In den vergangenen Jahren haben sich etliche offene Formen der Wissenschaft etabliert: von klassischen Wissenschaftsfestivals über Bürgerkonferenzen bis hin zu Reallaboren und Citizen-Science-Projekten. Wissensproduktion und -kommunikation wachsen zusammen und werden transdisziplinärer, ob unter dem Begriff Open Science oder Responsible Research and Innovation. Es entsteht ein neues Verständnis von öffentlicher Teilhabe bzw. Wissens-Co-Produktion. Dabei wird eine Frage bisher kaum adressiert: Inwieweit werden die Ansprüche an Offenheit tatsächlich eingelöst? Welche Bevölkerungsgruppen erreichen diese neuen Formate? Wer nimmt tatsächlich teil? Bisherige Arbeiten zeigen hier einen erheblichen Handlungs- und Forschungsbedarf. [1][2][3]
Im Forschungsprojekt „Wissenschaft für alle“ konnte ein erster Überblick über nicht erreichte Gruppen und Exklusionsfaktoren erstellt werden [4], mit drei beispielhaften Gruppen laufen Pilotprojekte und es gibt erste praktische Erkenntnisse [5].
Im Rahmen des Fellows-Freies-Wissen-Projekts soll eine offene Dokumentation von Exklusionserfahrungen und Anforderungen aus der Sicht unterrepräsentierter bzw. marginalisierter Gruppen sowie Erfahrungsberichte zu Best-Practice-Beispielen inklusiver Projekte in der Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation erstellt werden. Dies soll in Form eines Blogs oder Podcasts entstehen, und den vorhandenen Forschungstand um eine Sammlung von Stimmen aus den marginalisierten Communities ergänzen und diese somit sichtbarer machen.
Von Offener Wissenschaft zu Zugänglicher Wissenschaft
Wenn Open Science bzw. Freies Wissen im Sinne einer negativen Freiheit verstanden wird (Freiheit VON z. B. äußeren Beschränkungen), dann ist dies erreicht, wenn Daten und Forschungsprozesse technisch zugänglich sind. Dies stellt aber noch nicht sicher, ob, von wem und wie diese Freiheit auch genutzt wird oder genutzt werden kann. Hierzu gilt es, das Ganze mit einem positiven Freiheitsbegriff (Freiheit ZU etwas) zu betrachten[6] und die zuvor genannten Punkte mit zu berücksichtigen[7]. Dieser Ansatz an sich ist nicht neu[8] und z. B. auch in den „Vienna Principles“ für Open Science angerissen, soll aber durch das Projekt insbesondere in Deutschland präsenter werden.
Als inhaltlicher Impuls in die Open-Science Community entstand ein Diskussionspapier, das hier als pdf verfügbar ist: http://doi.org/10.5281/zenodo.3911600 (alternativ ist der Text des Diskussionspapieres auch hier verfügbar).
Das Diskussionspapier will mit vier Perspektiven zu einer anderen Sicht auf Offene Wissenschaft beitragen, Anregungen zur Reflexion von Konzepten und Praktiken Offener Wissenschaft geben, Problemfelder aufzeigen und Fragen als Denkanstöße formulieren. Es kann keine fertigen Lösungen präsentieren oder detaillierte Antworten auf alle aufgeworfenen Fragen geben. Dies kann und sollte ohnehin weder in einem theoretischen Konzept ohne Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts noch ohne die Einbeziehung oder den Austausch mit exkludierten, unterrepräsentierten Communities im konkreten Vorhaben oder Projekt geschehen. Dennoch sind jeweils einzelne Beispiele zur Verdeutlichung der übergreifenden Meta-Perspektiven angegeben.
Zur Erstellung des Diskussionspapiers fanden zwei Workshops statt - Corona-bedingt als Online-Workshops. Darüber hinaus wurde der Gedanke auch beim Open Science Stammtisch vorgestellt:
3. April und 6. Mai 2020: Workshop Wie offen ist Offene Wissenschaft zusammen mit innOsci (3. April: vorbereitendes Webinar, 6. Mai: Workshop, ggf. als Online-Workshop)
In diesem Nicht-Podcast möchte ich einerseits mit Menschen sprechen, die Wissenschaft zugänglicher machen wollen. Das sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder engagierte Menschen aus Vereinen und Initiativen, in deren Projekte aus der Wissenschaft oder Wissenschaftskommunikation Partizipation, Inklusion und Diversity eine wichtige Rolle spielen. Projekte, die auch neue Wege und Methoden probieren. Andererseits möchte ich mit Menschen sprechen, die mit Barrieren in Wissenschaftskommunikation und Open Science konfrontiert sind. Ich möchte sie nach ihren eigenen Exklusions- oder Diskriminierungserfahrungen fragen, und fragen, was sich aus ihrer Sicht ändern muss, wie sie sich eine zugängliche, offene Wissenschaft vorstellen. Ich hoffe, damit einige Anregungen für eine Reflektion und inklusivere Gestaltung von Offener Wissenschaft zusammentragen zu können. Wer sich über den Namen Nicht-Podcast wundert: es ist zwar eine Sammlung von kurzen Gesprächen, aber ich sehe es weniger als eine Reihe mit einer festen Hörerinnen- und Hörerschaft. Stattdessen sehe ich es eher als eine Vielfalt von Eindrücken und Perspektiven. (Transkript: Nullfolge als Text)
Projekt art.make.science beim Silbersalz Festival 2019
Ein großer Teil des Jugendprogramms des Silbersalz Science & Media Festivals fand nicht im Stadtzentrum von Halle an der Saale, an der Universität oder einem Kino statt, sondern in Halle-Neustadt. Der Plan-Stadtteil wurde 1964 für die Arbeiterinnen und Arbeiter der Chemiewerke in Schkopau und Leuna gebaut. Heute gilt „Ha-Neu“ mit seinen Plattenbauten als sozialer Brennpunkt. Für das Jugendprogramm wurde der Kreativraum „Passage 13“ eingerichtet, und am Christian Wolf Gymnasium ein Projektcontainer errichtet. In letzterem fand auch das Projekt art.make.science statt: Studierende der Martin-Luther-Universität, der Burg Giebichenstein und der Hochschule Merseburg haben mit der Kombination von Kunstpädagogik und Biologie-Didaktik neue Vermittlungswege für Wissenschaft erprobt. Ich habe mit zweien von ihnen – Anne-Lena Fuchs und Nikos Probst – über das Projekt gesprochen: (Transkript: Interview zu art.make.science als Text)
Die Nachtigallen sind äußert begabte Sänger (in der Tat singen primär die Vogel-Männchen, auf der Suche nach Partnerinnen) mit einem vielfältigen Repertoire. Wie es sich für Musiker gehört, zieht es sie im Laufe ihrer Karriere nach Berlin: unter den europäischen Großstädten gibt es dort am meisten Nachtigalle-Brutpaare. Um das erwähnte vielfältige Gesangsrepertoire wissenschaftlich zu untersuchen, läuft am Museum für Naturkunde in Berlin das Citizen-Science Projekt Forschungsfall Nachtigall um gemeinsam mit interessierten Menschen möglichst viele Gesänge aufzunehmen und auszuwerten. Aber neben dieser Forschungsarbeit spielt auch der kulturelle Aspekt eine wichtige Rolle im Projekt: So wurde auch schon mit Künstler*innen und DJs zu Nachtigall-Events geladen und der Austausch mit Menschen aus dem türkischen und persischen Raum über die besondere kulturelle Bedeutung der Nachtigall dort gesucht. Ich habe mit Silke Voigt-Heucke über das Projekt gesprochen: (Transkript: Interview zu Forschungsfall Nachtigall als Text)
Die Projektbeschreibung stellt den aktuellen, angepassten Stand dar. Im Archiv ist die ursprüngliche Konzeption des Projektes und eine kurze Erläuterung der Änderungen zu finden.
Der Abschlussbericht dokumentiert den Verlauf und das aktuelle Ergebnis des Projektes und skizziert den weiteren Plan.
↑Dawson, Emily. (2018). Reimagining Publics and (Non)Participation: Exploring Exclusion from Science Communication through the Experiences of Low-Income, Minority Ethnic Groups. Public Understanding of Science. 27(7), 772–786. (Link)
↑Grunwald, A. (2018). Technikfolgenabschätzung und Demokratie. TATuP Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis, 27(1), 40–45. (Link)
↑Haklay, M. (2018). Participatory Citizen Science. In S. Hecker, M. Haklay, A. Bowser, Z. Makuch, J. Vogel, & A. Bonn (Hrsg.), Citizen Science. Innovation in Open Science, Society and Policy (S. 52–62). London: UCL Press. (Link)
↑Schrögel, Philipp, Humm, Christian, Leßmöllmann, Annette, Kremer, Bastian, Adler, Jona und Weißkopf, Markus. (2018). Nicht erreichte Zielgruppen in der Wissenschaftskommunikation: Literatur-Review zu Exklusionsfaktoren und Analyse von Fallbeispielen. Arbeitsbericht aus dem Projekt „Wissenschaft für alle“. (Link)
↑Schrögel, Philipp; Humm, Christian; Rauscher, Susanne (2019). Wissenschaft für alle?! Zehn Erkenntnisse zur Ansprache neuer Zielgruppen. (Link)
↑Ralph Obernauer (2009). Freiheit neu aneignen. (Link)
↑Chandler Puritty1, Lynette R. Strickland, Eanas Alia, Benjamin Blonder, Emily Klein, Michel T. Kohl, Earyn McGee, Maclovia Quintana, Robyn E. Ridley, Beth Tellman, Leah R. Gerber (2017) Without inclusion, diversity initiatives may not be enough. Science, Vol. 357, Issue 6356, pp. 1101-1102. (Link – Nicht Open Access)
↑Cameron Neylon (2017). Diversity and Inclusion are the Uniting Principle of Open Science. (Link)