Kurs:Elemente der Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Vorlesung 9/latex
\setcounter{section}{9}
\zwischenueberschrift{Faktorielle Ringe}
In der letzten Vorlesung haben wir gesehen, dass in einem Hauptidealbereich einerseits jedes irreduzible Element prim ist und andererseits jedes Element ein Produkt von irreduziblen Elementen und damit auch von Primelementen ist. Wir werden gleich zeigen, dass unter diesen Voraussetzung die Zerlegung in Primelemente sogar im Wesentlichen eindeutig ist. Um dies prägnant fassen zu können, dient der Begriff des faktoriellen Bereiches.
\inputdefinition
{}
{
Ein
\definitionsverweis {Integritätsbereich}{}{}
heißt \definitionswort {faktorieller Bereich}{,} wenn jede
\definitionsverweis {Nichteinheit}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ \neq }{0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
sich als ein Produkt von
\definitionsverweis {Primelementen}{}{}
schreiben lässt.
}
\inputfaktbeweis
{Kommutative Ringtheorie/Verschiedene Charakterisierungen für faktoriell/Fakt}
{Satz}
{}
{
\faktsituation {Es sei $R$ ein \definitionsverweis {Integritätsbereich}{}{.}}
\faktuebergang {Dann sind folgende Aussagen äquivalent.}
\faktfolgerung {\aufzaehlungdrei{ $R$ ist
\definitionsverweis {faktoriell}{}{.}
}{Jede Nichteinheit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ \neq }{0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
besitzt eine Faktorzerlegung in
\definitionsverweis {irreduzible Elemente}{}{,}
und diese Zerlegung ist bis auf Umordnung und
\definitionsverweis {Assoziiertheit}{}{}
eindeutig.
}{Jede Nichteinheit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ \neq }{0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
besitzt eine Faktorzerlegung in irreduzible Elemente, und jedes irreduzible Element ist ein
\definitionsverweis {Primelement}{}{.}
}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
$(1) \Rightarrow (2)$. Sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ \neq }{0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
eine Nichteinheit. Die Faktorisierung in Primelemente ist insbesondere eine Zerlegung in irreduzible Elemente, sodass also lediglich die Eindeutigkeit zu zeigen ist.
Dies geschieht durch Induktion über die minimale Anzahl der Primelemente in einer Faktorzerlegung. Wenn es eine Darstellung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ = }{p
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
mit einem Primelement gibt, und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ = }{q_1 { \cdots } q_r
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
eine weitere Zerlegung in irreduzible Faktoren ist, so teilt $p$ einen der Faktoren $q_i$ und nach Kürzen durch $p$ erhält man, dass das Produkt der übrigen Faktoren rechts eine Einheit sein muss. Das bedeutet aber, dass es keine weiteren Faktoren geben kann. Es sei nun
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f
}
{ = }{p_1 { \cdots } p_s
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
und diese Aussage sei für Elemente mit kleineren Faktorisierungen in Primelemente bereits bewiesen. Es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{f
}
{ =} {p_1 { \cdots } p_s
}
{ =} {q_1 { \cdots } q_r
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
eine weitere Zerlegung mit irreduziblen Elementen. Dann teilt wieder $p_1$ einen der Faktoren rechts, sagen wir
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{p_1 u
}
{ = }{q_1
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{.}
Dann muss $u$ eine Einheit sein und wir können durch $p_1$ kürzen, wobei wir
\mathl{u^{-1}}{} mit $q_2$ verarbeiten können, was ein zu $q_2$ assoziiertes Element ergibt. Das gekürzte Element
\mathl{p_2 \cdots p_s}{} hat eine Faktorzerlegung mit
\mathl{s-1}{} Primelementen, sodass wir die Induktionsvoraussetzung anwenden können.
$(2) \Rightarrow (3)$. Wir müssen zeigen, dass ein irreduzibles Element auch prim ist. Es sei also $q$ irreduzibel und es teile das Produkt $fg$, sagen wir
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{qh
}
{ =} {fg
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Für
$h,\, f$ und $g$
gibt es Faktorzerlegungen in irreduzible Elemente, sodass sich insgesamt die Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ qh_1 { \cdots } h_r
}
{ =} { f_1 { \cdots } f_s g_1 { \cdots } g_t
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
ergibt. Es liegen also zwei Zerlegungen in irreduzible Element vor, die nach Voraussetzung im Wesentlichen übereinstimmen müssen. D.h. insbesondere, dass es auf der rechten Seite einen Faktor gibt, sagen wir $f_1$, der assoziiert zu $q$ ist. Dann teilt $q$ auch den ursprünglichen Faktor $f$.
$(3) \Rightarrow (1)$. Das ist trivial.
\inputfaktbeweis
{Hauptidealbereich/Faktoriell/Fakt}
{Satz}
{}
{
\faktsituation {Ein
\definitionsverweis {Hauptidealbereich}{}{}}
\faktfolgerung {ist ein
\definitionsverweis {faktorieller Ring}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
\zwischenueberschrift{Zerlegung in irreduzible Polynome}
Wir möchten, abhängig von einem gewählten Grundkörper $K$, Aussagen über die irreduziblen Elemente in
\mathl{K[X]}{} und über die Primfaktorzerlegung von Polynomen treffen.
\inputfaktbeweis
{Polynomring über Körper/Eine Variable/Eindeutige Zerlegung in normierte Polynome/Fakt}
{Korollar}
{}
{
\faktsituation {Es sei $K$ ein
\definitionsverweis {Körper}{}{} und sei
\mathl{K[X]}{} der \definitionsverweis {Polynomring}{}{} über $K$.}
\faktfolgerung {Dann besitzt jedes Polynom
\mathbed {F \in K[X]} {}
{F \neq 0} {}
{} {} {} {,}
eine eindeutige Faktorzerlegung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{F
}
{ =} { \lambda P_1^{r_1} { \cdots } P_k^{r_k}
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{,}
wobei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \lambda
}
{ \in }{ K
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ist und die $P_i$ verschiedene,
\definitionsverweis {normierte}{}{,}
\definitionsverweis {irreduzible}{}{}
Polynome sind.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
Die irreduziblen Elemente stimmen mit den Primelementen überein, man spricht meist von \stichwort {irreduziblen Polynomen} {.}
\inputbeispiel{}
{
Das Polynom
\mathl{X^6-1}{} besitzt in
\mathl{\Q[X]}{} die Primfaktorzerlegung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ X^6-1
}
{ =} { (X-1)(X+1) (X^2+X+1)(X^2-X+1)
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{,}
die quadratischen Polynome sind nicht weiter zerlegbar, da sie in $\Q$
\zusatzklammer {ebenso in $\R$} {} {}
keine Nullstelle besitzen.
} Im Allgemeinen ist es schwierig, zu einem gegebenen Polynom die Primfaktorzerlegung zu finden.
\zwischenueberschrift{Der Hauptsatz der elementaren Zahlentheorie}
Wir beweisen nun, dass sich jede natürliche Zahl in eindeutiger Weise als Produkt von Primzahlen darstellen lässt.
\inputfaktbeweis
{Zahlentheorie/Primfaktorzerlegung/Fakt}
{Satz}
{}
{
Jede natürliche Zahl
\mathbed {n\in \N} {}
{n \geq 2} {}
{} {} {} {,}
besitzt eine eindeutige Zerlegung in Primfaktoren.
D.h. es gibt eine Darstellung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n
}
{ =} {p_1 { \cdots } p_r
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
mit
\definitionsverweis {Primzahlen}{}{}
$p_i$, und dabei sind die Primfaktoren bis auf ihre Reihenfolge eindeutig bestimmt.
}
{
\zwischenueberschrift{Exponententest}
\inputdefinition
{}
{
Es sei $R$ ein
\definitionsverweis {faktorieller Bereich}{}{}
und
\mathl{p \in R}{} ein
\definitionsverweis {Primelement}{}{.}
Dann heißt zu jedem
\mathbed {f \in R} {}
{f \neq 0} {}
{} {} {} {,}
die natürliche Zahl
\mathl{n \in \N}{} mit
\mathkor {} {p^n {{|}} f} {aber} {p^{n+1} \not {{|}} f} {,}
der
\definitionswort {Exponent}{}
\zusatzklammer {oder die
\definitionswort {Ordnung}{}} {} {}
von $f$ zu $p$. Er wird mit
\mathl{\operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( f \right) }}{} bezeichnet.
}
Wenn von $f$ die kanonische Primfaktorzerlegung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{f
}
{ =} {u \cdot p_1^{r_1}\cdot p_2^{r_2} \cdots p_k^{r_k}
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
und $p$ zu $p_i$
\definitionsverweis {assoziiert}{}{}
ist, so ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( f \right) }
}
{ =} {r_i
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Denn offenbar wird $f$ von $p_i^{r_i}$ geteilt, aber nicht von
\mathl{p_i^{r_i+1}}{,} da nach kürzen mit
\mathl{p_i^{r_i}}{} folgen würde, dass $p_i$ einen der übrigen Faktoren
\mathl{p_2 , \ldots , p_k}{} teilt. Insbesondere ist also der Exponent wohldefiniert.
\inputfaktbeweis
{Faktorieller Bereich/Primelement/Exponent/Fakt}
{Lemma}
{}
{
\faktsituation {Es sei $R$ ein
\definitionsverweis {faktorieller Integritätsbereich}{}{}
und
\mathl{p \in R}{} ein}
\faktvoraussetzung {\definitionsverweis {Primelement}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann besitzt der
\definitionsverweis {Exponent}{}{}
die Eigenschaft
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( fg \right) }
}
{ =} { \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( f \right) } + \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( g \right) }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
Dies folgt aus Satz 9.2.
Der Exponent übersetzt also die Multiplikation in die Addition.
Mit diesen Bezeichnungen kann man die Primfaktorzerlegung in einem faktoriellen Bereich als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{f
}
{ =} {u \prod_p p^{ \nu_p(n) }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
mit einer Einheit $u$ schreiben, wobei das Produkt rechts endlich in dem Sinne ist, dass nur endlich viele Exponenten von $0$ verschieden sind, und wobei für zueinander assoziierte Primelemente jeweils ein Vertreter genommen wird
\zusatzklammer {das Produkt erstreckt sich also beispielsweise über alle positiven Primzahlen oder über alle irreduziblen normierten Polynome} {} {.}
Die Teilbarkeit und einen größten gemeinsamen Teiler und ein kleinstes gemeinsames Vielfaches kann man aus den Exponenten ablesen.
\inputfaktbeweis
{Faktorieller Bereich/Exponentenkriterium/Fakt}
{Lemma}
{}
{
\faktsituation {Es sei $R$ ein
\definitionsverweis {faktorieller Integritätsbereich}{}{}
und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a,b
}
{ \in }{ R
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist $a$ ein
\definitionsverweis {Teiler}{}{}
von $b$ genau dann, wenn für die
\definitionsverweis {Exponenten}{}{}
zu jedem
\definitionsverweis {Primelement}{}{}
die Abschätzung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a \right) }
}
{ \leq} { \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( b \right) }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
gelten.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
$(1) \Rightarrow (2)$. Aus der Beziehung
\mathl{b=ac}{} folgt mit
Lemma 9.8
direkt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( b \right) }
}
{ =} { \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( ac \right) }
}
{ =} { \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a \right) } + \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( c \right) }
}
{ \geq} {\operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a \right) }
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
$(2) \Rightarrow (1)$. Wir schreiben
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a
}
{ =} {u \prod_p p^{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a \right) } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{b
}
{ =} { v \prod_p p^{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( b \right) } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
mit Einheiten
\mathl{u,v}{.} Wenn die Exponentenbedingung erfüllt ist, so ist
\mathl{t= u^{-1}v \prod_p p^{ { \nu_p(b) } - { \nu_p(a) } }}{} ein Ringelement, das mit $a$ multipliziert gerade $b$ ergibt.
\inputfaktbeweis
{Faktorieller Bereich/Primfaktorzerlegung/KgV und ggT/Fakt}
{Korollar}
{}
{
\faktsituation {Es sei $R$ ein
\definitionsverweis {faktorieller Bereich}{}{}
und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a_1 , \ldots , a_n
}
{ \in }{ R
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
Elemente mit Primfaktorzerlegungen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a_i
}
{ =} { u_i \prod_{p} p^{ \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a_i \right) } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ kgV}_{ } ^{ } { \left( a_1 , \ldots , a_n \right) }
}
{ =} { \prod_p p^{ \operatorname{ max}_{ } ^{ } { \left( \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a_1 \right) } , \ldots , \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a_n \right) } \right) } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ ggT}_{ } ^{ } { \left( a_1 , \ldots , a_n \right) }
}
{ =} { \prod_p p^{ \operatorname{ min}_{ } ^{ } { \left( \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a_1 \right) } , \ldots , \operatorname{ exp}_{ p } ^{ } { \left( a_n \right) } \right) } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
Dies folgt direkt aus Lemma 9.9.
Insbesondere kann man den größten gemeinsamen Teiler primelementweise bestimmen, indem man schaut, mit welcher Potenz $p$ in
\mathl{a_1,a_2}{} etc. aufgeht.
In einem faktoriellen Bereich muss ein größter gemeinsamer Teiler nicht als Linearkombination der Elemente darstellbar sein. Beispielsweise ist
\mathl{K[X,Y]}{} faktoriell, aber kein Hauptidealbereich, die beiden Variablen
\mathkor {} {X} {und} {Y} {}
sind prim und teilerfremd, erzeugen aber nicht das Einheitsideal.