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Induktion/Geradenkonfiguration/Einführung/Textabschnitt

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Die natürlichen Zahlen sind dadurch ausgezeichnet, dass man jede natürliche Zahl ausgehend von der durch den Zählprozess (das sukzessive Nachfolgernehmen) erreichen kann. Daher können mathematische Aussagen, die von natürlichen Zahlen abhängen, mit dem Beweisprinzip der vollständigen Induktion bewiesen werden. Das folgende Beispiel soll an dieses Argumentationsschema heranführen.


Wir betrachten in der Ebene eine Konfiguration von Geraden und fragen uns, was die maximale Anzahl an Schnittpunkten ist, die eine solche Konfiguration haben kann. Dabei ist es egal, ob wir uns die Ebene als einen (eine kartesische Ebene mit Koordinaten) oder einfach elementargeometrisch vorstellen, wichtig ist im Moment allein, dass sich zwei Geraden in genau einem Punkt schneiden können oder aber parallel sein können. Wenn klein ist, so findet man relativ schnell die Antwort.

Doch schon bei etwas größerem (?) kann man ins Grübeln kommen, da man sich die Situation irgendwann nicht mehr präzise vorstellen kann. Aus einer präzisen Vorstellung wird eine Vorstellung von vielen Geraden mit vielen Schnittpunkten, woraus man aber keine exakte Anzahl der Schnittpunkte ablesen kann. Ein sinnvoller Ansatz zum Verständnis des Problems ist es, sich zu fragen, was eigentlich passiert, wenn eine neue Gerade hinzukommt, wenn also aus Geraden Geraden werden. Angenommen, man weiß aus irgendeinem Grund, was die maximale Anzahl der Schnittpunkte bei Geraden ist, im besten Fall hat man dafür eine Formel. Wenn man dann versteht, wie viele neue Schnittpunkte maximal bei der Hinzunahme von einer neuen Geraden hinzukommen, so weiß man, wie die Anzahl der maximalen Schnittpunkte von Geraden lautet.

Dieser Übergang ist in der Tat einfach zu verstehen. Die neue Gerade kann höchstens jede der alten Geraden in genau einem Punkt schneiden, deshalb kommen höchstens neue Schnittpunkte hinzu. Wenn man die neue Gerade so wählt, dass sie zu keiner der gegebenen Geraden parallel ist (was möglich ist, da es unendlich viele Richtungen gibt) und ferner so wählt, dass die neuen Schnittpunkte von den schon gegebenen Schnittpunkten der Konfiguration verschieden sind (was man erreichen kann, indem man die neue Gerade parallel verschiebt, um den alten Schnittpunkten auszuweichen), so erhält man genau neue Schnittpunkte. Von daher ergibt sich die (vorläufige) Formel

bzw.

also einfach die Summe der ersten natürlichen Zahlen.


Im vorstehenden Beispiel liegt eine Summe vor, wobei die Anzahl der Summanden selbst variieren kann. Für eine solche Situation ist das Summenzeichen sinnvoll. Für gegebene reelle Zahlen bedeutet

Dabei hängen im Allgemeinen die in einer formelhaften Weise von ab, beispielsweise ist im Beispiel , es könnte aber auch etwas wie oder vorliegen. Der -te Summand der Summe ist jedenfalls , dabei nennt man den Index des Summanden. Entsprechend ist das Produktzeichen definiert, nämlich durch


Wir möchten für die Summe der ersten Zahlen, die die maximale Anzahl der Schnittpunkte in einer Konfiguration aus Geraden angibt, eine einfachere Formel angeben. Und zwar behaupten wir, dass

Für kleinere Zahlen stimmt dies aus dem einfachen Grund, dass links und rechts dasselbe herauskommt. Um die Gleichung allgemein zu beweisen, überlegen wir uns, was links und was rechts passiert, wenn wir das um erhöhen, so wie wir in Beispiel die Geradenkonfiguration um eine zusätzliche Gerade verkompliziert haben. Auf der linken Seite kommt einfach der zusätzliche Summand hinzu. Auf der rechten Seite haben wir den Übergang von nach . Wenn wir zeigen können, dass die Differenz zwischen diesen beiden Brüchen ebenfalls ist, so verhält sich die rechte Seite genauso wie die linke Seite. Dann kann man so schließen: die Gleichung gilt für die kleinen , etwa für . Durch den Differenzenvergleich gilt es auch für das nächste , also für , durch den Differenzenvergleich gilt es für das nächste , u.s.w. Da dieses Argument immer funktioniert, und da man jede natürliche Zahl irgendwann durch sukzessives Nachfolgernehmen erreicht, gilt die Formel für jede natürliche Zahl.


Eine Visualisierung des Induktionsprinzips. Wenn die Steine nah beieinander stehen und der erste umgestoßen wird, so fallen alle Steine um.

Die folgende Aussage begründet das Prinzip der vollständigen Induktion.


Für jede natürliche Zahl sei eine Aussage gegeben. Es gelte

  1. ist wahr.
  2. Für alle gilt: wenn gilt, so ist auch wahr.

Dann gilt für alle .

Wegen der ersten Voraussetzung gilt . Wegen der zweiten Voraussetzung gilt auch . Deshalb gilt auch . Deshalb gilt auch . Da man so beliebig weitergehen kann und dabei jede natürliche Zahl erhält, gilt die Aussage für jede natürliche Zahl .


Der Nachweis von heißt dabei der Induktionsanfang und der Schluss von auf heißt der Induktionsschritt. Innerhalb des Induktionsschrittes nennt man die Gültigkeit von die Induktionsvoraussetzung. In manchen Situationen ist die Aussage erst für für ein gewisses (definiert oder) wahr. Dann beweist man im Induktionsanfang die Aussage und den Induktionsschluss führt man für durch.

Wir begründen nun die Gleichheit

mit dem Induktionsprinzip.

Beim Induktionsanfang ist , daher besteht die Summe links nur aus einem Summanden, nämlich der , und daher ist die Summe . Die rechte Seite ist , sodass die Formel für stimmt.

Für den Induktionsschritt setzen wir voraus, dass die Formel für ein gilt, und müssen zeigen, dass sie dann auch für gilt. Dabei ist beliebig. Es ist

Dabei haben wir für die zweite Gleichheit die Induktionsvoraussetzung verwendet. Der zuletzt erhaltene Term ist die rechte Seite der Formel für , also ist die Formel bewiesen.

Induktionsbeweise kommen ständig vor. Die Voraussetzung dafür, dass man diese Beweismethode anwenden kann, ist, dass ein Aussagenschema vorliegt, das von einer (variablen) natürlichen Zahl abhängt. Diese natürliche Zahl nennt man auch die Induktionsvariable, über die Induktion geführt wird. In der Aussage können ansonsten beliebige andere mathematische Objekte vorkommen und die natürliche Zahl kann jeweils sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Sie kann für den Exponenten einer reellen Zahl (siehe beispielsweise Fakt oder Fakt), den Grad eines Polynoms (etwa Fakt), den Differenzierbarkeitsgrad (etwa Aufgabe) oder die Anzahl von Vektoren (etwa Fakt) stehen.