Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil I/Vorlesung 15/latex

Aus Wikiversity

\setcounter{section}{15}

In dieser Vorlesung besprechen wir, wie sich im Dezimalsystem der Nachfolger, die Größergleichrelation und die Addition darstellen.






\zwischenueberschrift{Der Nachfolger und die Ordnung im Dezimalsystem}






\inputbemerkung
{}
{

Der Nachfolger einer im Dezimalsystem gegebenen natürlichen Zahl
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ =} {a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell} 10^{\ell} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} lässt sich einfach bestimmen und im Dezimalsystem ausrechnen. Der Nachfolger ist natürlich
\mathdisp {{ \left( a_0+1 \right) } +a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell} 10^{\ell}} { . }
Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_0 }
{ \leq }{8 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, so ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a_0+1 }
{ \leq} {9 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und die Dezimalentwicklung des Nachfolgers liegt unmittelbar vor. Wenn hingegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_0 }
{ = }{9 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, so geht es um die Zahl
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{n+1 }
{ =} {(9+1) + a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell} 10^{\ell} }
{ =} { 10+ a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell} 10^{\ell} }
{ =} { (a_1+1) \cdot 10 +a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell} 10^{\ell} }
{ } { }
} {} {}{.} Erneut gilt, dass bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_1 }
{ \leq }{8 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Dezimalentwicklung vorliegt, bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_1 }
{ = }{9 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} muss man wie zuvor weitermachen. Wenn die hintersten \zusatzklammer {niedrigststelligen} {} {} $s$ Ziffern $a_0 , \ldots , a_{s-1}$ gleich $9$ sind und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a_s }
{ \neq} {9 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} \zusatzklammer {was den Fall einschließt, dass $n$ genau $s$ Ziffern hat, in welchem Fall $a_s$ als $0$ zu interpretieren ist} {} {,} so erhält man den Nachfolger, indem man diese $s$ Neunen durch Nullen ersetzt und $a_s$ um $1$ erhöht.

}





\inputfaktbeweis
{Natürliche Zahl/Zehnersystem/Potenzabschätzung/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ k }
{ \in }{ \N_+ }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktvoraussetzung {Eine natürliche Zahl ist genau dann
\mathl{< 10^{k}}{,}}
\faktfolgerung {wenn sie im Zehnersystem aus maximal $k$ Ziffern besteht.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Wenn die Zahl $n$ im Zehnersystem aus mehr als $k$ Ziffern besteht, so ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ =} {a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{\ell}10^{\ell} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a_\ell }
{ \geq} {1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\ell }
{ \geq} {k }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Nach Satz 10.5 ist dann
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ \geq} { a_\ell 10^\ell }
{ \geq} {10^\ell }
{ \geq} { 10^k }
{ } { }
} {}{}{.} Wenn die Zahl $n$ aus maximal $k$ Ziffern besteht, so kann man sie als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ =} {a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{k-1}10^{k-1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_i }
{ < }{10 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} schreiben. Aus Satz 10.5 folgt direkt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ \leq} { 9+9\cdot 10+9\cdot 10^2 + \cdots + 9 \cdot10^{k-1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Wir zeigen durch Induktion über $k$, dass diese Zahl kleiner als $10^k$ ist. Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{k }
{ =} {1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{9 }
{ <} {10 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} \zusatzklammer {nach Definition ist $10$ der Nachfolger von $9$} {} {.} Im Induktionsschritt von $k$ nach $k+1$ folgt aus der Induktionsvoraussetzung wegen
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{9+9\cdot 10+9 \cdot10^2 + \cdots + 9 \cdot 10^{k-1} +9 \cdot 10^k }
{ <} { 10^k + 9 \cdot10^k }
{ =} { 10 \cdot 10^k }
{ =} {10^{k+1} }
{ } { }
} {} {}{} die Behauptung.

}





\inputfaktbeweis
{Natürliche Zahl/Zehnersystem/Größenvergleich/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es seien
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{m }
{ =} {a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{k-1}10^{k-1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{n }
{ =} {b_0+b_1 10+b_2 10^2 + \cdots + b_{\ell-1}10^{\ell-1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} zwei natürliche Zahlen im Zehnersystem \zusatzklammer {also mit
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{0 }
{ \leq }{ a_i,b_i }
{ \leq }{9 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}} {} {.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{m }
{ >} {n }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} genau dann, wenn
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{k }
{ >} { \ell }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} oder wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{k }
{ = }{ \ell }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist und wenn es ein
\mathbed {s} {}
{0 \leq s < k} {}
{} {} {} {,} derart gibt, dass
\mathdisp {a_{k-1}=b_{k-1} , \ldots , a_{s+1} = b_{s+1}, a_s> b_s} { }
ist.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{k }
{ >} {\ell }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist nach Lemma 15.2
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{m }
{ \geq} {10^\ell }
{ >} {n }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Sei also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{k }
{ = }{\ell }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Es sei $s$ die größte Stelle, an der die Ziffern verschieden sind, d.h. es sei
\mathdisp {a_{k-1}=b_{k-1} , \ldots , a_{s+1} = b_{s+1}, a_s \neq b_s} { . }
Aufgrund der Verträglichkeit der Ordnungsbeziehung mit der Addition können wir
\mathdisp {a_{k-1} \cdot 10^{k-1}+a_{k-2} \cdot 10^{k-2} + \cdots + a_{s+1} \cdot 10^{s+1}} { }
beidseitig abziehen, d.h. wir können annehmen, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{k }
{ = }{\ell }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_{k-1} }
{ \neq }{b_{k-1} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist und wir müssen zeigen, dass
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{m }
{ >} {n }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} genau dann gilt, wenn
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{a_{k-1} }
{ >} {b_{k-1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist. Hierbei müssen wir wegen der Symmetrie der Situation nur die Rückrichtung zeigen. Es ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{m }
{ =} { a_{k-1} \cdot 10^{k-1} + a_{k-2} \cdot 10^{k-2} + \cdots + a_1 \cdot 10 + a_0 }
{ \geq} { a_{k-1} \cdot 10^{k-1} }
{ \geq} { { \left( b_{k-1} +1 \right) } \cdot 10^{k-1} }
{ =} {b_{k-1} \cdot 10^{k-1} + 10^{k-1} }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ >} {b_{k-1} \cdot 10^{k-1} + b_{k-2} \cdot 10^{k-2} + \cdots + b_1 \cdot 10 + b_0 }
{ =} {n }
{ } {}
{ } {}
} {}{,} wobei wir im vorletzten Schritt wieder Lemma 15.2 verwendet haben.

}







\zwischenueberschrift{Schriftliches Addieren}

Da sich die Addition zweier natürlicher Zahlen aus den Dedekind-Peano-Axiomen ergibt, gibt es in jeder Beschreibung der natürlichen Zahlen genau eine Möglichkeit, zu addieren. Ob diese algorithmisch geschickt oder kompliziert ist, hängt wesentlich von der gewählten Beschreibung ab. Wenn man durch Strichfolgen gegebene Zahlen miteinander addiert, so hängt man einfach die beiden Strichfolgen aneinander. Dies ist auf den ersten Blick ein sehr einfacher Vorgang. Wenn man es aber ernsthaft schriftlich durchführen möchte, so sieht man, dass es extrem mühsam ist, da man jeden Strich der einen Strichfolge einzeln an die andere anhängen muss.

Das schriftliche Addieren\zusatzfussnote {Man könnte auch vom algorithmischen Addieren sprechen. Die Gültigkeit dieses Algorithmus besteht unabhängig von der schriftlichen Durchführung. Den Algorithmus im Kopf allein anzuwenden ist schwierig, weil die menschliche Speicherkapazität für solche Operationen bescheiden ist. Unter halbschriftlichem Rechnen versteht man übrigens Verfahren, bei denen die Rechnungen zwar durch schriftliche Notizen unterstützt werden, aber ohne dass ein Algorithmus systematisch durchlauft wird} {.} {} zweier natürlicher Zahlen im Zehnersystem ist aus der Schule bekannt. Man schreibt die beiden Zahlen untereinander so, dass die Einerpositionen übereinander stehen und addiert dann die beiden passenden Ziffern \zusatzklammer {im Sinne des kleinen Einundeins} {} {} von hinten nach vorne. Wenn das Ergebnis kleiner als $10$ ist, schreibt man diese Zahl hin und rückt nach links. Wenn das Ergebnis größer oder gleich $10$ ist, so schreibt man die Einerziffer dieser Summe an der Stelle hin und hat in der links liegenden Stelle einen zusätzlichen Übertrag von $1$ mitzuberücksichtigen. Dies ist insgesamt ein rekursives Verfahren, das wir kurz festhalten.


\inputverfahren{}
{

Das schriftliche Addieren
\mathl{m+n}{} zweier natürlicher Zahlen, die im Dezimalsystem als
\mathdisp {m= a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{k}10^{k} \text{ und } n= b_0+b_1 10+b_2 10^2 + \cdots + b_{k}10^{k}} { }
gegeben sind \zusatzklammer {wobei auch vordere Nullen erlaubt sind} {} {,} funktioniert folgendermaßen. Man berechnet die Dezimalziffern $c_i$ des Ergebnisses und die \stichwort {Überträge} {}
\mathl{d_{i+1}}{} \zusatzklammer {mit dem Startwert
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{d_0 }
{ = }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}} {} {} sukzessive durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{c_i }
{ =} { \begin{cases} a_i + b_i +d_i \, , \text{ falls } a_i + b_i +d_i < 10 \, , \\ a_i + b_i +d_i -10 \, , \text{ falls } a_i + b_i +d_i \geq 10 \, , \end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{d_{i+1} }
{ =} { \begin{cases} 0\, , \text{ falls } a_i + b_i +d_i < 10 \, ,\\ 1 \, , \text{ falls } a_i + b_i +d_i \geq 10 \, . \end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} Die Dezimaldarstellung der Summe
\mathl{m+n}{} ist
\mathl{c_{k+1} c_k \ldots c_2c_1c_0}{} \zusatzklammer {wobei
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{c_{k+1} }
{ = }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} sein kann} {} {.} Es gilt stets
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ a_i +b_i+d_i }
{ =} { d_{i+1} 10 +c_i }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}

}

Warum ist dieser Algorithmus richtig, warum liefert er das korrekte Ergebnis? Die Gewöhnung an dieses Verfahren verleitet dazu, diese Frage nicht ernst zu nehmen bzw. nicht zu verstehen. Das eben beschriebene schriftliche Addieren ist nicht die Definition der Addition, sondern eine algorithmische Ausführung der Addition in einem bestimmten Beschreibungssystem \zusatzklammer {nämlich dem Dezimalsystem} {} {} für die natürlichen Zahlen.

Der Ausgangspunkt der Addition der natürlichen Zahlen liegt in der disjunkten Vereinigung von endlichen Mengen, wir haben die Addition über die Nachfolgerabbildung eingeführt und bereits in Satz 8.13 gezeigt, dass sie mit dem Vereinigungskonzept übereinstimmt. Warum stimmt auch das schriftliche Addieren damit überein? Konkret: Man hat zwei Mengen \mathkor {} {A} {und} {B} {} an Äpfeln und bestimmt für beide Mengen ihre Anzahl im Zehnersystem: diese seien \mathkor {} {k} {und} {n} {.} Dann schüttet man die Mengen zusammen, erhält die Menge
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{C }
{ = }{A \cup B }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und bestimmt für diese Menge die Anzahl im Zehnersystem: diese sei $m$. Warum kommt, wenn man die Zahlen \mathkor {} {k} {und} {n} {} im Zehnersystem schriftlich addiert, ausgerechnet $m$ heraus?

Die zwei Zahlen seien als \mathkor {} {n= a_r10^r + a_{r-1}10^{r-1} + \cdots + a_210^2+a_1 10 +a_0} {und} {k= b_s10^s + b_{s-1}10^{s-1} + \cdots + b_2 10^2+ b_1 10 +b_0} {} gegeben, wobei die Ziffern alle zwischen \mathkor {} {0} {und} {9} {} seien. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{r }
{ \geq }{s }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und wir können sogar annehmen, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{r }
{ = }{s }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, indem wir fehlende Ziffern in der zweiten Dezimalentwicklung durch Nullen auffüllen. Dann ist
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ { \left( a_r10^r + a_{r-1}10^{r-1} + \cdots + a_210^2+a_1 10 +a_0 \right) } + { \left( b_r10^r + b_{r-1}10^{r-1} + \cdots + b_2 10^2+ b_1 10 +b_0 \right) } }
{ =} { { \left( a_r +b_r \right) } 10^r + { \left( a_{r-1} +b_{r-1} \right) } 10^{r-1} + \cdots + { \left( a_2+b_2 \right) } 10^2+ { \left( a_1 +b_1 \right) } 10 + { \left( a_0 +b_0 \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Dies beruht auf dem Assoziativgesetz der Addition und dem Distributivgesetz. Achtung! Dieses Ergebnis ist nicht in der Dezimaldarstellung, da die vor den Zehnerpotenzen $10^{i}$ stehenden Zahlen
\mathl{a_i+b_i}{} nicht unbedingt kleiner als $10$ sein müssen. Man kann an dieser Stelle Bemerkung 14.4 anwenden und zu den \anfuehrung{größeren}{} Ziffern nach oben schaufeln. Dies ist aber nicht das Verfahren des schriftlichen Addierens.  

Der folgende Beweis verwendet ein \stichwort {Invarianzprinzip} {.} Ein Algorithmus besteht typischerweise aus vielen Einzelschritten, wodurch man leicht die Übersicht verlieren kann. Beim Invarianzprinzip schaut man, was sich bei den Einzelschritten nicht ändert, sondern konstant \zusatzklammer {invariant} {} {} ist. Eine solche Invariante ändert sich im Algorithmus überhaupt nicht.




\inputfaktbeweis
{Zehnersystem/Schriftliches Addieren/Korrekt/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {}
\faktfolgerung {Das schriftliche Addieren im Zehnersystem ist korrekt.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die beiden Zahlen seien
\mathdisp {m= a_0+a_1 10+a_2 10^2 + \cdots + a_{k}10^{k} \text{ und } n=b_0+b_1 10+b_2 10^2 + \cdots + b_{k}10^{k}} { , }
wobei wir eventuell auch vordere Nullen erlauben. Wir beweisen ein schrittweises Invarianzprinzip des schriftlichen Addierens, nämlich, dass nach dem $i$-ten Schritt\zusatzfussnote {Diese Nummerierung ist hier sinnvoll, $-1$ bezieht sich auf die Situation, wo noch gar nichts passiert ist, und $0$ bezieht sich auf die Rechnung an der Einerziffer} {.} {} \zusatzklammer {
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ i }
{ = }{ -1,0,1,2, \ldots }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}} {} {,} wenn die hinteren Ziffern
\mathl{c_i,c_{i-1} , \ldots , c_0}{} und die Übertragsziffern
\mathl{d_{i+1}}{} schon berechnet sind, dass dann die jeweilige Summe
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{S_i }
{ =} { { \left( a_k 10^k + \cdots + a_{i+1} 10^{i+1} \right) } + { \left( b_k 10^k + \cdots + b_{i+1} 10^{i+1} \right) } +d_{i+1} 10^{i+1} + { \left( c_i 10^{i} + \cdots + c_1 10 + c_0 \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} konstant ist \zusatzklammer {also nicht von $i$ abhängt} {} {,} und zwar gleich
\mathl{m+n}{\zusatzfussnote {Gemeint ist hier die \anfuehrung{wahre Summe}{} im Sinne der Definition, ein Einwand wie \anfuehrung{hier wird was verwendet, worüber wir doch erst eine Aussage machen wollen}{} greift ins Leere} {.} {}} Diese Summen beschreiben eine Momentaufnahme des Algorithmus zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dabei bedeutet der Schritt $-1$, dass noch keine Rechnung durchgeführt wurde. Am Anfang, bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{i }
{ = }{-1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} sind die beiden hinteren Summanden nicht vorhanden und vorne stehen $m$ und $n$ komplett, die Summe ist also
\mathl{m+n}{.} Die Konstanz der Summen beweisen wir durch Induktion nach $i$, wobei wir den Fall
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{i }
{ =} {-1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} soeben behandelt haben. Sei nun die Konstanz
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ m+n }
{ =} { S_{-1} }
{ =} { S_0 }
{ =} { S_1 }
{ =} { \ldots }
} {
\vergleichskettefortsetzung
{ =} { S_i }
{ } {}
{ } {}
{ } {}
}{}{} bereits bewiesen, und wir verarbeiten die
\mathl{10^{i+1}}{-}Stelle. Gemäß dem Algorithmus addiert man
\mathdisp {a_{i+1} +b_{i+1} +d_{i+1}} { }
und schreibt dies als
\mathdisp {d_{i+2} 10 + c_{i+1}} { }
mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \leq }{c_{i+1} }
{ \leq }{9 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Somit ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ a_{i+1} 10^{i+1} +b_{i+1} 10^{i+1} +d_{i+1} 10^{i+1} }
{ =} { { \left( a_{i+1} +b_{i+1} +d_{i+1} \right) } 10^{i+1} }
{ =} { { \left( d_{i+2} 10 + c_{i+1} \right) } 10^{i+1} }
{ =} { d_{i+2} 10^{i+2} + c_{i+1} 10^{i+1} }
{ } { }
} {} {}{.} Wenn man in der Summe $S_i$ die linke Seite der vorstehenden Gleichung durch die rechte Seite ersetzt, so erhält man gerade
\mathl{S_{i+1}}{,} was die Gleichheit zeigt. Wenn man $i$ hinreichend groß nimmt, hat man $m$ und $n$ verbraucht und die Summe $S_i$ besteht dann allein aus der durch die Ziffern $c_i$ gebildeten Zahl. Dies stimmt also mit der Summe
\mathl{m+n}{} überein.

}





\inputbeispiel{}
{

Wir wollen
\mathl{329+475}{} berechnen und schreiben
\mathdisp {329} { }

\mathdisp {\underline{475}} { }
Nach dem ersten Rechenschritt haben wir
\mathdisp {329} { }

\mathdisp {475} { }

\mathdisp {\underline{\,\,\, 1\,\,\, }} { }

\mathdisp {\,\,\,\,\, \, 4} { . }
Der Punkt im Beweis zu Satz 15.5 ist, dass man die hintersten Ziffern der beiden Summanden vergessen kann, die volle Information ist in der Endziffer $4$ und dem Übertrag $1$ bewahrt, was sich dahingehend niederschlägt, dass
\mathdisp {3 \cdot 100 + 2 \cdot 10 + 4 \cdot 100 + 7 \cdot 10 + 1 \cdot 10 + 4} { }
gleich der Ausgangssumme ist. Diese Eigenschaft weiß man unabhängig davon, dass diese Summe noch gar nicht explizit ausgerechnet wurde. Es spricht also einiges dafür, dass man im Additionsalgorithmus die abgearbeiteten oberen hinteren Ziffern wegstreicht \zusatzklammer {für das Überprüfen der Rechnung ist das aber keine gute Idee} {} {.} Im nächsten Rechenschritt rechnet man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{2+7+1 }
{ =} {10 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und man gelangt zu
\mathdisp {329} { }

\mathdisp {475} { }

\mathdisp {\underline{1 \,\,\, \,\,\, }} { }

\mathdisp {\,\,\,0 4} { . }
Die Invarianz zeigt sich in der Summe
\mathdisp {3 \cdot 100 + 4 \cdot 100 + 1 \cdot 100 + 0 \cdot 10 + 4} { . }
Im dritten Schritt rechnet man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ 3+4+1 }
{ =} { 8 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und man gelangt zu
\mathdisp {329} { }

\mathdisp {\underline{475}} { }

\mathdisp {8 0 4} { . }
Die oberen Summanden kann man jetzt vollständig vergessen, das Endergebnis steht unten.


}

Die Korrektheit des schriftlichen Addierens überträgt sich auf die Addition mehrerer Summanden in der Dezimaldarstellung. Man summiert wieder ziffernweise und schreibt die letzte Ziffer der Summe an der entsprechenden Stelle hin, ebenso den Übertrag. Dieser kann jetzt allerdings \zusatzklammer {ab zwölf Summanden} {} {} sogar größergleich $100$ sein, in diesem Fall muss man die Zehnerziffer wie zuvor um eins nach links schreiben und die Hunderterstelle um zwei nach links. Grundsätzlich kann man auch eine Summe mit beliebig vielen Summanden dadurch errechnen, dass man je zwei Summanden zusammenaddiert und somit die Anzahl der Summanden sukzessive verringert, doch ist das viel komplizierter.



<< | Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil I | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)