Kurs:Reelle und komplexe Analysis (Sheffield 2007)/Abschnitt 2.2/latex
\setcounter{section}{2}
Sei
\maabb {f} {{\mathbb K}^n } {{\mathbb K}
} {}
eine durch
\mathdisp {(x_1, \ldots, x_n) \longmapsto f(x_1, \ldots, x_n)} { }
gegebene Abbildung. Betrachtet man für einen fixierten Index $i$ die übrigen Variablen $x_j$,
\mathl{j \neq i}{,} als Konstanten, so erhält man eine Abbildung
\maabb {} {{\mathbb K}} {{\mathbb K}
} {,}
die nur von $x_i$ abhängt
\zusatzklammer {entsprechend betrachtet man die übrigen Variablen als Parameter} {} {.}
Falls diese Funktion, als Funktion in einer Variablen, differenzierbar ist, so sagen wir, dass $f$ \stichwort {partiell differenzierbar} {} bezüglich $x_i$ ist und bezeichnen diese Ableitung mit
\mathl{\partial f/ \partial x_i}{.} Der Vorteil der partiellen Ableitungen liegt darin, dass man diese konkret berechnen kann. Jedoch hängen sie von der Wahl einer Basis ab. Die partiellen Ableitungen sind selbst Abbildungen von
\maabb {} {{\mathbb K}^n} {{\mathbb K}
} {.}
Im Folgenden wollen wir den Zusammenhang zwischen den partiellen Ableitungen und dem totalen Differential verstehen.
\inputdefinition
{}
{
Es seien
\mathkor {} {V} {und} {W} {}
endlichdimensionale normierte Vektorräume,
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G
}
{ \subseteq }{V
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
eine offene Teilmenge, und
\maabb {f} {G} {W
} {}
eine Abbildung. Weiter sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ \in }{G
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ein Punkt und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v
}
{ \in }{V
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ein fixierter Vektor. Dann heißt $f$ \definitionswort {differenzierbar in $P$ in Richtung}{} $v$, falls der
\definitionsverweis {Grenzwert}{}{}
\mathdisp {\operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s \neq 0 } \, \frac{ f(P + sv) - f(P) } {s}} { }
existiert. In diesem Fall heißt dieser Grenzwert \definitionswort {die Ableitung von $f$ in $P$ in Richtung $v$}{.} Er wird mit
\mathdisp {{ \left( D_{v} f \right) } { \left( P \right) }} { }
bezeichnet.
}
Die Existenz von
\mathl{{ \left( D_{v} \varphi \right) } { \left( P \right) }}{} hängt nur von der Abbildung
\maabbele {} {{\mathbb K} \supseteq U { \left( 0,\delta \right) }} {W
} {s} {\varphi(P+sv)
} {,}
ab
\zusatzklammer {wobei das Intervall (im reellen Fall) bzw. der offene Ball (im komplexen Fall) so gewählt ist, dass
\mathl{s \in U { \left( 0,\delta \right) }}{} auch
\mathl{P + sv \in G}{} impliziert} {} {.} Die Richtungsableitung in einem Punkt und in eine Richtung ist ein Vektor in $W$.
Totale Differenzierbarkeit impliziert richtungsweise Differenzierbarkeit.
\inputfaktbeweis
{Differenzierbarkeit/K/Totale Differenzierbarkeit impliziert richtungsweise Differenzierbarkeit/Fakt}
{Proposition}
{}
{
\faktsituation {Es seien
\mathkor {} {V} {und} {W} {}
\definitionsverweis {endlichdimensionale}{}{}
${\mathbb K}$-\definitionsverweis {Vektorräume}{}{,}
es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G
}
{ \subseteq }{V
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
eine
\definitionsverweis {offene Teilmenge}{}{}
und}
\faktvoraussetzung {\maabb {\varphi} {G} {W
} {}
eine im Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ \in }{G
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
\definitionsverweis {differenzierbare Abbildung}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist $\varphi$ in $P$ in jede Richtung $v$
\definitionsverweis {differenzierbar}{}{,}
und es gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \left( D_{v} \varphi \right) } { \left( P \right) }
}
{ =} { { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}
}
{
Da
\mathl{\left(D\varphi\right)_{P}}{} eine
\definitionsverweis {lineare Abbildung}{}{}
von $V$ nach $W$ ist, liefert die Anwendung dieser Abbildung auf einen Vektor
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v
}
{ \in }{V
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
einen Vektor in
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) }
}
{ \in }{ W
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{.}
Nach Voraussetzung haben wir
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \varphi(P+v)
}
{ =} { \varphi(P)+ { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) } + \Vert {v} \Vert \cdot r(v)
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
\zusatzklammer {mit den
\definitionsverweis {üblichen Bedingungen}{}{}
an $r$} {} {.}
Insbesondere gilt für
\zusatzklammer {hinreichend kleines} {} {}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{s
}
{ \in }{ {\mathbb K}
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \varphi(P+sv)
}
{ =} { \varphi(P)+ s { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) } + \betrag { s } \cdot \Vert {v} \Vert \cdot r(sv)
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Also gilt
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s\neq 0 } \, \frac{\varphi(P + sv) - \varphi(P) } { s }
}
{ =} { \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s\neq 0 } \, \frac{ s { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) } + \betrag { s } \cdot \Vert {v} \Vert \cdot r(sv) } { s }
}
{ =} { \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s\neq 0 } \, \left( { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) } + { \frac{ \betrag { s } }{ s } } \Vert {v} \Vert \cdot r(sv) \right)
}
{ =} { { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( v \right) }
}
{ } {}
}
{}
{}{,}
da
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0 } \, r(sv)
}
{ = }{ 0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
und der Ausdruck
\mathl{{ \frac{ \betrag { s } }{ s } } \Vert {v} \Vert}{} beschränkt ist.
Die partiellen Ableitungen sind im Wesentlichen die Richtungsableitungen in Richtung der Basisvektoren. Insbesondere machen partielle Ableitungen nur dann Sinn, wenn eine Basis im Vektorraum, der den Definitionsbereich einer Abbildung darstellt, gewählt worden ist.
\inputdefinition
{}
{
Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G
}
{ \subseteq }{ {\mathbb K}^n
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
offen und sei eine Abbildung
\maabb {f} { G} { {\mathbb K}^m
} {}
durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f (x_1 , \ldots , x_n)
}
{ =} { (f_1 (x_1 , \ldots , x_n) , \ldots , f_m (x_1 , \ldots , x_n))
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
gegeben. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ = }{ (a_1 , \ldots , a_n)
}
{ \in }{ G
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ein Punkt. Für fixierte Indizes $i$ und $j$ betrachten wir die Abbildung
\maabbeledisp {} {I} { {\mathbb K}
} {x_i} { f_j(a_1 , \ldots , a_{i-1}, x_i, a_{i+1} , \ldots , a_n )
} {,} \zusatzklammer {wobei $I$ ein reelles Intervall \zusatzklammer {bzw. eine offene Kreisscheibe} {} {} mit
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{a_i
}
{ \in }{I
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
derart sei, dass
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ \{(a_1 , \ldots , a_{i-1}) \} \times I \times \{(a_{i+1} , \ldots , a_{n}) \}
}
{ \subseteq }{ G
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
gilt} {} {}
als Funktion in einer Variablen, wobei die übrigen Variablen
\mathbed {a_k} {}
{k \neq i} {}
{} {} {} {,}
fixiert seien. Ist diese Funktion in $a_i$
\definitionsverweis {differenzierbar}{}{,}
so heißt $f_j$ \definitionswort {partiell differenzierbar}{} in $P$ bezüglich der Koordinate $x_i$. Man bezeichnet diese Ableitung
\zusatzklammer {welche ein Element in ${\mathbb K}$ ist} {} {}
mit
\mathdisp {{ \frac{ \partial f_j }{ \partial x_i } } (P)} { }
und nennt sie die $i$-te \definitionswort {partielle Ableitung}{} von $f_j$ in $P$.
Die Abbildung $f$ heißt \definitionswort {partiell differenzierbar}{} im Punkt $P$, falls für alle $i$ und $j$ die partiellen Ableitungen in $P$ existieren. Die $i$-te partielle Ableitung von $f$ in $P$ wird mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ \partial f }{ \partial x_i } } (P)
}
{ \defeq} { { \left( { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_i } } (P) , \ldots , { \frac{ \partial f_m }{ \partial x_i } } (P) \right) }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
bezeichnet.
}
\inputfaktbeweis
{Differenzierbarkeit/K/Zusammenhang zwischen partieller Ableitung und Richtungsableitung/Fakt}
{Lemma}
{}
{
\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G
}
{ \subseteq }{ {\mathbb K}^n
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
offen,
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ \in }{G
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ein Punkt und sei
\maabbeledisp {f} { G} { {\mathbb K}^m
} {(x_1 , \ldots , x_n)} {f (x_1 , \ldots , x_n) = (f_1(x_1 , \ldots , x_n) , \ldots , f_m(x_1 , \ldots , x_n))
} {,}
eine
\definitionsverweis {Abbildung}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist $f$ in $P$ genau dann
\definitionsverweis {partiell differenzierbar}{}{,}
wenn die
\definitionsverweis {Richtungsableitungen}{}{}
von sämtlichen Komponentenfunktionen $f_j$ in $P$ in Richtung eines jeden Standardvektors existieren.}
\faktzusatz {In diesem Fall stimmt die $i$-te partielle Ableitung
\mathl{{ \frac{ \partial f_j }{ \partial x_i } } (P)}{} von $f$ in $P$ mit der
\definitionsverweis {Richtungsableitung}{}{}
\mathl{{ \left( D_{e_i} f_j \right) } { \left( P \right) }}{} von $f_j$ in $P$ in Richtung des $i$-ten Standardvektors $e_i$ überein, und $f$ ist in $P$ genau dann partiell differenzierbar, wenn die Richtungsableitungen in $P$ in Richtung eines jeden Standardvektors existieren.}
\faktzusatz {}
}
{
Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ = }{(a_1 , \ldots , a_n)
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{.}
Wir können uns wegen
Fakt *****
auf eine einzige Komponentenfunktion $f_j$ beschränken. Da
\definitionsverweis {partielle Ableitungen}{}{}
die
\definitionsverweis {Ableitungen}{}{}
von Funktionen in einer Variablen sind, ergibt sich
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{ { \frac{ \partial f_j }{ \partial x_i } } (P)
}
{ =} { \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s \neq 0 } \, \frac{ f_j(a_1 , \ldots , a_{i-1}, a_i + s, a_{i+1} , \ldots , a_n) - f_j(a_1 , \ldots , a_{i-1}, a_i, a_{i+1} , \ldots , a_n) } { s }
}
{ =} { \operatorname{lim}_{ s \rightarrow 0, s \neq 0 } \, \frac{ f_j( P +s e_i) - f_j(P) } { s }
}
{ =} { { \left( D_{e_i} f_j \right) } { \left( P \right) }
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Das folgende einfache Beispiel zeigt, dass durchaus alle Richtungsableitungen existieren können (und damit insbesondere alle partiellen
Ableitungen), die Abbildung selbst aber noch nicht einmal stetig sein muss
\zusatzklammer {und damit erst recht nicht total differenzierbar} {} {.}
\inputbeispiel{}
{
Wir betrachten die Funktion
\maabb {f} {\R^2} {\R
} {}
mit
\mathdisp {f(x,y) \defeq \begin{cases} \frac{ xy^3 } { x^2+y^6 } \text{ für } (x,y) \neq (0,0) \, , \\ 0 \text{ für } (x,y) = (0,0) \, .\end{cases}} { }
Für einen Vektor
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v
}
{ = }{(a,b)
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
und einen reellen Parameter $s$ erhalten wir auf der Geraden $\R v$ die Funktion
\maabbeledisp {f_v} {\R } {\R
} {s} {f(sa,sb) = \frac{ sas^3b^3 } { s^2 a^2 + s^6b^6 } = \frac{ s^2 ab^3 } {a^2 + s^4 b^6}
} {.}
Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a
}
{ \neq }{0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ist der Nenner stets positiv und die Funktion $f_v$ ist stetig mit dem Wert $0$ bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{s
}
{ = }{ 0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{,}
und als
\definitionsverweis {rationale Funktion}{}{}
in $s$ differenzierbar. Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a
}
{ = }{ 0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ist die Funktion $f_v$ konstant $=0$ und damit ebenfalls differenzierbar. Also existieren in $0$ alle Richtungsableitungen zu $f$. Die Funktion $f$ ist allerdings nicht stetig: Für die Folge
\mathl{(1/n^3,1/n)}{}
\zusatzklammer {die gegen
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{0
}
{ = }{ \left( 0 , \, 0 \right)
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
konvergiert} {} {}
gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{f { \left( { \frac{ 1 }{ n^3 } } , { \frac{ 1 }{ n } } \right) }
}
{ =} { { \frac{ (1/n^3)(1/n^3) }{ (1/n^6) + (1/n^6) } }
}
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 } }
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{,}
aber
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(0,0)
}
{ = }{ 0
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{.}
}
In diesem Beispiel sind die partiellen Ableitungen nicht stetig in $0$.
Vor dem Beweis der nächsten Aussage erinnern wir an den Mittelwertsatz für Kurven: Sei
\maabb {h} {[a,b]} {{\mathbb K}^n
} {}
differenzierbar. Dann existiert ein
\mathl{c \in [a,b]}{} mit
\mathdisp {\Vert {h(b)-h(a)} \Vert \leq (b-a) \Vert {h'(c)} \Vert} { . }
\inputfaktbeweis
{Differenzierbarkeit/K/Existenz und Stetigkeit der partiellen Ableitungen impliziert Differenzierbarkeit/Fakt}
{Satz}
{}
{
\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G
}
{ \subseteq }{ {\mathbb K}^n
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
offen und
\maabb {\varphi} {G} {{\mathbb K}^m
} {}
eine Abbildung. Es seien
\mathbed {x_i} {}
{i = 1 , \ldots , n} {}
{} {} {} {,}
die Koordinaten von ${\mathbb K}^n$ und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ \in }{G
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
ein Punkt.}
\faktvoraussetzung {Es sei angenommen, dass alle
\definitionsverweis {partiellen Ableitungen}{}{}
von $\varphi$ in einer
\definitionsverweis {offenen Umgebung}{}{}
von $P$ existieren und in $P$
\definitionsverweis {stetig}{}{}
sind.}
\faktfolgerung {Dann ist $\varphi$ in $P$
\definitionsverweis {(total) differenzierbar}{}{.}}
\faktzusatz {Ist die Abbildung $\varphi$ bezüglich der
\definitionsverweis {Standardbasis}{}{}
des ${\mathbb K}^m$ durch die
\definitionsverweis {Koordinatenfunktionen}{}{}
\mathl{f_1 , \ldots , f_m}{} gegeben, so wird unter diesen Bedingungen das totale Differential in $P$ durch die
\definitionsverweis {Jacobi-Matrix}{}{}
\mathdisp {{ \left( { \frac{ \partial f_j }{ \partial x_i } } (P) \right) }_{1 \leq i \leq n, 1 \leq j \leq m}} { }
beschrieben.}
\faktzusatz {}
}
{
Indem wir $G$ durch eine eventuell kleinere offene Umgebung von $P$ ersetzen, können wir annehmen, dass auf $G$ die Richtungsableitungen
\mathdisp {Q \longmapsto (D_i \varphi)(Q) \defeq { \left( D_{e_i } \varphi \right) } { \left( Q \right) } = \begin{pmatrix} { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_i } } (Q) \\\vdots\\ { \frac{ \partial f_m }{ \partial x_i } } (Q) \end{pmatrix} \in {\mathbb K}^m} { }
existieren und in $P$ stetig sind. Daher ist nach
Fakt *****
die lineare Abbildung
\maabbeledisp {} { {\mathbb K}^n } { {\mathbb K}^m
} {v = (v_1 , \ldots , v_n) } { \sum_{i = 1}^n v_i (D_i\varphi)(P)
} {,}
der einzige Kandidat für das
\definitionsverweis {totale Differential}{}{.}
Daher müssen wir zeigen, dass diese
\definitionsverweis {lineare Abbildung}{}{}
die
\definitionsverweis {definierende Eigenschaft}{}{}
des totalen Differentials besitzt. Setze
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P_i
}
{ \defeq }{P+ v_1 e_1 + \cdots + v_i e_i
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
\zusatzklammer {abhängig von $v$} {} {.}
Dann gelten mit dem Ansatz
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{r(v)
}
{ \defeq} { { \frac{ \varphi(P+v) - \varphi(P) - \sum_{i = 1}^n v_i(D_i(\varphi))(P) }{ \Vert {v} \Vert } }
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
\zusatzklammer {für $v$ hinreichend klein} {} {}
die Abschätzungen
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ \Vert {r(v)} \Vert
}
{ =} { { \frac{ \Vert {\varphi(P+v) - \varphi(P) - \sum_{i = 1}^n v_i(D_i(\varphi))(P)} \Vert }{ \Vert {v} \Vert } }
}
{ =} { { \frac{ \Vert {\sum_{i = 1}^n (\varphi(P_i) - \varphi(P_{i-1}) - v_i (D_i(\varphi))(P))} \Vert }{ \Vert {v} \Vert } }
}
{ \leq} { \sum_{i = 1}^n { \frac{ \Vert {\varphi(P_i) - \varphi(P_{i-1}) - v_i (D_i(\varphi))(P)} \Vert }{ \Vert {v} \Vert } }
}
{ =} { \sum_{i = 1}^n { \frac{ \Vert {\varphi(P_{i-1} + v_i e_i) - \varphi(P_{i-1}) - v_i (D_i(\varphi))(P)} \Vert }{ \Vert {v} \Vert } }
}
}
{}
{}{.}
Wir betrachten jeden Summanden einzeln. Für fixiertes $i$ ist die Abbildung
\zusatzklammer {die auf dem Einheitsintervall definiert ist} {} {}
\mathdisp {h_i: s \longmapsto \varphi(P_{i-1} + s v_i e_i) - s v_i (D_i(\varphi))(P)} { }
\definitionsverweis {differenzierbar}{}{}
\zusatzklammer {aufgrund der Existenz der partiellen Ableitungen auf $G$} {} {}
mit der Ableitung
\mathdisp {s \longmapsto v_i (D_i(\varphi))(P_{i-1} + s v_i e_i) - v_i(D_i(\varphi))(P)} { . }
Nach der
Mittelwertabschätzung
existiert eine reelle Zahl
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{0
}
{ \leq} { c_i
}
{ =} {1
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{,}
sodass
\zusatzklammer {dies ist die Norm von \mathlk{h_i(1)-h_i(0)}{}} {} {}
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{ \Vert {\varphi(P_{i-1} + v_i e_i)-\varphi(P_{i-1}) - v_i (D_i(\varphi))(P)} \Vert
}
{ \leq} { \Vert {v_i (D_i(\varphi))(P_{i-1} + c_i v_i e_i) - v_i (D_i(\varphi))(P)} \Vert
}
{ =} { \betrag { v_i } \cdot \Vert { (D_i(\varphi))(P_{i-1} + c_i v_i e_i) - (D_i(\varphi))(P)} \Vert
}
{ \leq} { \Vert {v} \Vert \cdot \Vert { (D_i(\varphi))(P_{i-1} + c_i v_i e_i) - (D_i(\varphi))(P)} \Vert
}
{ } {
}
}
{}{}{}
gilt. Aufsummieren liefert also, dass unser Ausdruck
\mathl{\Vert {r(v)} \Vert}{} nach oben
\definitionsverweis {beschränkt}{}{}
ist durch
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{ \sum_{i = 1}^n { \frac{ \Vert {v} \Vert \cdot \Vert {(D_i(\varphi))(P_{i-1} + c_i v_i e_i) - (D_i(\varphi))(P)} \Vert }{ \Vert {v} \Vert } }
}
{ \leq} { \sum_{i = 1}^n \Vert {(D_i(\varphi))(P_{i-1} + c_i v_i e_i) - (D_i(\varphi))(P)} \Vert
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Da die partiellen Ableitungen
\mathl{D_i(\varphi)}{} stetig in $P$ sind, wird die Summe rechts mit $v$ beliebig klein, da dann
\mathl{P_{i-1} + c_iv_i e_i}{} gegen $P$ konvergiert. Also ist der Grenzwert für
\mathl{v \rightarrow 0}{} gleich $0$.
\inputbemerkung
{{{{2}}}}
{
Fakt ***** lässt sich sofort auf Polynomfunktionen in beliebig vielen Variablen anwenden, aber auch auf holomorphe Funktionen wie etwa die Exponentialfunktion oder trigonometrische Funktionen. Wie Fakt ***** zeigt, muss man allerdings vorsichtig sein, wenn man eine solche Funktion invertiert.
}
\inputbeispiel{}
{
Wir betrachten die Abbildung
\maabb {f} {{\mathbb K}^3} {{\mathbb K}^2
} {,}
die durch
\mathdisp {(x,y,z) \longmapsto { \left( xy^2-z^3, \sin (xy) + x^2 \cdot \exp z \right) } =(f_1(x,y,z),f_2(x,y,z) )} { }
gegeben sei. Die partiellen Ableitungen von $f_1$ sind
\mathdisp {{ \frac{ \partial f_1 }{ \partial x } } = y^2, \, { \frac{ \partial f_1 }{ \partial y } } = 2xy, \, { \frac{ \partial f_1 }{ \partial z } } = -3z^2} { , }
und die partiellen Ableitungen von $f_2$ sind
\mathdisp {{ \frac{ \partial f_2 }{ \partial x } } = y \cos (xy) + 2x \cdot \exp z, \,{ \frac{ \partial f_2 }{ \partial y } } = x \cdot \cos (xy) , \,{ \frac{ \partial f_2 }{ \partial z } } = x^2 \cdot \exp(z)} { . }
Damit erhalten wir für einen beliebigen Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ = }{(x,y,z)
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
die
\definitionsverweis {Jacobi-Matrix}{}{}
\mathdisp {\begin{pmatrix} y^2 & 2xy & -3z^2 \\ y \cos(xy) + 2x \exp (z) & x \cos (xy) & x^2 \exp(z) \end{pmatrix}} { . }
Für einen speziellen Punkt, z.B.
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ = }{(2,1,3)
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{,}
setzt man einfach ein:
\mathdisp {\begin{pmatrix} 1 & 4 & -27 \\ \cos (2) + 4 \exp(3) & 2 \cos (2) & 4 \exp (3) \end{pmatrix}} { . }
}
Das folgende Beispiel illustriert, dass das totale Differential unabhängig von der Wahl einer Basis ist, die partiellen Ableitungen aber nicht.
\inputbeispiel{
}
{
Wir betrachten die Abbildung
\maabb {f} { {\mathbb K}^3} { {\mathbb K}
} {,}
die durch
\mathdisp {(x,y,z) \longmapsto 2xy^2 + x^2z^3+ z^2} { }
gegeben sei. Es ist leicht die partiellen Ableitungen in jedem Punkt zu berechnen, nämlich:
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ \left( { \frac{ \partial f }{ \partial x } } , \, { \frac{ \partial f }{ \partial y } } , \, { \frac{ \partial f }{ \partial z } } \right)_{(x,y,z)}
}
{ =} { \left( 2y^2 + 2xz^3 , \, 4xy , \, 3x^2z^2+ 2z \right)
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Da diese alle stetig sind, haben wir nach
Fakt *****
das
\definitionsverweis {totale Differential}{}{}
in jedem Punkt gefunden.
Nehmen wir nun an, dass wir nur an der Restriktion dieser Funktion auf die Ebene
\mathdisp {E \subset {\mathbb K}^3, \, E = { \left\{ (x,y,z) \mid 3x+2y-5z = 0 \right\} }} { }
interessiert sind. $E$ ist also der Kern der linearen Abbildung
\maabbeledisp {L} {{\mathbb K}^3} {{\mathbb K}
} {(x,y,z)} {3x+2y-5z
} {.}
Als Kern ist $E$ selbst ein
\zusatzklammer {zweidimensionaler} {} {}
Vektorraum. Die Einschränkung von $f$ auf die Ebene ergibt also die Abbildung
\maabbdisp {\tilde{f} = f{{|}}_E} {E} {{\mathbb K}
} {.}
Diese Abbildung kann man als die Komposition
\maabb {} {E \subset {\mathbb K}^3} {{\mathbb K}
} {}
auffassen und diese ist nach
der Kettenregel
differenzierbar. Wenn wir die Inklusion von $E$ in ${\mathbb K}^3$ mit $N$ bezeichnen, so ist das totale Differential der Komposition in einem Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P
}
{ \in }{E
}
{ }{
}
{ }{
}
{ }{
}
}
{}{}{}
gemäß der Kettenregel gerade die Abbildung
\maabbdisp {\left(D\tilde{f}\right)_{P} = \left(Df\right)_{P} \circ N} {E} {{\mathbb K}
} {.}
Daher ergibt es hier Sinn vom totalen Differential zu sprechen.
Es ergibt allerdings keinen Sinn von partiellen Ableitungen der Abbildung \maabb {f {{|}}_E} {E} {{\mathbb K} } {} zu sprechen, da es keine natürliche Basis auf $E$ gibt und daher auch keine natürlichen Koordinaten. Es ist leicht eine Basis von $E$ zu finden und damit Koordinaten, es gibt aber keine \anfuehrung{beste Wahl}{,} und die partiellen Ableitungen sehen in jeder Basis verschieden aus.
Eine Basis von $E$ ist beispielsweise durch \mathkor {} {v_1=(0,5,2)} {und} {v_2=(5,0,3)} {} gegeben, und eine weitere durch \mathkor {} {w_1=(1,1,1)} {und} {w_2=(2,-3,0)} {.} Mit solchen Basen erhalten wir Identifikationen \maabb {} {{\mathbb K}^2} {E } {} und somit numerische Beschreibungen der Abbildung \maabb {} {{\mathbb K}^2 \cong E} {{\mathbb K} } {,} womit wir die partiellen Ableitungen bezüglich der gewählten Basen berechnen können.
In der ersten Basis ist die Identifikation gegeben durch die Abbildung
\mathdisp {(s,t) \longmapsto s v_1 + t v_2 = s(0,5,2) + t (5,0,3)=(5t,5s,2s + 3t)} { }
und dieser Ausdruck wird durch $f$ abgebildet auf
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{ 2(5t)(5s)^2+(5t)^2(2s+3t)^3+(2s+3t)^2
}
{ =} { \zeilemitteil { 250ts^2+25 t^2(8s^3+36s^2t+ 54 st^2+ 27t^3) } {+ 4 s^2+ 9t^2 + 12st} }
{ =} { \zeilemitteil { 250ts^2 + 200s^3t^2 +900s^2t^3+1350st^4 } {+ 675 t^5+ 4s^2+9 t^2+ 12st} }
{ } { \zeilemitteil {
} {} }
{ } { \zeilemitteil {
} {} }
}
{}{}{.}
Die partiellen Ableitungen dieser Komposition
\zusatzklammer {nennen wir sie $g$} {} {}
bezüglich dieser Basis sind gegeben durch
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ \partial g / \partial s
}
{ =} {500ts+ 600s^2 t^2+1800st^3 + 1350 t^4 + 8s + 12 t
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
und
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ \partial g / \partial t
}
{ =} {250s^2+ 400s^3t + 2700s^2 t^2+ 5400 s t^3+ 3375 t^4 + 18 t + 12s
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
In der zweiten Basis
\mathl{w_1=(1,1,1)}{} und
\mathl{w_2=(2,-3,0)}{} ist die Identifikation gegeben durch
\mathdisp {(r,u) \longmapsto r w_1 + u w_2 = r(1,1,1)+u(2,-3,0)=(r+2u,r-3u,r)} { }
und dieser Ausdruck wird unter $f$ abgebildet auf
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{2(r+2u)(r-3u)^2+(r+2u)^2 r^3+ r^2
}
{ =} { \zeilemitteil {2 r^3 + 4 r^2u - 12 r^2u - 24 ru^2 } {} }
{ =} { \zeilemitteil {2r^3-8r^2u-6ru^2+36u^3+r^5+4r^4u } {} }
{ } { \zeilemitteil {} {} }
{ } { \zeilemitteil {} {} }
}
{}{}{.}
Die partiellen Ableitungen der Komposition
\zusatzklammer {nennen wir sie $h$} {} {}
bezüglich dieser Basis sind
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ \partial h / \partial r
}
{ =} { 6r^2 - 16 ru -6u^2 + 5 r^4 +16 r^3u + 12 r^2u^2 + 2r
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{}
und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \partial h / \partial u
}
{ =} { -8 r^2 - 12 ru + 108 u^2 + 4 r^4 + 8 r^3 u
}
{ } {
}
{ } {
}
{ } {
}
}
{}{}{.}
Fazit: Koordinaten sind manchmal gut für Berechnungen, manchmal verdunklen sie aber auch den eigentlichen mathematischen Sachverhalt.
}