Kurs:Topologie (Osnabrück 2008-2009)/Vorlesung 19

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Der Satz von Seifert und van Kampen

Gegeben ein wegzusammenhängender topologischer Raum mit Basispunkt und wegzusammenhängende Unterräume mit , so liegt die Frage nahe, inwieweit die Fundamentalgruppe von durch die Fundamentalgruppen von und bestimmt ist. Als Beispiel diene die Einpunktvereinigung . In diesem Fall ist es plausibel, dass die Elemente von zum Beispiel so aussehen:

wobei der Erzeuger der Fundamentalgruppe der linken und der Erzeuger der Fundamentalgruppe der rechten ist. Um dies zu präzisieren, ist ein algebraischer Exkurs über freie Produkte von Gruppen erforderlich.













Satz ((Seifert-van Kampen)  

Es sei ein topologischer Raum, der durch weg-zusammenhängende offene Teilmengen überdeckt ist. Es sei der Basispunkt.

  1. Ist wegzusammenhängend für alle , so ist der kanonische Gruppenhomomorphismus
    surjektiv.
  2. Ist wegzusammenhängend für alle , so ist der Kern von die normale Untergruppe, die von Elementen der Form

    erzeugt ist. Hierbei ist

    die kanonische Einbettung.

Beweis  

Es sei eine Schleife an . Dann gibt es eine Unterteilung des Intervalls derart, dass . Insbesondere ist . Verbinde mit über einen Weg , der ganz in liegt. Dann ist homotop relativ zu der Schleife, die durch Einfügen von an jeder Stelle entsteht. Letztere ist im Bild der kanonischen Abbildung .

Es sei nun ein Wort im Alphabet , also , wobei Schleife in an . Es sei , und wähle eine Nullhomotopie . Wegen der Kompaktheit von existiert eine Zerlegung von in Rechtecke derart, dass

  1. ,
  2. jeder Punkt aus in höchstens dreien dieser Rechtecke liegt und
  3. die durch die Rechtecke gegebene Unterteilung von feiner ist als die Unterteilung, die durch gegeben ist.

Jeder Weg in von einem Punkt zu einem Punkt liefert eine Schleife in an , nach Komposition mit . Es sei der Weg, der die Rechtecke mit (lexikographische Ordnung) von den übrigen trennt. Um aus jedem Weg ein Wort im Alphabet zu erhalten, wähle zu jeder Ecke in der Unterteilung von mit einen Weg von zu , der

  1. ganz im Schnitt der drei 's liegt, die enthalten, sofern im Innern von liegt, oder,
  2. falls , im Schnitt der zwei 's, die enthalten, mit dem , welches enthält, liegt.

Einfügen von an der Stelle liefert einen zu dem Weg homotopen Weg. Diesen Weg kann man auf verschiedene Arten als Wort im Alphabet interpretieren. Die Variation besteht darin, ein Teilstück, welches ja nach Konstruktion nach abgebildet wird, einmal als Weg in oder als Weg in aufzufassen. Der durch bestimmte Weg ist homotop zu seinem Nachfolger, wobei die Homotopie gerade in liegt - sie ist durch das Rechteck gegeben. Es folgt, dass der vorgegebene Weg im beschriebenen Normalteiler liegt.



Beispiel  

Es sei die Einpunkt-Vereinigung von zwei Kopien der , punktiert an . Es sei . Dann sind homotopieäquivalent zu , also wegzusammenhängend. Und ist zusammenziehbar, also auch wegzusammenhängend. Nach dem Satz von Seifert-van Kampen ist der kanonische Gruppenhomomorphismus

also surjektiv. Da nur zwei offene Mengen in der Überdeckung auftauchen, ist die Bedingung an dreifache Schnitte automatisch erfüllt, und der Kern von ist nach dem Satz von Seifert-van Kampen erzeugt durch Äquivalenzklassen von Wörtern, deren Elemente aus der trivialen Gruppe stammen, also selbst trivial. Somit ist auch injektiv, und demnach ein Isomorphismus. Die Fundamentalgruppe von ist somit die überaus reichhaltige freie Gruppe auf zwei Erzeugern.

Das Argument läßt sich auf eine Einpunkt-Vereinigung von beliebig vielen wegzusammenhängenden und lokal zusammenziehbaren Räumen anwenden.



Beispiel  

Es sei der Torus, offen überdeckt durch und eine kleine offene Kugel um . Dann ist homotopieäquivalent zu , also wegzusammenhängend, und ist zusammenziehbar, also auch wegzusammenhängend. Der Schnitt ist homotopieäquivalent zu , demnach ist der Satz von Seifert-van Kampen anwendbar. Der kanonische Gruppenhomomorphismus

ist also surjektiv. Da nur zwei offene Mengen in der Überdeckung auftauchen, ist die Bedingung an dreifache Schnitte automatisch erfüllt, und der Kern von ist nach dem Satz von Seifert-van Kampen erzeugt durch Äquivalenzklassen von Wörtern, deren Elemente aus der Gruppe stammen. Nun reicht es offensichtlich, ein erzeugendes Element von zu betrachten. Das Bild in ist natürlich trivial, und das Bild in ist das Produkt , wenn den die Erzeuger passend gewählt sind. Der Kern von ist also gerade der Kommutator, und die Fundamentalgruppe von ist isomorph zur freien abelschen Gruppe auf zwei Erzeugern.



Beispiel  

Es sei ein reguläres -Eck. Identifiziere die erste mit der dritten, die zweite mit der vierten, die fünfte mit der siebten Kante und so weiter, wobei der Endpunkt der ersten mit dem Anfangspunkt der dritten usw. verklebt wird. Das Resultat ist die orientierbare Fläche vom Geschlecht . Das Resultat im Falle sieht so aus:

Die Fundamentalgruppe bestimmt man mit Hilfe des Satzes von Seifert-van Kampen wie schon beim Torus. Es sei und eine kleine offene Kugel um . Dann ist homotopieäquivalent zu , also wegzusammenhängend, und ist zusammenziehbar, also auch wegzusammenhängend. Der Schnitt ist homotopieäquivalent zu , also wieder wegzusammenhängend. Der kanonische Gruppenhomomorphismus

ist also surjektiv. Es seien die durch die Kanten gegebenen Erzeuger von . Der Kern von ist der vom Produkt
erzeugte Normalteiler. Insbesondere ist nicht abelsch für .


Beispiel  

Auch nichtorientierbare Flächen lassen sich mit Satz von Seifert-van Kampen verarzten. Es sei etwa gegeben als Quotientenraum von gemäß folgenden Identifikationen:

Die Fundamentalgruppe ist - wie wir schon wissen - die Gruppe erzeugt von der Schleife mit der Relation . Die [[[w:en:Klein_bottle|Klein'sche Flasche]]] ist Quotientenraum von gemäß folgenden Identifikationen:

Die Fundamentalgruppe der Klein'schen Flasche ist die Gruppe erzeugt von den Schleifen mit der Relation . Jede andere nichtorientierbare Fläche erhält man aus der reell projektiven Ebene bzw. der Klein'schen Flasche, indem man Henkel anklebt.


Es ist tatsächlich möglich, folgenden Satz über die Klassifikation von Flächen, also zweidimensionalen topologischen Mannigfaltigkeiten, zu beweisen. Der Beweis ist aber aufwendig.


Satz

Zwei kompakte zusammenhängende zweidimensionale topologische Mannigfaltigkeiten sind schon dann topologisch äquivalent, wenn ihre Fundamentalgruppen isomorph sind.




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