendig allgemeine Besorgnisse über den Ausfall der Messe, sowohl in Ansehung des Waarenvertriebes , als der zu bewerkstelligenden Zahlungen erregen; indess


364 XV. Vhrlauf und ßEnEUTiiNü dkr Leipziger Messen 1786 — 1806

zeigten sich bald von andern Seiten her erwünschtere Aussichten , die den Mulh des Handelsstandes wieder aufrichteten. Die polnischen Juden, die bereits in letzter Michaelismesse sich durch ihren starken Einkauf ausgezeichnet hatten, kamen täglich häufiger an und handelten mit einer ihnen sonst gar nicht eigenen Eilfertigkeit und Begierde mehrere Waarenartikel sofort in grossen Partien ein, zum Theil zwar auf Credit, zum guten Theil aber auch gegen baare Zahlung. Ihnen zunächst folgten christliche Käufer aus Warschau und anderen Orten in grösserer Menge als gewöhnlich. Auch aus dem Taurischen Gouvernement fanden sich ansehnliche Käufer ein, die vorher nie auf den Platz gekommen waren. Hierdurch und da zugleich die hier anwesenden Russen beträchtlichere Ge- schäfte machten , als nach Verhältniss ihrer geringen Anzahl und sonst zu ver- muthen stand, w ard der Messhandel von Tag zu Tag lebhafter und nahm endlich, obschon nicht durchgehends, doch in seinen wichtigsten Branchen so zu, dass im Ganzen genommen dessen Erfolg die Anfangs gefasste Erwartung weit über- troffen hat.«  CD.

Der nachtheilige Einfluss der russischen Creditverhältnisse machte sich während der M ichaelismesse 1789 immer schärfer geltend. Der früher er- wähnte grosse russische Handelsmann Nathan Chaim aus Szkloff bei Mohilew hatte schliesslich doch Banquerott gemacht und die aussenbleibenden Zahlungen setzten Leipziger, Chemnitzer und Plauensche Handelshäuser in die äusserste Verlegenheit. Die Forderungen der (im Bericht der Finanzräthe namentlich auf- geführten) Leipziger Firmen beliefen sich auf eine Million Thaler, die der Chem- nitzer auf 150000 Thlr., der Plauenschen auf 120 000 Thlr.

Das russische Geschäft wurde aber auch wesentlich geschädigt durch den Ukas d. d. Petersburg 20. Juni 1789, welcher die Einfuhr aller fremden Fabri- kate in die russischen Staaten zu Lande verbot und nur zur See gestaltete. Dies bewirkte geradezu einen Stillstand des Handels nach Russland, welcher in der letzten Zeit den Hauptgegenstand des Leipziger Messhandels ausgemacht hatte. »Wie man versichert, haben hauptsächlich die P e ter sburg er Kaufleute in der Absicht, den Vertrieb der ausländischen Waaren im Innern des Reichs in die feste Hand zu bekommen, besagtes Verbot der Waareneinfuhr zu Lande in Vorschlag gebracht und die Sache aus dem Gesichtspunkte darge- stellt, dass bei der bisherigen, auf so mancherlei Schleifwegen geschehenen Waarenimportation auf der Axe der grösste Theil der Zollabgaben unterschlagen worden sei, allen diesen Unterschleifen aber auf einmal dadurch vorgebeugt werden könne , wenn die Waareneinfuhr anders nicht als einzig und allein zur See gestattet würde , indem in den Seehäfen die einkommenden Waaren leicht übersehen werden könnten , auch strenger und genauer untersucht würden , als solches von Seiten der leicht zu bestechenden und schwer zu controlirenden russischen Grenzzolleinnahmen geschehen möge.

Da die Disposition gedachter Ukase fast blos den Kaufleuten zu Peters- burg, Reval und Riga zum Vortheil gereicht, hingegen dem Handelsstande zu Moskau und in den allermeisten, besonders den östlichen Provinzen Russ-


NACH DEN Berichten der Commebziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 365

lands einen höchst nachtheiligen Zwang anlegt, so dürfte solche wahrscheinlich viel Missvergnügen in mehreren Theilen des russischen Reichs verursachen.

Schon wurde referirt, dass die Kaufmannschaft im tau Tischen Gouverne- ment unter der Protection des Fürsten Potemkin um eine Ausnahme von dem Verbot angesucht habe und ob sie gleich zum erstenmal mit ihren Suchen abge- wiesen worden, so glaube man doch, dass sie Gehör finden werde. Ueberhaupt ist man der Meinung , dass die Vorschrift der Ukase schwerlich durchgehends in Ausübung zu bringen sein werde und dass selbige vielmehr aller angedrohten Strafen ungeachtet, in der Folge wegen Weitläufigkeit der russischen Grenzen häufig hinterzogen werden dürfte , da zumal die Einfuhr zu Land über Polen für eine Menge roher Producte sowohl, als für die zum Gebrauch der russischen Flotte im schwarzen Meere und der gegen die Türken zu Felde stehenden russischen Armee bestimmten Waaren nachgelassen geblieben ist und eben dadurch der Contrebande mehrere Thore geöff"net sind.

Indess tritt hierbei nächst der Betrachtung, dass der Handel mit Contre- bandiers allemal gefährlich ist, annoch das gegründete Besorgniss ein, dass mittlerweile, ehe sich die heimliche W^aareneinfuhr zu Lande einrichtet, ein grosser Theil des russischen Handels sich von hiesigem Platze abziehen und ohne Hoffnung von dessen Wiedererlangung den unmittelbaren Weg tlber die See- städte einschlagen dürfte.

Von hierländischen Manufacturverlegern , welche wegen hier ermangelnden Absatzes an die Russen vor der Hand ihre Fabrikation beträchtlich einzuschrän- ken genölhigt sind, wird vorläufig schon auf unmittelbare Versendung nach Russland über Lübeck und andere deutsche Häfen speculirt und haben auch die französischen Manufacturen bereits angefangen, dergleichen directe Versen- dungen nach Petersburg zu machen.

Den neuesten Nachrichten zufolge, hat unlängst der Gours der russischen Rubel gegen holländische Wechsel, sich um ein weniges, nämlich von bis- herigen 28 Stübern auf 29 bis 30 Sttiber gehoben. Man giebt zwar nicht alle Hoffnung auf, dass derselbe ferner steigen und dadurch wenigstens die Ein- ziehung der russischen Schulden erleichtert werden dürfte, zumal wenn nach Beendigung des Krieges mit Schweden die durch selbigen gehinderte Ausfuhr der russischen Producte wieder frei werden würde.

Indess steht allemal mit mehrerem Grunde zu befürchten , dass die ausser- ordentlich grosse Menge des in Russland vorhandenen Papiergeldes, das ver- muthlich von Zeit zu Zeit vermehrt wird und bereits 10^ in der Girculation verliert, dem russischen Credit immerfort nachtheilig bleiben und jenen Cours auch in der Folge niedrig halten möchte.

Während dass vorbeschriebenermassen der russische Handel, wenn auch nicht auf immer , doch auf geraume Zeit für hiesigen Platz verloren gegangen zu sein scheint, hat dagegen der Handel der polnischen Juden über Erwarten zugenommen. Diese Zunahme rührt nach allem, was sich davon übersehen lässt, aus verschiedenen Ursachen her.

Theils ist nach Polen selbst, durch den jetzigen Krieg, viel Geld in den Um-


366 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

lauf gekommen und also dort viel Waarenabsatz ; besonders ist der Waarenver- Irieb während des Reichstags zu Warschau beträchtlich und den Juden diese Zeit über die Handlung daselbst erlaubt. Theils mögen die im Felde stehen- den Armeen und die von den Truppen der beiden Kaiserl. Höfe eroberten tür- kischen Provinzen, vielleicht auch selbst einige russische Provinzen und türkische Gegenden, Waaren aus Polen ziehen.

Nach der grossen Verschiedenheit seiner Bestimmung ist auch der Waaren- einkauf der polnischen Juden diesmal sehr mannigfaltig, jedoch in folgenden Artikeln am beträchtlichsten gewesen; nämlich in Seidenwaaren aller Art, in Piques, in baumwollenen Strumpfwaaren, in gedruckten Kattunen, feinen Halb- tuchen , mittlem und ordinären Tuchen , wollenen Strumpfwaaren , wollenen Zeugen, halbseidenen Kamelotts , ordinärer Schock- und Webeleinwand , ächten und leonischen Gold- und Silberwaaren und in Quincaillerien. Wie gewöhnlich, ist dieser Einkauf zum Theil gegen baare Zahlung, zum Theil auf Credit ge- schehen. Es mag auch wohl der Verkäufer Willfährigkeit in langwieriger Gredi- tirung der Waaren für diesmal gegen die polnischen Juden grösser und allge- meiner als vorhin gewesen sein, da auf der einen Seite diese Juden durch den richtigen Abtrag ihrer in jetziger Messe fälligen Zahlungen sich mehr Zutrauen erworben und auf der andern die Verkäufer sich nothgedrungen gesehen haben, jede nur einigermassen annehmliche Gelegenheit zu ergreifen , um etwas von den ihnen, in Ermangelung des russischen Einkaufs, auf dem Lager gebliebenen beträchtlichen Waarenvorräthen abzusetzen. Nach der heutigen Beschaffenheit der Handlung überhaupt und insbesondere auch des Messverkehrs sind ohnehin Waarengeschäfte von einiger Erheblichkeit gar nicht ohne Risico zu machen und gesetzt der Handel der polnischen Juden wäre mit mehr als gewöhnlichen Gefahren verbunden, so ist doch entschieden gewiss, dass auf selbigem dermalen die Aufrechthaltung der Leipziger Messen und eines Theils der hierländischen Manufacturen wesentlich beruht , wie denn auch ihm hauptsächlich zu verdanken ist , dass die jetzige Messe im Waarenabsatze sowohl als im Geldumlaufe statt des Anfangs besorgten schlechten , den obbe- schriebenen leidlichen Erfolg gehabt hat.

Um so mehr Aufmerksamkeit verdienen daher im gegenwärtigen Augen- blicke die unlängst von den polnischen Juden, in Verbindung mit dem übrigen Theile der auf hiesigen Messen handelnden fremden Judenschaft, beim Geheimen Finanzcollegium angebrachten Klagen, über mancherlei aus der bisherigen Er- hebungsart der jüdischen persönlichen Abgaben entstehende, selbst von den mit Freipässen versehenen Handelsjuden nicht zu vermeidende Beschwerlichkeiten und noch mehr über die nach ihren Angaben , ihnen als jüdischen Glaubensge- nossen , sowohl unterwegs , als hier zu Leipzig von Seiten der Zoll- , Gleits-, Accis- und Post- auch hiesigen Raths-Officianten und sonst vielfältig wieder- fahrende harte und geringschätzige Behandlung.

Nächst den polnischen Juden haben die christlichen Kaufleute aus War- schau, deren Waareuvertrieb beim dasigen Reichstage ebenfalls sehr zugenom- men, und die nieder sä chsi sehen christlichen und jüdischen Handelsleute


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthr. 367

den stärksten Einkauf gemacht; erstere besonders in mittleren und ordinären Tuchen, letztere hingegen in Seiden- und anderen feinen Waaren.

An einige Käufer aus dem Brandenburgischen soll fernerweit ein ziem- lich ansehnlicher Absatz theils von den dort zur Einbringung wieder nachge- lassenen Canevas , theils von den bis jetzt verboten gebliebenen baumwollenen Strumpfwaaren und Piques geschehen sein.

Der Waareneinkauf aber fürBöhmen, Mähren und Oesterreich soll, wie bisher, durchgehends von weniger Bedeutung gewesen sein. Hier und da ist zwar die Nachricht verbreitet worden, dass neuerlich in den Kaiserl. Königl. Landen die Einbringung sächsischer Wollenwaaren connivendo zugelassen wor- den sei.

Allein nach den auf hiesigem Platze eingezogenen Erkundigungen hat sich diese Nachricht nicht bestätigt, vielmehr wird behauptet, dass die Strenge der dasigen Regie immer noch fortdauere und dass nur, wie schon oben gedacht , in Ansehung der Bleche einige Ausnahme um deswillen stattgefunden habe , weil dortige Fabriken dermalen das Erforderniss besonders auch für die Armee nicht ganz liefern könnten. Hier anwesende Kaiserl. Königl. Unterthanen selbst klagten insbesondere über die Theuerung und schlechte Qualität ihrer wollenen Zeug- waaren, an welche sie doch gebunden wären.

Der gegenwärtige Krieg äussert auf den Waarenhandel nach der Türkei noch immer die nämlichen Wirkungen.

Wie in Obigen bei mehrern Gelegenheiten angemerkt worden, geht dadurch hiesiger Platz fernerhin des Einkaufs der Griechen grösstentheils verlustig und der Waarenvertrieb , den man über Triest nach der Levante einzuleiten sich bemüht hat, ist zur Zeit von keiner grossen Erheblichkeit.

Gleichermassen ist in dieser Messe der Einkauf der Holländer ungewöhn- lich schwach gewesen und überhaupt wird in der Handlung Hollands, seit der Zeit der dortigen Unruhen, alljährlich eine grössere Abnahme bemerklich.

Auch von den jetzigen innerlichen Unruhen in Frankreich ist in mehrerer Rücksicht ein von Zeit zu Zeit schädlich werdender Einfluss auf die hierländische Handlung zu verspüren. Wegen des dort allgemein herrschenden Misscredits und Geldmangels werden jetzt sehr wenig unmittelbare Waarenge- schäfte dahin gemacht und auch die letzte Messe zu Frankfurt a/M. ist haupt- sächlich wegen Ermangelung der französischen Käufer schlecht ausgefallen, welches nicht nur für mehrere dort Absatz suchende hierländische Manufacturen überaus empfindlich , sondern auch für jetzige Leipziger Messe besonders inso- fern nachtheilig gewesen ist , dass von demjenigen Theile der Fieranten aus dem Reich, aus Iserlohn und andern Orten , der bekanntlich seinen hiesigen Waaren- einkauf jedesmal nach Verhältniss des kurz vorher zu Frankfurt a/M. gemachten Verkaufs abmisst, wenig Geschäfte geschehen sind. Ueberdem sind, sicheren Nachrichten zufolge, die vornehmsten Bankiers in Frankreich mit den dasigen öffentlichen Fonds so sehr verflochten, dass ihr Fall unvermeidlich zu sein scheint, wenn diese Fonds nicht bald mehr Consistenz erhalten.

Da ein solcher Fall auf viele ansehnliche Handelshäuser in andern euro-


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368 XV. Verlauf UND Bedeutung DER Leipzigrr Messen 1786 — 1806

päischen Reichen und Provinzen besonders in Holland, welche zeither mit einem Bankier in Verbindung gestanden, einen merklichen Einfluss haben würde und selbige leicht zur Suspension ihrer leistenden Zahlungen nöthigen könnte , so ist allerdings zu besorgen, dass die nachtheiligen Folgen davon sich auch mit über den hiesigen Handelsstand verbreiten möchten. Zu dem ist fast nicht zu zwei- feln, dass bei den vortheilhaften Interessen, so in den französischen Anlehns- Negotiationen zu erlangen gewesen und bei der grossen Schwierigkeit, in hiesigen Landen Geld zu placiren, mehrere hiesige Particuliers bei den französischen Fonds direct interessirt sein dürften.«  CD.

Die Ostermesse 1790 hatte einen guten Erfolg.

»Nächst den polnischen Juden sind zu den stärksten Waareneinkäufern in jetziger Messe zu rechnen :

Die christlichen Kaufleute aus Warschau, mit welchen, weil ihr Ver- trieb bei der Fortdauer des Reichstages sich vermehret, besonders in seidenen und andern feinen Modewaaren grosse Geschäfte gemacht worden sind ;

die christlichen und jüdischen Handelsleute aus Niedersachsen, deren Nachfrage hauptsächlich auf mittelfeine und ordinäre Tuche , zum Theil auch auf baumwollene Waaren gerichtet gewesen ;

die Gurländer und Lievländer, an welche vorzüglich Seidenwaaren, feine W^ollen waaren, Piques und andere baumwollene Fabrikate abgesetzt worden;

die Ungarn die sich vornehmlich durch ihren wichtigen Einkauf in Rauch- waaren ausgezeichnet; und endlich

die Griechen und Wallachen, an welche wider Erwarten ein ziemlich starker Absatz vorzüglich von feinen und mittleren Tuchen , baumwollenen Waaren, Seidenwaaren, Rauchwaaren , ächten und leonischen Gold- und Silber- waaren und Quincaillerien geschehen ist.

Insofern als vorbeschriebenermassen der griechische Einkauf sich wieder einzufinden anfängt, auch der der polnischen Juden immerfort im Zunehmen ist, zeigt sich der Türken krieg in seiner Fortdauer für die hierländische Hand- lung weniger schädlich, als zu vermuthen gewesen.

Doch ist der baldige Eintritt des Friedens in der Türkei allemal höchst wünschenswerth , weil solchenfalls ein starker Waarenzug dahin zuversichtlich zu verhoffen steht; wie denn schon jetzt von Constantinopel aus vorläufige Nach- frage nach den currenten Preisen der Plauenschen Waare geschehen.

Die hier anwesenden wenigen russischen Käufer haben viel Credit be- gehrt und weil sie nicht sonderlich bekannt waren, solchen nicht gefunden, auch daher weniger Geschäfte , als sie wohl gewollt, gemacht. Indess sind doch von ihnen, soweit ihre Zahlungsmittel gereicht, Seidenwaaren, Webeleinwand, baum- wollene Waaren, wollene Zeuge, Quincaillerien und andere Artikel gekauft wor- den, die sie sämmtlich durch hiesigen Kaufmann Räder nach Lübeck zur weitern Versendung zur See haben spediren lassen. Dass in den bekanntlich seit einiger Zeit beschehenen unmittelbaren Waarenversendungen nach Russland von Seiten der französischen Seidenmanufaeturen sich neuerlich eine Veränderung oder be- trächtliche Vermehrung ereignet habe, ist nicht zu vernehmen gewesen.


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 369

Vielmehr sind noch in dieser Messe von französischen seidenen Waaren an- sehnliche Versendungen von hier aus über Lübeck und Reval nach Russiand ge- macht worden.

Gleiche Bewandniss hat es auch mit den übrigen nach Russland gehenden und unter solchen mit den hiesigen Fabrikwaaren.

Zwar entsteht daraus das ßesorgniss, dass, wenn die Russen sich einmal daran gewöhnten, ihre Waarenbedürfnisse auswärts zu committiren und kommen zu lassen, sie alsdann hiesigen Messplatz nicht mehr besuchen und dieser Theil des Messhandels verloren gehen dürfte.

Indess zweifeln mehrere, den russischen Handel kennende Kaufleute hieran, um desswillen, weil wie sie sagen, nur die wenigsten der altrussischen Handels- leute im Stande wären, ausgebreitete Correspondenzen, auch Buch und Rechnung zu führen und wahrscheinlich für diese noch lange die Messplätze, auf wel- chen sie ihre Waarenbedürfnisse beisammen fänden, aussuchen und kaufen könnten, unentbehrlich bleiben würden.

Geschehe dieses und die Waaren würden nach wie vor auf hiesigem Platz gekauft, so sei die Einrichtung, dass solche über die Häfen eingebracht werden müssten, eher zum Vortheil als zum Nachtheil dieses Handels, weil bei der Ein- bringung zu Lande viele russische Kaufleute Mittel gefunden hätten, die Zölle zu umfahren, oder doch leicht bei selbigen durchzukommen, wodurch sie hernach in den Stand gesetzt werden, wohlfeiler als die, welche die Zölle richtig abge- führt hätten, zu verkaufen.

Dieses habe denn die letztern oft ruinirt und die Unsicherheit dieses Han- dels vermehrt. Die Defraudationen in der Art wären endlich soweit gegangen, dass von Petersburg aus Commissionen zur Interimsverwaltung verschiedener Landzolleinnahmen abgeschickt wurden, welche in kurzem und eben in den min- der einträglichen Monaten weit mehr als die vorigen Beamten berechnet hätten.

Dies habe nun das vorjährige Verbot der Waareneinbringung zu Lande ver- anlasst. Indess sei zu bezweifeln , dass dasselbe werde bestehen können , weil die auf einer so weitläufigen Grenze nicht zu übersehende heimliche Waarenein- bringung aus den benachbarten Staaten so gross werden dürfte, dass dieser Handel guten Theils in deren Hände gerathen könnte; wie denn schon in jetziger Messe zu bemerken sei, dass jüdische Handelsleute aus Polen Waaren zur heim- lichen Einbringung nach Russland kaufen möchten. Auch hätten besonders die doch im russischen Antheil von Polen einbezirkten Juden von Sklor dermalen einen starken Einkauf gemacht.

Allemal ist soviel gewiss und von den Kaufleuten , welche die russischen Handelsplätze zur Eincassirung ihrer Forderungen bereist i), durchgehends be- funden worden, dass dieses Reich grosse Bedürfnisse an auswärtigen Waaren hat und wegen der starken Ausfuhr seiner unverarbeiteten , andern Na- tionen nothwendigen Producte solche zu bezahlen vermag. Nur scheint es darauf anzukommen, die Häuser, welchen man mit Sicherheit Credit geben kann, zu

Vi Neben Anderen liatte der Leipziger Kaufmann Bassenge 1789 Russland bereist. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen. . 24


370 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

kennen und hierzu dürften die letzten Reisen gedachter Kaufleute sehr nützlich gewesen sein.

Von den russischen Rückständen ist zwar viel , doch grösstentheils mit an- sehnlichem Verlust eingegangen.« 

»Die innerlichen Unruhen in den Lüttich' sehen Landen haben auf den hiesigen Messhandel meistens nur insofern einige Wirkung, als dadurch die da- sigen hier verkaufenden feinen Tuchmanufacturen in ihrem Umtriebe beträcht- lich gestört werden , welche Störung , wenn sie von längerer Dauer sein sollte, vielleicht zur Beförderung der hierländischen feinen Tuchmanufacturen gereichen dürfte, da diese durch die bisher von ihnen beschehenen guten Fortschritte sich mit den Lüttich'schen in Concurrenz zu setzen anfangen.

Dagegen äussern die Brabantischen Unruhen nachtheilige Folgen auf den hierländischen Handel, indem deshalb die letzte Messe zu Frankfurt a/M. für die hiesigen Waarenverkäufer , sowie überhaupt, schlecht ausgefallen ist und die Chemnitzer Baumwollen-Manufacturverleger insbesondere klagen , dass ihr Ab- zug nach den österreichischen Niederlanden ganz im Stocken sei.

Fast ebenso gross ist jetzt die Stockung im Waarenvertriebe nach Holland, welches man ferner der von Zeit zu Zeit sichtbarer werdenden Abnahme der dor- tigen Handlung überhaupt zuschreibt.«  CD.

Im Leinwandhandel nach Spanien dauerte der im Vorjahr fühlbar ge- wesene Stillstand fort, doch war die Ausfuhr sächsischer Wollenwaaren nach Spanien immerfort sehr beträchtlich. Der Wechselcours nach Frankreich sank Mitte April auf 11 ^ unter Pari.


--Methodios (Diskussion) 19:32, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1790

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Die geschilderten Verhältnisse bestanden zum grössten Theil auch noch während der Michaelismesse 1790 fort.

Den Hauptgegenstand des Messverkehrs bildete abermals der Einkauf der Polen, obgleich man den Ausbruch eines Krieges zwischen Russland und Preussen fürchtete, in welchen Polen verwickelt werden könnte. In Moskau traten namhafte Fallimente ein , durch welche deutsche Seidenhandlungen ge- schädigt wurden. Andererseits hatte Fürst Potemkin es bewirkt, »dass das Tau- rische Gouvernement und die Gegend, wo die russische Armee gegen die Türken steht, den freien Waarenanzug zu Lande«  erhielt. Der zwischen Russ- land und Schweden geschlossene Friede ermöglichte die Ausfuhr von Roh- producten aus Russland und besserte dadurch den Gours der Rubel gegen hollän- disch Courant. Auch der »gesicherte Frieden zwischen dem Hause 0 e ste r re i ch und der ottomanischen Pforte hat bereits einen günstigen Einfluss auf die hier-

ländische Handlung gehabt« »Die Ungarn machten einen erheblichen

Einkauf von Rauchwaaren. . . . Auch der Einkauf der Niedersachsen war sehr beträchtlich, geringer derjenige der Brandenburger und Holländer.« 

--Methodios (Diskussion) 19:34, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1791

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Die Ostermesse 1791 wird von der Commerziendeputation , welche da- mals aus Friedrich Ludwig Wurmb, Friedrich Wilhelm Freiherr von Ferber, Georg Heinrich von Carlowitz und Benjamin Leopold Sahr bestand, als eine »vor- züglich gute und vortheilhafte bezeichnet, dergleichen man seil vielen .lahren nicht erlebt hat.« 


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation vtm der Geh. Finanzräthe. 371

Dies wurde diesmal durch die zahlreich anwesenden Käufer aus Polen, Nieder sachsen, Westphalen, aus dem Reich und aus Sachsen selbst, so- wie durch die Griechen bewirkt, denn andere Handelsgebiete waren fest ver- schlossen. Das russische durch das weitere Herabsinken des Courses des Rubels von 29 auf 25Y2 hollündische Stüber, das französische durch Herabsinken des französischen Courses auf 18^ unter Pari und durch den am 21. Januar 1791 erlassenen und schon am 15. Mai in Kraft getretenen strengen tarif de douanes nationales. Auch die Stockung des Handels nach Spanien und Holland war merklicher geworden.

Die Michaelismesse 1791 hatte einen ähnlichen Character, wie die Ostermesse. Die Hauptkäufer stellten Niedersachsen, Iserlohn, die Rheingegend, Böhmen und Chursachsen. Die grossen Hoffnungen, welche man auf den zwi- schen Oesterreich und der Pforte abgeschlossenen Frieden (Sistowa 4. August 1791) gesetzt hatte, verwirklichten sich auch nicht. Auch das russische Geschäft wurde nur um weniges lebhafter, obgleich der Rubel wieder von 25^/2 auf 29 Stüber gestiegen war.

--Methodios (Diskussion) 19:35, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1792

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Trotzdem inzwischen auch zwischen Russland und der Pforte der Friede wieder hergestellt worden war (Jassy 9. Januar 1792) erwartete man in der Ostermesse 1792 die »Griechen aus der Moldau, Wallachei und Bulgarei«  ver- gebens in grösserer Anzahl. Auch von den Russen, von denen gegen alle Ge- wohnheit mehrere die Neujahrsmesse 1792 besucht hatten, erschien nur ein nam- hafter Einkäufer. Auch viele Kaufleute aus Iserlohn und dem Reich, »welche den Frankfurter Messplatz als Verkäufer, den hiesigen aber als Einkäufer besuchen«, blieben aus. Und die christlichen Kaufleute aus Warschau beeilten ihre Rück- reise sehr, »um bei der Feier des Nationalfestes in Warschau zu sein , w obei in Person zu erscheinen ihnen , wie man sagt, bei Verlust des Bürgerrechtes aufer- legt war.« 

In Folge des, wenn auch verspäteten Erscheinens der polnischen Juden und einiger Käufer aus Kurland und Livland, gewann aber der Messhandel trotzdem eine grössere Lebhaftigkeit.

Die Michaelismesse 1792 war nur in wenigen einzelnen Zweigen, unter anderen im Waareneinkauf für Böhmen günstig, und nur der Absatz von Ledei-, Materialwaaren , ordinären Tuchen , wollenen Strumpfwaaren , halbseidenen Waaren und gedruckten Kattunen war gut. »In Polen war die Handlung durch die dortigen Unruhen beträchtlich gestört worden. Die Johann ismesse zu Berditschew, auf welcher der hauptsächlichste Vertrieb der von den pol- nischen Juden in den Frühjahrsmessen zu Frankfurt a/0. und Leipzig erkauften Waaren zu geschehen pflegt, hatte, weil sich aus Furcht vor den daselbst einge- illcklen russischen Truppen Niemand mit Geld oder Gütern dahin wagen mögen, gar nicht gehalten werden können. Die Übeln Folgen hiervon für die mit Polen in Handelsverbindung stehenden deutschen Messplätze hatten sich sofort dadurch veroffenbart, dass in der letzten gegen Ende Juli eingetretenen Margarethenmesse zu Frankfurt a/0. der Waareneinkauf für Polen , sowie die Bezahlung der pol- nischen Rückstände allergrösstentheils unterblieben war.

24*


372 XV. Verlauf und Bedeutung der Lefpziger Messen 1786 — 1806

Nun wurden zwar die gegründeten Besorgnisse , welche die nur gedachter- massen zu Frankfurt a/0. gemachte Erfahrung für den Erfolg der hiesigen Michaelismesse in besonderer Hinsicht auf den so wichtigen polnischen Handel erregt hatte, nach der Hand einigermassen gemildert, als kurz vor Eintritt der sogenannten Böttcherwoche die sichere Nachricht hier einlangte, dass die Sep- tembermesse zuBerditschew(: von welcher, ob sie zu Stande kommen, oder das Schicksal der Johannismesse haben werde, lange zweifelhaft geblieben war:) mit vollkommenster Sicherheit und Ordnung gehalten worden und von besserem Erfolge, als man erwartet, gewesen sei. Allein, wie sich späterhin er- gab, war durch den in selbiger beschehenen, obwohl an sich nicht unerheblichen Waarenvertrieb doch nur der kleinere Theil der grossen Waarenvorräthe, welche die polnischen Juden in den vorherigen Messen zu Frankfurt a/0. und Leipzig aufgekauft hatten, ins Geld gesetzt worden; aus welcher Ursache und weil in Polen überhaupt und namentlich auch zu Warschau der Waarenabzug bisher sehr gestockt hat, verschiedene von den gewöhnlichen polnischen Einkäufern sowohl für ihre Person , als mit ihren Zahlungen zurückgeblieben , von den anher ge- kommenen aber viele so unzureichend mit Zahlungsmitteln versorgt waren, dass sie weder starken Einkauf machen , noch die vorher hier contrahirten Schulden abführen konnten.

Im Handel nach Russlandy wo das für den Leipziger Messplatz höchst nachtheilige Verbot der Waareneinbringung zur Achse unverändert besteht, hatten sich seit Ostern die Umstände nicht nur nicht verbessert , sondern durch den immer tiefer und zuletzt bis auf 25^/4 holländ. Stüber pr. 1 Rubel herabge- sunkenen Wechselcours ferner verschlimmert.

Es erschienen auch viel weniger Russen auf dem Platze , als in vorjähriger Michaelismesse und nur zwei von ihnen machten Geschäfte von einiger Erheb- lichkeit.

Die ebenfalls in verminderter Anzahl zur Messe gekommenen Griechen schränkten sich in ihrem Einkauf um so mehr ein, da ihnen auf ihrer Anherreise die Nachricht von Hause aus zugekommen war, dass in der Wallachei die Pest ausgebrochen und derenhalben der Handel dahin gehemmt sei.

Hierzu kam noch die jetzige Stockung des Waarenzugs nach Frankreich, den österreichischen Niederlanden und den vordem Gegenden Deutschlands und der unter andern dadurch verursachte ausserordentlich schlechte Ausfall der letzten Messe zu Frankfurt a/M.« 


--Methodios (Diskussion) 19:38, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1793

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Die Ostermesse 1793 wurde unter ungünstigen Aussichten eröffnet. »Die zu Warschau, London, Amsterdam, Hamburg, Berlin u. a. 0. plötzlich nach einander ausgebrochenen häufigen und beträchtlichen Fallimen te hatten den kaufmännischen Credit und gleichsam das ganze Wechselgebäude auf eine fast noch nie erhörte gewaltsame Art erschüttert und dadurch in allen Theilen der Handlung eine Hemmung, Unsicherheit und Bestürzung hervorgebracht, wobei die Aufrechthaltung selbst der reichsten und solidesten Handelshäuser in Zweifel gestellt wurde. Vornehmlich drohte die Faillite von Tepper & Co. zu Warschau dem Handel zu Leipzig darum mit fürchterlichen Folgen, weil dieses Haus in


NACH DEN Berichten der CiOMMERziENßBPUTATiON und der Geh. Finanzräthe. 373

seinem Falle viele zu Warschau und andern polnischen Orten etablirte christ- liche und jüdische Handlungen nach sich gezogen hatte , welchen hier in vor- herigen Messen bei Gelegenheit des an sie beschehenen beträchtlichen Waaren- absatzes verhältnissmässig grosse Summen creditirt worden waren, und die nun nicht allein mit ihrem ferneren Einkaufe, sondern auch mit ihren Zahlungen noth- wendig zurückbleiben mussten. Zu der solchergestalt eingetretenen empfind- lichen Störung in dem für Leipzig ganz vorzüglich wichtigen polnischen Han- del war bald nachher die Besitznehmung eines ansehnlichen Theiles Polens von Kaiserl. Russischer- und Königl. Preussischer Seite hinzugekommen, weiche Begebenheit in allem Betracht die llandelsaussichten nach diesen Gegenden noch trüber machte.

Zum Theil hatten sich auch schon die schädlichen Wirkungen der vorer- wähnten Ereignisse auf den Handel nach Polen in letztabgewichener Messe zu Frankfurt a/0. durch den geringen Ausfall derselben deutlich veroffenbart, mit- hin um so gewisser ein gleiches Schicksal der hiesigen Messe voraussehen lassen.

In den Messen zu Frankfurt a/M. beruht, wie bekannt, das Hauptwerk auf dem Waareneinkauf für Frankreich, Holland, die Österreich. Niederlande und die vordem Gegenden Deutschlands. In allen diesen Landen aber wird dermalen Handel und Gewerbe durch den Krieg mehr oder weniger gestört und es konnte daher nicht fehlen, dass auch die letzte Ostermesse zu Frankfurt a/M. schlecht ausgefallen und dadurch der hiesigen Ostermesse , bei der genauen Verbindung, in welcher diese mit jener steht, fernerer Schaden zu- gefügt werden musste.

Von dem neuerlich zum Ausbruch gekommenen Seekriege war vor der Hand für hiesige Handlung der erhebliche Nachtheil wahrzunehmen , dass der nach Spanien und sonst über See gehende Waarenzug durch die Unsicherheit der Schiffahrt gehemmt worden.

Nach Italien war der Waaren vertrieb von der Zeit an, als die Kriegsun- ruhen sich den dortigen Grenzen und Küsten genähert, ins Stocken gekommen.

Im Handel nach der Türkei hatte sich die bisherige missliche Lage der Dinge obschon nicht verschlimmert, doch im Allgemeinen nicht also verbessert, dass von dieser Seite solche Hoffnungen zu fassen gewesen wären, durch welche die mancherlei vorbemerkten Nachtheile hätten ausgeglichen werden können.

In Russland war zwar das für den Leipziger Messhandel überaus lästig gewesene Verbot der Waareneinfuhr zu Lande unlängst aufgehoben und die ehemalige Einrichtung auf den Grenzen hergestellt worden. Allein der in diesem Reiche in stets zunehmendem Masse herrschende Mangel an klingender Münze und der mit selbigem fortwährende niedrige und unsichere Wechselcours (: der neuerlich noch weiter, nämlich bis auf 24 holländ. Stüber für 1 Rubel herabgesunken ist :) legt, nach allen bisherigen Erfahrungen, dem Waarenhandel dahin grosse Hindernisse in den Weg , da durch selbigen die Waaren beim Wiederverkauf vertheuert und deren Debit vermindert werden muss, mithin der ehemalige starke Abzug dahin, jener Erleichterung in der Einfuhr ungeachtet, wenigstens für jetzt mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten stand.


374 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Unter so durchgängig ungünstigen Aussichten nahm nun hier die Messe ihren Anfang. Einigermassen beruhigte man sich zwar, da man sah, dass die Leip- ziger Bankiers, die man zum Theil dem Umsturz nahe geglaubt hatte, Stand hielten, und da es überhaupt das Ansehen gewann, als dürften wenigstens während der Messe die kurz vorher faillit gewordenen hiesigen Handlungen nicht leicht Nach- folge haben. Indess äusserte sich doch fortwährend in allen Zweigen des Messhandels ein ausserordentlicher Misscredit mit seinen gewöhnlichen nachtheiligen Folgen.

Wechselbriefe fanden, bis auf wenige Ausnahmen, weder im Wechsel- noch im Waarenhandel Abnehmer, welches nothwendig die erforderliche Menge der Zahlungsmittel erstaunlich verringerte.

Zudem wurde von Seiten der Waarenhandlungen den polnischen und rus- sischen Käufern meistentheils aller fernerer Credit versagt und dadurch diesen die Nothwendigkeit aufgelegt , den vorgehabten Einkauf, so weit er nicht gegen gleich baare Zahlung geschehen konnte, zu unterlassen. Auch die gegen vorige Messen in einigen Artikeln zugenommene Nachfrage der Griechen wurde zum guten Theil , weil man sich mit ihnen auf den verlangten Credit nicht einlassen mochte, zurückgewiesen. Fast nur allein in denjenigen Zweigen des Messver- kehrs, wo es auf den Einkauf der hierländischen Kramer und Grenz- händler und einiger anderen deutschen Fieranten vornehmlich mit an- kommt, bemerkte man eine Lebhaftigkeit in den Geschäften, wodurch jedoch das, was von so vielen andern Seiten und besonders im polnischen Einkauf zurück- blieb, so wenig hat ersetzt werden mögen, dass die Messe im Ganzen genommen keineswegs von erwünschtem Erfolge gewesen ist.

Am meisten ist noch von den Brodyer und Lemberger Juden im Waareneinkauf geschehen ; dahingegen die Juden aus den neuerlich unter rus- sische und preussische Hoheit gekommenen polnischen Ortschaften, theils wegen des dort stockenden Waarenvertriebes, theils aus Furcht, dass ihr Handel daheim grosse Einschränkungen leiden dürfte , wenig Nachfrage nach Waaren gehalten haben. Allemal sind jedoch verhältnissmässig weit weniger jüdische Handels- leute aus dem nunmehr sogenannten Südpreussen auf hiesige Messen, als auf die Messen zu Frankfurt a/0. gekommen, auf welchen letztern sie in allem Betracht zu den vornehmsten Einkäufern der hierländischen Manufactur-, der französi- schen Seiden- und meist aller anderen Waaren gehören.

Um so grösser sind daher die Besorgnisse der die Frankfurter Messe be- ziehenden vielen hiesigen Manufacturverleger und Leipziger Waarenhandlungen, dass sie den bisher auf besagten Messen gehabten Vertrieb allergrösstentheils einbüssen dürften, wenn Südpreussen den übrigen preussischen Provinzen in Ansehung der Abgaben von fremden Waaren und der Einfuhrverbote gleich ge- stellt werden sollte. Bei mehreren geht diese Besorgniss soweit, dass sie in der Fabrication oder Anschaffung der eigens für den Frankfurter Messplatz bestimm- ten Artikel sich schon von jetzt an beträchtlich einschränken wollen , indem sie vermeinen, es dürfte die von einigen polnischen Juden hier ausgestreute Nach- richt, dass Preussen dem neuacquirirten Theile Polens eine vollkommene Han- delsfreiheit vorläufig zugesichert habe, sich wohl weiter nicht bestätigen, als blos


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 375

in Absieht auf Danzig. Und dann sei die Gefahr noch grösser, nicht allein für den Frankfurier, sondern auch für den Leipziger Messhandel.

Denn so wie seit den mannigfaltigen Bedrückungen und Einschränkungen, welche von Königl. Preuss. Seile die Handlung zu Danzig viele Jahre hindurch gelitten, der wichtigste Theil des Waareneinkaufs für Polen und Russland sich von da weg und nach Frankfurt a/0. und Leipzig gezogen habe , so werde auch solcher, wenn Danzig künftig von jenen Bedrückungen befreit und noch über- dem mit vorher nie genossenen Freiheiten und Begünstigungen unterstützt wer- den sollte, unfehlbar wieder dahin zurückkehren und zwar um so eher, da dieser Handelsplatz viele eigenthümliche Vorzüge habe. Theils sei er den Russen und einem grossen Theile der Polen zur Erholung ihrer Waarenbedürfnisse viel näher und bequemer gelegen als Frankfurt a/0. und Leipzig, theils falle die vornehmste von den jährlichen drei Danziger Messen, die Dominic-Messe , in einer für die Handlung und Schiffahrt ganz vorzüglich bequemen Jahreszeit, nämlich zu Anfang des Monals August; theils habe Danzig als ein Seehafen den wichtigen Vortheil, dass aus den entlegensten Ländern alle Waaren um ein geringes Frachtlohn zu Schiffe dahin geführt werden könnten. Hierzu komme noch, dass, wenn etwa die hierländischen Kaufleute und Manufacturverleger dem veränderten Gange der Handlung folgen und künftig die Danziger Messen besuchen wollten, ihnen solchenfalls die grosse Entlegenheit Danzigs schwere Transportkosten verursachen und sie in den meisten Fällen ausser Stand setzen würde, dort die Goncurrenz der durch die geringe Schiffsfracht an Wohlfeilheit gewinnenden englischen, französischen und niederländischen, auch anderen fremden Waaren auszuhallen.

In Ansehung des von Russland in Besitz genommenen Theils von Polen ist man hier in nicht minder banger Erwartung, ob derselbe bei seiner bisherigen Handelsfreiheit gelassen, oder wie eher zu vermuthen, der in den übrigen rus- sischen Provinzen eingeführten , für den Handel mit fremden Waaren lästigen Grenzzolleinrichtung unterworfen werden dürfte, in welchem letzteren Falle der hiesige Messplatz , in Absicht dessen, was zeither hier von den nunmehr unter russische Herrschaft gekommenen polnischen Juden zum Schleichhandel nach Russland an Waaren eingekauft worden, wahrscheinlich viel einbüssen würde.

Die in Russland neuerlich wieder ertheilte Erlaubniss der Waareneinfuhr zur Achse soll darauf beruhen, dass man gefunden habe, wie der Seezoll nicht in einem solchen Verhällniss gestiegen sei, dass das weggefallene Einkommen vom Landzoll dadurch ersetzt worden wäre. Dermalen hat diese Veränderung die Folge gehabt, dass die von den Russen hier erkauften Waaren sämmtlich auf der ehemaligen Route über Schlesien, also durchaus zu Lande nach Russland mit schriftlichen, von dem hier residirenden russischen Gonsul ausgestellten Pässen abgeführt worden sind , in welchen Pässen , wenn die Kisten oder Colli an der Grenze nicht zurückgewiesen werden sollen, bescheinigt sein muss, dass die- selben französische Manufacturwaaren, deren Eingang dort seit kurzem ganz ver- boten, nicht enthielten. Unter den hier erschienenen russischen Käufern hat sich jedoch nur einer , der bekannte Kaufmann Makarow aus Moskau befunden, mit welchem Geschäfte von Beträchtlichkeit gemacht werden können, dahingegen an


376 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

die übrigen, weil sie zum grössten Theii auf Credit handeln und man ihnen sol- chen nicht gestalten wollen, wenig Waaren, besonders nach Verhältniss der von ihnen gehaltenen Nachfrage abgesetzt werden mögen.

Indess hofft man, dass, wenn künftig die Umstände, vornehmlich in Absicht des jetzigen niedrigen russischen Wechselcourses eine weniger ungünstige Wen- dung nehmen und nicht neue Störungen von andern Seilen her an ihre Stelle treten sollten, der russische Handel sich auf hiesigem Platze durch die, wie oben- gedacht, wieder nachgelassene Waareneinbringung zu Lande in etwas heben, auch solchen Falls das neuerliche russische Verbot der Einfuhr französischer Waaren nicht viel zu bedeuten haben dürfte, weil, wie schon die Erfahrung ge- zeigt, besagte Waaren unter dem Namen italienischer, englischer und Schweizer- waaren einpassirten.

Einigermassen hat zwar die bisherige Stockung der Türkei nachgelassen, indem bei den Plauen'schen Manufacturverlogern wiederum unmittelbare Bestel- lungen aus Gonstantinopel von ziemlicher Wichtigkeit eingegangen sind, demnächst auch die hier anwesenden Griechen nach verschiedenen Artikeln und besonders nach Mousselinen stärkere Nachfrage als in vorigen Messen gehalten haben.

Doch im Ganzen betrachtet, hat sich solcher Waarenvertrieb noch bei weitem nicht zu seiner ehemaligen Beträchllichkeit wieder erhoben, wie denn auch in- sonderheit der Waarenabsatz an die Griechen in hiesiger Messe durchgehends gar massig gewesen ist, wieviel sie anfänglich Lust bezeigt haben, starken Ein- kauf zu machen.

Allein hiervon sind sie den Angaben nach zum Theil durch den jetzt für sie nachtheiligen türkischen Wechselcours auf Wien , ingleichen durch den hier in Leipzig zuletzt bis auf 97^ gefallenen Gours des Wiener Papiers, womit sie hier zu bezahlen pflegen und worauf sie nicht gern so viel Einbusse leiden mögen, abgehalten worden.

Zum Theil aber hat man sich auch mit ihnen auf den vielen Credit, den sie verlangt , nicht einlassen wollen , und statt dessen lieber weniger Geschäfte mit ihnen gemacht.

Die Ursache des so sehr veränderten türkischen Wechselcourses auf Wien, woran die Türkei jetzt gegen sonst auf 25^ verliere, soll darin liegen, dass sich die Levante und selbst Egypten (wie denn Plauen'sche Mousseline bis nach Kairo gehen sollen) wegen des schlechten Ausfalls der dortigen Getreide- ernten geraume Zeit über mit fremdem Getreide versorgen müssen und dadurch dega Ausländer sehr beträchtliche Summen, deren Zahlung guten Theils über Wien geschehe, schuldig geworden sei.

Mehrgedachtermassen ist dermalen wegen der Kriegsunruhen und Unsicher- heit zur See der Waarenabzug nach den österreichischen Niederlanden, Holland, Italien und Spanien sehr im Stocken.

Demnächst hat der französische Landkrieg nicht allein den schon an- gezeigten schlechten Ausfall der Messe zu Frankfurt a/M. , sondern auch dieses bewirkt, dass der unmittelbare Waarenzug von hier aus in die durch diesen Krieg mitgenommenen vordem Gegenden Deutschlands beträchtlich abgenommen


NACH DEN BeRICHTKN DER CuMMEKZIENDEPUTA TION UND DER GkU. FiNANZRATHE. 377

hat und mehrere Käufer aus den oben benannten Gegenden, so wie aus dem Reich von hiesiger Messe für ihre Personen und mit Leistung ihrer Zahlungen zurückgeblieben sind und dass endlich die wenigen direclen Waaren Versen- dungen aus hiesigen Landen nach Frankreich, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahres noch zuweilen über Strassburg zu machen gewesen, nunmehr ganz aufgehört haben.

Eine vortheilhafle Wirkung besagten Krieges hat sich fast nur allein durch den aus hiesigen und benachbarten Landen nach der Schweiz bisher erfolgten starken Abzug der ordinären Tuche hervorgethan , welcher Abzug jedoch neuer- lich abzunehmen scheint.

Soviel hier zu vernehmen gewesen, hat sich der aus hiesigen Landen, be- sonders von der Oberlausitz aus nach Böhmen eingeleitete Handel in Schnitt- und Materialwaaren bei seiner vorigen Lebhaftigkeit erhalten. Neuerlich soll zwar in den Kaiserl. Königl. Landen eine neue Art von Stempelung der Fabrik- waaren eingeführt worden, solche auch für den heimlichen Waarenhandel dahin etwas beschwerlich, jedoch weit weniger lästig sein, als die unter Kaiser Joseph IL eingeführt gewesene ähnliche Stempelung,

Unter den deutschen Käufern haben nebst den Böhmen auch die Nieder- sachsen , vorzüglich , vor allen aber sich die hierländischen Kramer und Grenz- händler durch die Beträchllichkeit ihrer Geschäfte ausgezeichnet, so dass der Ein- kauf der letztern in vielen Artikeln alle Erwartung übertroflen hat.« 

Die Ursachen, welche den ungünstigen Erfolg der Ostermesse bewirkt hatten, dauerten auch während der Michaelismesse 1793 fort. »In der letzten Mar- garethenmesse zu Frankfurt a/0, war sogar den dahin gekommenen Handels- leuten aus Südpreussen der Einkauf anderer als preussischer Landesmanufactur- waaren Anfangs gänzlich untersagt und nachher auf dringende Vorstellung des Magistrats und der Kaufmannschaft zu Frankfurt a/0. nur noch für dies einemal unter der Bedeutung nachgelassen worden , dass künftig die Einbringung frem- der Waaren zur Gonsumtion in Südpreussen weiter nicht statthaben könne.

In Russland war zwar der Wechselcours, dessen bisheriger niedriger Stand den Handel dahin hauptsächlich gehemmt hatte, neuerlich von 24 bis 26 holländ. Stüber pr. 1 Rubel gestiegen. Allein einestheils ist dieses Steigen, weil Russ- land demungeachtet gegen vorige Zeiten , wo der Rubel 40 Stüber und darüber galt, noch immer 36 bis 38^ verliert, von keiner solchen Erheblichkeit , dass davon ein besonders wohlthätiger Einfluss zu erwarten gewesen wäre. Andern- theils ist dasselbe durch blos zufällige Umstände , nämlich durch Versendungen mehrerer russischen Producte, vornehmlich der SchifFsbaumaterialien nach Holland und der dafür dahin trassirten Wechsel veranlasst worden und kann eben deswegen nur von kurzer Dauer sein.« 

In Russland bestand seit dem Ukas vom 14. April 1793 ein neues Waaren- verbot, mit dem es folgende Bewandniss hatte  :

»Ohne Ausnahme sind alle französischen Erzeugnisse und Fabrikate, wie sie Namen haben mögen, verboten, wanuenher auch sämmtliche über die russischen Grenzen passirende Kisten und Colli mit glaubwürdigen Attesten, dass deren


378 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Inhalt nicht in französischen, sondern in andern Waaren besteht, begleitet sein müssen, dergleichen Atteste der hier residirende russische Consul ohne Schwie- rigkeit ausfertigt und sich für das Stück einen Ducaten, auch wohl einen Louisd'or bezahlen lässt. Von den Waaren der übrigen Nationen aber sind sehr viele gar nicht unter dem Verbote begritfen.

Andere Artikel werden damit nicht in allen ihren verschiedenen Sorten, sondern nur in einigen und zwar vornehmlich in solchen betroffen , auf w^elche nach Verhältniss ihres Werths eine theuere main d'oeuvre zu bezahlen ist.

Noch andere Artikel sind durchgängig ohne Unterschied der Sorten verboten und unter diesen befinden sich mehrere für die hierländische Fabrication und den Leipziger Messhandel wichtige Gegenstände, z. B. die Spitzen und Blonden, die ächten goldenen und silbernen Tressen nebst den übrigen aus Gold- und Silbergespinnst gefertigten Arbeiten, die Flore, Marly und Linons, die Hand- schuh, die Hüte, die Spiegel, die stählernen, ingleichen die kupfernen, messinge- nen und plattirten Quincaillerien , nebst den zur Tabletterie gehörigen Artikeln, als Fächern, Dosen von Schildkrot, Papier mache.

Da der russische Hof den Herzog Biron von Kurland genöthigt, eben dieses Waaren verbot in seinen Landen anzuordnen, so besorgte man nicht ohne Grund, dass nun auch der von hiesigen Messen nach Mitau gehende , nicht uner- hebliche Waarenzug für diesmal geschwächt werden dürfte.

Nach Spanien war der Waarentransport fernerhin durch die Unsicherheit der Schiffahrt und den daher rührenden hohen Preis der Assecuranz fast gänzlich verhindert worden und dass dieses der Handlung überhaupt, sowie dem Leip- ziger Messhandel insonderheit sehr schädliche Hinderniss in kurzen gehoben werden dürfte, stand mit Wahrscheinlichkeit nicht zu verhoffen.

In Ansehung des Waarenvertriebes nach der Levante schmeichelte man sich mit besseren Hoffnungen , da die ehemalige Stockung desselben bereits zu Ostern d. J. einigermassen nachgelassen hatte und die seitdem sich ereigneten Begebenheiten in den vornehmsten französischen Häfen des mittelländischen Meeres wahrscheinlich machten , dass derjenige Waarenhandel , den Frankreich bisher ausschliessungsweise nach der Levante betrieben, gutentheils in die Hände anderer Nationen übergehen und dadurch unter andern von hier ein stärkerer Waarenabsatz nach Italien und an die, die Leipziger Messen beziehenden Griechen bewirkt werden dürfte.« 


--Methodios (Diskussion) 19:42, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1794

[Bearbeiten]

Die geschilderten Schwierigkeiten bestanden auch während der Oster- messe 1794 und zwar noch in höherem Grade fort. Die zweite Theilung Polens hatte das früher für den freien Handel offene Gebiet noch mehr eingeschränkt und grosse bisher von Leipzig aus versorgte Gebiete den schwer zugänglichen Zollgebieten der Grossmächte Preussen , Russland und Oesterreich hinzugefügt. Eigenthümlicher Weise hatte man gehofft, die bisherige Zollfreiheit werde in den annectirten Landestheilen, also namentlich in dem neuen »Südpreussen«  aufrecht erhalten werden. Während der Ostermesse 1794 zeigte es sich, dass diese Hoff- nung bezüglich aller drei Grossstaaten natürlich eine vergebliche gewesen war. Der am 24. März 1794 begonnene Aufstand der Polen unter Kosciuszko lähmte


NACH DEN BeRICHTKN DER COMMERZIENDEPUTATION UND DER GeH. FiNANZRÄTUE. 379

aber nicht nur das Geschüft nach Polen selbst, sondern auch den indirecten und directen Handel nach Russland. So erschien aus Russland zur Ostermesse nur der Kaufmann Makarow aus Moskau, während der nach Leipzig geschickte Hand- lungsbedieute des Moskauer Kaufmanns Olonkin bei der Durchreise durch Polen in die Hände der Insurgenten fiel, seiner Gelder und Wechsel beraubt und zwangsweise als gemeiner Soldat eingestellt wurde. Ueberhaupt wird von der »bei den neuerlichen Auftritten in Polen von den Insurgenten gegen die russische Nation an den Tag gelegten Erbitterung«  berichtet.

»Nach der Levanle hat sich der Vertrieb deutscher Tuche über Italien und das österreichische Littorale merklich verstärkt.« 

Die politischen Verhältnisse in Frankreich schädigten nicht nur den Handel dorthin und nach Spanien. Sondern es ging auch durch »die Zerstörung der Lyoner Manufacturen und durch die vom Nationalconvent in Frankreich theils ganz verbotene, theils unter sehr lästigen Bedingungen nachgelassene Waaren ausfuhr aus Frankreich der grosse Vortheil, welchen hiesige Lande und insonderheit der Leipziger Messplatz aus dem Oeconomie- Handel mit französi- schen Waaren gezogen, meistentheils verloren.« 

So kam es, dass das Schwergewicht des Messverkehrs in den »über Erwarten starken Waarenabsatz an hierländische und andere deutsche Käufer aus Niederdeutschland und dem Reich«  fiel , wenn auch hierdurch der Ausfall, namentlich des polnischen Handels, keineswegs gedeckt werden konnte.

Noch weitere Erschütterungen erhielt das Messgeschäft nach dem Osten in der Michaelismesse i794. Die Commerziendeputation, damals bestehend aus F. L. Wurmb, B. L. Sahr und C. F. Freiherr von Just, sagt darüber: »Nach viel- fältig erlittenen Störungen war bekanntlich der polnische Handel zu Leipzig in heuriger Ostermesse von seinem ehemaligen Flor schon so weit herabgesunken, dass in selbiger nur allein die gewöhnlichen jüdischen Fieranten aus den nach der ersten Theilung Polens unter Kaiserl. Königl. und russischer Hoheit gekommenen Ortschaften auf dem Platz erschienen, aus dem übrigen Polen aber und aus Littauen alle christlichen und jüdischen Käufer sowohl für ihre Per- sonen, als mit der Zahlung der ihnen creditirten grossen Summen zurückge- blieben waren. Nun Hess sich zwar bei der dermaligen Lage der Dinge nur all- zugewiss voraussehen, dass letztere sich in jetziger Michaelismesse ebensowenig, als damals einfinden würden. Allein wider alles Erwarten blieben nebst diesen auch die erstgedachten Fieranten aus Brody, Lemberg, Sklow, Smolensk u. a. 0. für diesmal sämmtlich zurück , welches , verbunden mit der eingelangten Nach- richt, dass sie sich insgesammt ohne Ausnahme für insolvent erklärten, eine allgemeine Bestürzung verbreitete.

An ihrer Statt hatten sich mehrere ganz unbekannte Juden hier eingefunden. Diese kauften hier und da kleine Waarenpartien gegen sofortige baare Zahlung, thaten bei dieser Gelegenheit für jene angeblichen Bankerottiers, ohne sich jedoch Anfangs als deren Abgeordnete oder Bevollmächtigte zu geriren, vorläufige Ver- gleichsvorschläge, suchten auch unter der Hand deren Wechsel um ein geringes Geld an sich zu kaufen, zu welchem Behuf, sowie zum vorhabenden Waarenein-


380 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

kauf sie, wie verlauten wollte, mit ansehnlicher Baarschaft versehen sein sollten. Die Vergleichsvorschläge waren durchaus höchst unannehralich, jedoch an sich verschieden ; wobei überall vorgegel)en wurde , sie halten seit Entstehung der Unruhen in Polen bei ihrem Handel beständig Verlust gehabt und endlich auf der letzten Messe zu Berditschew meist alles verloren , indem das daselbst wäh- rend der Messzeit eingerückte russische Truppencorps ihre Waarenlager ausge- plündert habe. Letzterem Vorgeben aber widersprachen einige eben da- mals zu Berditschew anwesend gewesene Berliner Kaufleute und versicherten, es sei den Juden aus den unter russischer Hoheit gelegenen Orten gar kein Leid geschehen und die übrigen polnischen Juden hätten sich zusammen mit 400 Du- caten von der besorgten Plünderung losgekauft.

Ueberhaupt war man hier der Meinung, dass der Juden Angaben von ihrem dermaligen allerseitigen Unvermögen , Zahlung zu leisten , nur zum kleinsten Theile begründet und es übrigens blos auf Betrug dabei abgesehen sei. Nichts- destoweniger befanden sich deren Gläubiger, nach den vorhin von der Beschaffen- heit der polnischen Justiz gemachten leidigen Erfahrungen in der peinlich- sten Verlegenheit über die Wahl der zu ergreifenden Maassregeln. Mehrere von ihnen fielen im ersten Schrecken auf den Gedanken, gemeinschaftlich anzu- suchen, dass sämmtliche hier anwesende polnische Juden, da sie wahrscheinlich durchgehends Abgeordnete der zurückgebliebenen Schuldner wären, sofort nebst den von ihnen erkauften Waaren und den bei sich habenden Geldern und Effecten arretirt und auf solche Weise deren Committenten zu annehmlicheren Zahlungs- vorschlägen genöthigt werden möchten , welches mit den Bechten unvereinbar- liche Vorhaben jedoch nach reiferer Ueberlegung aufgegeben und sich auf güt- liche Unterhandlungen, wiewohl ohne sonderlichen Erfolg, eingelassen, auch von einer hier verkaufenden angesehenen Seidenwaarenhandlung aus Frankfurt a/M. das Auskunftsmiltel erwählt wurde, einen ihrer Associes eiligst nach Brody und Sklow zu senden, um dort an Ort und Stelle die Schuldner selbst zu leidlichen Arrangements zu vermögen und die sonst etwa thunlichen Vorkehrungen in Zeiten zu treffen.

Mit dem vorbeschriebenen fast gänzlichen Ruin des vorher für hiesigen Messplatz von so vorzüglicher Wichtigkeit gewesenen polnischen Handels vereinigten sich diesmal noch viele andere überaus ungünstige Umstände. Zu diesen gehören vornehmlich die bekannten neueren Ereignisse im Landkriege gegen Frankreich.

Nicht nur haben selbige die meisten und wichtigsten Käufer aus den vor- dem Gegenden Deutschlands und aus Holland vom Besuch der jetzigen Messe und zum Theil vom Abtrag der fälligen Rückstände abgehalten und sonst dem dermaligen Messverkehr in vielfältiger Rücksicht geschadet, sondern sie bedrohen auch bei der immer bedenklicher und unsicherer werdenden Lage der Stadt Amsterdam und dem damit verbundenen unerhörten Discredit der dasigen Bank die Handlung überhaupt mit der nahen Gefahr einer allgemeinen Zerrüt- tung. Zu Amsterdam selbst fällt das Bancogeld mit jedem Tage auf einen niedrigeren Gours herab. Hier zu Leipzig sowie auf andern deutschen Plätzen


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 381

hat dasselbe dermalen gar keinen Cours und die in Correntgeld noch statthaben- den Weehselgeschäfte werden mit solcher Zurückhaltung und Furchtsamkeit be- trieben, dass auch der Umsatz des in Gorrentgeld gestellten Amsterdamer Papieres gegen klingende Münze grossen Schwierigkeiten unterworfen ist.

Unter andern kamen hierdurch besonders die zur Messe anwesenden rus- sischen Käufer, deren vornehmstes Zahlungsmittel, wie bekannt, allemal in Tratten auf Amsterdam besteht, in nicht geringe Verlegenheit und sahen sich genöthigt ihren Einkauf weit mehr, als ausserdem geschehen sein würde, einzu- schränken.

Da nun der Messhandel in verschiedenen Theilen noch dadurch, dass die Käufer aus Ungarn sämmtlich und von den gewöhnlich für die Türkei hier ein- kaufenden Griechen , ingleichen von böhmischen und selbst von hierländischen Käufern mehrere aussengeblieben waren, um vieles geschwächt wurde, so gab solches alles der Messe gleich Anfangs ein auffallend ödes und trauriges Ansehen, welches den Erfolg derselben im Voraus ahnen Hess.«  CD.


--Methodios (Diskussion) 19:48, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1795

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Die Ostermesse 1795 wird in dem Berichte des Geh. Finanzraths Wilh. Freiherr von Gutschmid als eine gute Miltelmesse bezeichnet.

»Absatz der inländischen feinen Tuche sehr beträchtlich. Durch die in Folge Krieges eingetretene Zerrüttung der niederländischen , Aachener und Lütticher Tuchmanufacturen werde zwar der Absatz feiner sächsischer Wolle dorthin ver- mindert, dagegen werde die Fabrikation feiner Tuche in Sachsen gesteigert. Sächsische Halbtücher und Kaschmire sind ausserordentlich stark abgegangen, desgl. feine und bunte Mousseline (Plauen) , weniger die ordinäre weisse Waare (theuere Baumwolle). Geringer Absatz feiner weisser Kattune, stärker inlän- discher gedruckter. Oberlausitzer feine weisse Leinwand wenig gefragt. — In Seide wenig fremde Zufuhr. In Leipzig selbst ist die Seidenfabrikation gestiegen. Die dasigen Stickereiwaaren finden noch immer leidlichen Abgang. Weisse Blechwaaren und Eisen waaren gesucht. Leder theuer und stark gefragt.« 

Die Commerziendeputation berichtet, dass die polnischen Juden ihre Schul- den zum Theil bezahlt hatten , zum Theil Stellvertreter mit grossen Geldmitteln zum Baareinkauf sandten.

In dem Credit, welcher den polnischen Juden auf der Leipziger Messe ein- geräumt wurde , lässt sich eine regelmässige Ebbe und Fluth beobachten. Auf Zeiten übermässiger Creditgewährung und darauf eintretender grosser Verluste folgen Zeiten , in denen an die Juden nur gegen baar verkauft wurde , bis die Goncurrenz wieder zur Creditgewährung drängte und das Spiel von neuem begann.

So erschienen denn zur Michaelismes se 1795 die polnischen Juden wieder in grosser Zahl »und handelten, da sie im Voraus wussten, dass Credit ihnen ver- sagt werden würde, allenthalben gegen baare Zahlung.« 

Auch die Russen, Griechen und Wallachen, sowie Holländer, Schweizer, Hamburger und Niederdeutsche erschienen zahlreicher, als bisher. Die Messe übertraf an Umsatz, wenn auch zu billigen Preisen, alle bisherigen. Humphrey & Co. aus Manchester meldeten allein für 48 080 Thlr. baumwollene und Le Vier & Co.


382 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

für 61 700 Thlr. seidne Waaren an. Wenn dies auch der inländischen Industrie grosse Goncurrenz machte, so liess doch »der Cammerrath Frege auf seinem Gute Abtnaundorf auf Bestellung ununterbrochen seidne Waaren machen, und die Handlungen von Leistner, Felix, Lessing, beschäftigen mit ihren Stickereien in Leipzig gegen 1000 Personen und können nicht immer die Bestellungen fördern. Von den schafwollenen Waaren hat die feine Tuchfabrikation in Ghursachsen seit einigen Jahren und besonders während des französischen Krieges sich zu einem sehr beträchtlichen Handelszweig erhoben. Die hiesigen Tuche finden jetzt aus- wärts so viel Nachfrage , dass sie grösstentheils von den Fabrikanten gleich von Haus aus versendet worden, daher nicht gar viel dergl. Waare zur Messe ge- kommen war.«  F.R.

Man sieht , dass die Blüthe der sächsischen Exportindustrie sich schon da- mals nicht ohne Weiteres an dem Umsatz der Leipziger Messen bemessen liess. Nichtsdestoweniger fügt der Geh. Finanzrath Thomas von Wagner seinem Bericht über die Michaelismesse 1 795 gewiss mit vollem Rechte die allgemeine Bemer- kung bei :

»In der letzten Messe war wieder von vielen Seiten bemerkbar, dass der sächsische Handel den Vortheil , der allein fähig ist, demselben gegen die Be- mühungen anderer Lande eine längere Dauer zu sichern , den Vortheil des Han- delsverkehrs und der Handelscorrespondenz, im Grossen für sich gewonnen habe. Leipzig ist allmählich der Messplatz für die nördlichen Provinzen gewor- den, wo sie ihre Bedürfnisse an Waaren suchen. Dieses hatte wieder eine Menge Käufer zur Messe geführt. Dem inländischen Fabrikanten fällt dadurch eine be- ständige Gelegenheit zu , seine Producte mit den englischen in Goncurrenz zu stellen und bald abzusetzen. Auch hier hat die Art des Einkaufs der Polen und Russen eine solche Wendung genommen, dass dieser Messhandel nicht sobald aufhören oder sich wegwenden dürfte.« 


--Methodios (Diskussion) 19:50, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1796

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https://img.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN52146935X_17960203/PDF/00000011.pdf :

Ostindische Waren

Die Ostermesse 1796 bezeichnet der Geh. Finanzrath A. W. G. von Leip- ziger »als eine gute, ja beinahe mehr als gute«  und bemerkt, der Krieg an der Reichsgrenze sei für die in Frieden lebenden Provinzen nur vortheilhaft.

Die Gommerziendeputation , bestehend aus F. W\ von Ferber, G. H. von Carlowitz und B. L. Sahr erstattete über diese selten gute Messe einen besonders ausführlichen Bericht. Wir müssen uns auf folgende Angaben aus demselben beschränken.

Der wichtige Handel nach Polen liess sich gut an , obwohl die polnischen Fieranten auch diesmal baar zahlen mussten und bei der Zahlung in den ver- schiedenen Münzsorten das Handeln noch einmal von vorn anfingen und den Ab- schluss der Geschäfte dadurch verzögerten. Ein Rückschlag trat ein, als die Polen die Nachricht erhielten, das russische Zollsystem sei auch auf die von Russland erworbenen polnischen Gebiete ausgedehnt worden, besonders »weil sie die Zollofficianten , welche während ihrer Abwesenheit auf die neuen Zoll- stätten erst gekommen wären, noch nicht kennten und also nicht wüssten, wie mit selbigen auszukommen sein würde.« 

»Während solchem nacli im Waarenubsatze nach Polen die anfänglichen


NACH DEN Berichten der Commerziendkpltation und der Geh. FinanzrXthe. 383

guten Aussichten bei weitem nicht durchaus in Erfüllung gingen , erhielt der Messhandel ftlr das, was von dieser Seite zurückblieb, reichliche Entschädi- gung von einer andern Seite, woher man dergleichen, wenigstens in so erheb- lichem Maasse, nicht erwartet hatte. Es hatten sich nämlich besonders aus Niedersachsen und Westphalen, demnächst auch aus Königsberg und Dan zig, ja selbst aus Dänemark und Schweden viele wichtige Käufer, wo- von der grössere Theil vorher nie auf den Platz gekommen, diesmal hier ein- gefunden, deren Nachfrage auf meist alle Waarenarlikel gerichtet und nach einigen z. B. nach ordinären und mittleren Tuchen, bäum- und schafwollenen Strumpfwaaren , ordinären gedruckten Kattunen , bunter Leinwand etc. so stark war, dass die davon vorhandenen Messlager nicht dazu auslangten.

Zugleich erfolgte für hiesige Lande ein Waareneinkauf von mehr als zeit- heriger Beträchtlichkeit.

Ueberhaupt ist deren Einkauf zum guten Theil also beschaffen gewesen, dass aus selbigem, sowie aus den Aeusserungen der Einkäufer selbst deutlich hervor- geht, dass durch die grössere Wohlhabenheit, zu welcher bei der langen Dauer der guten Naturalienpreise der begüterte gemeine Landmann in den von den Drangsalen des Krieges verschont gebliebenen Gegenden Deutschlands nach und nach gelangt ist, die Waarenbedürfnisse desselben sich neuer- lich sehr vervielfältigt haben, auch hier und da der Wunsch nach einer zier- licheren und bequemeren Bekleidung, als seiner zeitherigen, in gleichem Ver- hältnisse mit den zu dessen Befriedigung in Händen habenden mehrern Mitteln bei ihm reger geworden sein mag.« 

»Die Käufer aus Russland sind in grösserer , als gewöhnlicher Zahl auf den Platz gekommen.

Auch sind mit denjenigen, welche zeither immer Wort gehalten und daher Credit haben , unter andern namentlich mit den beiden Moskauer Kaufleuten Makarow und Sutof, Geschäfte von grossem Belang gemacht worden, dahingegen man sich mit den übrigen nicht leicht weiter eingelassen hat, als soweit sie die ausgesuchte Waare baar haben bezahlen können.

Nach Curland aber hat man einige Verstärkung des Waarenzuges aus den von Mitau hier eingegangenen Waarenverschreibungen und aus dem Einkaufe der hier anwesenden Curländer, wahrnehmen wollen und die Mannigfaltigkeit der dahin abgeführten Waarenartikel lässt mit Grund vermuthen , dass allda die russische Zolleinrichtung nebst den damit verbundenen Waarenverbolen ent- weder noch nicht eingeführt sei, oder wenn sie es sein sollte, nicht streng beob- achtet werde.

Der Waareneinkauf der Griechen und Wallachen ist auf die gewöhn- lich von ihnen gesuchten Artikel gerichtet und mitunter, z. B. in Rauchwaaren, ganz ansehnlich, in vielen andern Artikeln aber, namentlich in Tuchen und Mousselinen massiger gewesen, als man vermuthet hat, da doch der über Wien und Triest nach der Türkei gehende Tuchwaaren- Vertrieb beständig im Zu- nehmen ist, auch die der Plauenschen Mousselinmanufactur aus Constantinopel zukommenden Bestellungen sich seit einiger Zeil wieder verstärkt haben und es


384 XV. Verlauf UND Bedeutung DER Leipziger Messen 4 786 — 1806

folglich in dasigen Gegenden den Verkäufern beider Artikel an Absatz nicht fehlen kann.

Nach Italien hat zeither, wie sich aus allen Nachrichten bestätigt, der Ver- trieb hiesiger Manufacturwaaren, namentlich der Tuche, Kasimirs, Mousseline, Piques und Leinwand fortwährend zugenommen und es lässt sich mit Grund be- haupten, dass noch zu keiner Zeit die unmittelbaren Handelsgeschäftenach diesem Lande für den inländischen Manufacturstand, überhaupt betrachtet, von solcher Wichtigkeit gewesen, als sie es jetzt sind.

Nur besorgt man, dass die neuesten Kriegsereignisse in Italien den Waaren- zug dahin hemmen dürften.

Der Friede zwischen Spanien und Frankreich hat auf hiesige Manu- facturen den ferneren wohlthätigen Einfluss, dass nun, ausser der Leinwand, auch die Chemnitzer Baumwollenwaaren , die wollenen Strumpfwaaren und die Wachstücher (deren Zubereitung für die Stadt Leipzig ein Nahrungszweig von Erheblichkeit ist) wieder häufigen Abgang nach den spanischen Häfen finden. Von gedruckten Flanellen aber, ingleichen von schwarzen Draps de dames und ähnlichen Wollenartikeln will sich der Vertrieb dahin — man glaubt wegen dort überwiegender Concurrenz der englischen Waare — noch nicht wieder beleben.

Aus Hollarid, woher die Bestellungen auf Chemnitzer Baumwollenwaare lange zurückgeblieben sind, fangen selbige an, wieder einzugehen.

Auch haben die hier anwesenden Holländer von dergl. Baumwollenwaare, ingleichen von Buchleinen etwas mehr, als in vorjährigen Messen gekauft.

Unverkennbar ist dem allen ungeachtet aber der mit der Fortdauer des See- krieges stets weiter gehende Verfall der Handlung Hollands in allen ihren mannigfaltigen Theilen , wovon viele schon ganz in andere Hände übergegangen sind und leicht auf immer für Holland verloren sein dürften.

Nächst England, das sich nun im Besitz aller holländisch-ostindischen Be- sitzungen befindet und mit der baldigen Eroberung auch der holländisch -west- indischen Besitzungen droht, hat vorzüglich Hamburg sich eines ansehnlichen Theiles der holländischen Handlung bemächtigt und dadurch sowie überhaupt, durch die während der Dauer des Seekrieges sich dazu dargebotenen Mittel seinen Handel zu einer Höhe erhoben-, auf welcher er vorher noch nie gestanden hat. Nicht minder merkwürdig sind jedoch die ausserordentlichen Fortschritte, welche die nordamerikanischen Freistaaten während des Seekriegs in ihrer Handlung und Kauffahrteischiffahrt gethan haben und noch unausgesetzt thun, da die Neutralität ihrer Flagge und die Achtung, worin sie dieselbe zu er- halten wissen , ihnen dermalen , wo die vornehmsten seefahrenden Nationen in Kriegen begriffen sind und von den übrigen neutral gebliebenen keine so starke Kauffahrteischiffahrt und so leichte Mittel zu deren Vermehrung, wie Nordamerika hat, überwiegende Vortheile gewährt.

Zu dem beträchtlichen Wachsthum des Oeconomiehandels besagter Frei- staaten kommt die in ihrem weitläufigen Gebiet zu Erstaunen steigende Landes- cultur und Bevölkerung, womit sich allda in gleicher Progression die Ausfuhr eigener und die Consumtion fremder Waaren und Producle unausgesetzt ver-


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe. 385

mehrt, mithin auch die hierauf sich gründende Handlung steten Zuwachs er- hält.

Von dem allen äussert sich unter andern die Wirkung, dass die nord- amerikanischen Staaten je länger je mehr mit Deutschland in unmit- telbare Handelsverbindungen treten und diese schon gegenwärtig, ab- sonderlich für Hamburg und demnächst für Bremen von grosser Wichtigkeit, auch selbst für hiesige Lande keineswegs gleichgültig sind , da nurbenannte beide Plätze seit kurzem aus hiesigen Manufacturen mehrere Artikel , vornehm- lich Leinwand und bäum- und schafwollene Strumpfwaaren häufig beziehen, aus deren Beschaffenheit mit Gewissheit zu vermuthen steht, zum Theil auch bei Ertheilung der Bestellung darauf ausdrücklich gemeldet worden ist, dass sie für Nordamerika theils zur dortigen Gonsumtion theils zum weiteren Vertriebe nach Westindien und dem spanischen Südamerika bestimmt sind.

Endlich ist nicht unbemerkt zu lassen, dass durch den Erfolg der dies- jährigen Ostermesse sich dasjenige, was am Schlüsse der vorjährigen Ostermess- relation von dem hiesigen Messhandel und den Aussichten für selbigen sowohl, als für die chursächsischen Manufacturen und Handlung überhaupt angeführt worden, in vollem Maasse bestätigt findet.

Noch nie ist Handlungs-Fabrikation und alle Arten des Gewerbes im Ganzen genommen in den Chursächsischen Landen so blühend ge- wesen als j etzt.

Im bevorstehenden Sommerhalbjahr ist die Dauer dieses lebhaften Umtriebes gewiss zu hoffen und wenn schon die Umstände in Italien die dermalen so be- trächtliche Handlung dahin augenblicklich und auf mehrere dortige Plätze hem- men können, so dürfte doch diese Stockung von keiner Dauer sein und überhaupt besonders auch nach einem dereinstigen Frieden für die Betriebsamkeit der Chursächsischen Landeseinwohner,, bei ihren zunehmenden Handelsverbindun- gen, sich immer neue Aus wege öffnen, um diejenigen zu ersetzen, welche ihrer Industrie durch Verbote und Einschränkungen gemeiniglich mehr erschwert als ganz entzogen werden.«  CD. '

Ein auffällig anderes Bild, als die Ostermesse, zeigte die Michaelismesse 1796  : »Beim Eintritt der Messe befand sich die Handlung meist überall in einer sehr kritischen Lage.

Die französische Invasion in Italien hatte den Transport der sonst zum dor- tigen Verbrauch sowohl, als zur weitern Versendung häufig dahin gehenden und der daher kommenden Waaren gänzlich gehemmt.

Auch war durch die bisherigen Ereignisse auf dem deutschen Kriegsschau- platze der Waarenzug nach Schwaben und der Schweiz, sowie von daher in hiesige Gegenden gesperrt, überhaupt in einem ansehnlichen Theile Deutschlands Handlung und Gewerbe unterbrochen und absonderlich zu Frankfurt a/M. die lelztabgewichene dasige Herbstmesse also gestört worden, dass deren Beziehung Anfangs gar nicht gewagt und auch dann, als nach Vertreibung der Franzosen von dortigem Platze die Messfreiheit um \ 4 Tage über die gewöhnliche Zeit verlängert worden, nur von überaus wenigen Käufern hat unternommen werden mögen.

Hasse, Oeschichte der Leipziger Messen. 25


386 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen i 786 — i 806

Im Waarenvertriebe nach der Türkei, welcher vorher schon zu einigem Theil durch oberwähnte Sperrung der Spedition über Italien verhindert worden war, hatten zum übrigen vorzüglich wichtigen Theile die nur erst kurz vor der Messe mit einemmale ausgebrochenen Fallimente der mehrsten und angesehen- sten griechischen Handelshäuser zu Wien einen fast durchgängigen Stillstand veranlasst, der um so härter empfunden wurde, je plötzlicher und unerwarteter er kam.

Ebenso war die einige Zeit daher ausnehmend lebhaft gegangene Handlung nach Spanien wegen gegründeter Furcht vor dem nahen Ausbruch eines Krieges zwischen diesem Reich und England und der hieraus erwachsenen Schwierig- keit , Assecuranz nach den spanischen Häfen zu erlangen , plötzlich ins Stocken gekommen.

Nach Holland waren die Handelsaussichten fortwährend schlecht, nach Russland bei dortiger unveränderter Lage der Dinge noch eben so einge- schränkt, als vorher, — und nach Polen darum sehr zweifelhaft, weil in heuriger Ostermesse die Erfahrung gelehrt hatte, wie sehr der Messhandel der pol- nischen Juden, durch die damals auf hiesigen Platz gelangte Nachricht von der erfolgten Einführung der russischen Waarenverbote und übrigen Zollein- richtungen in dem von Russland neu acquirirten Theile Polens gestört und ge- schwächt worden war und weil nicht zu übersehen stand, in welchem Maasse allda diese Einrichtungen in Ausübung gebracht und ob nicht etwa auch in den neuerlich unter Kaiserl. Königl, und Königl. Preuss. Hoheit übergegangenen pol- nischen Provinzen ähnliche Einschränkungen und Beschwernisse der Einbringung fremder Waaren angeordnet worden sein möchten.

Inmittelst hatte zur jetzigen Messe eine starke Zufuhr von Waaren aller Art, — ausgenommen von italienischen, welche meistens zurückgeblieben sind, — in Zeiten statt gehabt. Unter andern waren besonders aus den, nach erlittener Einbusse des grössern Theils ihrer ehemaligen Debouches um Absatz höchst ver- legenen englischen Manufacturen, ingleichen aus der allmälig sich wieder- herstellenden und mit zunehmender Begierde hier Abzug suchenden Lyoner Manufactur überaus grosse Waarenquantitäten, auch viele aus Frankfurt a/M. geflüchtete oder zur letzten dasigen Messe bestimmt gewesene Güter zum Ver- kauf anher gebracht worden, woraus nothw^endig in manchen Waarenartikeln eine ungewöhnliche Anhäufung der Lager entstehen musste.

Als nun unter diesen Umständen der Messhandel seinen Anfang nahm , ver- spürte man zwar bald in mehreren Zweigen desselben beträchtliche Lücken wegen des Zurückbleibens der vornehmsten Käufer aus dem Reich, Schwaben und der Schweiz und wegen der Geringfügigkeit des Einkaufs der anwesenden Griechen und Holländer.

Dagegen aber Hess sich der Absatz an die in ausserordentlicher Menge er- schienenen polnischen Juden gleich anfänglich gut an und übertraf selbst in Ansehung verschiedener unter den russischen Verboten ausdrücklich mit be- griffener Artikel — je länger, je mehr, die davon gefasste Erwartung. Zudem machten die ebenfalls über Vermuthen in beträchtlich vermehrter Anzahl sich


NACH DEN Berichten der Commerziendepütation und der Geh. Finanzräthe. 387

eingefundenen Russen , ingleichen die Kurländer und Wallachen einen starkem als gewöhnlichen Einkauf. Und da auch der Waarenvertrieb an die Käufer aus Westphalen , Niedersachsen , Danzig , Königsberg und andern , den Drangsalen des Kriegs nicht ausgesetzten Orten ganz erheblich war, so verursachte dies alles, dass der Messhandel , obwohl einige Zweige desselben weniger als in vorigen Messen blühten , doch im Ganzen betrachtet einen bei gegenwärtigen Zeitläuften kaum zu erwarten gewesenen günstigen Erfolg hatte.«  CD.

Die Rücksicht auf den Raum verbietet es uns leider, auf den ausführlichen Bericht einzugehen, welchen über dieselbe Messe der Geh. Finanzrath J. W. von Oppel erstattet (und wahrscheinlich der Geh. Finanzsecretär Demiani ver- fasst) hat. Derselbe giebt namentlich interessante Nachweisungen über die Lage der einzelnen Fabrikations- und Handelszweige zu dieser Zeit.

Die Ostermesse 1797 ähnelte der vorhergegangenen Michaelismesse. Namentlich trat die Nothwendigkeit immer mehr hervor, »worin die englischen, auch selbst einige hierländische und andere ausländische Manufacturen sich der- malen befinden, den möglichsten Ersatz für den anderwärts ihnen entzogenen Vertrieb hier in den Messen zu suchen.« 

Der Messverkehr war sehr lebhaft. Vorzüglichen Absatzes hatten sich die meisten sächsischen Manufacturwaaren zu erfreuen.

»Unter diesen war besonders der Verkauf der leinenen und baumwollenen Waaren so stark gegangen, dass mehrere Fabrikhandlungen gleich beim Anfang der Messe desassortirt und genöthigt gewesen waren , annoch Waaren nachkom- men zu lassen.« 

--Methodios (Diskussion) 19:53, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Messen 1797

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Die Michaelismesse 1797 wird als gute Mittelmesse bezeichnet. Vor- züglichen Absatz hatten baumwollene, insbesondere Plauensche Fabrikate, Rasche und andere wollene Zeuge, Mützen und Strumpfwaaren. Auch die Sammt- fabriken hatten grossen Absatz nach Russland (sammtne Doublure für Armee- lieferungen). Weniger gut war der Absatz inländischer Tuche, Leinwand, Chemnitzer feiner Waaren und Seidenwaaren.

Einen grossen Schrecken unter den polnischen und russischen Einkäufern verbreitete die während der Messe eingehende Nachricht, »dass die von dem russischen Grenzzolleinnehmer zu Radzywilow zwischen Brody und Duber im Einverständniss mit den Schleichhändlern lange ungestraft begangenen Unter- schleife entdeckt , hierauf sofort sämmtliche in Russland bestehende Zollverord- nungen und Waarenverbote mit verdoppelter Strenge eingeschärft, auch bei den Grenzzollstätten durch Veränderung des Personals und sonst solche Anstalten getroffen worden wären, welche vor der Hand die Einschleifung verbotener und hochbelegter Waaren unmöglich machten.« 

Darauf hin stellten die Russen und polnischen Juden die sämmtlichen bereits eingekauften Waaren , sowohl die verbotenen als die erlaubten, den Verkäufern zur Disposition , da sie wie gewöhnlich die Waaren für ihre Rechnung bei den Verkäufern hatten zurücksetzen lassen. Sie erholten sich aber von ihrem Schreck und kauften am Ende der Messe die Waaren wieder zurück, zum Erstaunen der Verkäufer auch die in Russland verbotenen.

25*


388 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Auch die Ostermesse 1798 wird als eine gute Miltelmesse bezeichnet.

--Methodios (Diskussion) 19:55, 14. Aug. 2024 (CEST)Beantworten


Messen 1798

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388 XV. Verlauf und Bedeutung der Leipziger Messen 1786 — 1806

Auch die Ostermesse 1798 wird als eine gute Miltelmesse bezeichnet. Der Geh. Finanzrath F. H. K. Graf von Langenau, welcher über dieselbe berichtet, ist der Ansicht, dass »der Leipziger Messhandel auch ferner blühen und wachsen werde.«  Er findet den Grund hierfür »in dem Ghursächsischen Commercial- system«  und in dem Umstand, dass Leipzig im Mittelpunkt Deutschlands liege.

»Selbst die wahrscheinlich fortdauernde Ausdehnung des französischen Ge- biets bis an den Rhein dürfte wegen der sattsam grossen Distanz der Stadt Leipzig von diesem Flusse keine Besorgniss erregen. Es ist zwar deshalb Alles für die Messen zu Frankfurt a/M. zu fürchten. Aber eben dieser Frankfurtische

Messhandel dürfte, insoweit er abnimmt, dem Leipziger noch zuwachsen« 

»Die zu Mainz von der französischen Regierung errichtete neue Messe war gänzlich fehlgeschlagen. Es waren zwar einige Verkäufer dahin gekommen. Sie hatten aber wegen Mangel der Käufer und des wenigen Schutzes , den noch zur Zeit das Eigenthum unter der französischen Botmässigkeit geniesst, keine Ge- schäfte gemacht.

Nicht minder war die Messe zu Frankfurt a/M. sehr schlecht ausgefallen, hauptsächlich wegen der Nähe der französischen Kriegsvölker und der mancherlei Bedrückungen, welche das Commerzium von dorther leidet.

Es ist bekannt , dass man französischer Seits sich für berechtigt erachtet, jede in Grossbrilannien und Irland gefertigte Waare , wenn sie auch das Eigen- thum neutraler Völker geworden ist, zu confisciren. Allein sichere Nach- richten besagen , dass man in Köln auch 20 Stück Ghursächsische Mousseline, unter dem Verwände, dass sie aus englischem Maschinengarn gefertigt wären, confiscirt hat.

Der schlechte Ausfall der Frankfurter Messe war dann die vorzüglichste Ur- sache, dass der Leipziger Messplatz von denjenigen Kaufleuten, die ihre Waare n zu Frankfurt nicht absetzen können, damit überführt worden war.« 

Diese Ueberführung mit Waaren hätte aber nichts geschadet, wenn der Waarenabzug nach Russland nicht neuerdings durch einen Ukas vom 1 1 . October 1797 erschwert worden wäre. Derselbe theilte alle Arten von Manufacturwaaren in zwei Klassen:

»Die erste besteht in Waaren , welche nach dem W^erthe, und die zweite in Waaren, so nach Zahl und Gewicht zu verzollen sind.

Alle Waaren der ersten Klasse, zu welcher die wollenen Zeuge und die baumwollenen Webereiwaaren gehören , dürfen nicht mehr zu Lande, sondern zur See, nur über Petersburg und Riga, gegen einen in Albertusthalern mit 30^ des wahren Werths zu erlegenden Zoll eingebracht werden.

Die Waaren der zweiten Klasse , worunter Seidenwaaren , Leinwand, Strumpf- und Tuchwaaren begriffen sind , dürfen zwar zu Lande , jedoch nicht über alle, sondern nur über die vorgeschriebenen Grenzzollstätten Brzesz in Litthauen, Radzivilow in Volhynien und Georgenburg am Niemen eingebracht werden und sind ebenfalls mit hohen Zollsätzen belegt; z. B. 1 Dutzend seidene Mannsstrümpfe mit 12 Rubel und 1 Dutzend dergleichen Frauenstrümpfe mit 10 Rubel.


NACH DEN BbRICHTEN DER COMMBRZIENDEPUTATION UND DER Geh. FiNANZRÄTUE. 389

Uebrigens wird es mit der Angabe des Werthes sehr streng genommen und es haben die Zoilofficianten die Erlaubniss, bei sich ereignendem Verdacht, die eingebrachten Waaren um den angegebenen Werth gegen Erstattung der Trans- portkosten und eine Vergütung von \0ß^ für den Handelsgewinn an sich zu nehmen « 

»Königl. Preussischer Seits hat man durch ein Publicandum d. d. Berlin den 4. Sept. und Breslau den 8. Oetober 1797 die zeitherigen in Süd-Preussen be- standenen Verbote und Imposlirungen auf Neu-Süd-Preussen und Neu-Osl- Preussen extendiret und soll dieses mit dem 1 , Juli d. J. zum Vollzug gebracht werden.« 

»Der Messverkehr mit Warschau nimmt sichtbar ab. Nach Aussage dortiger Kaufleute liegt der Handel fast gänzlich. Die Bevölkerung ist von 100 000 bis auf 30 oder 40 000 gesunken.«  F.R.

Dagegen erschienen u. A. drei türkische Juden zur Messe, von denen einer für. 100 000 Thlr. baar einkaufte.

Engländer und Franzosen (Lyon) schleuderten grosse Waarenmassen auf den Leipziger Markt. Da den Engländern Spanien verschlossen war, verkauften sie in Leipzig mit 20^ Verlust, um nur ihre Fabriken zu beschäftigen. Die deutschen Fabrikanten hatten dagegen schweren Stand.

Wenn die Michaelis messe 1798 schlechter ausßel , als die vorherge- gangenen Messen, so giebt die Commerziendeputation hierfür ausser dem Fort- bestehen der Zollschwierigkeiten mit Russland und Preussen u. A. folgende Gründe an  :

»Bald nach dem Erscheinen der Touloner Flotte vor Alexandrien trat ein plötzlicher Stillstand im Waarenzuge nach Constantinopel und Smyrna ein und folglich eine Verminderung des gewöhnlichen Messwaareneinkaufs der Griechen für die Türkei.

Im Messverkehr nach den südlichen und westlichen Landen hatten sich — wie der ausserordentlich geringe Erfolg der jüngstabgewichenen Messe zu Frank- furt a/M. näher bestätigte — die Umstände in vielfältigem Betracht verschlimmert.

Besonders war der Waaren vertrieb nach der Schweiz durch die dortigen Unruhen und nach den jenseitigen Rheinlanden , den Niederlanden und Frank- reich durch die von der französischen Regierung angelegten und seit dem Monat Juli d. J. bis an das linke deutsche Rheinufer ausgedehnten Waarenverbote und Impostirungen und durch die mit deren Ausübung verbundene Härte und Placke- reien der französischen Regierungscommission und Zoilofficianten gänzlich unter- brochen worden , wie denn auch in vielen diesseits des Rheins gelegenen deutschen Landen theils die drückende Last der unausgesetzt fortwährenden französ' sehen Requisitionen, theils die zunehmende Furcht vor dem baldigen Wiederanfange des Krieges eine vermehrte Stockung des Handels und Gewerbes veranlasst hatte.« 

»Die Ankunft der jüdischen Fieranten aus Sklow, Berditschew und über- haupt aus den russisch -polnischen Provinzen, gegen welche der Pest halber Kaiser!. Königl. Seits vom Dniester an längs der galizischen Grenze eine Sperrung


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mit Offenlassung einer einzigen Communicationsstrasse bei Podwolosziska ange- legt worden, verzögerte sich bis in die Mitte der sogenannten Böttcherwoche, ja zum Theil sogar bis nach Anfang der eigentlichen Messwoche, weil sie ihrem An- geben nach eine neuntägige Contumaz hatten halten und tiberdem wegen einge- fallener jüdischer Feiertage öfters unterwegs liegen bleiben müssen.« 

Die Ostermesse 1799 hatte einen ungünstigen Verlauf.

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Messen 1799

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Die Ostermesse 1799 hatte einen ungünstigen Verlauf. Dieselbe fiel sehr früh und die grosse Winterkälte mit darauffolgenden Eisfahrten und Ueber- schwemmungen hatte die Waarenzufuhr erschwert. Hierzu kamen noch die in Deutschland und Italien von Neuem ausgebrochenen Kriegsunruhen.

»Die Sklower, Berditschewer und andere russisch-polnische Juden hatten zu Zahlungsmitteln beträchtliche Quantitäten von litthauischen Hasenfellen, Krimm'schen Lammfellen und Grauwerk hier eingebracht«  und konnten diese Waaren nicht schnell genug absetzen. Auch sonst stand es mit den Zahlungs- mitteln sehr schlecht, da bei einem zunehmenden Ueberfluss an Papiergeld ein ausserordentlicher Mangel an klingender Münze fühlbar war und der Cours des Wiener Papieres, »welches hier zu Messenszeiten eines der vornehmsten Hand- lungsmiltel ausmacht«, tief herabgesunken war.

Wie wandelbar die Schicksale des Handels während einer einzigen Messe waren, zeigt recht deutlich der Bericht der Commerziendeputation über die Mi- chaelismesse 1799:

»Bekanntlich nehmen die Leipziger Michaelismessen in der Regel am Sonn- tage nach Michael, wenn aber, wie es heuer der Fall gewesen, Michael auf einen Sonntag fällt, acht Tage hernach ihren Anfang. Durch den solchergestalt ver- spätigten Eintritt der jetzigen Michaelismesse war auf der einen Seite zwar zur Zufuhr der Messgüter — wovon manche, vorzüglich die aus und über Italien eingehenden, zu thunlichster Vermeidung der Kriegsgefahren , Umwege hatten nehmen müssen, — die für diesmal nöthige mehrere Zeit gewonnen, auf der an- dern aber auch zur besorglichen grösseren Beschwerde der Ausfuhr des er- kauften Gutes derjenigen Jahreszeit, wo Witterung und Wege immer schlimmer werden und die Schiffahrt nach Norden aufhört, um soviel näher gerückt worden.

Natürlich hatten hierin die Käufer aus weit entfernten Gegenden — für welche selbst die am frühesten eintretenden Michaelismessen in verschiedener Rücksicht zu spät im Jahre fallen — eine Veranlassung mehr gefunden, ihre An- herkunft und die Vollbringung ihrer Messgeschäfte nach Möglichkeit zu be- schleunigen.

Indess hatten auch viele von ihnen, so sich überhaupt in den wandelbaren An fang hiesiger Messen niemals recht zu finden wissen, vorzüglich viel Russen und Wallachen in der irrigen Meinung gestanden, dass die gegenwärtige Messe schon mit dem 29. Sept. anginge und in Folge dessen ihre Abreise vom Hause so zeitig angetreten, dass sie um volle acht Tage zu früh hier angekommen waren, wo sie statt, wie sie wohl gewünscht, sofort zum Einkauf zu verschreiten, lange müssig sein mussten, indem die auf einen so frühzeitigen Zuspruch nicht gefassten Leipziger Verkäufer ihre Lager noch nicht durchgehends completirt hatten und von den auswärtigen Handlungen und Manufaoturverlegern sich noch


NACH DEN Berichten der Commerziendeputation und der Geh. Finanzräthe, 391

Niemand auf dem Platze befand. Aus dieser Ursache und weil überdem die der- malige Anzahl der Käufer aus dem eigentlichen Russland und der Wallachei un- gewöhnlich stark und ihr Waarenbedürfniss gross war, entstand, als die aus- wärtigen Verkäufer zur ordentlichen Zeit kurz hinter einander eintrafen, auch die Messgüter vollends eingingen, bei allen Handlungen, welche die von besagten Käufern gesuchten Artikel führen, ein solcher Zudrang von Geschäften, dem kaum Genüge geleistet werden konnte und der gleichwohl in den nächstfolgen- den Tagen , wie die Brodyer, Danziger, Königsberger und russisch-polnischen Juden und die christlichen und jüdischen Handelsleute aus Warschau, Kurland und Livlaud mit ihrem eiligen und zum Theil ansehnlichen Waarenbegehr hinzu kamen, immer grösser wurde.

Auf diese Weise waren in wenig Tagen beträchtliche Quantitäten von Waaren ausgesucht, behandelt und dem eingeführten Gebrauche nach, bis zur Bewerkstelligung der verabredeten Zahlung, für Rechnung der Käufer zurück- gesetzt worden. Und noch bemerkte man keine Abnahme der Geschäfte, im Gegentheil schienen bis gegen die Mitte der sogenannten Böttcherwoche mehrere Zweige des Messhandels stets blühender zu werden. Plötzlich aber und in ganz unerwarteter Art veränderte sich die Lage der Sachen, da von London und Hamburg die Nachricht von dort ausgebrochenen zahlreichen und ausserordent- lich beträchtlichen Fallimenten auf den Platz kam.

Von diesem Augenblicke an verloren vorerst die englischen und Ham- burger Wechselbriefe, worin unglücklicherweise die diesmaligen Zahlungs- mittel der russischen und polnischen Käufer hauptsächlich bestanden, allen Credit und bei der täglichen Vervielfältigung der Nachrichten von fernerweit in London, Amsterdam, Hamburg, Bremen, Augsburg und anderen Orten zum Ausbruch gekommenen Fallimenten, kam es mit der Allgemeinheit des Discredits und der Zurückhaltung der klingenden Münze in kurzem soweit, dass keinerlei Art von Papier gegen Geld mehr anzubringen war, wodurch denn die mit weniger Baarschaft , um so reichlicher aber mit Wiener Papier versehenen griechischen Käufer sich, gleich den Russen und Polen, ausser Stand gesetzt sahen, für die besprochene Waare die bedungene baare Zahlung zu leisten. Während solchergestalt die anfänglichen glänzenden Aussichten im Handel nach Russland, Polen und der Türkei gutentheils vereitelt wurden, liess sich der Einkauf für die Schweiz und das vordere und südwestliche Deutschland nirgends so an, dass daraus Hoffnungen zu einem einigermassen erheblichen Waarenabsatz hätten können geschöpft werden.

Vielmehr zeigte sichbald, dass die Käufer aus diesen Gegenden meistens fehlten und die wenigen hier anwesenden, nachdem ihnen vom Hause beunruhigende Nachrichten in Bezug auf die dasigen neuesten Kriegsbegebenheiten zugekommen waren, den Anfangs vorgehabten Einkauf nur selten zu vollbringen wagten.

In den Messgeschäften mit den böhmischen Käufern und den Böhmen zu- nächst wohnenden chursächsischen Grenzhändlern verursachte der niedrige Cours und die hier überaus schwer haltende Realisirung des Wiener und Prager Papiers empfindliche Störungen. Füi" hiesige Lande war der Waaren-


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einkauf ungewöhnlich schwach undüberdein litten die zur Messe anwesenden hier- Ijindischen Kramer, angeblich wegen Geringfügigkeit der zeither von ihnen auf den Jahrmärkten und sonst gemachten haaren Losung, meistens Gebruch an Mitteln zum völligen Abtrag der von vorigen Messen her zu leistenden Waarenzahlungen. in gleicher Unvermögenheit befanden sich fast alle übrigen deutschen Käufer.

Ueberhaupt herrschte ein höchst drückender Mangel an klingender Münze, der den sonst so raschen Gang des Messhandels durchgehends lähmte und den die Waarenverkäufer um so härter empfanden , da sie meistens mit starken Lagern versehen waren. Doch ohne alle Vergleichung war der Platz mit keinem Messartikel in so übertriebener Art überführt, als mit englischen Baumwollenwaaren, die denn auch, um sich deren so viel als möglich zu entschülten, von den Verkäufern derselben mit noch grösserer Bereitwilligkeit als sonst, auf langwierigen Credit, und wenn baare Zahlung dafür zu erlangen stand, für unglaublich niedrige Preise, dergleichen die hierländischen Baum- wollen-Manufacturverleger zu stellen schlechterdings nicht vermochten, hinge- geben wurden.

Unter vorbeschriebenen Umständen hatte die Messe sowohl im Ganzen be- trachtet, als in besonderer Beziehung auf den grösseren Theil der hiesigen Landesmanufacturen einen sehr ungünstigen Erfolg und befinden sich über- haupt Handlung und Fabrikation neuerlich in einer ungemein bedrängten und gefahrvollen Lage.«  CD.


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