Projekt Diskussion:Aktion wasserdicht/Wohnungslosigkeit/Hamburg

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St. Georg - Rote Kerzen und ein heller Blumenstrauß stehen unter einem großen Baum im Lohmühlenpark. Sie erinnern an Frank R., der hier gestorben ist. Mitte August wurde er in seinem Schlafsack gefunden. Frank war 33 Jahre alt, Vater eines 6-jährigen Sohnes und obdachlos. Noch am Abend zuvor hatte ein Anwohner versucht, Frank R. zu helfen – hätte sein Tod verhindert werden können? Jasmin N. (28) ist Franks Schwester. Franks Tod ist für sie ein Schock, scheint noch immer unwirklich, erzählt Jasmin der MOPO. Ihr Bruder wurde am Donnerstag, den 13. August, tot im Lohmühlenpark aufgefunden. Laut Schreiben des Landeskriminalamtes Hamburg starb Frank an Tuberkulose und einer Lungenentzündung, doch der Fall wirft Fragen auf: Wurde Frank Opfer einer Versorgungslücke in der Hamburger Obdachlosenhilfe – und haben Rettungsdienst und Polizei hier einen medizinischen Notfall verkannt? Helfer Andreas Pick rief am Mittwoch noch den Notruf Frank wurde am Mittwochabend von Anwohner Andreas Pick bemerkt, der in der Nähe Volleyball gespielt hatte. Er schlug wegen Franks schlechtem Zustand Alarm. „Er war völlig abgemagert und ist im Grunde verwahrlost dahinvegetiert“, berichtet der 58-Jährige der MOPO. Er habe unangenehm gerochen und sei von Fliegen umgeben gewesen. Pick findet Frank mit verdrehten Augen und kaum ansprechbar vor – und wählt den Notruf. Als der Rettungsdienst der Feuerwehr kommt, ist Frank R. wieder ansprechbar. Die Rettungskräfte stellen keinen medizinischen Notfall fest. Sie fahren wieder. Am nächsten Tag ist er tot. Ist hier eine medizinische Fehleinschätzung passiert? Oder hat sich Frank nicht helfen lassen wollen? „Frank war nicht der Typ für Ärzte“, erzählt seine Schwester Jasmin. Trotzdem kann sie nicht verstehen, dass die Rettungskräfte ihren Bruder nicht ins Krankenhaus gebracht haben. „Wenn jemand krank ist, muss man doch helfen“, sagt sie. Die Hamburger Feuerwehr äußerte sich gegenüber der MOPO nicht zu ihrem Einsatz am Mittwochabend, da der Fall als Beschwerdeeingang intern geprüft werde. kerzen1 Kerzen und Blumen haben der Helfer Andreas Pick und seine Freunde in Gedenken an Frank R. aufgestellt. Foto: hfr Franks Familie wusste nicht, dass er obdachlos war Die Aufarbeitung des Falls hat begonnen. Für Franks Familie ist das nur ein schwacher Trost. „Wir wussten nicht einmal, dass Frank obdachlos war“, erzählt die 28-jährige Schwester der MOPO. „Er hätte sich doch bei uns melden können.“ Dass Frank keine Hilfe bei seiner Familie gesucht habe, mache es nur noch schwerer. Doch wie ist Frank überhaupt auf der Straße gelandet? Jasmin lernte ihren Bruder erst kennen, als er 16 Jahre alt war. Wegen eines Missbrauchsfalls in der Familie wurde Frank als Säugling in eine Pflegefamilie gegeben. Frank war verheiratet und hatte einen 6-jährigen Sohn. Die Ehe ging in die Brüche, doch Frank hatte in Hamburg noch andere Beziehungen. Eine Ausbildung oder einen Studienabschluss hatte er nicht. Er schlug sich mit Schwarzarbeit und Aushilfsjobs durch: mal als Maler, mal als Dachdecker, auch Briefe hat er mal ausgetragen. Zuletzt hat er schwarz für einen Dachdecker gearbeitet – nur ein paar Wochen später ist er tot. Frank war freundlich und hilfsbereit Warum Frank auf der Straße gelebt hat, weiß Jasmin nicht. Er hat Drogen genommen, erzählt sie. Früher Speed, in letzter Zeit wohl Koks. Auch die Polizei berichtet, dass Frank als Betäubungsmittelkonsument bekannt gewesen sei. Jasmin glaubt, dass Frank depressiv gewesen sein könnte. Früher habe er häufiger gelogen, erzählt sie. Aber im Grunde sei ihr Bruder ein fröhlicher Mensch gewesen, habe jeden Spaß mitgemacht. Und hilfsbereit war er. Auch Sylvia Senger von der Obdachlosenhilfe „Zwischenstopp“ erinnert sich an Frank. Vor einigen Wochen wurde er an der Hilfsstation am ZOB mit dem Nötigsten ausgestattet. Als „Frankie“ habe er sich ihr vorgestellt, erzählt sie der MOPO. Frank sei freundlich, ruhig und höflich gewesen, berichtet Senger, überhaupt nicht aufdringlich oder fordernd. Nur erschöpft habe er gewirkt – und dünn. Warum brachte man Frank nicht in eine Notunterkunft? Wie dünn Frank ist, macht Andreas Pick auch am Mittwochabend Sorgen. Er besorgt ihm zu essen und zu trinken und organisiert ein Bett in der Notunterkunft für Obdachlose in der Friesenstraße. Frank möchte gern in die Unterkunft. Nur: Wie kommt er dahin? Die Einrichtung bietet keinen Transport an. Pick ruft die Polizei. Doch die Beamten halten Franks Situation nicht für einen Notfall – und sehen sich nicht dafür zuständig, Frank in die Unterkunft zu bringen. Frank sagt zu seinem Helfer Pick, dass er es am nächsten Tag selbst in die Friesenstraße schaffen will – doch dazu kommt es nicht mehr. Versorgungslücke in Hamburgs Obdachlosenhilfe Laut Sozialbehörde gibt es unterschiedliche Hilfsangebote für bedürftige Menschen – darunter auch aufsuchende Angebote, wie Straßensozialarbeiter, die sich zu den Obdachlosen begeben. Dennoch sei der Umgang mit Menschen, die aus dem medizinischen Regelsystem entlassen wurden, aber noch weiterer Versorgung bedürfen, eine Herausforderung, so der Pressesprecher Martin Helfrich zur MOPO. Es gebe aber Möglichkeiten zum Transport in Unterkünfte, wie Krankentransporte, über die jeweils im Einzelfall entschieden werde. Axel Mangat, der Leiter der Hamburger Bahnhofsmission, sagt der MOPO, dass die Zusammenarbeit der Mission am Hauptbahnhof mit Feuerwehr und Polizei normalweise gut funktioniere. Andere Sozialarbeiter und Helfer sehen das jedoch anders. Sie berichten, dass sie in der Praxis häufiger vor einem Problem stehen, wenn sie bedürftige Menschen in Notunterkünfte bringen lassen wollen. Straßensozialarbeiter sieht Polizei und Feuerwehr verantwortlich Julien Thiele ist Straßensozialarbeiter beim Wohlfahrtsverband Caritas. „Wir erleben es leider häufig, dass Rettungskräfte oder die Polizei Obdachlose nicht mitnehmen, auch wenn sich die Menschen offensichtlich in einer Notsituation befinden und sie der Versorgung zustimmen“, sagt er der MOPO. Video: Wie geht es Obdachlosen in der Krise? „Wenn nicht Feuerwehr und Polizei für den Schutz von obdachlosen Menschen zuständig sind, deren Selbsthilfemöglichkeiten aufgrund der desolaten gesundheitlichen Notlage auf null reduziert sind,– welche staatliche Institution bleibt dann noch?“, fragt er. Die Versorgung bedürftiger Menschen in Hamburg könne nicht nur durch wohlfahrtsverbandliche und ehrenamtliche Organisationen erfolgen, da dies keine strukturelle Sicherheit zum Schutz der Würde aller Bürger darstelle, so Thiele. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat im Fall Frank nun einen Vorprüfvorgang zum Handeln der Rettungskräfte und Polizeibeamten eingeleitet. Jasmin N.: „Ich finde, es fehlt an Menschlichkeit.“ Frank wird in einem Friedwald beerdigt, seine ehemalige Frau hat schon einen Baum ausgesucht, unter dem Frank seine letzte Ruhe finden soll. Sein Fall hinterlässt Hamburg jedoch mit einer Diskussion darüber, wie in unserer Stadt mit Hilfsbedürftigen umgegangen wird – wie „Hinz&Kunzt“ berichtet, hat die Frage auch die Hamburger Bürgerschaft erreicht. „Ich wünsche mir, dass zukünftig nicht weggeschaut, sondern geholfen wird“, sagt Jasmin. Jemanden krank und verwahrlost im Park zurückzulassen, das kann sie nicht verstehen: „Ich finde, da fehlt es an Menschlichkeit.“

Frank R. (†33) starb qualvoll und allein. Hätte sein Tod verhindert werden können? Von Nicola Daumann. Hamburger Morgenpost vom 31. August 2020.

--Methodios (Diskussion) 10:47, 13. Sep. 2020 (CEST)Beantworten

Mindestens 33 Obdachlose sind seit vergangenem November in Hamburg gestorben. Eine schockierende Zahl, die der Senat auf eine Anfrage von Stephanie Rose (Linke) mitteilte. Durch den Tod des 33-jährigen Frank R. im Lohmühlenpark Mitte August ist eine Diskussion über die Versorgung von Obdachlosen in Hamburg ausgelöst worden. Seit dem 1. November 2019 sind mindestens 33 Menschen ohne festen Wohnsitz in Hamburg gestorben. 26 von ihnen starben in einem Krankenhaus – einer von ihnen an Unterkühlung, ein anderer durch Fremdverschulden. Die anderen sieben Menschen wurden in Parks, leerstehenden Gebäuden, auf dem Bahnhofsgelände oder in Fremdwohnungen aufgefunden, heißt es in der Senatsantwort. Hamburgs Obdachlose: Weniger Tote in den Jahrne zuvor Im Zeitraum von Herbst 2013 bis 2019 starben hingegen insgesamt 75 Obdachlose – mit durchschnittlich einem Toten im Monat also deutlich weniger als in den vergangenen zehn Monaten. Wie das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ berichtet, ist die erfasste Anzahl der Todesfälle auch dadurch gestiegen, dass der Hamburger Senat nun auch Zahlen des Instituts für Rechtsmedizin des UKE mit in die Auswertung einbezieht. In den letzten Jahren waren nur die Todesfälle in der Statistik aufgetaucht, die die Krankenhäuser gemeldet hatten. Aber auch unter Berücksichtigung dieser Veränderung sind in Hamburg in den letzten Monaten mehr Obdachlose verstorben als zuvor. Hamburger Senat: Transport von Obdachlosen hängt vom Einzelfall ab Die Fachsprecherin für Diversity, Wissenschaftspolitik und Soziales, Stephanie Rose, hatte die Kleine Anfrage Ende August eingereicht, nachdem Frank R. am 13. August im Lohmühlenpark gestorben war. Der Anwohner Andreas Pick hatte am Abend zuvor noch den Rettungsdienst gerufen und vergeblich versucht, einen Transport von Frank R. in die Notunterkunft für Obdachlose in der Friesenstraße zu organisieren. Da sich Polizei und Feuerwehr für den Transport von Frank R. in die Notunterkunft nicht zuständig sahen, entstand eine Diskussion um eine Versorgungslücke in der Obdachlosenhilfe in Hamburg. Nun antwortete der Hamburger Senat, dass der Transport obdachloser Menschen zu Notunterkünften einzelfallabhängig sei. Im Fall von hilflosen Personen müssten durch Polizei und Feuerwehr Maßnahmen zur Gefahrenabwehr getroffen werden, „so dass eine Versorgung im Gefahrenfall sichergestellt ist.“ Kerzen und Blumen haben der Helfer Andreas Pick und seine Freunde in Gedenken an Frank R. aufgestellt. Toter in Hamburg: Fall „Frank R.“ noch nicht abgeschlossen In der Antwort des Senats wird außerdem ausgeführt, dass "Fördern & Wohnen", Träger der Notunterkunft in der Friesenstraße, gegenüber dem Anwohner am Telefon erklärt habe, Frank R. aufnehmen zu können. „Dass der Obdachlose nicht in der Lage gewesen sei, das NUVP (Notfall- und Versorgungsprogramm) selbst aufzusuchen, sei aus dem Telefonat nicht explizit hervorgegangen“, heißt es in dem Schreiben. Diese Aussage kann Helfer Andreas Pick nicht nachvollziehen: „Ich habe am Telefon ganz klar gesagt, dass Frank R. es nicht alleine schafft und dass wir einen Transport benötigen“, sagt er zur MOPO. Der Todesfall von Frank R. ist Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hamburg, die das Handeln der Rettungskräfte und Polizeibeamten überprüft. Auch die Familie von Frank R. hat Strafanzeige gestellt.

Nach Tod von Frank R. (†33) Senat: So viele Obdachlose sterben auf Hamburgs Straßen Von Nicola Daumann.

--Methodios (Diskussion) 10:04, 13. Sep. 2020 (CEST)Beantworten

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-und-obdachlose-in-hamburg-es-geht-jetzt-darum-leben-zu-retten-a-106b58d7-10d9-44ed-9de0-f3a8246e848d?fbclid=IwAR1Pi_m1SvRs8c6nZtT9nTOXMwy6CiHeGfcXZeLnfJL7pvYvVX00OYLNteg

--Methodios (Diskussion) 23:00, 15. Jan. 2021 (CET)Beantworten


Es ist früher Abend, die Temperatur an den Hamburger Landungsbrücken liegt knapp über Null Grad, es ist nass. Anni Seemann und Christiane Hartkopf vom Team des Kältebusses sind auf der Suche nach einem Menschen, der hier liegen soll. Sie finden ihn schließlich in einer dunklen Ecke. "Moin, guten Abend. Wir sind vom Kältebus", begrüßen ihn die beiden Frauen. Sie schenken ihm als erstes einen warmen Tee ein. "Die Anruferin, die uns auf ihn aufmerksam gemacht hat, die hatte das schon gesagt, er hat nur eine dünne Decke und er hat auch nur OP-Kleidung an, also so dünne Dinger", sagt Hartkopf. Offenbar wurde er ohne sein Gepäck aus dem Krankenhaus entlassen. In eine Notunterkunft wolle er trotzdem nicht. So können sie ihn nur mit einem Schlafsack und einer Isomatte ausstatten und hoffen, dass er die Nacht übersteht.

"Einfach zusammendrängen und irgendwo zusammenpferchen"

Der Kältebus ist täglich unterwegs, versorgt Obdachlose mit Schlafsäcken und heißen Getränken.

Schon immer ist es schwer, die Obdachlosen in Hamburg dazu zu bewegen, in eine der Sammelunterkünfte der Stadt zu gehen, die im Winter eingerichtet werden. Viele Obdachlose fürchten Streit und Diebstahl bei so vielen Menschen auf engem Raum. Jetzt wo in den Unterkünften auch noch Ansteckungsgefahr durch Corona herrscht, wolle kaum noch jemand mit, so Hartkopf. Ein Obdachloser habe es so beschrieben: "Alle Welt soll sich voneinander fern halten, soll sich zurückziehen. Aber uns Obdachlose darf man einfach so zusammendrängen und irgendwo zusammenpferchen." Auch er möchte liegen bleiben. Wenige Meter von seinem Schlafplatz entfernt treiben kleine Eisschollen die Alster entlang.

Seit Corona ist alles schwerer

"Seitdem Corona ist, ist alles schwerer als sonst", erzählt ein Obdachloser, der nicht genannt werden möchte. Und jetzt käme noch bittere Kälte dazu. Auch tagsüber wird sichtbar: Durch Corona ist das Überleben auf der Straße härter geworden. Viele Innenräume, wo sich obdachlose Menschen sonst ausruhen und aufwärmen konnten, müssen wegen Corona geschlossen bleiben. Davon erzählt uns ein Obdachloser, der vor einer Sparkasse lebt. Seinen Namen möchte er nicht öffentlich machen. "Seitdem Corona ist, ist alles schwerer als sonst. Gerade für uns, die auf der Straße leben, die ihr Geld zusammenkriegen müssen. Ob es für Essen, für Trinken, für Alk oder, oder, oder ist. Jetzt halt durch die Kälte ist es noch extremer." Man sei es ohnehin schon gewohnt, nicht wahrgenommen zu werden. Corona mache das noch schlimmer. Trotzdem steht für ihn fest: In eine Massenunterkunft geht er nicht.

Bereits zwölf Obdachlose sind in diesem Winter gestorben

Bei dem Hamburger Obdachlosenmagazin "Hinz und Kunzt" kritisiert man die Massenunterkünfte der Stadt schon lange. Doch in diesem Winter ist es extrem - das zeigen auch die Zahlen. Zwölf Obdachlose sind inzwischen in Hamburg gestorben. "Man hat im Sommer schon Menschen am Hamburger Hauptbahnhof gesehen, die im eigenen Urin und Kot gelegen haben und da konnte man sich schon vorstellen, was passiert, wenn die Temperaturen kälter werden. Wir dürften es nicht zulassen, dass Menschen auf der Straße sterben", so Karrenbauer. Zusammen mit anderen sozialen Trägern organisiert das Obdachlosenmagazin für viele Menschen eine Einzelunterbringung in Hotels, die momentan ohnehin größtenteils leer stehen. Möglich wurde das durch Spenden - 140 Obdachlose haben so eine Unterkunft beziehen können.

Hamburg setzt trotz anderer Empfehlungen weiter auf Massenunterkünfte

Das bestehende Programm sei ausreichend, so die Sozialbehörde und ihr Sprecher Martin Helfrich.

Soziale Einrichtungen wie "Hinz und Kunzt" fordern schon lange von der Stadt während der Pandemie Hotels anzumieten, um die Obdachlosen da unterzubringen. Hamburg setzt jedoch weiter in erster Linie auf die Massenunterkünfte. Das bestehende Programm sei ausreichend, betont die Sozialbehörde seit Wochen. "Grundsätzlich ist es ja so, dass es ein bestehendes Angebot gibt. Der Staat investiert viel Geld da rein, dass sozusagen eine Hilfelandschaft zur Verfügung steht, die jederzeit für ganz unterschiedlichen Bedarfe etwas bereithält", so Martin Helfrich, Sprecher der Behörde. Inzwischen gibt es aber auch eine städtische Unterbringung, in der Menschen auch Einzelzimmer beziehen können - 35 Plätze gibt es hier. Ein ergänzendes Angebot für Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen oder psychischen Verfassung nicht in die Sammelunterkünfte gehen könnten.

35 Einzelzimmer stellt die Stadt Hamburg

Anni Seemann und Christiane Hartkopf sind bei ihrer nächsten Station angekommen. Im Hamburger Volkspark soll ein Mensch liegen. Ein Ehepaar kümmert sich schon länger um den Obdachlosen, konnte ihn aber bis jetzt nicht dazu bringen, in die Sammelunterkünfte zu ziehen. Jetzt haben sie es aber geschafft, an eins der begehrten Einzelzimmer der Stadt zu kommen. Das Ehepaar führt die beiden Ehrenamtlichen tief in den Volkspark hinein. Im Unterholz finden sie schließlich einen Mann - spärlich ausgerüstet, durchnässt und frierend. Er hat ein Plane über sich gelegt, um sich vor Nässe und Kälte zu schützen. Sein Name ist Andreas. Allein laufen kann er nicht mehr. Er schafft es nur gestützt zum Kältemobil. Auf die Frage, wie es ihm geht, sagt er. "Erleichtert, ja, wunderbar. Ich habe ja auch erreicht, was ich wollte, ich wollte ja nicht in einen Schlafsaal mit 20 bis 40 Leuten, das ist prima."

Andreas ist der erste und letzte, dem die Helferinnen in dieser Nacht zu einem Einzelzimmer verhelfen können. Die 35 Zimmer, die von der Stadt bereitgestellt wurden, sind damit voll.

Kälte und Corona: Die Not der Obdachlosen

09.02.2021 NDR

Trotz Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt schlafen viele Obdachlose draußen, schutzlos der Kälte ausgeliefert. Sie haben kein Vertrauen in Hamburgs Sammelnotunterkünfte - und Angst vor Corona.

von Timo Robben, Anne Ruprecht

--Methodios (Diskussion) 17:54, 10. Feb. 2021 (CET)Beantworten


Er dreht sich eine Zigarette. Es ist das erste, wenn er morgens aus seinem Schlafsack kriecht - Frühstück sozusagen: Kalle lebt seit zwölf Jahren auf der Straße. Seine Platte: ein Geschäftseingang. Solange er den Eingangsbereich sauber hält, ist er von den Inhabern geduldet. Doch das ist selten geworden in Hamburg. Der öffentliche Raum wird für Arme und Obdachlose immer enger. Armut - die will niemand sehen.

VIDEO: Herzlos: Städte vertreiben Obdachlose (9 Min)

Mülleimer werden so umgebaut, dass Flaschensammler keine Chance mehr haben, die Bänke in den Bushäuschen so gestaltet, dass "sie nicht zum Daueraufenthaltsort für sogenannte Randständige werden", wie die Hochbahn auf Anfrage eines Fahrgastes erklärte. "Das ist menschenentwürdigend in meinen Augen", findet Kalle. "Ich bin genauso Fahrgast. Ich habe sonst auch meine Karte gehabt. Da wurde ich auch aus dem Bahnhof verwiesen, weil ich nicht dementsprechend aussehe."

Am Hauptbahnhof ist Kalle nur noch selten. Früher hat er sich hier mit Freunden getroffen. Heute werden sie von den Sicherheitsbeamten der Deutschen Bahn sofort vertrieben. Seit die Stadt Hamburg im Oktober 2012 die überdachten Vorplätze für die kommenden zehn Jahre an die Bahn übergeben hat, wird durchgegriffen.

Vertreibung verfassungswidrig

Vorplatz Hauptbahnhof Hamburg

Seit die Stadt Hamburg im Oktober 2012 die überdachten Vorplätze für die kommenden zehn Jahre an die Bahn übergeben hat, sind Obdachlose gelinde gesagt unerwünscht.

Dr. Thomas Leske hält die Vertreibung für verfassungswidrig. Und deshalb trifft er sich jeden Donnerstag mit einigen anderen Hamburgern zu "Mahnwache(n) gegen Bahnwache", demonstriert damit gegen die Gebaren von Deutscher Bahn und Stadt. Und weiß sich durch einen ähnlichen Fall gestärkt: 2011 hat das Bundesverfassungsgericht ein klares Urteil gesprochen. Damals hatte der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport einer Frau, die im Flughafen Flyer verteilte, Hausverbot erteilt. Damit, so die Auffassung des Gerichts, habe die Fraport AG gegen das Grundrecht für Versammlungs- und Meinungsfreiheit verstoßen.

Denn auch privatrechtliche Unternehmen wie eben die Fraport AG seien, wenn sie mehrheitlich der öffentlichen Hand gehörten, an die Grundrechte gebunden. "Man konnte hier sitzen, stehen, liegen, hüpfen, lachen, weinen und eben auch rauchen und trinken", erzählt Leske. "Auf einmal soll das nicht mehr möglich sein, nur weil die Stadt diesen Vertrag gemacht hat. Die Grundrechte gelten ja nicht nur für uns, sondern eben auch für die, die hier vertrieben werden. Die sind unteilbar. Deren Grundrechte sind keine anderen als unsere."

Wenn Armut nicht auffällt, ist sie geduldet

In der Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie in Norderstedt treffen wir Rosi. Auch sie hat jahrelang auf der Straße gelebt. Erst seit kurzem hat sie endlich eine kleine Wohnung bekommen. Sie ist viel rumgekommen in deutschen Großstädten und hat überall Abweisung und Vertreibung erfahren. "Man darf in Deutschland auf offener Straße sterben, man darf es nur niemandem sagen", resümiert sie heute. Um in Ruhe gelassen zu werden, hat Rosi deshalb immer auf ihr Äußeres geachtet. Wenn Armut nicht auffällt, ist sie geduldet, so ihr bitteres Fazit.

Anders erging es einer alten Frau, die Rosi auf der Straße in Karlsruhe getroffen hat: "Da saß eine alte Frau, zerrissen, tagelang nicht gewaschen. Dann kommt eine junge Frau aus einer Bäckerei, gibt ihr einen Kaffee, eine Brezel und fünf Euro und hat gesagt: 'So, jetzt gehst Du aber weg!'"

Herzlos: Städte vertreiben Obdachlose

von Jörg Hilbert & Brid Roesner

NDR 26. Februar 2013

--Methodios (Diskussion) 18:09, 10. Feb. 2021 (CET)Beantworten


Eine reiche Stadt. Heerscharen von engagierten Helfern. Hilfseinrichtungen, die allen ein Dach über dem Kopf bieten sollen. Und trotzdem sterben Menschen in der Eiseskälte auf Hamburgs Straßen. 13 insgesamt bisher in diesem Winter.

MOPO-Reporter Daniel Gözübüyük ist auf Spurensuche gegangen. Hat zusammengetragen, was von den Toten bekannt ist. Zum Teil wenig, ein Name nur und ein paar Informationen zu Gewohnheiten oder Eigenarten. Zum Teil mehr, ein kleines Porträt ergibt sich. Klar ist: Es waren Menschen, die kaum Bindung hatten zu unserer Gesellschaft. Die den Hilfsangeboten nicht trauten. Die erfroren. Verunglückten. Oder schlicht aufgaben. Ein Trauerspiel.

Von hier aus schaute Jerzy gern den Schiffen zu 1


Von der Aussichtsplattform am Stintfang (St. Pauli) hatte Jerzy (48) immer einen guten Blick auf die Elbe. Jerzy, der aus Polen kam, liebte das Wasser. Als Kind wollte er Kapitän werden. In Hamburg platzten seine Träume, er rutschte ab, fand bei anderen Obdachlosen Zuflucht. Jerzy wollte nie allein sein, erzählt ein Wegbegleiter, „das konnte er nicht ertragen“. Der 48-Jährige starb an Silvester. Die Obduktion ergab, dass er erstickt ist.

Josef lehnte einen Platz in der Notunterkunft ab 2

Mit zwei anderen Obdachlosen hauste Josef unter der Brücke nahe der Bahnstation Landungsbrücken, direkt an der Straße Helgoländer Allee. Niemand wusste genau, wie alt Josef war – zwischen 50 und 60 Jahren vielleicht, schätzen die, die ihn kannten. Wie viele andere Obdachlose in Hamburg lehnte Josef eine Unterbringung in einer Notunterkunft ab. Er fürchtete sich vor Gewalt, Diebstahl und vor dem Coronavirus. Am Ende erlag er der Kälte. Einer der anderen Obdachlosen, die unter der Brücke ihren Schlafplatz haben, informierte die Polizei in der Nacht zum 12. Februar über Josefs Tod.

Landungsbrücken an der Helgoländer Allee nahe der U-Bahnstation Josef (†) lebte unter den Landungsbrücken an der Helgoländer Allee nahe der U-Bahnstation.


Emil schlief im Parkhaus ­— und starb dort auch 3

Weit weg von der Innenstadt und den zentralen Flaniermeilen streifte Emil in Barmbek-Nord durch die Straßen, suchte dort Tag für Tag Schutz vor der Kälte. In der Nacht zum 16. Januar legte sich der 57-Jährige im Treppenhaus eines Parkhauses an der Fuhlsbüttler Straße hin – und wachte nicht mehr auf.

Fiete trug viel zu dünne Kleidung. Er wurde nur 36 Jahre alt 4


Fiete, der auch „Grinsi“ genannt wurde, redete nicht. Er lächelte nur. Der erst 36-Jährige trug stets viel zu dünne Kleidung, suchte im Wohngebiet an der Weimarer Straße in Wilhelmsburg Unterschlupf in Sträuchern, in Hauseingängen oder unter Vordächern. Am 12. Januar wurde er tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind noch ungeklärt, Untersuchungen laufen. Vermutlich aber erlag Fiete der Kälte.

Karsten wanderte lächelnd durch die Nachbarschaft 5

Karsten suchte Wärme unter einer Plastikplane. Doch am Ende schützte sie ihn nicht ausreichend vor der Kälte. Bauarbeiter fanden ihn an der Habermannstraße in Lohbrügge – es war ein Samstag Anfang Dezember. Sein Körper war erstarrt. Eine Frau, die in dem Mehrfamilienhaus wohnt, vor dem der 64-Jährige gefunden wurde, erinnert sich: „Für eine kurze Zeit wanderte er in der Nachbarschaft umher. Er lächelte, wenn man ihn ansprach, lehnte aber Hilfe ab.“

Jacob kam oft zu spät. Seine Freunde vermissen ihn sehr 6

Jacob lebte zusammen mit drei anderen Obdachlosen an der Mönckebergstraße in der City. Zusammen zogen sie nachts von Eingang zu Eingang. Der 55-Jährige soll zuletzt viel geschlafen haben, zu Verabredungen oft zu spät gekommen sein. „Das war schon in der Schule so, erzählte er uns immer. Immer trödelig und verplant sei er gewesen“, sagt Manfred, einer seiner Freunde. In der Nacht zum 4. November 2020 hörte Jacobs Herz in einem Krankenhaus auf zu schlagen. Er wurde zum ersten toten Obdachlosen in diesem Winter. „Wir vermissen ihn. Lieben ihn. Und werden ihn nie vergessen.“

Thomas galt als verlässlich. Und starb an einer Überdosis 7

Zusammengekauert auf einer dünnen Isomatte soll Thomas im Schanzenpark gelegen haben. Hinter einem Klohäuschen, direkt beim noblen „Mövenpick-Hotel“. Ein Spaziergänger fand ihn an Neujahr und rief die Polizei. Früher war Thomas Verkäufer bei „Hinz & Kunzt“, später verfiel er verschiedenen Drogen. Zum Junkie wurde er aber erst als Obdachloser. Mit den Drogen, so erzählen Wegbegleiter, habe er seine Schmerzen lindern wollen. Thomas galt als verlässlich und freundlich, als einer, der Schulden begleicht. Er starb an einer Überdosis.

Schanzenpark Klohäuschen Mövenpick-Hotel Thomas (†) war Hinz&Kunzt-Verkäufer. Er lebte im Schanzenpark vor einem Klohäuschen am Mövenpick-Hotel.


Paul nahm sich am 11. Januar das Leben 8

Paul lag tot auf dem Vordach eines Gebäudes an der Nordkanalstraße, direkt hinter einem Standort des Winternotprogramms. Er soll sich gelegentlich mit Jobs Geld dazuverdient haben. Am 11. Januar nahm er sich das Leben.

Josef war Fotograf. Sein liebstes Motiv: ein Kormoran 9

Josef verkaufte „Hinz & Kunzt“-Zeitschriften im Rahlstedt-Center, war niemals aufdringlich, sondern galt als sehr geduldig und rücksichtsvoll. Der Slowake liebte die Fotografie. Bei einem „Hintz & Kunzt“-Wettbewerb holte er sogar den ersten Platz. Sein Motiv: ein Kormoran, der an der Außenalster die Flügel aufschlägt. „Ich habe mir jetzt sogar beigebracht, Fotos am Computer zu bearbeiten. Man kann an den Farben noch ‘ne Menge machen. Aber der Kormoran, der sieht wirklich so aus!“, hatte der 53-Jährige nach seinem Triumph gesagt. Am 23. Januar zogen ihn Feuerwehrleute aus dem Billhorner Kanal (Rothenburgsort), unweit der Notunterkunft an der Friesenstraße. Dort hatte er die Nächte davor verbracht. Todesursache: Ertrinken.

Jonathan sprang einen Tag vor Heiligabend in den Tod 10

Jonathan, ein erst 30 Jahre alter Mann, nahm sich kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember, das Leben: Er sprang von der Hebebrandbrücke am Rübenkamp in den Tod.

Leslaw starb auf dem Kiez an einem Herzinfarkt 11


Ob Corona oder nicht: Obdachlose gehören zum Kiez. In normalen Zeiten flanieren an Wochenenden hier Zehntausende an ihnen vorbei. Zurzeit ist es einsam auf der Reeperbahn. Einer, der dort auf der Straße lebte, war Leslaw. Er lag oft in einem Hauseingang neben der Haspa, freute sich über Unterstützung herzlich, berichten Helfer. In eine Notunterkunft wollte er nicht, er hatte Angst vor anderen Menschen – und vor Corona. Der Verein „Leben im Abseits“ unterstützte ihn mit Lebensmitteln, Masken und Desinfektionsmitteln – bis zu seinem Tod. Leslaw erlitt am 8. Januar einen Herzinfarkt, wahrscheinlich ausgelöst durch die Kälte.

Reeperbahn Hamburg Haspa Leslaw (†) an seinem Platz auf der Reeperbahn, unweit der HASPA.

Der Alkohol, der ihn wärmen sollte, tötete Robert 12 Der billige Alkohol, den er sich gerade so leisten konnte, sollte Robert warmhalten. Ihn vor der Kälte schützen. Aber das funktionierte nicht. Der Fusel wurde ihm zum Verhängnis. Man fand Robert (45) am 4. Januar tot unter dem Dachvorstand eines Mehrfamilienhauses an der Virchowstraße (Altona-Altstadt). Die in der Rechtsmedizin festgestellte Todesursache: Alkoholvergiftung.

Stanislaw starb, weil sein Zelt Feuer fing 13

Stanislaw wohnte in einem Zelt auf dem Hauptfriedhof Altona. Dort hatte er seine Ruhe, das gefiel ihm. Er wollte keine Hilfe, hatte aufgegeben, danach zu fragen. Er redete mit niemandem. Der 65-Jährige wärmte sich in der Nacht zum 2. Januar Essen mit einem Gaskocher auf. Dass der defekt war, wusste er nicht. Ein Feuer brach aus, im Inneren des Zeltes loderten innerhalb von Sekunden Flammen. Stanislaw schleppte sich schwer verletzt ins Freie, starb kurz darauf an den Verbrennungen.

Eine Spurensuche 13 obdachlose Menschen sind gestorben – das sind ihre Geschichten Morgenpost 16. Februar 2021

--Methodios (Diskussion) 12:22, 20. Feb. 2021 (CET)Beantworten