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Benutzer:Vanessa Lhalhe

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Universität Augsburg

Lehrstuhl für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und seine Didaktik

Proseminar: Die kulturelle Identität im Zeitalter der Globalisierung

Sommersemester 2013

Dozentin: Eva Sondershaus


Eine qualitative Untersuchung zur kulturellen Identität von Deutschen mit Migrationshintergrund


durchgeführt von Jessica Mayer, Nalan Kayapinar, Vanessa Lhalhe



Einleitung und Begründung der Themenwahl

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Bei der Themenfindung für unser Projekt war es uns wichtig, einen Aspekt der interkulturellen Kommunikation zu finden, zu dem wir einen Bezug haben, um bei der Bearbeitung auch eigene Erfahrungen einbringen zu können. Da wir eine aus drei Studentinnen bestehende multikulturelle Gruppe mit mindestens einem ausländischen Elternteil sind, stand schnell fest, ein kulturbezogenes Thema zu behandeln. Innerhalb unserer Gruppe diskutierten wir mehrfach über die Unterschiede unserer (kulturellen) Identität als sogenannte Deutsche mit Migrationshintergrund und stellten fest, dass zwei von uns sehr ähnliche Gedanken und Gefühle hatten, die teilweise im deutlichen Kontrast zu denen der Dritten im Bunde standen. Hier stellte sich uns natürlich die Frage, woran das liegt. Deutlicher wurde dies dann, als wir über unsere Erfahrungen sprachen, die jede einzelne von uns bezüglich ihrer „Herkunft“, d.h. als in Deutschland geborene Person mit mindestens einem ausländischen Elternteil, gemacht hatte. Wir erkannten, dass zwei von uns seit ihrer Kindheit aufgrund ihrer Namen und ihres Aussehens immer wieder auf ihre „Andersartigkeit“, bzw. dem „nicht ganz Deutschsein“ angesprochen, teilweise sogar darauf hingewiesen wurden, was schon in frühen Jahren eine Art Identitätskrise zur Folge hatte.

Wir arbeiteten durch unsere eigenen Erfahrungen also heraus, dass sich Deutsche mit Migrationshintergrund zwischen beiden Kulturen hin- und hergerissen fühlen können, da man sie in keinem der beiden Länder als authentischer Vertreter der jeweiligen Kultur akzeptiert und sie somit in ihrem Geburtsland (Deutschland) häufig als Ausländer und in ihrer „Heimat“ als Touristen angesehen werden. Sie empfinden also eine innere Zerrissenheit bei der sie ihre Identität als „entweder-oder-Identität“ versuchen zu determinieren, da sie sich in beiden Gesellschaften stets um soziale Anerkennung bemühen müssen, wohingegen sie sich vielmehr als „sowohl-als-auch-Identiäten“ begreifen. Die psychosozialen Anforderungen und erlebten Gefühlswelten dieser bikulturell sozialisierten Individuen, besonders in solchen Situationen, in denen sie für das, was sie sind diskriminiert oder ausgegrenzt werden, sind eine starke Last während der Entwicklung einer gesunden persönlichen sowie kulturellen Identität.

Da wir während unserer Gedankenaustausche auch selbst immer wieder zu Aussagen, wie „…fühle ich mich eher deutsch“ oder „… ich denke, das ist typisch türkisch an mir“ kamen, fragten wir uns, ob die kulturelle Identität, d.h. das Zugehörigkeitsgefühl einer Person zu einer Kultur, zwangsweise durch eine bestimmte Kultur, z.B. diejenige, die durch die Eltern vorgelebt wurde, induziert sein muss und ob die innere Zerrissenheit lediglich als individuelles Problem anzusehen ist. Außerdem entschieden wir uns die Auswirkungen von Faktoren, wie z.B. der Kompetenz in den jeweiligen Sprachen, dem Bezug zu den ausländischen Verwandten, der elterlichen Kultur und der Gruppe der Gleichaltrigen, außerdem individuellen Faktoren, der Erziehung und Bildung und der Akzeptanzhaltung der deutschen Gesellschaft auf die Ausbildung einer kulturellen Identität zu untersuchen.

Wie diese und weitere Faktoren die kulturelle Identität und das Zugehörigkeitsgefühl dieser Individuen zu einer Gruppe beeinflussen können und ob sich unsere Hypothese durch eine qualitative Untersuchung falsifizieren oder verifizieren lässt, soll im Verlauf der Arbeit dargestellt und mit den theoretischen Grundlagen und Modellen sowie den Ergebnissen der Interviewbefragung in Bezug gesetzt, geprüft und analysiert werden. Aus den in unserem regen Austausch zustande gekommenen Eindrücken, Gefühlen und Behauptungen wurde für den empirischen Teil unseres Projekts folgende, bewusst provokativ formulierte Hypothese aufgestellt:


Hypothese

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Deutsche mit Migrationshintergrund haben keine kulturell induzierte Identität.


Migration nach Deutschland

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Das folgende Kapitel soll mit einer Darstellung der aktuellen Datenlage zur Migration nach Deutschland und einer Definition des von vielen FAZ-Lesern für das Jahr 2012 vorgeschlagenen Begriffs Migrationshintergrund als „Unwort des Jahres“ (vgl. faz.net) deutlich machen, wie viele Menschen das durch uns ausgewählte Thema eigentlich betrifft und wie wichtig eine Auseinandersetzung mit diesem ist. Da jeder fünfte Bürger einen Migrationshintergrund hat, ist davon auszugehen, dass sich diese, ebenso wie unsere Probanden, mindestens einmal in ihrem Leben mit der Frage nach ihrer kulturellen Identität auseinander gesetzt haben. Umso interessanter ist es also zunächst einen Überblick über die Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft aus verschiedenen Kulturen zu bekommen, bevor im praktischen Teil der Untersuchung den Zahlen, durch eine qualitative Analyse und die Darstellung individueller Geschichten und Erfahrungen, eine noch ausdrucksstärkere Kraft gegeben werden soll.


Definition "Migrationshintergrund"

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Laut des Statistischen Bundesamtes bezeichnet der Begriff „Migrationshintergrund“ alle diejenigen Personen, „die nach 1949 auf das heutige Gebiet der BRD zugezogen sind.“ (destatis.de) Dazu gehören demnach sowohl „in Deutschland mit deutscher Staatsangehörigkeit Geborene mit mindestens einem zugezogenen oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ aber auch „in Deutschland geborenen Ausländer/-innen“(ebd.)Der Migrationshintergrund ist per Definition also in Abhängigkeit der eigenen Staatsangehörigkeit aber vor allem in Abhängigkeit der Herkunft und Staatsangehörigkeit der Eltern zu sehen. Dabei ist erwähnenswert, dass die Nachkommen von in Deutschland geborenen Ausländern ihren Migrationshintergrund an ihre Kindern „vererben“ und diese wiederum an ihre eigenen, sofern diese dann keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, wohingegen in Deutschland geborene Deutsche mit ganz oder zum Teil ausländischen Eltern zwar einen Migrationshintergrund besitzen, diesen aber nicht mehr an ihre eigenen Kinder vererben (vgl. ebd.). Demnach sind alle in der dritten Generation geborene Kinder mit oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit, trotz ausländischer Eltern und/oder Großeltern laut Gesetz Deutsche.


Aktuelle Zahlen zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund

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Die Gesamtbevölkerung Deutschlands, die im Jahre 2011 durch den Mikrozensus erfasst wurde, betrug 81,754 Millionen. Davon hatte, wie anfangs erwähnt, jeder Fünfte einen Migrationshintergrund. Dies entspricht einer Zahl von knapp 16 Millionen Menschen, machte 19,5% der Gesamtbevölkerung aus und umfasste Zuwanderer und ihre Nachkommen. Nennenswert ist hier, dass im Vergleich zum Vorjahr (d.h. 2010) 216 000 mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland lebten, was einem Zuwachs von 1,4% entspricht. Dies ist unter anderem damit zu erklären, dass die Zahl der ausländischen Zuwanderer um 1,7% stieg, was einer Summe von 5675 Menschen entspricht. Die Zahl der hier geborenen AusländerInnen verringerte sich jedoch um 3,4%. Demnach wurden 1516 Kinder mit ausländischen Eltern im Jahre 2011 ohne eigene Migrationserfahrung in Deutschland geboren. Der Zuwachs an Personen mit Migrationshintergrund ist aber vor allem durch die gestiegene Zahl der hier geborenen Deutschen mit Migrationshintergrund, d.h. Personen mit mindestens einem ausländischen Elternteil und ohne eigene Migrationserfahrung (+4,8%) zu erklären, nämlich 3756 Personen (vgl. destatis, Pressemitteilung Nr. 326). Erwähnenswert ist an dieser Stelle außerdem, dass in Deutschland die meisten Ausländer im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten leben (vgl. Migazin.de), weshalb es erstaunlich ist, dass immer noch so viele Berührungsängste zwischen den verschiedenen Kulturen bestehen. Die Diskussion dieser Tatsache steht jedoch nicht im Fokus dieser Arbeit und wird aus diesem Grund an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.

Wie man bereits vermutet haben mag, stammten im Jahre 2011 die meisten Menschen mit Migrationshintergrund, mit ca. 3 Millionen, aus der Türkei. Polnisch stämmige Personen folgten mit 1,5 Millionen und bildeten somit die zweitgrößte Gruppe. Den drittgrößten Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland lebten, stellte die Russische Föderation mit 1,2 Millionen Personen dar. Aus Kasachstan stammten 0,9 Millionen und aus Italien 0,8 Millionen Menschen (vgl. destatis, Pressemitteilung Nr. 326). Anzumerken ist an dieser Stelle jedoch, dass natürlich auch Menschen aus anderen Ländern, außer den hier genannten, unter uns leben. Da es in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht explizit um die Herkunftsländer der Deutschen mit Migrationshintergrund gehen soll, sondern um ihre individuellen Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit ihrer kulturellen Identität, wird hier von einer Auflistung aller Staaten abgesehen.


Phasen der Migration

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Wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln durch die hohen Zahlen der in Deutschland lebenden deutschen und ausländischen Personen mit Migrationshintergrund deutlich wurde, ist Deutschland de facto ein Einwanderungsland. Vor allem in Großstädten kann man augenscheinlich von einem multikulturellen Zusammenleben der Deutschen mit Menschen aus anderen Ländern, d.h. Migranten der ersten, zweiten, dritten und in türkischen Familien auch bereits vereinzelt der vierten Generation sprechen. Die Tatsache, dass in jedem Fall bereits die Enkel der Migranten der ersten Stunde unter uns leben, zeigt, dass sie ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind und zum multikulturellen Bild Deutschlands beitragen, egal ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht. Diese Personen, insbesondere diejenigen, die nicht im Besitz eines deutschen Passes sind, haben jedoch meistens nicht die gleichen Chancen wie ihre gleichaltrigen deutschen Mitmenschen, vor allem „bei der sozialen Integration, beim Einkommen, bei der gesellschaftlichen und politischen Partizipation, beim Wohnen und bei der Gesundheit.“ (Brinkmann 2011: 11) Diese Tatsachen sind, abgesehen davon, dass sie in solch einer globalisierten Welt, in der wir leben, eigentlich gar nicht (mehr) existieren sollten, natürlicherweise ausschlaggebend für die Zufriedenheit der Deutschen mit Migrationshintergrund mit ihrem Leben in der deutschen Gesellschaft und letztendlich ihre Bereitschaft ein Teil dieser sein zu wollen. Zur besseren Veranschaulichung der Ausmaße dieser Problematik, aber auch um die spätere Diskussion um die kulturelle Identität eines bikulturell sozialisierten Individuums besser nachvollziehen zu können, soll hier auf die wichtigsten Phasen der Migration eingegangen werden, die zunächst nacheinander stattfinden und deren Verlauf die kulturelle Identität und das Zugehörigkeitsgefühl dieser Personen massiv mitbestimmen. Auch wenn im Fokus dieser Arbeit die zweite und dritte Generation der Migrantenfamilien stehen, die wie bereits erwähnt, rechtlich gesehen Deutsche sind und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, natürlich immer in Abhängigkeit von ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld etc. (vgl. Kapitel 4.2), nicht dieselben Phasen der Migration durchleben, wie ihre Eltern, sind sie dennoch als aus einer binationalen Ehe stammende Kinder mit einem deutschen Elternteil oder zwei ausländischen Eltern gewissen Problemen, Einflüssen und möglichen Kulturkonflikten oder Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt, die eng mit ihrer Herkunftskultur oder ihrem Aussehen gekoppelt sind und die wiederum sowohl ihre kulturelle als auch persönliche Identität und ihr Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen und/oder der Kultur ihrer Eltern maßgeblich (sowohl positiv als auch negativ) beeinflussen können.

An erster Stelle ist hier die Akkommodation bzw. Adaption zu nennen. Dieser Begriff beschreibt die Prozesse, die beim ersten Kontakt eines Migranten mit der Mehrheitskultur bzw. der Kultur des Landes, in das der Migrant seinen Lebensmittelpunkt verlagert hat, entstehen. Damit sind in groben Zügen dargestellt, die ersten Anpassungsprozesse an die neue Kultur und dem Beobachten und Verstehen der kulturellen Werte und Normen des gesellschaftlichen Miteinanders, d.h. der Versuch der Umweltaneignung, gemeint (vgl. Zick 2010: 64). Auf die erste Eingewöhnungsphase folgt dann zwangsweise die Akkulturation bzw. Enkulturation, die bereits in Kapitel 5 dargestellt wurden und an dieser Stelle nicht mehr dargestellt werden sollen, um eine unnötige Redundanz zu vermeiden.

Je nach Bereitschaft der Person sich in die deutsche Gesellschaft einzubringen, wird dann zwischen drei unterschiedlichen, quasi Endergebnissen der Akkulturation, gesprochen. Betrachtet werden hier die Akkulturationsstrategien ethno-kultureller Gruppen nach Berry (2003: 23, zit. n. Zick 2010: 430): Marginalisierung, Separation, Integration und Assimilation. Wie bereits erwähnt trägt jedoch auch die deutsche Gesellschaft einen immensen Anteil an der positiven Eingliederung der Menschen mit Migrationshintergrund in „ihre“ Gesellschaft und beeinflusst somit die Bereitschaft dieser Menschen sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Es ist also wichtig ebenso auf die korrespondierenden Akkulturationsstrategien der dominanten Mehrheitsgesellschaft einzugehen, nicht nur, weil deutlich gemacht werden sollte, dass ein erfolgreiches Miteinanderleben zweier oder mehrerer Kulturen sich immer gegenseitig bedingt, sondern weil sie uns für die Analyse der Aussagen unserer Probanden einen weiteren Deutungshorizont ermöglichen. Die nach Berry (ebd.) in Betracht gezogenen Akkulturationsstrategien der Mehrheitsgesellschaft sind folgende: Exklusion, Segregation, Multikulturalismus und Melting Pot. Die Gesamtheit der Akkulturationsstrategien sollen jedoch erst in Kapitel 7.2 dargestellt werden.


Wege zur Identitätsfindung junger Deutscher mit Migrationshintergrund

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Die eigene Identität zu formen und zu finden ist ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Seine Identität zu finden bedeutet sein „Selbst“ (Oerter & Montada 2008: 303) zu finden, doch das muss erst einmal ausgebildet werden. Dieser Vorgang findet vor allem im Jugendalter statt und ist oft mit Problemen verbunden. Besonders bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund können diese Hürden verstärkt auftreten, da sie mit zwei Kulturen und teils völlig verschiedenen Wert- und Normvorstellungen konfrontiert werden.


Definition "Identität"

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Der Begriff Identität wurde von vielen Wissenschaftlern und Autoren untersucht, wodurch viele verschiedene Definitionen entstanden sind. Eine davon ist, dass die Identität eine einzigartige Kombination von persönlichen Eigenschaften ist, unverwechselbar und verbunden mit dem Bild, das andere davon haben. Wichtig ist das eigene Verständnis für die Identität, sein Selbst. Straub, Weidemann und Weidemann (2007: 47) schreiben hierzu:

Mit >Identität< (lat. identitas: absolute Gleichheit) wird der Sinn dafür bezeichnet, wer jemand ist; die Identität bringt […] einerseits das (innerliche) Selbstgefühl und Selbstbild eines Subjekts zum Ausdruck und sichert andererseits seine (äußerliche) Unverwechselbarkeit und Wiedererkennbarkeit.

Diese zwei ausschlaggebenden Punkte werden durch Wesensgleichheit über die Zeit hinweg ergänzt. Damit ist gemeint, dass es eines Identitätsgefühls bedarf, um sich über einen gewissen Zeitraum und in verschiedenen sozialen Kontexten als konstantes Ich zu sehen. Die persönliche Identität eines Menschen ist somit sehr vielfältig. In sie spielen Sprache sowie verschiedene soziale und kulturelle Praktiken hinein. Diese Parameter festigen die Identität und bilden das Fundament für interkulturelle Kommunikation und Verständigung. Dabei gilt es, zuerst die eigene kulturelle Identität zu festigen, um dann in Kontakt mit einer fremden Kultur treten zu können. Laut Erik H. Erikson (zit. n. Straub & Weidemann & Weidemann 2007: 48) bedeutet eine persönliche Identität zu haben „[eine] unmittelbare[n] Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen“ zu besitzen. Bis zu diesem Punkt durchläuft man einen mehrstufigen Entwicklungsprozess, der schon als Säugling beginnt. Er ist von den Wechselbeziehungen zwischen Umwelt und Individuum abhängig. Erikson sagt außerdem, dass die sich in den Jahren erarbeitete personale Identität jedoch nur erhalten bleibe, wenn man sie auch als Erwachsener noch weiter entwickle.

Wer […] strikt an einem starren Identitätsentwurf festhält, läuft Gefahr, unflexibel zu werden und sich als nicht anpassungsfähig zu erweisen […] [er] verliert seine Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit; wer jedoch zu rasch und zu häufig sein Selbstbild und seine Ziele neu definiert, verliert seine Kontinuität und damit die Fähigkeit zur stabilen Orientierung und Relevanzbestimmung. (Straub & Weidemann & Weidemann 2007: 48/49) Diese Entwicklung, aber auch ein Identitätswandel, eröffnet die Möglichkeit einer pluralen kulturellen Zugehörigkeit.


Einflüsse auf den Identitätsbildungsprozess - Aufwachsen in verschiedenen Kulturen

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Für die Entwicklung eines Menschen ist die Bildung der Identität von großer Bedeutung. Sie ist ein ständiger Entwicklungs- und Lernprozess, der reflexiv, im Austausch mit der Umwelt, stattfindet. Dieser Prozess bezieht die Vergangenheit, Gegenwart und auch die Zukunft mit ein. Über Jahre hinweg, wobei besonders das Jugendalter von Bedeutung ist, wird die Identität Stück für Stück gebildet und im Erwachsenenalter dann, durch das Auseinandersetzen mit sich selbst und durch Austausch mit der Umwelt, gefestigt. Dabei sind soziale und psychische Prozesse beteiligt, da immer Personen des Umfelds integriert werden. Dieser Bildungsprozess verläuft nicht strikt, oftmals werden in einem bestimmten Alter wichtig erscheinende Punkte später wieder verändert oder revidiert und durch andere ersetzt. Laut Straub, Weidemann und Weidemann (2007: 51) spielen in diesen Bildungsprozess drei Merkmale hinein:

1)Temporalität: die Identität und die Selbstdarstellung ändern sich mit der Zeit. Auf die Frage „Wer bist du?“ wird der Mensch im Laufe seines Lebens immer andere Antworten geben. Als Jugendlicher vielleicht Fußballer, als Erwachsener dann Mechatroniker und im Alter könnte die Antwort ein gläubiger Katholik lauten.

2)Kontextualität: die Identität ist abhängig vom Umfeld. Es hat großen Einfluss auf die Frage nach der eigenen Identität, die somit vom Handlungskontext bestimmt wird. Es werden teilweise verschiedene Selbste gebildet, die je nach Kontext variieren. Je mehr man sich dieser Vielfalt bewusst wird, desto mehr differenziert sich die eigene Umwelt aus.

3)Individualisierung: Jeder Mensch besitzt eine individuelle Identität. Welche Identitätsparameter jeweils für wie lange im persönlichen Mittelpunkt stehen, bleibt jedem Menschen selbst überlassen.

Vor allem für Menschen, die in verschiedenen Kulturen aufwachsen, kann der Identitätsbildungsprozess schwieriger ablaufen als für welche, die größtenteils nur mit ihrer eigenen Kultur konfrontiert sind und somit ihre festen Parameter um sich haben. Das Stoßen auf andere Ansichten, Werte und Normen, die einen zum Teil ganz anders formen als man es von der eigenen Kultur gewohnt ist, ist als Ausländer in einem fremden Land an der Tagesordnung. Doch auch das Umfeld und die Werte aus der eigenen Kultur, die in einem fremden Land vermittelt werden, haben Einfluss auf den Identitätsbildungsprozess von Menschen, die in verschiedenen Kulturen aufwachsen.

Im Folgenden sollen nun verschiedene Aspekte, die auf den Identitätsbildungsprozess Einfluss haben, genannt werden. Da dies nur ein Bestandteil von vielen unserer These ist, werden die Aspekte nur unter den wichtigsten Gesichtspunkten behandelt.


Familie

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Ein Großteil der Einwanderer ist als Familie in ein fremdes Land eingereist bzw. reist als Familie in ein fremdes Land ein. Sie bildet dabei eine Einheit mit eigenen kulturspezifischen Merkmalen. Vor allem Kinder und Jugendliche kommen jedoch schnell in Austausch mit der fremden Kultur. Ob in der Schule oder in der Freizeit, es gibt viele Möglichkeiten der Annäherung. Nach und nach finden mehr Aktivitäten außerhalb der Familie, mit Einheimischen, statt. Bei den Eltern ist dies hingegen seltener der Fall. Gründe dafür können u.a. längerfristige Arbeitslosigkeit und langsamerer Spracherwerb sein. Somit findet eine Verringerung der gemeinsamen Zeit von Eltern und Kindern statt. Inwiefern diese teilweise Distanzierung zwischen Eltern und Kindern jedoch eintritt und was diese für einen Einfluss auf die Identitätsbildung der Infantilen hat, ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Wichtig erscheint hier die Frage, ob das neue Umfeld so prägend ist, dass die Werte der Familie vernachlässigt werden und sich somit die Identität in eine ganz neue Richtung formiert. Schmitt-Rodermund und Silbereisen (zit. n. Oerter & Montada 2008: 871) schreiben jedoch, dass eine Befragung an jungen Aussiedlern zeigte, „dass diese die elterliche Autorität mehrheitlich als unumstößlich betrachten.“ Die Grundsätze der eigenen Kultur bleiben also bestehen, haben immer noch Einfluss auf die Identitätsbildung der Kinder und Jugendlichen. Sie bilden sozusagen die Basis, werden jedoch von der Kultur des fremden Landes ergänzt, welche somit auch in den Bildungsprozess mit hinein spielt. Die Familie bildet somit, vor allem in der Kindheit, ein durchaus wichtiges Umfeld für den Identitätsbildungsprozess.


Bildung

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Bildung ist ein zentraler Aspekt, der beim Identitätsbildungsprozess eine wichtige Rolle spielt. Laut Schmidhuber (2011: 174) […] kann sie als Mittel zur selbstbestimmten Entwicklung personaler Identität verstanden werden. Denn Bildung befähigt zu Autonomie, sozialer Integration und unterstützt den Einzelnen, sich in den verschiedenen Lebenswelten zurechtzufinden.

Diese Aussage beinhaltet auch, dass Bildung dazu beiträgt weiter zu denken und Dinge zu hinterfragen. Somit wird die Entwicklung des Einzelnen, die stark abhängig von Bildung ist, gefördert. Denn Bildung offeriert neue Möglichkeiten, durch sie wird „Selbst- und Weltkenntnis“ (2011: 175) erlangt. Durch viele verschiedene Eindrücke, auch kulturell neue Erfahrungen, bilden sich der Mensch sowie seine Identität weiter. Das besondere daran ist, dass der Mensch durch seine Bildung den Identitätsbildungsprozess selbstbestimmen kann. Er ist als Wissender dazu in der Lage, seine eigene Identität selbst zu formen. Aus diesem Grund scheint es von besonderer Wichtigkeit zu sein, Deutschen mit Migrationshintergrund Bildung zugänglich zu machen, ihnen gegebenenfalls Förderung zukommen zu lassen und sie zu unterstützen. Dadurch wird ihnen ein Leben frei von Fremdbestimmung ermöglicht. Außerdem haben sie die Möglichkeit selbst zu entscheiden, welche Faktoren in die persönliche Identität aufgenommen werden (vgl. Schmidhuber 2011: 176). Somit trägt Bildung dazu bei zu reflektieren, was beim Identitätsbildungsprozess ein zentraler Aspekt ist.


Sprache

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Um in einer Gesellschaft kommunizieren zu können und somit auch integriert zu werden, ist die Sprachentwicklung von großer Bedeutung. Sie dient dazu, Dinge in sinnvolle Zusammenhänge zu bringen und eigene Erfahrungen weiter geben zu können. Im Zuge der Identitätsbildung spielt Sprache eine zentrale Rolle. Sie ist Verständigungsmittel, geprägt durch die Kultur und Gesellschaft, in der sie entstanden ist und somit das wichtigste kulturelle Zeichensystem. Verstehen Migranten nun beim Kulturwechsel dieses fremde System der Sprache nicht, kann das eine große Hürde darstellen. Die Unsicherheit zwischen Mutter- und Fremdsprache macht einen teilweise, in gewissen Zusammenhängen, stumm und verursacht somit eine partielle Ausschließung aus der Gesellschaft. Dieses Teilnehmen an der Gesellschaft ist es jedoch, was einen großen Teil der Identitätsbildung ausmacht, nämlich der Umgang mit anderen Menschen.

In diesem Zusammenhang ist vor allem die Entwicklung einer Didaktik für „Deutsch als Fremdsprache“ von großer Bedeutung. Eine intensive Förderung von Migranten in der Sprache ihres Ziellandes, in unserem Fall in Deutsch, ist unbedingt notwendig, wobei dieser Punkt meist in den Aufgabenbereich der Schulen fällt. Das Fremdsprachenlernen beinhaltet laut Beneke (1996: 40) die Fähigkeit zur aktiven Gestaltung der Kommunikationsprozesse unter Einbeziehung der kulturspezifischen Variation in Bezug auf Kommunikationsregeln, Arbeitsstile, Wertvorstellungen u.Ä., mit dem Ziel, möglichst große Synergieeffekte in der internationalen Zusammenarbeit zu erzielen.

Dadurch, dass das Fremdsprachenlernen nicht nur das Lernen der Sprache an sich darstellt, sondern auch die von Beneke genannten sozialen Faktoren beinhaltet, ist Sprache einer der größten Faktoren, die zum Identitätsbildungsprozess beitragen. Ihrem Erwerb sollte besondere Beachtung geschenkt werden, denn ohne Kommunikation kann sich die Identität nur schwer weiterbilden.


Schule

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Schule ist ein Lebensraum, der bei Kindern und Jugendlichen einen sehr großen Teil einnimmt. Sie verbringen viel Zeit dort, wodurch Schule nicht nur den Ort darstellt, an dem (schulisches) gelernt wird, sondern auch den Ort, an dem Erfahrungen gesammelt werden, man sich weiter entwickelt und mit Streitsituationen umzugehen lernt. Der Kontext Schule ist eine wichtige Plattform für die Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Konventionen und spiegelt die kulturellen Werte des jeweiligen Landes wider. Zum einen treffen die Kinder dort auf eine andere Autoritätsperson als ihre Eltern, mit der der Umgang erst einmal erlernt werden muss. Dieses Lernen und vor allem die Person des Lehrers an sich können so prägend sein, dass man noch nach Jahren die von ihm vermittelten Werte und Normen, Vorstellungen und möglicherweise sogar Eigenschaften in sich trägt und sich ohne die jeweilige Person nicht auf diese Art und Weise entwickelt hätte. Zum anderen spielen die Mitschüler eine wichtige Rolle. Sie stellen das tägliche Umfeld dar, von dem man beeinflusst wird und das einen in eine gewisse Richtung lenkt. Wer oder wie die Mitschüler sind ist unserer Meinung nach ein wichtiger Punkt, denn mit ihnen identifiziert man sich. Will ich so sein wie sie? Oder sind mir ihre Angewohnheiten lästig? Solche Fragen, die automatisch im täglichen Umgang aufkommen, führen zu der Frage: Wer bin ich? Und eben diese Frage ist es, die Frage nach unserer Identität, die uns dazu bringt diesen Komplex zu überdenken, uns eventuell weiter zu entwickeln und in diesem Zuge die eigene Identität in eine ganz bestimmte Richtung auszubauen.


Peergruppe

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Vor allem im Jugendalter nimmt die Peergruppe, die Bezeichnung für Gleichaltrige und Gleichgesinnte, eine wichtige Funktion ein. Sie stellt ein Umfeld dar, in dem es Kindern und Jugendlichen leichter fällt, ihre Vorstellung von Gleichheit und Souveränität zu verwirklichen. Durch diese beiden zentralen Begriffe der Peergruppe wird Jugendlichen der Schritt hin zur Autonomie erleichtert. Dieser Schritt, hin zur Eigenständigkeit, ist ein wichtiger Aspekt der Identitätsbildung, wozu die Peergruppe wesentlich beiträgt. Sie prägt Jugendliche und lässt sie zu dem werden, was sie als Erwachsene sind (vgl. Oerter & Montada 2008: 321 ff). Straub, Weidemann und Weidemann (2007: 321) erwähnen in ihrer Abhandlung u.a. Erikson, der der Peergruppe im Jugendalter wichtige Entwicklungsfunktionen zuspricht: „Sie kann zur Identitätsfindung beitragen, indem sie Identifikationsmöglichkeiten, Lebensstile und Bestätigung der Selbstdarstellungen bietet“. Vor allem das Akzeptieren von Unterschieden, Gerechtigkeit, Selbstdarstellung und die Verwirklichung von eigenen Zielen scheint in der Peergruppe mehr gewährleistet zu sein als in Erwachsenenkreisen. Dennoch gibt es auch in der Peergruppe eine gewisse Rangordnung und Strukturen, mit der die Kinder und Jugendlichen auch in ihrem späteren Leben immer wieder konfrontiert werden. Das Kennenlernen dieser Strukturen innerhalb der Peergruppe ist ein weiterer Aspekt, der auf die Bildung der Identität von Heranwachsenden einwirkt.


Zum Kulturbegriff

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„Kultur“ ist ein in der heutigen Zeit vielseitig verwendeter Begriff und begegnet uns im Alltag in vielfältiger Form. Menschen mit Migrationshintergrund kann es häufig passieren, dass es ihnen schwer fällt, sich für eine Kultur zu entscheiden, weil sie meist zwei oder sogar mehrere kulturelle Hintergründe aufweisen. Und jede Kultur weist verschiedene Verhaltensmuster auf, die bei bestimmten Ereignissen oder auch Situationen zum Vorschein kommen. Wir zeigen uns anderen Kulturen gegenüber interessiert oder freuen uns über die Unternehmenskultur am Arbeitsplatz. Dabei sind viele unterschiedliche Aspekte des Kulturbegriffs im umgangssprachlichen Gebrauch vorhanden: Kultur als Hochkultur, als ein besonderer Lebensstil, eine Lebensform in Gesellschaften, als domestiziertes Naturphänomen oder als Kultiviertheit des sozialen Umgangs (vgl. Transkulturelles Portal: Kultur).


Definition "Kultur"

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Obwohl „Kultur“ ein häufig verwendetes Wort in unserer Gesellschaft ist, ist damit nicht zwangsläufig klar, was mit dem Begriff gemeint ist. Oft wird damit nur beschrieben, welche Traditionen, Werte und Normen für den Menschen als richtig erscheinen. Dabei spielt aber meistens nur eine Kultur eine Rolle. Anders sieht dies dann schon aus, wenn ein Mensch zwei oder mehrere Kulturen in sich trägt und versucht diese in Einklang zu bringen. Zum einen kann der Begriff je nach Kontext und Benutzer variieren, ist also vielseitig verwendbar- sogar in der Wissenschaft. Zum anderen gibt es keine einheitlich, anerkannte Definition von Kultur. Deshalb ziehen wir hier den Begriff im Sinne der Erläuterung von dem niederländischen Kulturexperten Geert Hofstede zu Rate (vgl. Transkulturelles Portal: Kultur). Kultur wird als eine Art „mentale Software“ gesehen, die durch den Sozialisationsprozess kulturell „programmiert“ wird. Sowohl im Laufe dieses Prozesses als auch besonders in der Kindheit, der sogenannten Primärsozialisation, erwirbt man bestimmte Muster bezüglich des Denkens, Fühlens oder auch des Handelns , die auch Werte und Haltungen genannt werden (vgl. Hofstede 2005: 3). Daraus wird ersichtlich, dass Kultur nicht von Geburt an vorhanden ist, sondern etwas, dass jeder Mensch erwerben und erlernen kann (ebd.: 4). Kultur ist auch immer ein progressiver Begriff, bleibt also nicht für immer gleich, sondern entwickelt sich dynamisch weiter. Kultur ist etwas spezifisch Menschliches. Der Mensch an sich erschafft Kultur und wird gleichzeitig von ihr geprägt. Dabei reicht das Bedeutungsspektrum von physischen Dingen wie Werkzeugen oder Kunsthandwerken über Veränderungen die durch den Menschen hervorgerufen worden sind, bis hin zu geistigen Errungenschaften der Menschheit wie Musik oder Schriften. So wird klar ersichtlich, dass der Begriff Kultur alles vom Menschen geschaffene, veränderte und gestaltete miteinschließt (vgl. Transkulturelles Portal: Kultur).


Kulturstandards

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Bei Kulturstandards spricht man von kulturspezifischen „Spielregeln“ die Verhaltensweisen wie z.B. der Umgang der Menschen miteinander, Werte und Denkstrukturen, sprich was wir als richtig sehen, oder auch die Wahrnehmung jeder einzelnen Person sowie unsere Erwartungshaltung anderen gegenüber, festlegen (Kumbier 2008: 74). Weitere Beispiele für Kulturstandards wären zum einen ein unterschiedliches Zeitempfinden oder verschiedene Vorstellungen von Unabhängigkeit, Individualität oder Familienverbundenheit. Die unterschiedliche Ausprägung von Kulturstandards in verschiedenen Ländern lässt sich auf eine Auseinandersetzung der Individuen mit den jeweiligen sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen ihres Landes zurückführen. So lange wir nicht einer Person aus einer uns fremden Kultur über den Weg laufen, stellen wir unser Verhalten, also auch unsere Kulturstandards, nicht in Frage und betrachten diese als selbstverständlich. Auch bei einer solchen Begegnung muss es nicht zwangsläufig zu einer Reflektion einer interkulturell unerfahrenen Person kommen. Das Gegenteil ist oft der Fall, sodass sich Menschen an ihren eigenen Werten, Normen und Beurteilungsmaßstäben orientieren (ebd.: 75). Zunächst beurteilt eine Person eine fremde Kultur also mit den eigenen Kulturstandards, weil dies die einzigen Normen sind, auf die zurückgegriffen werden kann. So kommt schnell die Frage auf, ob man sich die entsprechende Kultur durch theoretisches Wissen aneignen kann und auf diese Weise in der Lage ist, sich deren kulturelle Regeln anzueignen. Wenn wir also über eine fremde Kultur genauer Bescheid wissen wollen, informieren wir uns mit einem Buch über gebräuchliche Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Hier sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es noch relativ leicht ist, fremde Kultur zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten. Anders sieht es bei Gefühlen, also kulturell tief verwurzelten Merkmalen aus. Diese können nicht auf Anhieb nachempfunden oder erlernt werden. Auch Werte können nicht einfach verinnerlicht werden (ebd.: 76). Wer in einer anderen Kultur lebt, spielt ein Spiel ohne dessen Spielregeln zu kennen. Dabei kommt als häufiges Hindernis noch dazu, dass diese „Spielregeln“ nicht eindeutig festgelegt sind oder auf Ebene der Gefühle einfach nicht nachempfunden werden (ebd.: 77).


Akkulturation

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Hierbei spricht man von einer Angleichung an eine kulturell fremde Gesellschaft. Werte und Normen spielen überall eine andere Rolle und so kann man nicht davon ausgehen, dass sein Gegenüber, das aus einem anderen Land stammt, die gleichen Vorstellungen und Normen in sich trägt, wie man selbst (vgl. Roebers 1997: 10). Wenn also mehrere Menschen zusammentreffen, die nicht den gleichen kulturellen Hintergrund aufweisen, ist es eine natürliche Reaktion, dass diese versuchen miteinander zu harmonieren. Dabei wird man aber mit einem selbst in Konflikt kommen, denn man muss nun abwiegen, ob es hilfreich ist die eigenen Vorstellungen zu einem Ereignis in den Vordergrund zu stellen oder der Vorstellung der großen Masse zu folgen. Sieht man dies vereinfacht, kann man sagen, dass aus mehreren Einflüssen einer Kultur eine neue Kultur dadurch entsteht, dass nur bestimmte Werte oder Normen von jeder Kultur mit in die besagte Neue einfließen. Meistens findet eine Akkulturation statt wenn Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aufeinander treffen (vgl. Maehler 2012: 65).


Enkulturation

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Wenn von Enkulturation die Rede ist, spricht man von einem unbewussten Lernprozess. Ein Lernprozess, der das langsame Einwachsen eines Menschen in eine anfangs fremde Kultur bewirkt. Es sollen entweder bewusst oder unbewusst kulturelle Maßstäbe und Sitten angeeignet und akzeptiert werden. Dabei ist zu beachten, dass immer das Individuum im Vordergrund steht und nicht die Gruppe. Kinder aus binationalen Ehen wachsen im Laufe ihres Lebens entweder in zwei Kulturen rein oder distanzieren sich von einer Kultur, weil ihnen der Bezug zu ihr fehlt. Jede Kultur bildet im Prozess der Enkulturation bestimmte Persönlichkeitstypen heraus, die ihrerseits als zentrale Prägekräfte Kultur bestimmen. Enkulturation hat also die allgemeine Bedeutung vom Lernen der Kultur und die damit verbundenen Kulturmuster, Werte und Normensysteme (vgl. Sabic 2008: 7f.).


Definition "Kulturelle Identität"

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Da sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich mit der kulturellen Identität von Deutschen mit Migrationshintergrund befasst, soll an dieser Stelle zunächst einmal geklärt werden, was dieser Begriff eigentlich beschreibt. Neben einer persönlichen Identität, die eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ gibt, besitzt jedes Individuum auch eine kulturelle Identität, die bei einigen Autoren auch als kollektive Identität bezeichnet wird und die Frage „Wer sind wir?“ beantwortet, da sie das Zugehörigkeitsgefühl eines Individuums zu einem Kollektiv beschreibt (vgl. Straub & Weidemann &Weidemann 2007: 51). Durch die spezifische Sozialisation bzw. Enkulturation des Individuums in einer Kultur bzw. Gesellschaft, verinnerlicht es Sprache, Normen und Werte, Denkweisen, Praktiken und Traditionen etc. dieser größeren Gruppe, zu der es in einer Wechselbeziehung steht (vgl. Hildebrand 1995: 14). Das Gefühl zu einer Gruppe zu gehören und von dieser akzeptiert zu werden ist in der Natur des Menschen angelegt, da sie ihr Schutz und einen Platz in der Gesellschaft bietet. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaft und ihrer Kultur ist somit stark identitätsstiftend, da es dabei hilft im Schutze der Gruppe zu der man sich aktiv dazuzählt und von der man sich ebenso aufgenommen und akzeptiert fühlt das Eigene vom Fremden zu unterscheiden und eventuell auch abzugrenzen (vgl. Hildebrand 1995: 14). Dabei ist für ein zufriedenes Individuum mit einer stabilen persönlichen und kulturellen Identität wichtig, dass sich die Selbst- und Fremdzuschreibungen des Individuums mit denen des Kollektivs decken, da sich „die Identität eines Menschen […] stets in Anerkennungsbeziehungen entwickelt und entfaltet.“ (Straub &Weidemann & Weidemann: 52) Denn im Identitätsbildungsprozess und der Ausbildung des Zugehörigkeitsgefühls einer Person zu einem Kollektiv können andauernde „Missachtungserfahrungen“ „beschädigte oder misslingende, diffundierende oder überaus starre und rigide Identitäten zur Folge haben, weil Selbstbild und Fremdbild unaufhebbar aufeinander verweisen.“(ebd.)

An dieser Stelle knüpfen sich auch schon der Ausgangspunkt und die Untersuchungsgrundlage unseres Projekts an. Betrachten wir also Deutsche mit Migrationshintergrund, die zwar in Deutschland geboren wurden, aber zwischen zwei Kulturen sozialisiert wurden, ist davon auszugehen, dass sie sowohl bei der Ausbildung einer individuellen Identität als auch einer kulturellen Identität stärker gefordert sind, vor allem wenn das Selbstbild und die Fremdzuschreibungen nicht deckungsgleich sind und das Individuum somit in einen ständigen Kampf um soziale Anerkennung getrieben wird. Diese Individuen sind nämlich gleich zwei Gesellschaften und ihren Kulturen ausgesetzt und sind somit bemüht beiden Seiten gerecht zu werden (sofern ihnen das natürlich wichtig ist). Ein solcher Kampf um Anerkennung kann eine Identitätskrise mit dem Gefühl einer inneren Zerrissenheit und Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wo gehöre ich hin?“, „Wo ist meine Heimat?“ mit sich führen, da Deutsche mit Migrationshintergrund in den meisten Fällen sowohl in ihrem Geburtsland als auch dem Herkunftsland ihrer Eltern, trotz ihrer bikulturellen Sozialisation, eine Art Außenseiterstellung innehaben.

Doch muss der Besitz einer kulturellen Identität bedeuten, dass sich der Deutsche mit Migrationshintergrund zwangsläufig für eine der Kulturen, mit denen er aufwächst, entscheiden muss oder kann er sogar beide oder mehrere kulturelle Identitäten in sich vereinen und in seiner Lebensweise die Vorteile beider zum Ausdruck bringen? Ist in einer solch globalisierten Welt, wie wir sie heute kennen, überhaupt von einzelnen kulturellen Identitäten eines Landes bzw. einer Gesellschaft, die klar voneinander abgrenzbar sind oder von einer Hybridität von kulturellen Identitäten auszugehen, die sich im Verlauf der Jahre immer stärker vermischen werden? Im Verlaufe unseres Projekts sollen diese und weitere Fragen vor allem mithilfe der Analyse der Interviews mit Deutschen mit Migrationshintergrund beantwortet werden und dabei Einblicke in deren Auffassung von kultureller Identität und den Beeinflussungsfaktoren ihres Zugehörigkeitsgefühl gewähren.


Theoretische Modelle zum Thema kulturelle Identität

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Im Folgenden werden die ausgewählten theoretischen Modelle, die der Arbeit zugrunde liegen, vorgestellt.


Veränderungstypen kultureller Identität nach Bochner

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Bochners Modell der Veränderungstypen kultureller Identität beschreibt die verschiedenen Identitäten eines Menschen sowie speziell die möglichen Entwicklungen, wenn zwei Kulturen aufeinander treffen. Ein Vergleich mit den Akkomodationsstrategien nach Berry in Kapitel 7.2 bis 7.2.2.4 ist erwünscht.

Laut Bochner (1982, zit. n. Thomas 2005b: 47f.) hat ein Mensch drei Identitäten:


1)Persönliche Identität

2)Soziale Identität

3)Kulturelle Identität: sie bildet sich erst durch den Umgang mit fremden Kulturen aus


Die Reaktion auf fremdkulturelle Einflüsse kann verschieden ausfallen. Bochner unterscheidet hierbei vier Typen des Wandels kultureller Identität:


Assimilationstyp (Konversion)

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Er lehnt die eigene Kultur radikal ab und übernimmt die Werte und Normen der Fremdkultur. Diese werden in das eigene Handeln integriert. Dies führt zum Verlust der eigenen kulturellen Identität und zum völligen Aufblühen in der fremden Kultur, was die Reintegration in die heimatliche Kultur deutlich erschwert.


Kontrasttyp (Abgrenzung)

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Er erlebt die Unterschiede zwischen der eigenen und der fremden Kultur sehr stark, was zur völligen Ablehnung der Fremdkultur führt. Die eigenkulturellen Werte und Normen werden vom Kontrasttyp fremden Kulturen gegenüber als überlegen angesehen. Sie sollen sich gegen Fremdeinflüsse durchsetzen und das Interaktionsgeschehen dominieren.


Grenztyp (Dialog)

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Er schätzt beide Kulturen als Träger wichtiger Werte und Normen. Da diese aber für ihn inkompatibel sind und zu ständigen Widersprüchen führen, gelingt die Integration nicht. Es kommt zu ständigen Schwankungen zwischen der eigenen und der fremden Kultur sowie zum Verlust alter Verhaltensmuster.


Synthesetyp (Synthese)

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Er vereint bedeutsame Elemente beider Kulturen zu einer neuen Gesamtheit. Für ihn haben beide Kulturen etwas Wertvolles, das er in sich vereint und das zu einer Bereicherung seiner Persönlichkeit führt. Der Synthesetyp bietet die Möglichkeit zur interkulturellen Verständigung und zur Entwicklung von einer multikulturellen Identität.


Akkulturationsstrategien nach Berry

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Ausschlaggebend sowohl für eine positive Akkulturation als auch Enkulturation ist, inwiefern die Individuen bereit sind sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern und ihre Werte und Normen, Traditionen und tägliche Verhaltensweisen zu übernehmen und (bisher) verinnerlichte Kulturstandards und -techniken der Heimatkultur bzw. Kultur des Elternhauses aufzugeben, anzupassen oder zu mischen. Einen nicht geringen Anteil an der Sympathie des Individuums für eine der beiden oder beide Seiten trägt natürlich das Elternhaus und weitere Beeinflussungsfaktoren, die in Kapitel 4.2 näher erläutert werden sollen.

Die folgenden Akkulturationsstrategien nach Berry (zit. n. Zick 2010: 430) sind für unsere Belange sehr wichtig, da die mit dieser Arbeit fokussierten Individuen zwar alle in Deutschland geboren wurden, dennoch mindestens zwei Kulturen und ihren Werten seit Geburt an ausgesetzt sind und es somit häufig schwieriger haben eine eindeutige, in allen Lebenslagen klar voneinander abgrenzbare, kulturelle Identität zu besitzen. Ebenso wie die erste Generation der Migranten können sich auch die der zweiten und dritten Generation entschieden, inwieweit sie Teil der deutschen Gesellschaft sein möchten. Doch ebenso wendet auch die Mehrheitsgesellschaft Strategien an, die die ethno-kulturelle Gruppe bei der Eingliederung in die deutsche Gesellschaft sehr stark beeinflussen können.

Inwiefern unsere Probanden solche Akkulturationsstrategien bewusst oder unbewusst anwenden und wie sehr sie die der deutschen Gesellschaft wahrnehmen und welche Auswirkungen dies hat, soll in den späteren Kapiteln geklärt werden.


Akkulturationsstrategien der ethno-kulturellen Gruppe

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Die folgenden Akkulturationsstrategien beschreiben, wie bereits erwähtn, inwieweit Personen mit Migrationshintergrund bereit sind sich in das kulturelle Leben der Merheitsgesellschaft einzubringen.


Marginalisierung
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Als extremste Form der Akkulturationsstrategien ethno-kultureller Gruppen nennt Berry (2003: 23, zit. n. Zick 2010: 430) die Marginalisierung. Diese beschreibt die totale Abschottung der Personen mit Migrationshintergrund, dabei wird weder auf den Erhalt der kulturellen Identität des Herkunftslandes noch auf den Kontakt mit der deutschen Gesellschaft Wert gelegt. Diese Form der Akkulturationsstrategie kann im schlimmsten Fall natürlich mit Diskriminierungserfahrungen oder missglückten Integrationsversuchen zusammenhängen (vgl. Zick 2010: 430).


Separation
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Im Falle einer Separation, entscheidet sich die Person in einer abgeschwächten Form, sehr bewusst gegen eine Eingliederung seiner selbst in die deutsche Gesellschaft und bevorzugt ein eher abgeschiedenes Leben unter Gleichgesinnten, mit dem Ziel beispielsweise die kulturellen Werte und die Sprache des Herkunftslandes zu erhalten. Diese Personen werden womöglich keine Probleme mit der Definition ihrer kulturellen Identität und dem Zugehörigkeitsgefühl zu dieser haben, da sie sich bewusst für den Erhalt ihrer Minderheitenkultur und gegen einen Kontakt mit der Mehrheitskultur entschieden haben (vgl. ebd.).


Integration
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Eine eher abgeschwächte Form dieses Akkulturationsergebnisses ist die Integration, die quasi selbsterklärend, die positive Eingliederung der Deutschen mit Migrationshintergrund in die Mehrheitskultur beschreibt. Dabei werden jedoch die kulturellen Werte, Traditionen, die Sprache des Elternhauses etc. weiterhin gepflegt und mit den Werten der deutschen Gesellschaft für ein harmonisches Miteinander in Einklang gebracht, d.h. es wird ein Versuch getätigt eine interkulturelle Balance herzustellen (vgl. ebd.: 63; 430).


Assimilation
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Bei der Assimilation hingegen gibt die Person ihre durch die Eltern und/oder Großeltern vermittelten Werte der eigenen Kultur auf und übernimmt die der deutschen, d.h. dominanten Kultur, vollständig und verschmilzt mit ihr und ihren Kulturstandards und Kulturtechniken (vgl. ebd.: 57; 430). Diese Begriffe beschreiben natürlich sehr theoretische Zielzustände der Akkulturation von Personen mit Migrationshintergrund, die wie oben beschrieben, nicht derart eindeutig voneinander abgetrennt und überprüft werden können. Dies liegt mitunter daran, dass das Thema kulturelle Identität stark an das zu betrachtende Individuum gebunden ist, das sich je nach persönlicher Identität, aber natürlich auch dem Zuspruch oder Ablehnung der deutschen Gesellschaft, bewusst für eine gemischte oder einseitige Lebensführung entscheidet bzw. entscheiden muss. Umso wichtiger ist es also mit dem vorliegenden Projekt eine Einsicht in diese individuellen Identitätsbildungsprozesse und psychosozialen Anforderungen zu gewähren und diese in Bezug auf den Einfluss der deutschen Gesellschaft bzw. Kultur zu betrachten.


Akkulturationsstrategien der dominanten Mehrheitsgesellschaft

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Der Einfluss der Akkulturationsstrategien der dominanten Kultur auf den persönlichen und kulturellen Identitätsbildungsprozess der Deutschen mit Migrationshintergrund sollten jedoch ebenso wenig außer Acht gelassen werden, da sie, wie bereits erwähnt, das Zugehörigkeitsgefühl der Migranten sehr stark determinieren können. Denn jede Gesellschaft, die mit dem Thema Migration zu tun hat, wird sich fragen, ob es in Ordnung ist, dass diese Personen ihre Herkunftsidentitäten beibehalten. Außerdem entscheidet sich eine Gesellschaft unweigerlich dafür, ob ihnen der Kontakt zu der Minderheitenkultur wichtig ist und sie diese als Teil ihres sozialen Lebens akzeptieren. Je nachdem, wie sehr die dominante Gruppe bereit ist die Minderheitenkultur zu integrieren, entwickelt sie Akkulturationsstrategien gegenüber diesen Personen.


Exklusion
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Als extremste Form ist hier die Exklusion zu nennen, bei der die dominante Gruppe keinen Wert auf den Kontakt mit der ethno-kulturellen Gruppe legt und gegen den Erhalt ihrer Herkunftskultur ist.


Segregation
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Die etwas abgeschwächte Form davon ist die Segregation, die die Bemühungen der Personen mit Migrationshintergrund ihre Herkunftskultur zu erhalten akzeptiert, aber keinen Kontakt zu dieser Gruppe wünscht.


Multikulturalismus
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Eine positive Akkulturationsstrategie der größeren Gesellschaft beschreibt der Multikulturalismus. Hierbei erfreut sich die dominante Gruppe am Kontakt zu der ethno-kulturellen Gruppe und begrüßt die Versuche ihre Herkunftskultur zu erhalten, da diese nicht als Bedrohung für das Fortleben der eigenen kulturellen Werte angesehen wird.


Melting Pot
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Die letzte Akkulturationsstrategie der dominanten Kultur ist der Melting Pot. Dieser wird häufig im Zusammenhang mit den USA genannt, da hier Menschen aus aller Welt zusammen leben und es im Prinzip unwichtig ist, welcher Abstammung die Menschen sind. Es wird sich lediglich am bunt gemischten Bild der Gesellschaft und ihrer unterschiedlichen kulturellen Prägungen und dem internationalen Austausch erfreut, eine eindeutige Abgrenzung voneinander, spielt dabei keine Rolle (vgl. ebd.: 430).

Das Modell des Inneren Teams von Schulz von Thun

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Jeder von uns ist schon einmal in eine Situation gekommen, in der die innere Stimme etwas anderes sagt wie man letztendlich handelt. Es ist keine Ausnahme, sondern eine menschliche Regel, dass mindestens „zwei Seelen“ in unserer Brust wohnen (vgl. Kumbier 2008: 21). Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich verstärkt mit ihrem „Inneren Team“ auseinandersetzen. Dabei kommt es bei diesen Personen oft zu permanenten Konflikten, was darauf zurückzuführen ist, dass mehr als eine der verankerten Kulturen und die damit verbundenen Werte und Normen dem Mensch innewohnt. Im Folgenden soll die Problematik der Inneren Uneinigkeit und wie man ihr entgegenwirken kann beschrieben werden, sodass eine „Innere Gruppendynamik“ daraus resultiert (vgl. Schulz v. Thun 1993: 21).


Innere Zerstrittenheit und Uneinigkeit

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Wenn man sich mit zwei Kulturen auseinandersetzen muss, weil sie beide im Kopf und im Herzen verankert sind, kommt es zwangsläufig dazu, dass bei einem Ereignis oder einer Entscheidung die Frage auftritt, wie man handelt (Schulz v. Thun 1993: 21). Diese Stimmen, die aus unserem Inneren stammen und bei manchen Entscheidungen gegensätzliche Reaktion auslösen, nennt Schulz v. Thun metaphorisch „innere Teammitglieder“ (ebd.: 23). Es handelt sich laut Schulz v .Thun um energiegeladene seelische Einheiten, die ein Anliegen enthalten und sich bei bestimmten Anlässen melden und somit in Aktion treten (ebd.: 31). In der Regel sind es Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Wertehaltungen und Befehle an sich selbst, die eine innere Unruhe auslösen (ebd.: 24). Menschen die mit zwei oder mehreren Kulturen aufwachsen, fühlen sich innerlich zerrissen, weil sie nicht wissen auf welches Teammitglied sie hören sollen und mit welchem sie sich am meisten identifizieren können. Die Inneren Teammitglieder führen ständig einen Dialog miteinander und können nacheinander oder sogar alle gleichzeitig wirksam werden (ebd.: 22). Es herrscht eine innere Pluralität, die aber nicht bewusst ausgelebt werden kann, weil keine innere zufriedenstellende Gruppendynamik vorhanden ist. Folglich fühlen sich Menschen mit Migrationshintergrund keiner Kultur richtig zugehörig, weil sie sich in einem ständigen Konflikt mit ihren Inneren Teammitgliedern befinden.


Bewusstmachung der inneren Pluralität

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Hierbei geht es darum die inneren Teammitglieder, die den Auslöser für einen Identitätskonflikt darstellen, in Einklang zu bringen. Man muss sich seine zerstrittenen und somit gegeneinander arbeitenden „Inneren Teammitglieder bewusst machen“, indem man alle auftretenden Teammitglieder benennt und jedes Einzelne genauer erkundet (Schulz von Thun 1993: 25). Menschen, die aus interkulturellen und binationalen Ehen stammen, können ihre multikulturelle Identität nur festigen, indem sie ihre innere Pluralität bewusst ausleben und diese nicht unterdrücken. Es ist ein natürliches Phänomen, dass ein Mensch Werte und Normen einer Kultur übernimmt. Somit ist es eine normale Schlussfolgerung, dass ein Mensch mit Migrationshintergrund sich zu einer oder sogar mehreren Kulturen hingezogen fühlt und somit eventuell Normen und Werte beider Kulturen übernimmt. Dabei kann es nach einem längeren Prozess der Selbsterkundung durchaus auch vorkommen, dass man sich nur einer Kultur zugehörig fühlt (ebd.: 24). Gründe hierfür können eine vollständige Angepasstheit und Integration an ein Land und die damit verbundene Kultur sein. Eine weitere Möglichkeit ist, dass man seine innere Pluralität unbewusst auslebt, weil man sich mit seinem „Inneren Team“ noch nicht genauer auseinander gesetzt hat und man damit seinem Identitätsbildungsprozess keine verstärkte Beachtung schenkt.

Qualitative Untersuchung bezüglich der kulturellen Identität von Deutschen mit Migrationshintergrund

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Im folgenden Kapitel soll der praktische Teil des vorliegenden Projekts dargestellt werden, indem Aufbau, Vorgehensweise, Interviewfragen und Probanden vorgestellt werden, bevor dann im nächsten Schritt die Auswertung und Analyse der Interviewergebnisse und die Überprüfung der Hypothese erfolgen soll.

Darstellung des Messinstruments

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Als Messinstrument für die Untersuchung der Hypothese wählten wir passend zu dem sehr persönlichen Charakter unseres Themas das Leitfadeninterview, das eine qualitative Befragung ermöglicht, da die Probanden durch das zurückhaltende Verhalten des Interviewers so wenig wie nur möglich durch die gestellten Fragen irritiert oder gesteuert werden, um ihre Meinung nicht zu verfälschen. Im Fokus dieser Befragungsmethode liegt vielmehr die Möglichkeit durch ein freies Gespräch persönlichere, tiefere Einsichten in das Leben einer Person zu gewinnen und ihre individuellen Erfahrungen, Einstellungen und Erzählungen zu erfahren. Die auf diese Weise erarbeiteten Informationen sind authentischer und persönlicher, somit aussagekräftiger und geeigneter ein solches Thema, wie das der (kulturellen) Identität einer Person, zu behandeln. Eine quantitative Untersuchung als standardisiertes Verfahren könnte diesem Anspruch nicht gerecht werden (vgl. Ludwig-Meyerhofer, uni-siegen.de).


Aufbau des Projekts und Vorgehensweise

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Der praktische Teil unseres Projekts gründet hauptsächlich auf der Analyse und Auswertung der aufgestellten Hypothese und Inbezugsetzung der Interviews mit sechs Deutschen mit Migrationshintergrund mit den grundlegenden theoretischen Modellen und Konzepten im ersten Teil der Arbeit. Um eine aussagekräftige Bewertung der Hypothese zu ermöglichen, erstellten wir folgende drei Untersuchungskategorien, die die Auffassung von kultureller Identität wesentlich mitbestimmen und beeinflussen:

1. Innen (Selbstwahrnehmung, Selbstzuschreibung),

2. Außen (Fremdwahrnehmung, Fremdzuschreibung),

3. Familie (kulturelle Werte, Sprachen, Traditionen etc.)

Anhand dieser Kategorien konnten wir dann gezielt Leitfragen für die Interviews erstellen. Wir erarbeiteten insgesamt zwölf Fragen, die in keiner bestimmten Reihenfolge und auch nicht zwingend in dieser Form, sondern ergänzend und variierend gestellt wurden, wenn sich die Probanden nicht bereits von sich aus zu einem Sachverhalt geäußert hatten. Außerdem wurden je nach Situation und Einstieg ins Gespräch und Redefreudigkeit des Probanden entweder zu Beginn des Interviews oder zwischendurch allgemeinere Fragen zur Person gestellt, wie Alter, Geburtsort, Wohnort, Beruf, Sprachkompetenz, Herkunft und Bildungsstand der Eltern. Im folgenden Kapitel werden die Fragen aufgeführt, die für das Leitfadeninterview verwendet wurden:

Die Interviewfragen

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Fragen zur Kategorie „Innen“

1. Fühlst du dich eher deutsch oder …? Warum?

2. Welche deiner Sprachen empfindest du als deine Muttersprache? Warum? In welchen Kontexten verwendest du deine jeweiligen Sprachen?

3. Welche Sprache ist „in deinem Kopf“ und welche Sprache ist „in deinem Herzen“?

4. Würdest du deine Kinder nach den Vorstellungen der deutschen oder der … Kultur erziehen?

5. Wo ist deine Heimat?


Fragen zur Kategorie „Außen“

6. Du bist im Ausland unterwegs und jemand fragt dich, woher du kommst. Was antwortest du?

7. Besteht dein Umfeld (im Beruf, in der Schule, in der Uni) eher aus Deutschen oder Personen mit Migrationshintergrund/Ausländern?

8. Hattest/Hast du öfters negative Begegnungen mit Deutschen bezüglich deiner Herkunft?


Fragen zur Kategorie „Familie“

9. Hattest du in deiner Kindheit vermehrt Kontakt zu Deutschen oder eher zu anderen Nationalitäten?

10. Welche Sprache wurde und wird in deiner Familie am häufigsten gesprochen? Warum?

11.Hast du einen guten und regelmäßigen Kontakt zu deinen Verwandten in der Heimat?

12. Welche kulturellen Werte (z.B. Feiertage, Traditionen) spielen in deiner Familie eine Rolle?

Vorstellung der Probanden

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Bei der Aufstellung der Untersuchungskriterien wurde auf eine Befragung von Deutschen mit Migrationshintergrund in unterschiedlichen Lebensabschnitten (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter) und mit unterschiedlichen Bildungsständen (SchülerIn, StudentIn, Angestellte/r, AkademikerIn) Wert gelegt. Dadurch erhofften wir uns Aussagen darüber treffen zu können, inwiefern das kulturelle Zugehörigkeitsgefühl einer Person, über individuelle Charaktereigenschaften und Einstellungen hinaus, durch äußere Faktoren beeinflusst wird. Alle Probanden stammen aus der zweiten Generation ihrer Familien mit Migrationshintergrund und wurden in Deutschland geboren bzw. kamen zwei von ihnen innerhalb ihres ersten Lebensjahres nach Deutschland, weshalb wir bei der Analyse ihrer Antworten eine Unterscheidung im Vergleich zu den anderen als nicht notwendig erachteten, da die ersten und alle weiteren Sozialisationsprozesse bei allen in Deutschland stattfanden. Die Auflistung der Probanden erfolgt im Folgenden nach steigendem Alter:

1. Sude, weiblich, 9 Jahre, türkischer Migrationshintergrund, Grundschülerin

2. Mete, männlich, 15 Jahre, türkischer Migrationshintergrund, Schüler einer Realschule

3. Marisa, weiblich, 21 Jahre, spanische Mutter, deutscher Vater, Studentin

4. Fatma, weiblich, 24 Jahre, kurdischer Migrationshintergrund, Studentin

5. Jemila, weiblich, 31 Jahre, bosnische Mutter, albanischer Vater, Geschäftsführerin einer Zeitarbeitsfirma

6. Mehmet, männlich, 33 Jahre, türkischer Migrationshintergrund, Angestellter in einem mittelständischen Unternehmen in der Finanzabteilung

Transkripte und Analyse der einzelnen Interviews

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Um eine detaillierte Einsicht in den Gesprächsinhalt und –verlauf bieten zu können und ein besseres Verständnis zu ermöglichen, werden im Folgenden zunächst die authentischen Transkriptionen aufgeführt, die anschließend einzeln analysiert und ausgewertet werden. Bei der Transkription wurden die Regeln nach Kuckartz et al. (vgl. Dresing 2012: 20-31) verwendet, die eine einfache und gut lesbare Transkription ermöglichen und den Fokus auf den Inhalt, statt beispielsweise auf prosodische Elemente legen.

An dieser Stelle soll nur kurz auf die Erklärung der relevantesten Transkriptionsregeln eingegangen werden, um das Verständnis beim Lesen zu erleichtern: Die Transkription erfolgt wortgetreu, d.h. dialektale bzw. regional bedingte Aussprachen bleiben erhalten. Pausen, die die Probanden beim Sprechen einlegen, werden mit Punkten in runden Klammern gekennzeichnet. Dabei beschreibt die Anzahl der Punkte die Länge der Pausen. Wenn diese länger als drei Sekunden ist, wird die Dauer in Sekunden in den Klammern angegeben. Außerdem werden durch den Sprecher besonders betonte Wörter in Großschreibung und Wortdoppelungen, wie „sehr, sehr“ ebenso transkribiert. Die durch den Interviewten abgebrochenen Sätze werden mit einem „/“ gekennzeichnet. Des Weiteren werden simultane Sprecheräußerungen an der betreffenden Stelle mit „//“ kenntlich gemacht und untereinander geschrieben. Die interviewenden Personen werden mit dem Kürzel „I“ kenntlich gemacht, die interviewte bzw. befragte Person mit einem „B“ (vgl. ebd.: 26-29).


Transkript Sude

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Proband: Sude, weiblich, 9 Jahre alt, türkischer Migrationshintergrund, Grundschülerin

I: Kannst du uns vielleicht zunächst einmal sagen/ bisschen was zu deiner Person, wie alt du bist?

B: Ich heiße Sude. Ich bin neun Jahre alt und bin 2004 geboren.

I: Wo bist du geboren?

B: In Augsburg.

I: Welche Sprachen sprichst du?

B: Ähm Deutsch und ein bisschen auch Englisch und Türkisch kann ich auch nur ein bisschen, weil ich zu lange in Deutschland war.

I: Ok. Du hast eben gesagt, dass du Türkisch nicht mehr so gut kannst, weil du solange schon in Deutschland lebst. Was würdest du denn sagen, welche Sprache deine Muttersprache ist? Also welche Sprache du am besten sprichst.

B: Ich spreche am besten die Sprache Deutsch.

I: Ok. Und warum ist das so?

B: Ich bin schon ganz lange in Deutschland und gehe schon ganz lange in die Schule und spreche auch ganz schön Deutsch (..) mit meinen Geschwistern und immer wenn ich so ganz viel Deutsch rede kommt mir auch nicht was Anderes in den Kopf, dann kann ich auch nur noch Deutsch und deshalb kann ich auch nur wenig Englisch und Türkisch und Englisch das lerne ich auch noch in der äh Schule.

I: Ok. Welche Sprache sprichst du denn dann mit deinen Eltern?

B: Ich spreche Türkisch und wenn ich ein Wort auf Türkisch nicht weiß, dann sage ich‘s einfach auf Deutsch und frage meine Mutter, wenn sie das weiß und wenn sie das nicht weiß, dann ähm (..) erkläre ich ihr das Wort eigentlich auch immer.

I: Verstehe. Welche Sprache wird in deiner Familie also am häufigsten gesprochen?

B: Also ich denke Türkisch, weil meine Eltern immer Türkisch sprechen und nur mit meinen Geschwistern eigentlich Deutsch.

I: Ok und warum sprichst du mit deinen Geschwistern immer oder häufig Deutsch?

B: Also ähm (..) die sagen mir immer so z.B. wenn ich ein Wort nicht kenne oder nicht weiß wie ich es aussprechen soll, dann erklären sie’s immer mir und sie sprechen deshalb auch mit mir immer Deutsch.

I: Welche Sprache fällt dir leichter?

B: Also ich denke mal Deutsch.

I: Ok. Hast du denn eher Kontakt zu deutschen Kindern oder hast du auch Freunde aus anderen Ländern?

B: Also ich hab‘ Freunde aus anderen Ländern, auch Deutsche, aber auch Türken.

I: Welche sind mehr?

B: Also Deutsche sind mehr eigentlich.

I: Welche Sprache sprichst du dann in deiner Freizeit häufig?

B: Also ich spreche häufig nur Deutsch, aber manchmal auch so Türkisch.

I: Wie kommst du mit deinen Freunden in der Schule so klar? Verstehst du dich gut mit denen?

B: Ja.

I: Hast du denn schonmal negative Erfahrungen gemacht, weil/ also hattest du schonmal Probleme mit deinen deutschen Freunden?

B: Eigentlich nie.

I: Ok. Was würdest du denn dann sagen (..) fühlst du dich eher deutsch oder eher türkisch?

B: Also ich fühl‘ mich eigentlich türkisch, aber ich spreche ganz viel Deutsch und (..) ich denke nicht dran, dass ich Deutschin sein wollen würde.

I: Ok. Was sagen deine Freunde zu dir, als was sehen die dich?

B: Als Deutschin eigentlich, weil ich ja auch GANZ viel Deutsch spreche und ich spreche auch ganz flüssig ähm Deutsch und deshalb sagen die auch/ also eigentlich nie zu mir Türkin oder Deutschin oder so, die ähm sagen einfach nett zu mir, wie äh wie ich sein könnte, also Deutschin oder Türkin, die sagen das einfach nett zu mir und ich akzeptiere es auch, wie sie‘s sagen.

I: Was meinst du? Was sagen die zu dir? Das habe ich jetzt nicht verstanden.

B: Also äh die sagen zum Beispiel „du bist echt nett, du bist wie ‘ne Deutschin“ oder so und äh ich akzeptiere es auch, wie sie es zu mir sagen ähm (.) es ist auch nicht schlimm, wenn sie sagen, ähm dass ich auch Ausländerin bin zum Beispiel, also äh mir is‘ jede Meinung eigentlich recht.

I: Ja? Warum ist das so? Also stört es dich nicht, wenn sie Ausländerin zu dir sagen?

B: Mhm, nee mich stört das eigentlich gar nicht.

I: Ok.

B: Also falls zum Beispiel jemand Fremdes fragen würde, dann würde ich ein Problem haben, aber keine Fremde, kein Problem. (lacht)

I: Du kannst dir jetzt ein Land aussuchen, außer der Türkei, und stellst dir vor, dass du dort im Urlaub bist und da fragt dich jemand, wo du herkommst. (..) Was antwortest du dieser Person?

B: Aus Deutschland, Augsburg.

I: Ok und was würdest du sagen, wo ist deine Heimat?

B: Ähm (…) Ich würde eigentlich sagen Augsburg, weil ich wohne hier auch und das ist meine Heimat.

I: Also Deutschland?

B: Ja.

I: Ok. Und wie gut ist dein Kontakt zu deinen türkischen Verwandten, die in der Türkei meine ich?

B: Eigentlich ist das ganz gut.

I: Ist dir der Kontakt wichtig?

B: Mir ist der Kontakt ganz wichtig, ich will auch immer meine Verwandten sehen, ich will meine Cousinen und so sehen und wenn ich sie nie sehen würde, wäre ich auch ganz traurig.

I: Verstehe. Also welche kulturellen Werte, das heißt zum Beispiel Feiertage und Traditionen feiert ihr oder pflegt ihr denn in der Familie?

B: Kurban bayrami. Da treffe ich meine Verwandten schon in der Türkei. [Anmerkung: Opferfest]

I: Feierst du denn auch deutsche Feiertage?

B: Ähm nur Silvester, aber sonst gar nix.

I: Ok. Ähm was würdest du sagen macht dich typisch deutsch?

B: Ähm also ich würde sagen ähm, dass manche sagen, dass ich wirklich Deutschin bin, also nicht meine Freunde, sondern so fremde Leute, die sagen „Hey du, du bist richtig Deutschin!“ immer so sagen und das würde mich auch typisch deutsch machen, denke ich mal.

I: Aber was fühlst du (..) in dir, was dich richtig deutsch macht, was typisch deutsch an dir ist?

B: Dass ich irgendwie wie ‘ne Deutschin bin, also richtig viel Deutsch spreche, flüssig.

I: Ok und außer der Sprache noch was, das dir einfällt, das dich typisch deutsch macht?

B: Hmm.

I: Also eine Eigenschaft an dir, etwas das du immer tust.

B: Eigentlich nicht.

I: Ok, ähm und was macht dich typisch türkisch?

B: Dass ähm (..) irgendwie meine Familie finde ich, weil wir sind ja Türken und ähm ich rede häufig Deutsch und flüssig auch, also ich denke, dass mich meine Familie typisch türkisch macht.

I: Hattest du denn schonmal eine Identitätskrise?

B: Ich weiß nicht mehr, was eine Identitätskrise ist.

I: Also das heißt/ hattest du schon einmal Probleme damit, nicht zu wissen, wo du hingehörst. Dass du gedacht hast, bin ich jetzt Deutsch oder bin ich jetzt Türkisch.

B: Nee eigentlich hatte ich nie Probleme damit.

I: Das heißt, was hast du immer festgestellt?

B: Ich hab eigentlich immer festgestellt, dass ich Türkin bin, aber dennoch auch Deutsch spreche. Und wenn ich auch Deutsch/ also flüssig Deutsch spreche, denke ich manchmal, dass ich Deutschin bin, aber trotzdem bin ich immer Türkin, egal was passiert.

I: Ok und wenn du in der Türkei bist, hast du dann auch das Gefühl, dass du (..) Türkin bist, die Deutsch spricht?

B: Ja.

I: Und in Deutschland?

B: Hab ich das Gefühl, dass ich eine Türkin bin, die in Deutschland ähm irgendwie Deutsch spricht.

I: Ok. Verstehe. Wir haben dann jetzt keine Fragen mehr an dich. Wir bedanken uns bei dir für deine Zeit und deine Hilfe.

B: Gern geschehen. (lacht)


Analsyse Sude
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Die Befragung von Sude zeigt, unserer Meinung nach, einen sehr interessanten Einblick in die kindliche Denkweise und ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Identität, weshalb wir Ihnen diese nicht vorenthalten möchten. Auch wenn sie vermutlich viel zu jung ist, um abstrahieren und sich Gedanken zu den von uns angeschnittenen Themengebieten rund um die kulturelle Identität machen zu können, bieten uns ihre Aussagen dennoch genügend wertvolle Ansatzpunkte für die Interpretation.

Sude beschreibt sich aufgrund der Tatsache eine türkische Familie zu haben, türkisch zu fühlen. Gleichzeitig macht sie jedoch im Verlauf unseres Gesprächs mehrfach deutlich, dass sie eine sehr hohe Sprachkompetenz im Deutschen besitzt und dies auch von ihrem, zum größten Teil deutschen Freundeskreis, gewürdigt wird. Dennoch gibt sie an, keine Deutsche sein zu wollen, obwohl sie von ihren Freunden als Deutsche angesehen wird und sich manchmal auch deutsch zu fühlen scheint, wenn sie längere Zeit die deutsche Sprache gebraucht. Auch auf die Frage hin, was sie typisch deutsch macht, antwortet sie mit ihrem hohen Sprachniveau, das sie mit Adjektiven wie „schön“ und „flüssig“ bewertet. Es ist demnach offensichtlich, dass Sude ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch die Fähigkeit ihre Sprache sprechen zu können definiert. Die Tatsache, dass sie angibt, genauso gutes Deutsch zu sprechen wie ihr deutsches Umfeld, was durch dieses auch ebenso bestätigt wird, zeigt, dass sie in ihrer Peergruppe akzeptiert und integriert wird. Bemerkenswert ist, dass der Freundeskreis Sude in ihrer Selbstdarstellung als Deutsche zu bestätigen scheint und sie als „vollwertiges“ deutsches Mitglied der Gruppe und nicht als Außenseiter aufgrund ihrer „Andersartigkeit“ ansieht, weshalb sie vermutlich bisher auch keine negativen Erfahrungen mit ihrem deutschen Umfeld gemacht hat. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass auch wir im Verlauf unseres Gesprächs mit Sude das Gefühl hatten, dass sie bereits in diesem jungen Alter über ein gutes Sprachgefühl für das Deutsche verfügt, im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen aus unserem eigenen Umfeld. Wie in Kapitel 4.2.3 beschrieben wurde, trägt Sude mit dieser Kompetenz bereits einen sehr großen Anteil an der deutschen Kultur in sich, da Sprache das wichtigste kulturelle Zeichensystem ist, das Sudes Denkweise und Wertvorstellungen in den kommenden Jahren sicherlich noch stärker auf eine sehr deutsche Weise prägen wird.

Umso erstaunlicher sind diese Ergebnisse, wenn man die Äußerungen in Betracht zieht, dass Sude angab sich aufgrund ihrer Familie türkisch zu fühlen. Die Tatsache Kind türkischer Eltern zu sein, scheint augenscheinlich schwerer zu wiegen als der Stolz als Türkin eine so hohe Sprachkompetenz im Deutschen zu besitzen, wenn es um die Bestimmung ihrer Identität geht. Allein die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe scheint sie türkisch zu machen, obwohl sie angibt, dass Augsburg bzw. Deutschland ihre Heimat ist. Dies ist nicht sonderlich verwunderlich, da der Zusammenhalt in muslimischen bzw. türkischen Familien oftmals sehr stark ausgeprägt ist und somit den größten Beeinflussungsfaktor bei der Ausbildung einer (kulturellen) Identität darstellt und auch Sude einen starken Halt und Schutz bei der Ausbildung ihrer Persönlichkeit zu bieten scheint.

Da sich Sude ihrer Herkunft durchaus bewusst ist und diese auch nicht als Nachteil oder Hindernis ansieht, empfindet sie die Bezeichnung „Ausländer“ als nicht störend und arrangiert sich mit jeglichen Fremdzuschreibungen ihrer kulturellen Identität. Außerdem gibt sie an bisher keine Identitätskrise gehabt zu haben, was abgesehen von ihrem sehr jungen Alter und der mangelnden Abstraktionsfähigkeit, vermutlich darin begründet liegt, dass sie sich in beiden kulturellen Räumen sehr wohl fühlt und akzeptiert wird, weshalb ihre kulturell unterschiedlich geprägten inneren Teammitglieder nicht in einem ständigen Kampf miteinander stehen und sie somit auch unter keiner inneren Zerrissenheit leidet. Demnach ist Sude als Synthesetyp zu bezeichnen, da sie bedeutsame Elemente beider Kulturen, d.h. ihre innere Pluralität, zu etwas Neuem vereint und, in diesem Fall eher unbewusst, zur Bereicherung ihrer Persönlichkeit nutzt. Da sie in Deutschland enkulturiert wurde, erlernte sie vergleichbar viele Kulturstandards wie ihre gleichaltrigen deutschen Freunde, weshalb davon auszugehen ist, dass sie als integrierte Deutsche mit Migrationshintergrund vermutlich auch noch als Erwachsene in der deutschen Gesellschaft problemlos zurecht kommen wird.

Transkript Mete

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Proband: Mete, männlich, 15 Jahre, türkischer Migrationshintergrund, Realschüler

I: Könntest du dich denn vielleicht einfach mal ganz spontan vorstellen?

B: Ja, also ich bin der Mete. Ich bin in München geboren, bin männlich. Bin 15 Jahre alt, ähm bin hier in Deutschland geboren aber hab‘n türkischen Hintergrund. Also ich bin eigentlich Türke.

I: Ok.

B: Ja, ähm. Ich gehe/ also ich gehe zurzeit auf die Schule. Bin nächstes Jahr äh dann fertig, aber also versuch dann noch mein Abi. Also nach Realschule. (..) Ja/

I: Ok. Du hast ja eben schon gesagt, du bist in Deutschland geboren und hast einen türkischen Migrationshintergrund.

B: Ja.

I: Würdest du dann sagen, dass du dich eher deutsch oder eher türkisch fühlst?

B: Ich fühl‘ mich eher türkisch, von daher dass ich auch keine deutsche Staatsbürgerschaft habe. Dass ich äh Türke bin aber (…) ja von daher dass ich hier geboren bin ist auch ein Teil so/ man fühlt sich ein bisschen Deutsch aber eigentlich ist es so, wenn du hier in Deutschland bist, bist‘n Ausländer wenn du in der Türkei bist, bist‘n Tourist.

I: Ok.

B: Ist ja auch so ‘ne Sache.

I: Und was denkst du dann wo du hingehörst?

B: Eigentlich nach Deutschland, weil ich bin hier geboren, ich lebe seit dem/ also seit dem ich lebe, lebe ich hier in Deutschland und ja/

I: Ich verstehe. Sehen dich die Deutschen hier als Türke oder Deutscher?

B: Das ist ganz unterschiedlich. Das hängt von der Person ab, ob die mich kennen oder nicht, ob die mich/ äh jetzt mit Vorurteilen kommen „du Schwarzkopf“ und so. Äh, das hängt ganz davon ab, aber in meinem Freundeskreis werde ich anerkannt, so wie ich bin.

I: Kann man sagen, dass du schon viele negative Erfahrungen aufgrund deiner Herkunft oder deines Äußeren gemacht hast? Oder kommst du eigentlich gut klar mit den Deutschen?

B: Nee, ich komm ganz gut klar äh/ mein Freundeskreis besteht eigentlich so aus 80% Deutschen (..) und ja also ich komm besser mit Deutschen klar als mit Ausländern, muss ich sagen. Also auch besser als mit Türken, weil man kennt das ja hier so in Deutschland, dass die hier immer so auf den drauf sind (stellt eine aggressive Geste nach).

I: Also du bist zufrieden so wie es ist. Du sagst deine Freunde akzeptieren dich, dass du Türke bist?

B: Hhm.

I: Oder akzeptieren die dich als Deutsch-Türken?

B: Also die akzeptieren mich als mich selber, wie soll ich das jetzt erklären? Natürlich hab ich auch was Deutsches an mir, weil ich hier großgezogen wurde und so, und dass merken die auch. Zum Beispiel, ähm die akzeptieren mich auch, dass ich so/ also, dass ich nicht spreche wie die anderen ganzen Ausländer so/ irgendwie so (...) wie soll ich sagen (..) so umständlich, und so dass ich mich in die deutsche Sprache integriert habe und so.

I: Ok.

B: Ähm, also deswegen respektieren die mich. Wenn ich jetzt sage, ja aber, die wissen halt, die kennen auch meine türkischen Seiten, wie ich sein kann und so/ also wie das so ist ähm und respektieren das natürlich auch. Die versuchen mich halt nicht umzustellen. Die nehmen mich, so wie ich bin.

I: Ich verstehe. Und zurück zu deinen Sprachen. Welche Sprache empfindest du als deine Muttersprache?

B: Ähm natürlich Türkisch, weil ähm um die Sprache nicht zu verlieren, reden wir zuhause ständig türkisch. Üben aber unter uns Geschwistern auch die deutsche Sprache aus, damit wir die verbessern können, falls wir mal Fehler haben. Wir korrigieren uns halt gegenseitig.

I: Ok. Aber in welcher Sprache bist du stärker oder fühlst dich wohler?

B: Ähm (..) Ich fühl mich in keiner Sprache wohler, weil es ist irgendwie so ‘ne Sache. Ich ähm find beide Sprachen allgemein/ ich/ weiß ich genauso viel wie in dem anderen auch also das heißt ähm ich bin jetzt nicht in Deutsch besser als im Türkischen, im Türkischen bin ich besser als in Deutsch also das ist jetzt eigentlich hier ähm (..) also gleich.

I: Ok, ich verstehe. Du hast gesagt, dass du mit deinen Geschwistern häufig Deutsch redest, um das noch zu üben und euch zu verbessern. Und welche Sprache sprichst du mit deinen Eltern?

B: Türkisch hauptsächlich. Also (..) von daher/ also meine Mutter versteht ja Türkisch aber kann halt nicht so viel Deutsch. Äh sie versteht ja Deutsch aber kann‘s halt nicht umsetzen durch die Grammatik und ihr fallen dann die Vokabeln nicht ein, aber wenn sie‘s hört dann versteht sie alles natürlich. Und deswegen äh reden wir halt türkisch, erstens damit jeder uns versteht und zweitens ähm damit wir unsere eigene Muttersprache ausüben können und die nicht irgendwie verloren geht. Dass äh irgendwann irgendwie die türkischen Wurzeln weg sind.

I: Ok. Und deine Eltern, wenn du magst, kannst du mir vielleicht sagen was sie beruflich machen? Reden deine Eltern häufig deutsch oder gar nicht?

B: Ja, also mein Vater redet hauptsächlich/ ähm auch öfters Deutsch mit uns. Ähm nur wenn halt meine Mutter anwesend ist nicht. Also dann türkisch.

I: Und dein Papa, was macht er beruflich?

B: Äh, also er hat ‘ne Ausbildung als Elektriker gemacht.

I: Und deine Mama ist von Beruf?

B: Hausfrau.

I: Ok. Ganz am Anfang unseres Interview hast du ja gesagt, dass dich deine deutschen Freunde eben so akzeptieren, wie du bist und dass du viel mit Deutschen zutun hast. War das in deiner Kindheit auch schon so, dass du in der Schulzeit oder in der Kindergartenzeit sagen konntest, du hast mehr deutsche Freunde gehabt? Oder hattest du auch viele türkische oder Kinder aus anderen Nationalitäten als Freunde?

B: Also in meiner Kindheit als ich klein war so Grundschule und Kindergarten war das ja eh so, ich hatte nur Kontakt mit Freunden/ ähm in der Schule oder im Kindergarten/ äh da ich streng erzogen worden bin, dass ich ähm/ ja also mich außerhalb der Schule nicht getroffen habe/ ähm aber eigentlich war das immer/ also in der Grundschule war‘n es hauptsächlich Deutsche aber im Kindergarten war‘n das auch immer die/ waren auch immer so gleichmäßig, sag ich jetzt mal.

I: Also, nicht entweder oder, sondern//

B: Ja, genau. Auch Türken, auch Russen, Kurden und was weiß ich. Also halt immer ähm alle Nationalitäten. Ich hatte Freunde überall. Sozusagen.

I: Wie sieht es aus mit dem Kontakt zu deinen Verwandten in der Türkei? Pflegst du den Kontakt?

B: Ähm, also äh wir telefonieren öfters/ ähm skypen oder ja ähm was auch immer. Also/ (…) den wollen wir auf jeden Fall nicht verlieren.

I: Ist dir das wichtig?

B: Ja. Also bei mir geht Familie immer vor.

I: Wie sieht das aus mit den kulturellen Werten, die du in deiner Familie vermittelt bekommen hast? Wie wichtig sind diese kulturellen Werte erst einmal? Habt ihr beispielsweise gewisse Feiertage oder Traditionen, die ihr pflegt?

B: Also einmal ähm Ramadan, wo wir fasten halt. Ähm, dann gibt’s ja einmal Opferfest und (…) einmal (…) Ramadan halt. Das sitzt (?) ja auch in unserer Kultur, würde ich mal sagen.

I: Und wie sieht es aus mit deutschen Feiertagen oder deutschen Traditionen, die du pflegst oder feierst?

B: Nee, eigentlich nicht/ also Weihnachten und so Ostern, nee das machen wir nicht/ aber (..) nee. (..) Also so Feiertage mäßig nicht aber so von der deutschen Kultur haben wir natürlich auch was in uns, da wir hier aufgewachsen sind.

I: Was wäre das zum Beispiel?

B: Also spontan komm ich jetzt nicht drauf, aber/(14) ähm (..) doch da gibt`s/ zum Beispiel/ ich bin ja aktiv ähm im Schützenverein, ich schieße ja und mach dann halt jedes Jahr beim Marschieren mit, beim Freischießen und es hängt ja/ das hat ja auch was mit der deutschen Kultur zu tun. Ähm ja (…) wir marschieren halt und da bin ich auch der einzige Ausländer halt in den, in äh in den ganzen Truppen da, die marschieren von dem ganzen Verein/ ich bin auch der einzige Ausländer, der auch überhaupt schießen geht oder sonst was.

I: Fällst du da negativ oder positiv auf?

B: Eher positiv, also für die ist‘s eigentlich so auch so ‘ne schöne Sache, dass sich auch mal ähm nicht nur Deutsche, sondern auch mal Ausländer an dem Sport beteiligen und sie/ äh das macht denen auch Freude. Ich wird‘ ja dort auch besonders behandelt und so also/ Die achten schon drauf, dass es mir dort auch gut geht.

I: Mir ist gerade aufgefallen, dass du gesagt hast „Ausländer“. Wenn du dich selbst betiteln würdest, würdest du dich dann auch als Ausländer bezeichnen oder würde dir ein anderer Begriff einfallen wie du dich nennen könntest? Hast du zum Beispiel ein Problem mit dem Begriff „Ausländer“?

B: Hängt davon ab in welchem/ also ähm wie die Leute halt Ausländer definieren. Es gibt ja Leute, die haben jetzt halt die Vorurteile „Boah Ausländer!“, „ Die sind kriminell.“, „Die sind ähm drogensüchtig.“ oder was weiß ich. Gibt ja immer diese Vorurteile (.) ähm es hängt immer davon ab, wie die Person halt Ausländer definiert.

I: Wie definierst du Ausländer?

B: Ich definier‘ Ausländer allgemein/ wir leben in Deutschland/ also Leute, die halt keine Deutsche sind, also zum Beispiel Kurden, Russen, Türken, Libanesen, Albaner.

I: Also ist es für dich nicht wichtig, dass du im Prinzip in Deutschland geboren wurdest? Das macht dich nicht zum Deutschen, oder doch?

B: Also so ganz zum Deutschen nicht, weil ähm ich komm ja nach meinen Wurzeln aus der Türkei aber ich trag‘ halt was von/ Deutsches in mir, weil ich hier aufgewachsen bin. Hab mich hier in die Kultur eingelebt, ja.

I: Ok. Und als was fühlst du dich in der Türkei?

B: Also das ist ja so, wenn man hier in Deutschland ist, ist man ein Ausländer, aber in der Türkei ist man dann Tourist.

I: Was ist dann quasi Heimat? Wo fühlst du dich wohl und sagst: „Hier werde ich akzeptiert so wie ich bin“?

B: Ähm (..) in Deutschland. Also weil (…) ähm weil ich einfach/ weil ich hier aufgewachsen bin und wenn ich in der Türkei bin dann hab ich ja immer das Deutsche an mir und das merken die immer. Dann bin ich halt nicht ein Teil davon, weil die immer ähm ja, weil die dann irgendwie (…) so sich denken „ja, der ist nicht ganz Türke, der ist ja ein Tourist“, sagen die dann.

I: Und anders herum in Deutschland. Hast du da auch die Erfahrung gemacht, dass die Leute sagen, der ist nicht ganz dies oder das?

B: Ja, natürlich aber ähm, das ist ja so, weil ich hier geboren und aufgewachsen bin, akzeptieren mich die Leute, weil ich mich hier in die Kultur ein/ äh integriert habe. Weil ich ihre Sprache beherrsche und ja sonst was. Weil ähm, hier werde ich auch dafür akzeptiert.

I: Jetzt muss ich dich noch einmal fragen. Wenn ich Heimat sage an welches Land denkst du dann? Türkei oder Deutschland? Welches Land fällt dir direkt ein?

B: Schwierig, also ähm/ (…) Wenn man Heimat sagt, fällt mir als erstes Deutschland ein, weil (…) ja ich lebe hier seit ich geboren bin, also ist ja so relativ meine Heimat, würde ich sagen. Aber halt ähm (..) ich kann jetzt nicht sagen, dass die Türkei nicht meine Heimat ist, weil ich ja/ ähm (…) also weil meine Familie aus der Türkei kommt, weil meine Wurzeln halt türkisch sind, da kann ich, jetzt das ist jetzt schwierig würd ich sagen. Also an erster Stelle, würd ich sagen, Deutschland und danach kommt die Türkei als Heimat.

I: Ich verstehe. Dazu hätte ich dann noch eine Frage. Und zwar würde ich mich interessieren, wenn du in einem anderen Land, also nicht in der Türkei bist, und dich jemand fragt, wo du herkommst, was wäre dann deine Antwort dazu?

B: Ich würd‘ sagen, ähm ich bin Türke aber ähm komme aus Deutschland. Also ich bin Deutschland geboren und (.) lebe dort. Aber ich hab halt einen türkischen Hintergrund.

I: Ist dir das wichtig, das deutlich zu machen?

B: Also es ist mir nicht wichtig, weil mir/ also (...) wenn ich mit der Person nichts zu tun habe, dann ist es mir egal, was der über mich denkt oder so, aber mir ist es auch nicht wichtig jetzt klar zu stellen „Ja, ich bin Türke“ ähm aber (...) ich find es nett, wenn die Leute es halt wissen und dich dafür akzeptieren, dass du auch türkischen Hintergrund hast, also einen ausländischen Hintergrund hast.

I: Ok. Wenn du mal irgendwann eigene Kinder hast, wie würdest du die dann erziehen? Nach den Vorstellungen der deutschen oder der türkischen Kultur?

B: Ähm, weder noch. Ich würd‘ versuchen (..) also ich will das/ Ich hab‘s ja auch schon gesagt gehabt, dass die türkischen Wurzeln halt nicht verloren werden/ äh gehen sollen. Ich würde versuchen ähm ausgewogen beides zu machen. Also, dass sie sich hier äh/ (...) also, dass sie sich in Deutschland hier ähm integrieren/ also dass sie in Deutschland klar kommen. Aber ähm, wenn wir mal in die Türkei fahren auch, äh also fliegen, auch äh in der Türkei klar kommen würden, zum Beispiel in den Ferien oder so, dass die ähm also sowohl die türkische Kultur als auch die deutsche kennen.

I: Ich verstehe. Was wären Eigenschaften an dir, von denen du sagen würdest, „Das ist typisch deutsch an mir und das ist typisch türkisch an mir“?

B: Ähm, (…) also typisch deutsch, sag ich mal, meine Umgangsart, wie ich halt spreche und so, ähm (..) also wie ich halt mit Leuten umgehe, wie ich Leute behandel‘, das find ich eher so deutsch. Da hab ich das Deutsche her. Ähm und das Türkische, (5) ja wie soll ich sagen also (5) meine türkische Seiten (15)/ Wie soll ich das erklären? (6) Ja, also ähm meine türkischen Seiten, halt mein Aussehen, man sieht mir halt an, dass ich halt aus der Türkei komme und ähm naja wie jedem Ausländer passieren mir auch mal Fehler, so dass ich irgendwie mal die deutsche Sprache mal ein bisschen verwechsle, oder so / halt ähm, da kommt das Türkische dann raus. Und ähm, dass ist es ja, ähm dafür werd‘ ich auch akzeptiert dafür und ich werd‘ halt korrigiert, aber/ das finde ich nicht so schlimm, weil dann verbessern die ja/ also da verbesser‘ ich mich ja nur selber. Äh das ist ja nicht so, dass ich Fehler gemacht hab‘ und das unverzeihlich ist. Dann werde ich halt verbessert und mach’s beim nächsten Mal besser. Also ähm daher kommt auch das Türkische. Also man sieht mir an, ich bin Schwarzkopf ja/ ähm (...) aber (..) man sollte jetzt auch nicht Vorurteile ziehen, dass ich kriminell bin, nur weil ich Schwarzkopf bin.

I: In Ordnung. Nun noch abschließend eine letzte Frage. Hattest du schon einmal eine Identitätskrise? Also eine Identitätskrise in dem Sinne, dass du nicht wusstest wo du hingehörst? Ob du Deutsch bist oder Türkisch bist?

B: Nee. Ich hatte/ So was hatte ich noch nie. Nee. Ähm, also ich hab mich immer dazu äh/ also ich hab mich immer so gefühlt, als würd‘ ich dazu gehören, egal wo es war.

I: Wozu gehören?

B: Ja, äh zu ‘ner gewissen Gruppe/ wo also/ zum Beispiel wenn ich in Deutschland bin und ähm und mein/ also mit meinem deutschen Freundeskreis abhänge, dann ähm dann gehöre ich ja auch zu den Deutschen, also dann denke ich, ich bin Deutscher/ also nicht in dem Sinne/ ähm nicht ganz Deutscher, sondern das ich immer noch meine äh kulturellen Werte als Türke noch ähm zeige/ aber ähm ja (.) ich halt so benehme als wär ich ein Deutscher.

I: Ja, und in der Türkei?

B: Ja, äh dann benehme ich eben halt wie ein Türke, ganz normal. Spreche türkisch, behandle/ also (..) handle so.

I: Ok, ich verstehe. Dann bedanken wir uns für deine Zeit und das Gespräch.

B: Gerne.


Analyse Mete
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Da Mete sich als 15-Jähriger in der Pubertät befindet, erhofften wir uns im Vorfeld Antworten zu erhalten, die mehr auf eine innere Zerrissenheit in Bezug auf seine kulturelle Identität schließen lassen, da in diesem Alter grundsätzlich von einer Uneinigkeit mit sich selbst in vielen Lebensbereichen auszugehen ist. Doch erstaunlicherweise scheint Mete eine relativ gefestigte Persönlichkeit und ein realistisches Selbstbild zu besitzen, da er sich über seinen Status als deutscher Türke oder türkischer Deutscher und somit seiner Rolle als „Vermittler“ zwischen zwei Kulturen durchaus bewusst ist.

Er sieht sich selbst als in Deutschland geborener Türke an, da er keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, was, wie wir anfangs beschrieben hatten, nicht über die Bezeichnung als Deutscher mit Migrationshintergrund bestimmt. Trotzdem ist es ihm aber wichtig, da er dies mehrfach erwähnt, auch zum Teil deutsch zu sein, da er sich nach eigenen Angaben in die deutsche Gesellschaft integriert hat, wofür er von seiner Peergruppe und seinem sonstigen sozialen Umfeld auch gewürdigt wird. Ebenso wie wir anfangs auf die Existenz des „im Heimatland Tourist, im Geburtsland Ausländer“- Problems eingegangen sind, nennt auch Mete dieses Phänomen und gibt unterschwellig zu verstehen, dass er dieses als lästig empfindet. Auf die Frage hin, wo seine Heimat ist, antwortete er mit Deutschland und begründet dies damit, dass er hier geboren und aufgewachsen ist. Diese Einschätzung erscheint auch plausibel, da er in Deutschland enkulturiert wurde und somit in Kindergarten und Schule bereits wichtige kulturelle Werte und die Kulturstandards des Deutschen erlernt hat. Mete gibt an fast ausschließlich deutsche Freunde zu haben und erklärt, dass diese ihn für seine persönliche Art schätzen, ihn aber auch als Türken akzeptieren. Dabei rechnen sie ihm hoch an, dass er die deutsche Sprache beherrscht und sich selbst ebenso bewusst von negativ auffallenden Türken distanziert und diese nicht als Peergruppe in Betracht zieht. Festzuhalten ist also, dass er in seinem sozialen seinen ganz individuellen Platz gefunden hat und im Schutze dieser seine Identität weiter ausbilden kann.

Auffällig ist, dass er sich hin und wieder selbst als „Schwarzkopf“ oder „Ausländer“ bezeichnet, was darauf schließen lässt, dass er diese Wörter nicht zwingend als Beleidigung erachtet. Dies ist vermutlich dadurch zu erklären, dass er eben einen, im Vergleich zu seinen deutschen Freunden, „anders“ aussehenden Jungen sieht, wenn er in den Spiegel schaut, der eben durch sein Äußeres auffällt. Dies scheint er als eine natürliche Gegebenheit anzusehen, für die er sich nicht schämen oder verstecken braucht. Da er als kontaktfreudige und integrierte Person, die die deutsche Sprache beherrscht, auf sein deutsches Umfeld zugeht, scheinen diese ihn bedingungslos in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu haben, weshalb er vermutlich, gerade aufgrund seines Aussehens, bisher keine Diskriminierungserfahrungen gemacht hat und somit auch nicht in einen Kampf um soziale Anerkennung, die eine innere Zerrissenheit auslösen wurde, getrieben wurde. Vielmehr vereint Mete seine inneren Teammitglieder, über die er sich jedoch noch nicht im Klaren ist, auf eine sehr gesunde Weise und schafft es, sich je nach Kontext und Gruppe an die kulturellen Räume authentisch anzupassen.

Mete gibt an, dass das türkische seine Muttersprache ist und dass er für sich selbst und auch für seine zukünftigen Kinder durch die kontinuierliche Pflege der Sprache gewährleisten möchte, dass die türkische Kultur erhalten bleibt. Ebenso wie es ihm für sich selbst wichtig ist, möchte er auch, dass seine Kinder später einmal sowohl die deutsche als auch die türkische Sprache beherrschen, um in beiden Gesellschaften zurechtzukommen. Dies ist damit zu erklären, dass Mete die Fähigkeit die Sprache der Mehrheitsgesellschaft, in unserem Fall die deutsche, zu sprechen als wichtigstes Integrationsmittel ansieht und dies der Mehrheitsgesellschaft seine Bereitschaft zur Integration signalisiert. Besonders interessant ist, dass Mete seit einigen Jahren im Schützenverein seiner Stadt Mitglied ist und auch hier sehr gut mit seinem deutschen Umfeld zurechtkommt, da sie ihn scheinbar sehr warmherzig und vorurteilsfrei in ihre Gemeinschaft aufgenommen haben, obwohl er der einzige „Ausländer“ ist. Dies zeigt, dass sich die dominante Gesellschaft um eine Integration eines Deutschen mit Migrationshintergrund in ihre Gemeinschaft bemühen und sich an der kulturellen Bereicherung und dem multikulturellen Bild, das sie damit abgeben, erfreut.

Auffällig war im Verlauf des Gesprächs außerdem, dass es Mete viel einfacher viel seine deutsche Identität zu definieren als die türkische. Während er zur seiner deutschen kulturellen Identität seine guten Sprachkenntnisse, Kultur, Umgangsart und seine Mitgliedschaft im Schützenverein nannte, definierte er seine türkische kulturelle Identität „nur“ durch seine Abstammung, das Feiern der muslimischen Feiertage und der Verbundenheit mit seiner Familie. Dies ist vermutlich dadurch zu erklären, dass die Familie als erste Sozialisationsinstanz einen starken Einfluss auf die Ausbildung des Zusammenhalts und eines Wir-Gefühls ausübt, verstärkt wird dies durch die Tatsache, dass es sich hier um eine muslimische bzw. türkische Familie handelt. Umso interessanter ist es, dass er angab, dass das Türkische seine Muttersprache ist. Dies liegt aber vermutlich nur daran, dass in diesem Fall der Begriff natürlicherweise mit der Sprache der Mutter gleichgesetzt wurde, da als Begründung die Tatsache herangezogen wurde, dass zu Hause fast ausschließlich, dabei v.a. mit den Eltern, türkisch gesprochen wird. Des Weiteren ist besonders außergewöhnlich, dass Mete, obwohl er Deutschland als seine Heimat ansieht, mit der Begründung hier geboren und aufgewachsen zu sein, sich trotzdem als in Deutschland geborener Türke definiert. Erstaunlich ist diese Einschätzung, weil Mete sich eigentlich bewusst darüber ist, dass er in Deutschland zwar als in Deutschland geborener Türke akzeptiert wird, in der Türkei jedoch mit den Worten „der ist nicht ganz Türke“ in eine Außenseiterposition gedrängt wird. Trotzdem ist Mete als Synthesetyp zu bezeichnen, da er sich der kulturellen Einflüsse beider Gesellschaften auf seine Identität im Klaren ist und das Beste aus beiden Kulturen für sich beansprucht, um daraus eine eigene, neue Identität zu schaffen.


Transkript Marisa

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Proband Marisa, weiblich, 21 Jahre alt, studiert Sozialwissenschaften

I: Schön, dass du dir Zeit nimmst uns bei unserer Seminararbeit zu helfen. Wir suchen Menschen mit Migrationshintergrund, die wir gerne interviewen möchten. Trifft das auf dich zu?

B: Ja ich bin Marisa, ich bin 21 Jahre alt, studiere Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg. Sonst noch was?

I: Wo wurdest du geboren? Woher kommen deine Eltern?

B: Ich bin in Landsberg am Lech geboren worden. Meine Mutter ist Spanierin und mein Papa ist Deutscher. Der Grund weshalb ich Migrationshintergrund habe, ist das meine Mutter meinen Vater in Spanien kennengelernt hat und ihn geheiratet hat und sie zusammen nach Deutschland gegangen ist.

I: Möchtest du uns vielleicht verraten welchen Beruf deine Eltern haben? Du musst dich zu dieser Frage nicht äußern, wenn du nicht möchtest.

B: Kein Problem, also mein Vater ist Elektriker und meine Mutter ist Hausfrau.

I: Okay würdest du sagen du fühlst dich eher Deutsch oder Spanisch?

B: Also ich würde sagen dass ich mich eher Deutsch fühle, dadurch dass ich in Deutschland geboren worden bin und(..) Deutsch auch meine Muttersprache ist, würde ich sagen, dass ich ähm eher Deutsch bin. Allerdings würde ich das nie von mir behaupten das ich das zu 100% bin, weil ich (.) natürlich spanische Wurzeln habe und mit der spanischen Kultur auch ähm in frühster Kindheit auch in Verbindung geraten bin, deswegen (..) ja würde ich eher sagen, dass ich zwar eher Deutsch bin aber natürlich nicht zu 100%.

I: Okay. Also welche Sprache ist dann eher in deinem Kopf und welche Sprache ist eher in deinem Herzen?

B: Ähm(.) beides, also in meinem Kopf würde ich sagen eher Deutsch und im Herzen natürlich beide Sprachen.

I: Würdest du deine Kinder nach den Vorstellungen der Deutschen oder der Spanischen Kultur erziehen?

B: Ähm beides also, dass was ich von meiner Mutter mitbekommen habe aus Spanien das werde ich natürlich weitergeben und das was ich hier mitbekommen habe von der deutschen Erziehung das werde ich dann auch weitergeben. Also ich hoffe, dass ich natürlich beide Kulturen irgendwie meinen Kindern weitergeben kann.

I: Okay. Stell dir vor du bist im Ausland unterwegs und jemand fragt dich woher du kommst. Was würdest du antworten?

B: Ähm ich glaub ich würde (..) ich sag um ehrlich zu sein immer das ich Deutsche bin. Aber wenn ich denjenigen besser kenne dann sag ich ihm natürlich auch, dass ich bilingual aufgewachsen bin.

I: Besteht dein Umfeld eher aus Deutschen oder Personen mit Migrationshintergrund?

B: Gemischt, also ich habe viele Bekannte, die Migrationshintergrund haben, aber auch viele Bekannte die aus Deutschland kommen. Also ich würde sagen, bei mir fifty-fifty.

I: Hattest du öfters negative Begegnungen mit Deutschen bezüglich deiner Herkunft?

B: Nein! Also bezüglich meiner Herkunft hatte ich bisher eigentlich nur immer nur positive Erfahrungen also das klingt jetzt wahrscheinlich blöd aber bei Typen kommt es öfters vor , dass sie es toll finden, wenn ich Migrationshintergrund hab und ansonsten(…)nein also, dass ich deswegen benachteiligt wurde oder schlechte Erfahrungen hatte damit, ne also ich kann da wirklich nichts Negatives wiedergeben.

I: Okay. Hattest du in deiner Kindheit vermehrt Kontakt zu Deutschen oder eher zu anderen Nationalitäten?

B: Ich hatte eher Kontakt mit Deutschen, dadurch dass ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin und ich die Einzige war mit Migrationshintergrund bin ich natürlich in meiner Kindheit eher mit ähm Deutschen aufgewachsen. Aber natürlich wenn ich in Spanien war, hatte ich auch viel Kontakt mit spanischen Kindern, aber (..) ja so in meinem Umfeld. Also später, als ich dann aufm Gymnasium war ähm hatte ich mehr Kinder kennengelernt die Migrationshintergrund hatten und mit denen war ich dann natürlich auch befreundet. Aber ähm vorher eher nicht.

I: Okay. Welche Sprache wurde oder wird in deiner Familie am häufigsten gesprochen eher Spanisch oder Deutsch?

B: Früher nur Spanisch ähm mittlerweile nur Deutsch. Das liegt einfach daran, dass meine Mutter als sie nach Deutschland kam kein Wort Deutsch konnte und deshalb hat sie mich einfach Spanisch aufgezogen, allerdings mit der Zeit war meine Mutter natürlich immer mehr daran bemüht sich gut zu integrieren und (..) ja sich gut anzupassen deshalb musste sie natürlich auch die Sprache lernen und deshalb spricht meine Mutter mittlerweile relativ gut Deutsch. Ja deswegen reden wir zu Hause immer nur noch Deutsch und außerdem ist mein Vater aus Deutschland. Er kann zwar Spanisch aber für ihn ist es natürlich einfacher Deutsch zu reden wenn er in Deutschland wohnt.

I: Hast du eigentlich noch guten und regelmäßigen Kontakt zu deinen Verwandten in Spanien?

B: Ähm ja. Also mit einem Onkel von mir und mit einer Tante von mir hab ich relativ oft Kontakt. Dadurch, dass ich jetzt ausgezogen bin aus dem Haus meiner Eltern hab ich nicht mehr so viel wie früher weil meine Verwandten aus Spanien rufen meine Mama einmal die Woche immer an jeden Samstag meistens und ja dadurch dass ich eben nicht mehr zu Hause wohn bin ich an diesen Gesprächen auch nicht mehr so beteiligt aber über Skype oder über Whats App hab ich noch Kontakt zu ihnen und das ist mir auch relativ wichtig.

I: Welche kulturellen Werte spielen in deiner Familie eine Rolle? Übernehmt ihr zum Beispiel typische Feiertage, spanische Feiertage, Traditionen oder eher Deutsch?

B: Witziger weise mischen wir oft alles miteinander also da kommt dann irgend so „ein Gewurschtel“ raus. Zum Beispiel ist es in Spanien üblich, dass Kinder ihre Weihnachtsgeschenke nur bekommen, wenn sie ihre Schuhe putzen und unter den Weihnachtsbaum legen und es gibt auch in Spanien traditioneller Weise kein Geschenkpapier. Die Geschenke werden unter so einem weißen Tuch versteckt und das hat meine Mutter immer an Weihnachten übernommen, allerdings hat sie auch das deutsche Christkind übernommen und auch den 24.12. deswegen hat sich das bei uns immer alles immer ein bisschen gemischt.

I: Das ist sehr interessant. Wie würdest du dich in Bezug auf deine Identität zusammenfassend beschreiben? Würdest du sagen du stehst zwischen zwei Stühlen oder trägst du beide Kulturen in deinem Herzen?

B: Also ich würde sagen, dass ich beide Kulturen in meinem Herzen trage und je nach dem wo ich gerade bin also in Spanien oder Deutschland ähm fühle ich mich natürlich dem anderen Land eher hingezogen. Also wenn ich zum Beispiel in Spanien bin, dann bin ich oft so froh dass ich wieder in Spanien bin. Ich pass mich auch relativ schnell an, und ja aber irgendwann vermiss ich natürlich auch meinen deutschen Teil. Wenn ich längere Zeit hier in Deutschland bin dann vermiss ich natürlich auch meinen spanischen Teil deswegen habe ich eigentlich fast jedes Jahr Lust nach Spanien zu reisen und ja und auch wieder irgendwie die Sprache zu hören. Manchmal, manchmal kuck ich auch einfach nur spanische Filme weil mir das gibt mir irgendwie was (…) ich weiß auch nicht wie ich es beschreiben soll. Aber ich glaub, dass es bei mir immer einfach so „ein Gewurschtel“ bleiben wird.

I: Okay das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank Marisa, dass du dir Zeit genommen hast uns bei unserer Seminararbeit zu unterstützen du hast uns wirklich sehr weiter geholfen. Wirklich vielen Dank.


Analyse Marisa
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Eine andere Probandin war die 21-Jährige Marisa aus Augsburg. Sie studiert Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg. Ihre Mutter ist spanischer Herkunft und ihr Vater ist Deutscher. Marisa ist bilingual aufgewachsen und spricht beide Sprachen. Ihre Muttersprache ist jedoch Deutsch. Sie persönlich kann von sich nicht voll und ganz behaupten deutsch zu sein da der spanische kulturelle Einfluss von Seiten der Eltern von Kindheit an da war. Da ihre Mutter früher kein Deutsch sprechen konnte, redete sie mit ihr nur Spanisch. Auch ihr Vater spricht fließend Spanisch. In ihrer Kindererziehung würde sie versuchen beide Kulturen miteinfließen zu lassen, da sie dies selber von ihrer Erziehung her gewohnt war und diese Werte auch weitergeben möchte. Hierbei hat die kulturelle Prägung der Eltern eine wesentliche Rolle gespielt. Sie behauptet von sich beide Sprachen in ihrem Herzen zu haben, sagt aber auch, dass sie von der Denkweise eher Deutsch als Spanisch ist. Ihr Freundeskreis bestand früher hauptsächlich aus Deutschen, da sie aus einer ländlichen Gegend stammt. Heute ist er sehr gemischt. Dies kam dadurch, dass sie nun in Augsburg wohnt und auch durch die Universität vermehrten Kontakt zu anderen Nation hat. Auch kann Marisa keine negativen Erfahrungen in Bezug auf Deutsche verzeichnen, wenn es um ihre ausländischen Wurzeln geht. Den Kontakt zu ihren spanischen Onkeln und Tanten versucht sie immer aufrechtzuerhalten, sei es durch Skype, Telefon oder Ähnliches. Je nachdem ob es die Zeit zulässt.

Zudem sagt Marisa von sich, dass sich die beiden Kulturen sehr stark in ihr vermischen, was sie auf ein bewusstes Handeln der Eltern schließt. Sei es bei Feiertagen wie Weihnachten oder auch hinsichtlich Traditionen. Marisa fühlt sich immer mehr zu dem hingezogen, wo sie sich gerade befindet. Was sie hier noch beifügt ist, dass sie nach längerer Zeit immer einen Teil ihrer Identität vermisst und dann immer versucht etwas davon nachzuholen, was ihr gerade fehlt indem sie sich Filme auf Spanisch ansieht oder jedes Jahr nach Spanien fliegt um ihrer spanischen Seite wieder etwas näher zu kommen. Sie kann sich sehr gut anpassen, so behauptet sie von sich selbst. Marisa selbst vereint beide Kulturen in sich, lebt die innere Pluralität zufriedenstellend aus und hat keinen Identitätskonflikt, ist also dem Synthesetyp zuzuordnen. Hierzu kann man sagen, dass Marisa eine durchaus gefestigte multikulturelle Identität aufzeigt.


Transkript Fatma

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Fatma, weiblich, 24 Jahre alt, kurdischer Migrationshintergrund, Studentin der sozialwissenschaftlichen Konfliktforschung im Master

I: Hallo, wir sind Nalan, Vanessa und Jessica und schreiben grade eine Seminararbeit wofür wir gern Menschen mit Migrationshintergrund interviewen möchten. Trifft das auf dich zu?

B: Ähm ja, ich bin Kurdin.

I: Guuut. Ich weiß nicht, möchtest du vielleicht einfach mal anfangen von dir was zu erzählen?

B: Hmm ja, was wollt ihr denn da genau wissen? Also von mir erzählen is auch nich sooo/ Okay, ich bin Fatma, bin 24 Jahre alt, studiere hier sozialwissenschaftlichen Konfliktforschung im Master und bin hier in Deutschland aber geb/ nicht geboren, nein. Ich bin mit 9 Monaten nach Deutschland geboren und habe einen kurdischen Migrationshintergrund. Also meine Eltern kommen aus dem Osten der Türkei, aus den kurdischen Gebieten uuund ja, ich bin zweisprachig aufgewachsen. Also meine Eltern haben mir dann die kurdische Sprache beigebracht und Deutsch hab ich dann auch an der (…) in der Schule also gelernt. Ja…

I: Okay.

B: Genau.

I: Äääähm, gut. Wir haben jetzt mal n paar Fragen vorbereitet. Ähm, um da jetzt mal einzusteigen. Fühlst du dich jetzt tendenziell eher deutsch oder eben kurdisch?

B: Ähm, also ich bin über die Persönlichkeitskrise schon hinweg. Die hatte ich eigentlich nämlich auch schon. Wo gehör ich hin? Wer bin ich? Und ähm ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich beide Kulturen und beide Extreme eigentlich in mir vereinen kann und ähm es gibt einige Strukturen in Deutschland, die mir zum Beispiel nicht gefallen und einige Sitten und dann gibt es aber auch andererseits in der kurdischen Kultur und in der kurdischen Tradition Dinge, die ich ähm, die mir nicht so gefallen. Aber (…) genau, ich versuche (...) also ich hab da eigentlich schon n guten Mittelweg gefunden und ich würd sagen ich bin Deutsch-Kurdin, auf jeden Fall. Also mir sind auf jeden Fall beide äh Lebensweisen wichtig und ich hab da auf jeden Fall nen mittleren Weg gefunden, so n Mittelweg, genau.

I: Das heißt, dass auch die kurdischen Traditionen bei euch gepflegt werden?

B: Auf jeden Fall, ja, auf jeden Fall. Wir hatten ja letzte Woche Donnerstag diesen internationalen Tag hier an der Uni. Und da hab ich mich dann auch kurdisch angezogen und bin hier dann, obwohl ich kein eigenen Stand hatte, aber bin dann auch irgendwie ähm also hab ich mich kurdisch angezogen und bin dadurch dann auch aufgefallen und die Leute haben mich dann gefragt: Aaah, hast du n Stand? Und ich so: Ne ne, es is n internationaler Tag, ich hab auch einfach mal Lust meine Traditionen euch dann n bisschen zu äh zeigen. Genau, ja.

I: Feiert ihr dann auch Feiertage in der Familie?

B: Ja, ähm (…) die meisten von uns Kurden sind eigentlich auch Muslime, das heisst ähm wir haben natürlich dann auch die muslimischen Feiertage. Aber es gibt auch zum Beispiel am 21. März das kurdische Neujahrsfest und das feiern wir dann auch ganz groß. Genau, und dann ähm (…) treff / also eigentlich wird das sogar in Deutschland ganz groß gefeiert, da treffen sich die ganzen Kurden, die in Deutschland leben an einem Ort zum Beispiel in Bonn. Und dann wird da wirklich alle, also dann feiert man wirklich zusammen und feiert das neue Jahr und hofft, dass es, das ist vor allem auch eine politische Sache. Weil das is mit dem türksich-kurdischen Konflikt auch verbunden ist und dass man einfach hofft, dass dieser Konflikt dann auch so langsam gelöst wird, was jetzt auch dann bald eigentlich, hoffen wir mal, der Fall sein wird. Genau.

I: Und du hast jetzt gesagt Deutsch ist deine Muttersprache?

B: Nein, Kurdisch und Deutsch bzw. ja, ich sprech Deutsch auf muttersprachlichem Niveau.

I: Ähm, würdest du deine Kinder eher nach der deutschen Kultur erziehen oder eher kurdisch?

B: Kmmm, ähm, i/ ich denke ich werd das so machen, dass sie auf jeden Fall (…) also ich werd ihnen auf jeden Fall die kurdische Tradition beibringen, die kurdische Sprache und ich werd ihnen aber die deutsche Kultur und die deutschen Traditionen nicht vorenthalten, auf keinen Fall. Wenn sie hier aufwachsen, dann auf jeden Fall. Ich mein (…) sonst würd ich (…) das wäre ja Isolation und das soll nicht sein, das kann auch nicht sein meiner Meinung nach.

I: Und wie siehts mit deinem Umfeld aus? Also (…) hast du viel mit Deutschen zu tun? Oder hast du viele kurdische Freunde oder vereinst du das auch?

B: Jaa, meine besten Freundinnen sind Deutsche eigentlich, aber das ist, das tut nichts zur Sache, weil ich hab auch sehr viele kurdische Freundinnen und ähm ich geh auch auf kurdische Festivals, auf kurdische Hochzeiten, wie auch immer. Die gibt’s bei uns sowieso ganz oft. Und ähm ist schon eigentlich sehr ausgewogen, doch. Also ich fühl mich in beiden Seiten auf jeden Fall wohl. Genau und ähm klar gibt es manchmal immer wieder Gesprächsthemen oder Dinge, da merk ich okay, das ist echt nicht so meins. Aber sowohl in meinem kurdischen Freundeskreis als auch in meinem deutschen Freundeskreis. Aber ich trenn das auch nicht so krass wie ichs jetzt grade gesagt hab, also es ist jetzt nicht so, dass ich wenn ich mit/ dass ich nur mit Deutschen oder nur mit meinen kurdischen Freunden unterwegs bin. Es ist auch manchmal ab und zu gemischt, auf jeden Fall.

I: Und äh welche Eigenschaft findest du macht dich deutsch oder kurdisch? Kann man das so sagen? Also kannst du das so sagen?

B: Ja (…) ähm (…) ich weiß nicht, ob ich das so sagen kann. Aber bei uns spielt Familie auf jeden Fall ne sehr, sehr, sehr, sehr große Rolle. Und (…) also auch von Anfang an. Da heißt es nicht/ nee nee, wirklich, also es ist nicht so, dass man sagt, okay mit 18 Jahren zieh ich aus und das wars dann. Und ähm das ist/ also die Familienstrukturen und die Werte und Normen in der Familie werden uns von Anfang an eigentlich auch beigebracht. Und ich denke das macht uns auch aus und vor allem die kurdische Sprache, auf jeden Fall (…) typisch deutsch (…) ich esse keine Weißwurst, nein (…) ich trag auch kein Dirndl in Bayern nee, keine Ahnung (…) typisch deutsch (…)

I: Ja zum Beispiel (…) was fällt dir auf wenn du, du hast gesagt im kurdischen Teil der Türkei, was fällt dir auf wenn du zurück gehst, wenn du im Urlaub bist, was fällt dir auf, was macht dich typisch deutsch?

B: Jaaa (…) auf jeden Fall schon mal die Uhrzeitensache also (…) bei uns Kurden ist das auf jeden Fall, das ist glaube ich im Nahen Osten ist das generell so ne Sache. Wenn man sagt wir treffen uns um 7, dann kommen die Leute erst um 8 oder 9 und da hab ich auch dieses deutsche Denken. Wenn ich n Termin zum Beispiel da hatte und gesagt hab ja wir treffen uns jetzt um 9 Uhr morgens, die Leute waren um 9 Uhr morgens nicht da. Das ist halt diese deutsche Pünktlichkeit, die ich dann halt hier einfach gelernt hab. Also es sind dann schon Strukturen, die man dann durch den Vergleich dann auch merkt. Wenn man dann unten ist (…) genau (…)

I: Und hast du dann auch regelmäßigen Kontakt zu deinen Verwandten dort?

B: Äääähm (…) eher weniger (…) weil ich es nicht möchte, aber das hat persönliche Gründe, genau (…)

I: Wie war es in deiner Kindheit? Hattest du dann auch wie jetzt guten Kontakt zu Deutschen oder dann auch eher zu Kurden?

B: Eigentlich eher zu Deutschen auch. Ähm ich bin zu ner deutschen Schu/ also ich bin ja wie gesagt hier aufgewachsen und in meinem Umfeld gab es sehr wenige Kurden. Also es gab eigentlich mehr Russen und Griechen, 2, 3 Türken, aber ich spreche auch kein Türkisch und deswegen hatte ich auch nicht so den Kontakt zu ihnen und ähm (…) ja ich hatte eigentlich schon eher ein deutsches Umfeld.

I: Deine Eltern (…) wenn du uns dazu was sagen könntest oder möchtest?

B: Ja.

I: Die sprechen Kurdisch und Deutsch?

B: Also/ also mein Papa, der war hier auch an der Volkshochschule und hat da nen Deutschkurs belegt und war der Beste (lacht) Das muss man auch sagen (lacht) Und ähm, ne also ähm er spricht sehr gut Deutsch, kann sich auf Deutsch unterhalten und meine Mama geht auch alleine zu ihren Arztbesuchen, kann alleine dem Klempner sagen was grade das Problem auch is, wenn wir n Problem zum Beispiel in der Küche haben oder keine Ahnung (…) Und ähm ja, das geht eigentlich auch, also (…) mhm.

I: Und in deiner Familie? Welche Sprache benutzt ihr da?

B: Ja mmhh (…) also wir Geschwister unter uns sprechen Deutsch, mit meinen Eltern sprechen wir auch manchmal Deutsch, aber eigentlich eher Kurdisch. Also zu den Eltern Kurdisch, aber wir Geschwister untereinander Deutsch. Wobei ich mir wünschen würde, dass sie ähm…also ich wünsch mir, dass sie Kurdisch miteinander sprechen, weil Deutsch sprechen sie ohnehin wenn sie draußen sind und ich würd mir das wünschen, dass man das trennt. Dass man zu Hause Kurdisch spricht und draußen eher Deutsch. Weil Deutsch kann man eh die ganze Zeit sprechen und ihr Kurdisch hat auch leider sehr viel nachgelassen. Leider (…) ja (…)

I: Aber du achtest dann schon darauf, dass (…)

B: Jaaa, ich sag denen dann auch immer wieder, dass/ genau (…) manchmal reden sie mit mir auf Deutsch und ich antworte dann auf Kurdisch oder ich red mit denen auf Deutsch und sag okay, antwortet mal auf Kurdisch, das geht ja so nicht weiter (…) ihr müsst eure, ihr dürft eure Sprache einfach nicht vergessen. Weil das das A und O ist find ich, wirklich (…)

I: Ähm okay (…) jetzt stell dir vor du bist im Ausland, also nicht in der Türkei und nicht in äh (...) also ganz wo a/ also n Land deiner Wahl und du wirst gefragt äh wo du herkommst. Was wäre dann deine Antwort?

B: Also ich sag (…) ich werd sowas eigentlich schon oft gefragt und ähm ich sag immer ich bin Kurdin aus Deutschland. So sag ich das immer. Und dann heisst es immer erst mal: Kurdin? Und dann sag ich: jaaa, das ist ähm/ das sind die kurdischen Gebiete in der Osttürkei und ähm dann passt das auch wieder. Und dann erklär ich denen n bisschen was über den türkisch-kurdischen Konflikt, weil es ja/ weil die türkische Gesellschaft eigentlich noch nicht wirklich bereit ist zu akzeptieren, dass es eine kurdische Gesellschaft eigentlich auch gibt und ähm dann muss man das denen auch nochmal n bisschen erklären, aber mittlerweile geht es. Und aus Deutschland sag ich, weil ich eigentlich auch hier aufgewachsen bin, aber trotzdem (…) deswegen sag ich auch Kurdin, weil mir die andere Seite auch immer noch sehr wichtig ist. Auf jeden Fall.

I: Also du hast eigentlich keine Konflikte mit deiner Identität? Hast du ja gesagt, du hast das schon überwunden?

B: Ja, kann ich sagen.

I: Du vereinst beides in dir?

B: Ja.

I: Okay. Waren dann auch negative Begegnungen mit Deutschen dabei?

B: Mmmmhhh (…) nicht wenn es um mei/ also nicht wenn es um/ nicht wenn es als/ mmmhhh (…) wie sag ich das denn jetzt? Ähmmmm (…) mmmmhhh (…) also es waren keine Fragen, es waren keine negativen Begegnungen als es um meine ethnische Identität ging, sondern um meine religiöse. Als ich denen dann gesagt hab ich bin Muslima, da hat meine erste Chefin gefragt, was ich von der Al Qaida halte. Und und und aaaahh (…) ich schüttel heute noch den Kopf darüber, weil ich gedacht hab okay, dieses Schwarz-Weiß-Denken muss auf jeden Fall überwunden werden und dann hab ich ihr auch erklärt, dass wir eigentlich ähm nichts mit diesen Terroristen eigentlich gemein haben und ähm das war eigentlich eher das Problem. Und seit Thilo Sarrazin eigentlich auch mit seinem Buch, seit der Debatte 2010, werd ich auch öfters konfrontiert und man fragt mich auch immer: Oh, sie sprechen wunderbar Deutsch und sie sprechen fließend Deutsch, wie geht das? Und diese Fragen wurden mir vor Thilo Sarrazin noch nie gestellt. Is einfach so. Das is dis, was mich n bisschen ärgert, also sehr sogar. Was heißt bisschen, dis ärgert mich wirklich sehr, weil mir das vorher nie aufgefallen is, dass ich immer das Gefühl hatte, Teil der Gesellschaft zu sein. Ich bin, ich find ich hab immer noch das Gefühl Teil der Gesellschaft zu sein, aber ich spüre das diesmal stärker. Vor allem diese Fragen mit: aaah, Sie sind aber keine Deutsche, Sie haben einen Migrationshintergrund und/ ja ich bin aber auch eingebürgert und mittlerweile sag ich auch: entweder sag ich ich bin Kurdin, in Deutschland aufgewachsen oder ich sag ich bin Deutsche mit kurdischen Migrationshintergrund. Für mich ist das das ein und dasselbe. Genau (…)

I: Alles klar, ich glaube wir haben alles. Das war ein schönes Schlusswort, danke.

B: Ja, stimmt.

I: Dankeschön.


Analyse Fatma
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Fatma hat einen kurdischen Migrationshintergrund, vereint mittlerweile jedoch die deutsche und die kurdische Kultur in sich. Über die Jahre hinweg hat sie einen Mittelweg gefunden, beide Sitten in sich zu verankern und somit sind ihr auch beide Lebensweisen sehr wichtig. Sie pflegt kurdische Traditionen und Feiertage, zu Verwandten in der Heimat hat sie jedoch aus persönlichen Gründen kaum Kontakt. Generell ist es Fatma aber wichtig, ihre eigene Kultur den Deutschen näher zu bringen, ihnen von ihr und ihrem Volk zu erzählen und über den türkisch-kurdischen Konflikt zu informieren. Politisches Engagement gehört für sie dazu, ebenso wie das Kurdischsprechen.

In Fatmas Familie wird sowohl Deutsch als auch Kurdisch gesprochen, Kurdisch mit den Eltern und Deutsch mit den Geschwistern. Ihr ist es wichtig, dass ihre jüngeren Geschwister ihr Kurdisch pflegen, sie sagt, das sei ein Teil von ihnen und dieser dürfe nicht vergessen werden. Oft regt sie ihre Geschwister auch gezielt dazu an kurdisch zu sprechen, damit sie es nicht verlernen. Als ihre Muttersprache sieht Fatma sowohl Deutsch als auch Kurdisch, weswegen sie ihren Kindern auch einmal beide Kulturen vermitteln will. An der kurdischen Kultur sind ihr die Familienstrukturen besonders wichtig. Fatma mag den Zusammenhalt und das Miteinander, das ihrer Meinung nach in der deutschen Kultur nicht so sehr ausgeprägt ist. In ihrer Kindheit hatte Fatma ein deutsches Umfeld, heute hat sie deutsche und kurdische Freunde. Sie schätzt beide Kulturen und trifft sich oft auch mit deutschen und kurdischen Freunden gleichzeitig. Typisch deutsch ist ihrer Meinung nach ihre Pünktlichkeit. Wenn sie in ihrer Heimat ist und Termine vereinbart ist es ganz normal, dass sie warten muss. Das kennt sie aus Deutschland nicht, was sie sehr schätzt. Probleme hatte Fatma mit Deutschen nur, wenn es um ihre Religion ging. Seit der von Sarrazin ausgelösten Debatte wurde sie immer öfter auf ihre kurdischen Wurzeln angesprochen und mit Vorurteilen konfrontiert, worüber sie sich sehr ärgert. Dennoch ist sie immer wieder dazu bereit ihrem Gegenüber ihre Religion und auch die damit verbundenen Traditionen zu erklären und verzerrte Ansichten aufzuklären.

Fatma sagt von sich, dass sie ihren Identitätskonflikt, die Frage nach der Zugehörigkeit, schon überwunden hat. Sie hat sich lange damit beschäftigt und trägt mittlerweile beide Kulturen in sich. Sie sieht sich als Kurdin aus Deutschland und kommt mit diesem Status auch gut zurecht. Ihr Inneres, ihre Selbstwahrnehmung, ist gefestigt, womit sie zu kämpfen hat sind äußere Faktoren. Theoretisch fühlt sie sich wohl und weiß wer sie ist, doch ihre Mitmenschen geben ihr immer wieder zu verstehen, dass sie keine „echte“ Deutsche ist, auch wenn sie hier aufgewachsen ist und in Deutschland enkulturiert wurde. Aussagen wie „Wow, du sprichst ja fließend deutsch!“ bekommt sie immer wieder zu hören, was sie sehr schade findet. Denn das zeigt ihr, dass ein Teil der Gesellschaft nicht nachdenkt oder nachfragt, sondern gleich sein Urteil fällt und von vornherein eine Meinung hat.

Zudem konnten wir feststellen, dass Fatma dem Synthesetyp entspricht, also beide Kulturen in sich vereint. Sie hat sich die Eigenschaften, die sie in der jeweiligen Kultur bewundert, herausgesucht und daraus ihre eigene Kultur geschaffen. Außerdem ist sie sich ihrer inneren Pluralität bewusst und lebt sie auch aus. Das ist daran zu erkennen, dass sie sich auch für die Politik in ihrem Heimatland interessiert und sich dafür engagiert. Sie versucht beide Kulturen in ihrem Leben teilhaben zu lassen. Fatma wirkt gefestigt und scheint ihren Platz in der deutschen Gesellschaft gefunden zu haben, auch wenn diesen hin und wieder an ihrem Platz zweifelt.

Transkript Jemila

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Proband : Jemila , weiblich, 31 Jahre alt, Firmengründerin und -chefin einer Zeitarbeitsfirma

I: Hallo

B: Hallo.

I: Jetzt wollt ich dich fragen, magst du einfach mal anfangen von dir zu erzählen? Also vielleicht einfach mal zu deiner Person, dein Alter vielleicht.

B: Ja also mein Name ist Jemila Buteli, bin 31 Jahre alt, bin in Texas geboren. Ähm (..) bin in Deutschland aufgewachsen oder besser gesagt mit 2 Jahren nach Deutschland gekommen und bin hier aufgewachsen. Ja!

I: Okay. Deine Eltern sind aus welchem Land?

B: Ähm(..) meine Mama kommt aus Bosnien und mein Papa aus Kosovo.“

I: Okay. Um da jetzt mal in die ganze Materie einzusteigen eine knallharte Frage am Anfang. Fühlst du dich eher Deutsch oder(..) je nach dem(..) albanisch?

B: Ähm (..) Deutsch. Ich fühl mich Deutsch, ich kann zwar beide Sprachen. Ich kann Albanisch und Bosnisch aber bin dort natürlich nicht aufgewachsen oder besser gesagt ich hab die Länder nie kennenlernen können, dürfen, wie auch immer, weil ähm(..) meine Eltern auch gar keine Zeit hatten, weil sie hier ja auch viel gearbeitet haben und somit uns Kindern gar nicht das Land zeigen konnten oder die Kultur. Die Mentalität, die haben sie uns zwar erzählt und versucht bei zu bringen, aber wenn man natürlich in Deutschland hier lebt haben wir auch die deutsche Kultur natürlich mitbekommen. Kindergarten, Schule. Ja.

I: Okay. Dein Umfeld damals war das eher Deutsch oder auch mit ausländischen Kindern?

B: Gemischt. Also ja (..) hm. In den Schulen ja gemischt würd ich mal sagen.

I: Okay.

B: Meine Eltern haben natürlich schon versucht ähm sind auch in die Gegenden gezogen wo halt auch nur Deutsche wirklich waren also nicht in so Siedlungen, sondern eben haben das schon versucht, dass wir da so die Mitte finden. Ja.

I: Okay. Und wie ist es jetzt mit deinem Umfeld, deine besten Freunde?

B: Deutsch.

I: Ja?

B: Hm ja.

I: Hat sich nichts geändert?

B: Nein.

I: Okay. Du hast ja gesagt du sprichst auch Albanisch und Bosnisch?

B: Ja.

I: Und welche Sprache empfindest du als deine Muttersprache?

B: Hm(..)

I: Schwierig?

B: Also ja. Wie gesagt, wenn die, die ähm (..) die Leute von meiner Mama da sind, also die bosnische Verwandtschaft, dann wird Bosnisch zu Hause geredet und ähm(..) wenn mein Vater halt da ist wird Albanisch gesprochen.

I: Also würdest du jetzt sagen, dass du nicht nur eine Muttersprache hast, sondern in dem Fall 2 oder sogar 3.

B: Ja. Genau. Ich fühl mich aber am wohlsten, natürlich, wenn ich Deutsch spreche, weil ähm(..) es halt für mich schwieriger ist. Ich kann zwar beide Sprachen und versteh sie auch aber dadurch, dass ich sie natürlich nicht jeden Tag spreche ähm tu ich mir da schwer auch diesen Dialekt zu sprechen. Also ich spreche aber ich weiß auch, dass es irgendwie doch falsch sein kann.

I: (lacht) Zu der ganzen Kulturfrage, wenn du mal Kinder haben wirst. Wirst du die eher nach den deutschen Vorstellungen erziehen oder spielen da dann auch noch die anderen Komponenten mit rein?

B: Ja eher Deutsch, weil ich, ich kann die zwei wie gesagt. Ich spreche die Sprachen, versteh sie auch, aber ähm ich hab keine Verbindung zu den Ländern. Weil wir eben auch als Kinder nie dort waren oder auch jetzt nie dort waren, also ja.

I: Immer nur als Urlaubsziel dann?

B: Nicht einmal des. Vielleicht zwei Mal, aber da war ich auch klein, jung.

I: Okay. Also würdest du schon sagen, dass Deutschland deine Heimat ist?

B: Ja.

I: Okay. Wenn man dir im Ausland die Frage stellen würde, wo du her kommst was würdest du dann sagen?

B: Texas,(lacht) Im Geburtsland, also es ist schwer. Ich, ich würde (..) oder Deutschland. Ja ich bin ja hier aufgewachsen. Für mich ist das hier(..) ich, ich bin froh, dass ich hier leben darf und das hier einfach ausnutzen darf was ich hier für Möglichkeiten hab. Ähm natürlich Kosovo und Bosnien ähm ja… das sind Drittstaaten.“

I: Okay.

B: Schwierig.

I: Okay. Zu deinen Begegnungen mit Deutschen, die es ja schon immer gegeben hat, gab es da öfter negative Begegnungen bezüglich deiner ausländischen Eltern?

B: Ja.

I: Schon?

B: Ja. Das fängt schon in der Schule und im Kindegarten an. Ähm im Kindergarten, in der Schule: du Ausländermädchen des (..)man kann, man meint das wirklich nicht, aber ähm(..) auch als ich dann immer älter wurde hab ich mir gedacht: okay, die Kinder, das sind halt Kinder. Die sagen halt Hahaha… Ausländer. Aber wenn man Erwachsen wird, dann denkt man nicht, dass es immer noch Menschen gib, die Ausländern das Gefühl geben du gehörst hier irgendwie nicht hin. Trotz dessen, dass das hier schon Multikulti ist.

I: Das gibt es jetzt auch noch im Erwachsenenalter, dass du Probleme damit hast?

B: Ja. Ja klar, weil ähm Deutsche, so blöd wie es sich jetzt anhört, meinen, dass Ausländer hier vielen den Arbeitsplatz wegnehmen. Ich sehe es ja als ich mich selbstständig gemacht hab, da kamen auch solche Sachen wie ähm wie jetzt wie, wie so ein Ausländer eine Firma, das funktioniert doch nicht. Kommen immer wieder solche Sachen.“

I: „ Hattest du dann auch Probleme als Chefin gegenüber deutschen Angestellten?“

B: Nein. Nein dadurch, dass ich, hoff ich, die Sprache gut kann und des auch….äh ja. Ne da hatte ich noch keine Probleme gehabt.

I: Okay. Kurz zu deiner Familie. Ähm in deiner Kindheit hattest du mehr Kontakt zu Deutschen hast du gesagt, gell? Ähm und welche Sprache wurde in deiner Familie, daheim, gesprochen?

B: Albanisch.

I: Okay. Ähm. Zu deinen Verwandten in der Heimat? Hattest du da guten und regelmäßigen Kontakt oder eher seltener?

B: Also meine Eltern haben den Kontakt. Und wenn die natürlich uns dazu holen zum Telefonieren oder zum Skypen dann ist natürlich automatisch da eine Verbindung zwar da, aber ja es ist zwar Bekanntschaft, Verwandtschaft und trotzdem fühlt man sich irgendwie fremd, weil ich einfach… weil ich die Leute nicht kenne. Wie gesagt ich bin ja hier aufgewachsen und man, man sagt zwar Hallo und man weiß das ist der Cousin oder die Cousine. Trotzdem sind sie einem fremd, weil man sie halt einfach nicht kennt.

I: Weil der Kontakt fehlt.

B: Richtig. Aber man tut es natürlich der Familie halber. Mein Vater ist ja ähm der, der ist auch froh, dass er hier leben darf, hier arbeiten darf aber trotzdem ist er stolz Albaner zu sein so wie meine Mama halt Bosnisch zu sein.

I: Okay. Dann kurz zu deinen Eltern vielleicht. Die sprechen auch beide Deutsch?

B: Mhm (..).

I: Ja? Haben die es sich selber beigebracht oder?

B: Also meine Mama, (...) meine Mama musste das sich selber beibringen, meine Mama war Analphabetin als sie nach Deutschland gekommen ist. Sie konnte ähm(..) weder schreiben noch lesen. Aber als wir Kinder natürlich in Kindergarten gekommen sind, dann blieb ihr ja nichts anderes übrig, als mit uns ähm so sprechen zu lernen. Und als sie dann natürlich eine Arbeit gesucht hat und arbeiten musste, sollte, musste sie sich des selbst beibringen. Und jetzt, ich mein, die zwei können nicht perfekt Deutsch, aber sie geben sich Mühe, sie integrieren sich und (...) ja (...) arbeiten.

I: Welche kulturellen Werte spielen in deiner Familie noch eine Rolle? Z.B. jetzt Feiertage, die ihr feiert oder sonst irgendwas?

B: Ja, bei uns Muslimen gibt’s ja Ramadan und Bayram, Fastenzeit. Und dieses ähm(..) ja wie sagt man da? Bayram ist dann dieses Festessen nach der Fastenzeit. Das wird bei meiner Mama noch gemacht, also meine Mama tut das. Mein Vater nicht. Der arbeitet zu viel und man sagt ja immer wenn man Medikamente nehmen muss oder solche Sachen sollte man das nicht machen. Aber, ja bei meinen Eltern ist das schon noch so. Meine (..) meine Mama isst auch kein Schweinefleisch. Also aber gut, des müssen wir Kinder halt akzeptieren, aber sie verbietet es uns nicht. Wir dürfen es zwar nicht mit nach Hause nehmen, die sagt macht es ihr das draußen wie ihr wollt. Aber zu Hause halt nicht. Und solche, solche Sachen wie Bayram, Ramadan des macht die alles noch. Betet auch. Joa.

I: Aber ihr Kinder habt da schon einen eigenen Weg gefunden praktisch? Okay jetzt geht’s ja immer um diesen inneren Konflikt, den man teilweise hat, teilweise auch nicht. Zu welcher Kultur gehöre ich? Wer bin ich teilweise auch. Hast du solche Gedanken und Gefühle auch schon gehabt oder hat das bei dir nie eine Rolle gespielt?

B: Nein, also das Einzige ist im Traum. Ich träum manchmal Bosnisch, ich träum manchmal Albanisch.

I: Das ist ja interessant.

B: Oh, und dann wiederum Deutsch. Aber ich hab nie jetzt äh... ich hab nie die Frage gestellt, bin ich eher albanisch oder bin ich eher bosnisch. Ich für mich, wie gesagt, ich bin stolz Deutsche sein zu dürfen und hier auch leben zu dürfen. Und hier auch arbeiten zu dürfen und mich hier entfalten zu dürfen, weil in den muslimischen Ländern ist es halt doch immer noch so, dass du als Frau leider immer noch nicht viel zu sagen hast.

I: Ja. Die letzte Frage noch. Man sagt ja es gibt eine Sprache im Kopf und eine Sprache im Herzen. Du sagst, du träumst teilweise auch in anderen Sprachen. Was würdest du jetzt sagen welche Sprache in deinem Herzen ist?

B: Albanisch.

I: Albanisch?!

B: Mhm. Aber aus dem Grund, weil halt doch viel zu Hause Albanisch gesprochen wird. Weil mein Papa, so wies bei den Moslems halt so ist (…) der Mann is halt s Oberhaupt, ist immer ja noch so. Bei uns zu Hause zwar nicht, aber meine Mutter hat das ja so gelehrt bekommen, damals als sie mein Papa geheiratet hat. Die haben ja recht früh geheiratet, meine Mama hat mein Papa mit 14 geheiratet. Also (…) da ist eine Frau halt einfach zu Hause, Hausfrau, Kinder, fertig. (…) ich glaub deshalb wird auch bei uns hauptsächlich Albanisch gesprochen. Weil das von Anfang an halt einfach so war. Also(…) im Herzen Albanisch und trotzdem aber, wie gesagt, verstärkt (…) ich, ich selber bin deutsch.

I: Gut, ich glaub dann sind wir schon am Ende. Dankeschön für deine Zeit!

B: Danke auch!


Analyse Jemila
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Probandin dieses Projekts war die 31-jährige Jemila, eine Firmengründerin und Chefin einer Zeitarbeitsfirma. Im Alter von zwei Jahren kam sie nach Deutschland, zuvor lebte sie in Texas. Ihr Vater stammt aus dem Kosovo und ihre Mutter ist aus Bosnien. Obwohl sie sowohl der bosnischen wie auch der albanischen Sprache mächtig ist, spricht sie am liebsten Deutsch. Jemila ist somit trilingual aufgewachsen. Auf die Frage ob sie sich deutsch fühlt antwortet sie mit Ja. Sie beherrscht zwar beide Sprachen, ist aber in den Ländern weder aufgewachsen noch hat sie eines dieser Länder schon einmal besucht. Ihre Eltern haben zwar immer wieder etwas von ihrer Kultur mit in die Erziehung einfließen lassen, jedoch war die deutsche Kultur immer wieder dominierend, sei es durch Schule oder Kindergarten bei ihr selbst oder auch bei den Eltern durch das alltägliche Leben. Aufgewachsen ist sie in einem gemischten Umfeld, heute besteht ihr Freundes- und Bekanntenkreis größtenteils aus Deutschen. Sie selber hatte aber immer wieder negative Begegnungen mit Deutschen bezüglich ihrer Herkunft. Ihre Kinder würde sie deutsch erziehen, da ihr der Bezug zur albanischen und bosnischen Kultur fehlt. Sie selbst orientiert sich auch nicht an muslimischen Feiertagen oder Traditionen, wie es bei ihren Eltern der Fall ist. Trotz alledem ist sie sich in dem Gespräch sehr unsicher darüber, was sie als ihre Muttersprache sieht. Früher wurde bei ihr zu Hause hauptsächlich albanisch gesprochen, weswegen sie sich auch nicht sicher ist was ihre wirkliche Muttersprache ist. Jemila hat zwar Kontakt zu ihren Verwandten aus Bosnien und dem Kosovo, trotzdem sind sie ihr fremd, weil der Kontakt zu selten ist und auch meist über Telefon oder Skype abläuft.

In Hinsicht auf die Veränderungstypen kultureller Identität kann man Jemila dem Assimilationstyp zuordnen, weil sie sich dem Land und der deutschen Kultur zugehörig fühlt, hier lebt und hier aufgewachsen ist. Auch eine Rekultivation in die Kultur ihrer Herkunftsländer wird hier wahrscheinlich schwerer fallen, da sie Werte, Normen und Handeln größtenteils aus der deutschen Kultur übernommen hat. Was bei näherer Betrachtung jedoch auffällt ist, dass man sie eigentlich mehr dem Synthesetyp zuordnen kann, da sie unbewusst eine innere Pluralität lebt, indem sie zum Beispiel drei unterschiedlichen Sprachen spricht oder manchmal auch in einer der drei Sprachen träumt. Auch die Tatsache, dass sie sich nicht an muslimischen Feiertagen orientiert, wie es ihre Eltern machen, zeigt, dass sie sich aus beiden Kulturen das für sie Beste heraussucht und diese Verbindung zu „ihrer“ Kultur macht. Der Grund warum sie sich selbst nicht als Synthesetyp sieht ist, dass sie sich bisher noch nicht mit ihrer Identitätsbildung auseinandergesetzt hat. Da sie sich der deutschen Kultur komplett angepasst hat und auch behauptet dass dies ihre Identität ist, kennt sie keinen inneren Konflikt.

Transkript Mehmet

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Proband: Mehmet, männlich, 33 Jahre alt, türkischer Migrationshintergrund, Angestellter in der Finanzabteilung eines mittelständischen Unternehmens

I: Könntest du mir vielleicht zunächst einmal etwas zu deiner Person sagen, bitte?

B: Ja, ich heiße Mehmet und äh, bin 80 geboren, äh bin in München geboren und aufgewachsen. Hab zwei Geschwister, (..) dann äh, hab ich BWL studiert und arbeite jetzt bei ‘nem großen Unternehmen in der Finanzabteilung.

I: Ok. Ähm, welche Sprachen sprichst du?

B: Deutsch, Türkisch und Englisch.

I: Welche deiner Sprachen empfindest du denn als deine Muttersprache?

B: Das finde ich ganz schwer. Ich empfinde Türkisch UND Deutsch als meine Muttersprache. Ich könnte da gar nicht so sehr differenzieren, welche Sprache meine Muttersprache ist (..), wenn ich ehrlich bin.

I: Ich verstehe. Und warum? Woran liegt das, dass du sagst beides ist deine Muttersprache?

B: Weil ich mich eigentlich bei/ oder in beiden Sprachen ganz wohl fühle. Und ähm (…) ja ist nur, wenn ich jetzt ‘ne Zeit lang zum Beispiel nur deutsch rede, fällt mir das Deutsche irgendwie leichter, aber wenn ich zum Beispiel in der Türkei ‘ne Zeit lang bin, zwei, drei Wochen am Stück nur türkisch rede, fühle ich mich wahrscheinlich im Türkischen wohler. Aber jetzt die Differenzen/ oder das sind wirklich nur so ganz kleine Nuancen, würde ich sagen. Also ist jetzt nicht so/ (..) wenn ich sage ich fühle mich im Türkischen wohler als im Deutschen, dann ist das eigentlich/ dann ist die Differenz nicht so groß.

I: Ok. (..) In welchen Kontexten verwendest du dann deine jeweiligen Sprachen? Hast du ja eben schon bisschen angedeutet.

B: Ja, also, wenn ich zum Beispiel im Türkischen über meine Arbeit reden muss, dann fällt mir das sehr schwer. Ist natürlich immer so bereichsbezogen. Wenn ich zum Beispiel über Politik rede, dann fühle ich mich auch im Deutschen wohler oder besser. Ähm, und wenn ich allgemein/ über Gott und die Welt rede, dann gibt‘s eigentlich keine Unterschiede zwischen Deutsch und Türkisch. Das ist eben nur bei einigen Bereichen/ (..) in Diskussionen würde ich mich wahrscheinlich im Deutschen wohler fühlen, aber es kommt auch daher, dass ich das Vokabular dann nicht beherrsche. So fachspezifische Wörter in der Arbeit oder in der Politik.

I: Ok. Welche Sprache wird dann in deiner Familie am häufigsten gesprochen?

B: Türkisch.

I: Und auf der Arbeit und in deiner Freizeit, ist es welche Sprache?

B: In der Arbeit ist es Deutsch und im Freundeskreis kommt halt drauf an. Wenn ich mit Deutschen zusammen bin, dann Deutsch und wenn ich mit Türken zusammen bin, dann ist das so‘n Mischmasch zwischen Deutsch und Türkisch.

I: Mich würd‘ jetzt noch interessieren welche deiner Sprachen, also Deutsch oder Türkisch, jeweils in deinem Kopf ist und welche von den Sprachen in deinem Herzen ist?

B: Ich find diese Differenzierungen immer sehr schwer. „Auf welcher Sprache träumst du? In welcher Sprache denkst du?“. (..) Ich würde sagen in/ (…) wenn ich fluche ist es eher in Türkisch in meinem Kopf. Ähm, (...) und ansonsten, wenn ich denke brauche ich keine Sprache, finde ich.

I: In Ordnung. Ähm (…) Dann zu deinem Umfeld. Besteht dein Umfeld in deiner Freizeit und in deinem Beruf eher aus Deutschen oder Personen mit Migrationshintergrund?

B: (…) Also, Freunde meinst du, oder?

I: Ja, Freunde, Bekannte. Hast du viel mit Türken zu tun oder mit Leuten aus anderen Nationen oder hast du viel mit Deutschen zu tun?

B: Ich denke/ (..) Ist komplett gemischt.

I: Ok.

B: Komplett gemischt. Kollegen meistens Deutsche. Im Freundeskreis würde ich sagen fifty-fifty (..) ähm/ ja, also bunt gemischt. Im Freundeskreis auch andere Nationalitäten.

I: Ich verstehe. Wie sah das in deiner Kindheit aus? Hattest du da mehr Kontakt zu//

B: Ich hatte da eigentlich fast ausschließlich Kontakt zu Türken.

I: Warum?

B: Ich war in einer türkischen Klasse. Deswegen hatte ich auch eher Kontakt zu Türken, auch im Freundeskreis.

I: Also dann im Kindergarten und in der Schule?

B: Im Kindergarten nicht, da war es eher gemischt. Aber dann in der Schule, erste bis siebte, achte Klasse/ siebte Klasse waren wir komplett ‘ne türkische Klasse, das heißt hatte eher Kontakt zu Türken.

I: Ok, verstehe. Hast du in der Zeit oder jetzt auch als Erwachsener häufig negative Begegnungen mit Deutschen gehabt?

B: Nein, überhaupt nicht.

I: Dass du bezüglich deiner Herkunft oder deines Aussehens/ (..) keine negativen Erfahrungen? (..)

B: Nein, überhaupt nicht.

I: Ich verstehe. Wie sieht es aus mit dem Kontakt zu deinen Verwandten in der Türkei? Gehe mal davon aus, dass die meisten in der Türkei leben.

B: Ja, komplett in der Türkei.

I: Hast du guten Kontakt oder regelmäßigen Kontakt zu denen?

B: Ja, regelmäßig und gut.

I: Ok. Ähm, die kulturellen Werte, also die Erziehung deiner Eltern, würdest du sagen, war die eher türkisch oder war die eher deutsch?

B: Die war eigentlich ausschließlich türkisch.

I: Das heißt ihr habt auch gewisse kulturelle Werte vermittelt bekommen?

B: Ja.

I: Die zum Beispiel wären? Also Feiertage oder Traditionen, die du//

B: Ja, das sind (..) die gesellschaftlichen Gepflogenheiten (..) in der türkischen Gesellschaft.

I: Waren eher türkisch?

B: Ja, waren türkisch.

I: Und die deutschen Feiertage oder Werte und Traditionen, hast du die vermittelt bekommen in deiner Kindheit?

B: Nein, haben wir nicht. Nur im Kindergarten und in der Schule, (..) soweit es irgendwie Gegenstand war, ja.

I: Ok.

B: Oder aus dem Fernsehen.

I: (..) Wenn du im Ausland unterwegs bist und dich jemand fragt woher du kommst, was antwortest du dieser Person?

B: Es kommt wahrscheinlich drauf an, wo ich bin.

I: Du bist in der Türkei und wirst gefragt, was würdest du antworten?

B: Ich mein, wenn ich in der Türkei türkisch rede, dann fragt mich keiner woher ich komme. Und das ist auch situationsabhängig, ich mein, wenn ich kein‘ Bock hab zu sagen, dass ich aus Deutschland bin, dann sag‘ ich „Ich bin aus Istanbul“. Und wenn ich irgendwie Bock hab, dann sage ich „Ich lebe in Deutschland“.

I: Ich verstehe.

B: Und irgendwo im Ausland, denke ich, ist es auch situationsabhängig. Ich würde jetzt glaube ich/ (..) wenn ich in Israel bin, würde ich eher sagen „Ich bin Türke“ und wenn ich in Griechenland bin, sage ich, glaub ich eher „Ich bin aus Deutschland“.

I: Ok, ich verstehe. (…) Ähm, was würdest du dann sagen wo deine Heimat ist, Deutschland oder Türkei?

B: (12) Meine Heimat ist Deutschland.

I: Und was ist dann Türkei für dich?

B: Ich hab natürlich einen starken Bezug zur Türkei, aber ich würde Türkei nicht als meine Heimat bezeichnen. Es ist ein Land zu welchem ich einen starken Bezug hab (..) wegen meinen Wurzeln, aber es ist nicht meine Heimat.

I: Ich verstehe. Würdest du dann sagen, dass du dich eher deutsch oder eher türkisch fühlst?

B: (…) Glaub das kann ich gar nicht so/ (13) Bin glaub ich (..) Türkisch mit starkem deutschen Einfluss. Oder bin ich, äh, ein Deutscher mit starkem türkischen Einfluss? Ich kann‘s dir so nicht auf den Punkt genau beantworten.

I: Also würdest du eher sagen, du bist/ Also du sagst nicht/ sagst du ich bin entweder oder, oder sagst du//

B: Ich kann nicht sagen ich bin entweder oder. Ich kann nicht sagen ich bin (…) ich fühle mich türkisch oder ich fühle mich deutsch. Was ist denn sich/ (..) wie definiert man sich deutsch fühlen oder sich türkisch fühlen? Ist es die Verbundenheit mit dem Land oder ist es (…)/ Definier‘s mir, dann kann ich es dir vielleicht konkretisieren. Was ist/ was würdest du sagen, was ist denn//

I: Naja, zum Beispiel durch die Verbundenheit zur Sprache oder zu kulturellen Werten. Dass du sagst du bist in der türkischen/ vielleicht ich weiß es ja nicht, dass du vielleicht in der türkischen Tradition verwurzelter bist oder in der deutschen Sprache verwurzelter bist, und dass du deswegen eben sagen kannst, du bist eher das als das andere.

B: Also (...) Ich meine, die deutsche Kultur ist natürlich eine christliche Kultur, mit der ich eigentlich in meiner Prägephase wenig zu tun hatte, ja (..) Deswegen würde ich vielleicht sagen, von der Tradition und von der Kultur her fühle ich mich wahrscheinlich der türkischen Tradition und Kultur näher. Aber man muss auch bedenken ich bin jetzt nicht unbedingt ein Mensch, der eh sehr verbunden ist mit ‘ner Kultur oder mit ‘ner Tradition, deswegen ist das jetzt vielleicht/ (6)

I: Du vereinst beides einfach in dir?

B: Ja.

I: Was würdest du dann sagen, was typisch deutsch und was typisch türkisch an dir ist? Kannst du das überhaupt sagen? Eigenschaften oder Eigenarten, die du hast. Charaktereigenschaften, die du hast, an denen du merkst, dass du das Eine oder das Andere bist. Vielleicht auch die, die dir erst im Kontrast auffallen, wenn du dann in der Türkei oder in einem anderen Land bist?

B: Ich glaub, ich bin sehr kritisch und auch selbstkritisch, das ist meine deutsche Seite. Und (..) meine türkische Seite ist, denke ich, meine (7) Gastfreundschaft oder mein/ und (10) wie nennt man das nochmal? (15) Nicht kitschig aber/ Ah ja, der Hang zur Melancholie, würde ich sagen, ist türkisch an mir.

I: Ok, ich verstehe. Wie würdest du dann deine Kinder erziehen? Also nach den Vorstellungen der deutschen oder der türkischen Kultur?

B: (8) Schwierig, wahrscheinlich werde ich meine Kinder/ (14) Ich werde wahrscheinlich meinen Kindern beide Kulturen und beide Sprachen vermitteln wollen und das beides in gleichem Ausmaß.

I: Also, ähnlich so wie du das in dir vereinst?

B: Ja, was anderes kann ich ja gar nicht weitergeben als was ich in mir vereine.

I: Sehr richtig, ja. Eine letzte Frage noch. Kennst du das Gefühl hin und her gerissen zu sein, zwischen beiden Kulturen? Also in ‘ner Art, dass du eine Identitätskrise hattest oder hast.

B: Nein, das würde ich nicht sagen, weil ich nichts anderes kenne als beide Kulturen und deswegen/ weil ich damit groß geworden bin, denke ich, habe ich nicht dieses hin und her gerissen sein, oder/ Auch keine/ ich hab mir nie gesagt irgendwie „Bin ich das oder bin ich das. Ich werde hier von denen gemobbt oder von den anderen auch.“ Also das, hatte ich eigentlich nie.

I: In Ordnung. Das wär‘s dann, vielen Dank für deine Zeit.

B: Bitte, gerne.


Analyse Mehmet
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Bei unserem letzten Probanden war aufgrund seines bereits fortgeschrittenen Alters davon auszugehen, dass er über eine gefestigte Identität verfügt und auf eventuell aufgekommene Identitätsfragen bereits Antworten gefunden hat. Festzustellen ist, dass sich unsere Annahmen bei der Befragung dieses Probanden bestätigt haben.

Den wohl interessantesten Aspekt innerhalb der Befragung stellt die Diskussion um die Aufforderung, eine seiner beiden Sprachen, mit denen er aufgewachsen ist, als seine Muttersprache zu bezeichnen. Denn an dieser Stelle schien Mehmet sich fast schon zu weigern, eine dieser Sprachen diesen Titel zu vergeben. Er selbst differenziert nämlich nicht zwischen seinen Sprachen und gibt an beide als Muttersprache anzusehen, da er sich im Umgang mit beiden gleichermaßen wohlfühlt und beide verinnerlicht hat. Dennoch beschreibt er, sich natürlicherweise je nach Kontext in einer der Sprachen wohler zu fühlen. Im Arbeitskontext ist dies z.B. das Deutsche. Da ihm die fachspezifischen Vokabeln für das Beschreiben seiner Arbeit im Türkischen fehlen, fällt es ihm leichter dies auf Deutsch zu tun. Dies ist auch nicht sonderlich verwunderlich, da sich durch die tägliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen seiner Arbeit und das Hineinwachsen in seine Tätigkeiten eine Art Gewöhnung im Gebrauch der fachspezifischen Termini einstellt, deren Übertragung ins Türkische sich oftmals als schwierig erweist, da das Gedächtnis die Äquivalente nicht unbedingt parat hält. Dieses Phänomen kennt jeder sicherlich durch seine Sprachanwendung in einer Fremdsprache.

Bemerkenswert ist, dass Mehmet, obwohl er mit seiner Familie ausschließlich türkisch spricht und eine rein türkische Klasse besucht hat, demnach sowohl in seiner ersten wichtigsten Sozialisationsinstanz als auch der folgenden, den Charakter weiterhin stark prägenden Sozialisationsphase, nämlich der Pubertät, rein türkischen Einflüssen im sozialen Umfeld ausgesetzt war, dennoch das Deutsche als seine Muttersprache ansieht. Trotz des starken Einflusses seiner türkischen Peergruppe hat sich interessanterweise kein einseitiges Zugehörigkeitsgefühl ausgebildet.

Auf die Frage hin, wo seine Heimat ist, antwortete er mit Deutschland und begründet dies damit, dass er hier geboren wurde und aufgewachsen ist. Zur Türkei habe er natürlich, durch seine Wurzeln, einen sehr starken Bezug, würde dieses Land aber nicht als Heimat bezeichnen, da er nicht dort lebt. Eine Antwort auf die Frage zu finden, ob er sich eher türkisch oder deutsch fühlt, fiel ihm sichtlich schwer und wird im Transkript durch die längere Pause verdeutlicht. Letztlich kam er zu dem Entschluss, dass er nicht differenzieren kann, ob er sich eher türkisch oder deutsch fühlt und stellte den Anspruch dieses Gefühl an eindeutig zuordenbaren Kriterien auszumachen, um zu bestimmen zu welcher Nationalität man gehört, in Frage und diskutierte wodurch dieses Gefühl überhaupt definiert wird. Aus diesem Grund kann er über sich selbst auch nicht sagen, dass er entweder türkisch oder deutsch ist, vielmehr vereint er die Werte beider Kulturen in seiner Lebensweise und gibt an „Türkisch mit starkem deutschen Einfluss“ oder „Deutscher mit starkem türkischen Einfluss“ zu sein. Diese Aussagen zeigen nicht etwa, dass Mehmet eine instabile kulturelle Identität hat und einen inneren Kampf seiner verschieden kulturell geprägten Teammitglieder auslebt, sondern dass es für das Leben, das er führt und für ihn als Person nicht unbedingt wichtig ist, klare Abgrenzungen zwischen der deutschen und türkischen Kultur und ihrem Einfluss auf seine Identität zu ziehen.

Dies liegt natürlich darin begründet, dass Mehmet als in Deutschland enkulturiertes Individuum mit türkischen Eltern, sowohl die deutschen als auch die türkischen kulturellen Werte parallel vermittelt bekommen hat, die er je stets nach Kontext für sich zum Vorteil zu nutzen scheint, z.B. wenn er die Frage nach seiner Herkunft im Ausland strategisch beantwortet. Da Mehmet sowohl in seiner Kindheit als auch in seinem jetzigen Leben bisher nie mit Diskriminierungserfahrungen aufgrund seiner Herkunft zu tun hatte, wurde eine beidseitige positive Integration in die deutsche Gesellschaft bedingt, weshalb er auch das Gefühl einer Identitätskrise nicht kennt. Mehmet ist eine in seiner persönlichen sowie kulturellen Identität sehr gefestigte Person, die in beiden Gesellschaften ihren Platz gefunden hat und nutzt als Synthesetyp das Beste aus beiden Kulturen für sich als Person. Seine innere Pluralität ist ihm durchaus bewusst, jedoch wird diese nicht als Last empfunden, da die Tatsache Deutscher mit Migrationshintergrund zu sein bisher nicht negativ hinterfragt oder mit seiner türkischen Abstammung als inkompatibel angesehen wurde.


Fazit

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Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit lag darin, die Annahme, dass Deutsche mit Migrationshintergrund keine kulturell induzierte Identität haben, zu überprüfen. Es wurde also der Frage nachgegangen, ob sich die kulturelle Identität eines Individuums nur durch die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gesellschaften und somit ihrer Kultur definiert oder ob kompromisslos die elterliche Kultur und ihre Werte und Normen angenommen werden, da sie einen größeren Einfluss auf diese Personen ausüben. Außerdem stand die Auseinandersetzung mit dem Gefühl der inneren Zerrissenheit, d.h. dem uneindeutigen Zugehörigkeitsgefühl eines Deutschen mit Migrationshintergrund zu beiden Kulturen im Fokus dieser Arbeit. Diese bikulturell sozialisierten Personen sind stärkeren Belastungen und intensiveren psychosozialen Anforderungen ausgesetzt, sofern sie das Gefühl des Hin und Hergerissenseins kennen. Dabei wurde des Weiteren diskutiert, welche Faktoren es überhaupt sind, die die Ausprägung einer kulturellen Identität und das Zugehörigkeitsgefühl beeinflussen. Es wurde außerdem der Frage nachgegangen, ob es überhaupt notwendig ist, dass diese Personen sich für eine der beiden kulturellen Räume entscheiden, um ein Leben mit einer stabilen persönlichen sowie kulturellen Identität zu ermöglichen.

Die Inbezusetzung der im theoretischen Teil erarbeiteten Grundlagen zur kulturellen Identität mit den geführten Interviews lieferte uns eindeutige Ergebnisse. Auch wenn die Arbeit aufgrund ihres begrenzten zeitlichen Bearbeitungsrahmens keine Darstellung eines repräsentativen Ergebnisses zulässt, können dennoch wertvolle Einblicke in die Identitätsbildungsprozesse von sechs sehr unterschiedlichen Deutschen mit Migrationshintergrund gegeben werden, da wir bei der Befragung gezielt auf den Einbezug unterschiedlicher Altersstufen, Bildungsniveaus, Herkunftsländer und Geschlechter geachtet haben. Die Ergebnisse der Analysen der Interviews und wichtigsten Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit sollen im Folgenden zusammengefasst werden:

Die Hypothese der qualitativen Untersuchung konnte falsifiziert werden, da sich durch die Analysen der Interviews herausstellte, dass das Zugehörigkeitsgefühl der Deutschen mit Migrationshintergrund, die quasi zwei Kulturen gleichzeitig ausgesetzt sind, nicht immer nur einseitig motiviert sein muss. Eine solche Abgrenzung ist auch nicht nötig, da ein Individuum mehrere (kulturelle) Identitäten haben kann und die während der Enkulturation erlernten Werte und Normen, Denkweisen, Haltungen etc. je nach Kontext und Gruppe in unterschiedlichen kulturellen Räumen authentisch zum Einsatz bringen kann. Durch die Fähigkeit dieser Personen die Werte gleich zweier Kulturen und deren Sprachen in sich zu vereinen, bedingt die Entstehung immer mehr hybrider Identitäten, die sich nicht mehr als „entweder-oder“ bezeichnen müssen, sondern ihr Leben mit den Vorteilen einer „sowohl-als-auch“-Identität beschreiten. Sofern das Individuum jedoch Probleme mit der Festsetzung seiner eigenen kulturellen Identität hat und sich stets hin und her gerissen fühlt, ist dies nicht lediglich als individuelles Problem anzusehen. Dass dieses Problem durchaus den ein oder anderen beschäftigen kann, liegt nahe, da jeder fünfte Bürger in Deutschland einen Migrationshintergrund hat und nicht alle diese Personen immer bereit sind die Werte beider Kulturen in sich zu vereinen, was eventuell auch an wiederkehrenden Missachtungs- oder Diskriminierungserfahrungen liegen kann. Denn wie in Kapitel 7.1 deutlich wurde, trägt auch die Mehrheitsgesellschaft, in unserem Fall die deutsche, einen erheblichen Anteil an der Motivation der Menschen mit Migrationshintergrund sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und sich in dieses zu integrieren, egal ob diese Personen in Deutschland geboren wurden oder nicht. Eine positive Integration der Personen mit Migrationshintergrund in die Gesellschaft und der Schaffung einer multikulturellen Identität Deutschlands ist in hohem Maße von Bereitschaft beider Seiten abhängig aufeinander zuzugehen. Aufgrund eigener Erfahrungen lässt sich festhalten, dass andauernde negative Erfahrungen mit der deutschen Gesellschaft aufgrund der Herkunft oder des Aussehens des Individuums einen starken Einfluss auf das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaft und die Bereitschaft zur Eingliederung in selbige darstellen kann. Es ist also davon auszugehen, dass das Zugehörigkeitsgefühl unserer Probanden zur elterlichen Kultur, aber auch der deutschen durch keine erlebten, andauernden Diskriminierungserfahrungen durch die deutsche Gesellschaft begründet ist. Diese Tatsache ist sehr erfreulich, da alle unsere Probanden aus der zweiten Generation ihrer Herkunftsfamilien stammen und somit ein positiver Ausblick für die zukünftige Verbesserung der Integration von Deutschen mit Migrationshintergrund, beispielsweise der Nachkommen der zweiten Generation, bereits gegeben ist.

Obwohl die Befragten teils recht unterschiedliche Ansichten hatten, war das Gesamtergebnis überraschend gleich: Alle Befragten fühlten sich sowohl der deutschen als auch ihrer Heimatkultur verbunden und vereinen verschiedene Sprachen und kulturelle Werte in sich. Dies ist vermutlich hauptsächlich damit zu begründen, dass alle Probanden in Deutschland sowohl enkulturiert als auch sozialisiert wurden und somit automatisch und auf einem sehr natürlichen Wege das spezifisch deutsche kulturelle Wertesystem aufgenommen haben und somit problemlos in die Gesellschaft hineingewachsen sind. Dennoch ist ihnen teilweise mehr, teilweise weniger der Bezug zu ihrer Heimatkultur und der Erhalt ihrer Traditionen, der Sprache und Werten ihres Elternhauses wichtig. Die Probanden scheinen sich über die Synergieeffekte ihrer zweifachen kulturellen Einflüsse durchaus bewusst zu sein und nutzen sie je nach Kontext zu ihrem Vorteil aus. Jeder der Befragten kann somit dem Synthesetyp zugeordnet werden, da sie Merkmale beider Kulturen in sich tragen und diese in ihrer Lebensweise zum Ausdruck bringen. Lediglich bei einer der Probandinnen (Jemila) kam eine abgeschwächte Form des Assimilationstyps zum Vorschein. Die Betroffene gab an, kaum Kontakt zu ihren Verwandten in der Heimat zu halten und sich auch nicht an Feiertagen oder Traditionen ihres Heimatlandes zu orientieren. Zudem fühlt sie sich deutsch und spricht auch am liebsten Deutsch. Anhand dieser Probandin ist ersichtlich, dass sie zur Ablehnung ihrer Heimatkultur tendiert, die scheinbar durch fehlenden Bezug zur elterlichen Kultur zu erklären ist.

Im Laufe der Gespräche mit unseren Probanden konnten wir zudem feststellen, vor allem auf die eben genannte Befragte bezogen, dass es diesen inneren Konflikt nicht bei allen Deutschen mit Migrationshintergrund zwangsweise geben muss. Nicht alle Betroffenen setzen sich mit den „zwei Seelen“ in ihrer Brust auseinander. Viele sehen sich beispielsweise als nur deutsch oder nur türkisch oder eben als beides. Das kommt daher, dass sie sich mit der anderen Kultur entweder nie wirklich auseinander gesetzt haben und somit ihre innere Pluralität, also das Hin- und Hergerissensein zwischen zwei Kulturen, unbewusst ausleben. Oder sie haben sich dem jeweiligen Land und der dazugehörigen Kultur vollständig angepasst oder teilweise integriert. Durch die Gespräche stellte sich heraus, dass die Tatsache, ob man einen inneren Konflikt hat oder nicht, weder mit dem Alter zu tun hat noch damit welchen Abschluss man hat. Wir konnten zwar feststellen, dass unsere befragte Grundschülerin zu jung war um diesen Konflikt zu haben, doch ab dem Jugendalter ist dies durchaus denkbar. Vergleicht man Fatma, Jemila und Marisa stellt man fest, dass nur Fatma einen inneren Konflikt hatte. Jemila und Marisa waren sich immer ihres Standpunktes bewusst. Diese Übereinstimmung kommt wohl auch daher, dass alle unsere Gesprächspartner aus bildungsnahen (mindestens ein Elternteil hat einen qualifizierten Abschluss und eine abgeschlossene Ausbildung) Familien stammen. Wie es sich jedoch in bildungsfernen Familien verhält, konnten wir durch unsere Interviews leider nicht herausfinden, weshalb an dieser Stelle keine Aussagen bezüglich deren Zugehörigkeitsgefühl getroffen werden soll. Vergleicht man Jemila, Fatma und Marisa erscheint es hinsichtlich des inneren Konflikts wichtiger, ob man reflektiert oder nicht. Man muss Reaktionen auf sich selbst wahrnehmen und sich Gedanken darüber machen um sich einer eventuellen inneren Zerrissenheit bewusst zu werden. Findet dieser Prozess nicht statt, gerät man auch nie in einen Konflikt. Eine innere Pluralität jedoch, die immer eine Rolle spielt und den Auslöser für einen Identitätskonflikt darstellt, besteht bei allen Befragten, doch nicht alle sind sich dieser Tatsache bewusst. Ob dabei nun eine kulturelle Identitätskrise stattfindet oder nicht ist vom jeweiligen Individuum abhängig.


Literaturverzeichnis

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Sekundärliteratur

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IPK im SS 13

[Bearbeiten]
Name Studiengang vhb Wiki Thema Forschungsland Homepage Video abgeschlossen
Kursleiterin Eva Sondershaus, M.A. Eva Sondershaus
Moor Irina BA DaF/DaZ Geschichte Moor Irina
Raphael Grethen Erasmus, DaF raphael grethen
Fengli Song BA DaF / DaF-DaZ Fengli Song
Veronika Angersbach LA GS DaZ Erw. Veronika Angersbach
Laura Schurig LA GS DaZ Erw. L.Schurig
Sarah-Isabella Diehl BA DaF/DaZ, Anglistik sariisabella
Henriette Naumann BA DaF/DaZ nettinaumi
Vanessa Lhalhe LA HS DiDaZ Vanessa L.
Handan Taban LA HS DaF/DaZ Handan
Melodi Benek LA HS DaF/DaZ Melodi
Lisa-Sophie Knecht Ba DaF/DaZ Kunst- und Kulturgeschichte lisa-sophie knecht
Heidi Spengler BA Anglistik, DaF/DaZ Heidi Spengler
Carolin Herz BA DaF/DaZ, Geographie Herz Carolin
Karin Weber BA Kunstpädagogik, DAF/DAZ Karin Weber
Fee Maxeiner LA GS DaF/DaZ Fee Maxeiner
Jessica Mayer BA DaF/DaZ Jessica Mayer
Nalan Kayapinar LA GY D/E/DidaZ N. Kayapinar
Hammer Judith BA DaF/DaZ, Italo Romanistik Judith Hammer
Eladio Saura Estrada BA DaF/DaZ, Ibero Romanistik Eladio Saura Estrada
Dietz Laura BA HF Kunstpädagogik/ NF DaF/DaZ Laura Dietz