Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 52/latex

Aus Wikiversity

\setcounter{section}{52}




\inputbeispiel{}
{






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {1 durch Ln.svg} }
\end{center}
\bildtext {Die Fasern der Abbildung \mathlk{(x,y) \mapsto x^y}{} für
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{c }
{ = }{e }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} (rot) und
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{c }
{ = }{-e }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} (grün).} }

\bildlizenz { 1 durch Ln.svg } {} {MGausmann} {Commons} {CC-by-sa 4.0} {}

Wir betrachten die \definitionsverweis {Abbildung}{}{} \maabbeledisp {\varphi} {\R_+ \times \R} { \R } {(x,y)} { x^y } {} und knüpfen an Beispiel ***** an. Der einzige \definitionsverweis {kritische Punkt}{}{} ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ = }{(1,0) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} ansonsten ist die Abbildung in jedem Punkt regulär und daher lassen sich lokal die \definitionsverweis {Fasern}{}{} als Graphen beschreiben. Die Faser über $1$ besteht aus der durch
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ = }{1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gegebenen Geraden und der durch
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{y }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gegebenen Halbgeraden, die sich im kritischen Punkt senkrecht schneiden. Ansonsten sind die Fasern durch die Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ x^y }
{ =} { c }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit einem
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{c }
{ \in }{ \R_+ }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{c }
{ \neq }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} bestimmt \zusatzklammer {für nichtpositives $c$ sind die Fasern leer} {} {.} Wir schreiben diese Bedingung als
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ e^{ ( \ln x ) y } }
{ = }{c }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und daher als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ ( \ln x ) y }
{ =} { \ln c }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Wegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ \neq }{1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} kann man dies zu
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ y }
{ = }{ { \frac{ \ln c }{ \ln x } } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} auflösen und wegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ y }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} zu
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x }
{ =} { e^{ { \frac{ \ln c }{ y } } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Die Faser besteht jeweils aus zwei Komponenten, die
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ > }{1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} bzw.
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ < }{1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} entsprechen.


}






\zwischenueberschrift{Der Satz über die injektive Abbildung}

Als ein weiteres Korollar aus dem Satz über die Umkehrabbildung besprechen wir die Situation, wo das totale Differential injektiv ist.





\inputfaktbeweis
{Satz über die injektive Abbildung/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es seien \mathkor {} {V} {und} {W} {} \definitionsverweis {endlichdimensionale}{}{} \definitionsverweis {reelle Vektorräume}{}{,} sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{G }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{} und sei \maabbdisp {\varphi} {G} {W } {} eine \definitionsverweis {stetig differenzierbare Abbildung}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{G }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt,}
\faktvoraussetzung {in dem das \definitionsverweis {totale Differential}{}{}
\mathl{\left(D\varphi\right)_{P}}{} \definitionsverweis {injektiv}{}{} sei.}
\faktfolgerung {Dann gibt es eine \definitionsverweis {offene Umgebung}{}{} $U$,
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{U }
{ \subseteq }{G }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} derart, dass
\mathl{\varphi {{|}}_{U}}{} injektiv ist.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \dim_{ } { \left( V \right) } }
{ = }{ k }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \dim_{ } { \left( W \right) } }
{ = }{ n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{B }
{ = }{ { \left( D\varphi \right) }_{P} { \left( V \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} das \definitionsverweis {Bild}{}{} des totalen Differentials
\mathl{\left(D\varphi\right)_{P}}{.} Nach Lemma 12.5  (1) ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ B }
{ \subseteq }{ W }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {Untervektorraum}{}{} der Dimension
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \dim_{ } { \left( B \right) } }
{ = }{ k }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Wir ergänzen eine \definitionsverweis {Basis}{}{} von $B$ durch
\mathl{w_1 , \ldots , w_{n-k}}{} zu einer Basis von $W$ und setzen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ C }
{ = }{ \langle w_1 , \ldots , w_{n-k} \rangle }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Wir betrachten die Abbildung \maabbeledisp {\psi} {G \times C} {W } {(v,w)} { \varphi(v) +w } {,} wobei links und rechts zwei $n$-dimensionale Vektorräume stehen. Diese Abbildung kann man als die \definitionsverweis {Hintereinanderschaltung}{}{}
\mathdisp {G \times C \stackrel{\varphi \times \operatorname{Id}_C \, }{\longrightarrow} W \times C \stackrel{+}{ \longrightarrow} W} { }
auffassen. Daher ist die Gesamtabbildung \definitionsverweis {stetig differenzierbar}{}{} und das totale Differential ist
\mathl{\left(D\varphi\right)_{P} + i_C}{,} wobei \maabb {i_C} {C} {W } {} die lineare Einbettung des Unterraums ist. Dieses totale Differential ist \definitionsverweis {surjektiv}{}{} im Punkt
\mathl{(P,0)}{,} da sowohl $B$ als auch $C$ zum Bild gehören, und somit \definitionsverweis {bijektiv}{}{.} Wir können also den Satz über die Umkehrabbildung anwenden und erhalten \definitionsverweis {offene Mengen}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U_1 }
{ \subseteq }{ G \times C }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U_2 }
{ \subseteq }{ W }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart, dass
\mathl{(\varphi \times \operatorname{Id}_C) {{|}}_{U_1}}{} ein \definitionsverweis {Diffeomorphismus}{}{} zwischen \mathkor {} {U_1} {und} {U_2} {} ist. Dies können wir einschränken auf eine offene Menge der Form
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U_3 \times U_4 }
{ \subseteq }{ U_1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ U_3 }
{ \subseteq }{ G }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ 0 }
{ \in }{ U_4 }
{ \subseteq }{ C }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann ist die Abbildung \maabbdisp {\varphi {{|}} _{U_3}} {U_3} {W } {} \definitionsverweis {injektiv}{}{,} da dies die \definitionsverweis {Hintereinanderschaltung}{}{}
\mathdisp {U_3 \longrightarrow U_3 \times U_4 \longrightarrow U_2 \subseteq W} { }
mit
\mathl{Q \mapsto (Q,0)}{} ist.

}







\zwischenueberschrift{Vektorfelder}

Wir kehren nun zu \stichwort {gewöhnlichen Differentialgleichungen} {} zurück, wobei wir im Unterschied zu den beiden Vorlesungen 37 und 38 erlauben, dass die Lösungskurven Kurven in einem höherdimensionalen Vektorraum sind. Mit gewöhnlich wird ausgedrückt, dass die Definitionsmengen der Lösungen eindimensional sind \zusatzklammer {Differentialgleichungen, deren Lösungen eine höherdimensionale Definitionsmenge ist, heißen \stichwort {partielle Differentialgleichungen} {}} {} {.} Wir werden zuerst beschreiben, welche Daten eine gewöhnliche Differentialgleichung auszeichnen und dann einen allgemeinen Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lösung beweisen, den \stichwort {Satz von Picard-Lindelöf} {.} Später werden wir uns hauptsächlich auf lineare Differentialgleichungssysteme beschränken.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles}{}{} \definitionsverweis {Intervall}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{.} Dann nennt man eine \definitionsverweis {Abbildung}{}{} \maabbeledisp {f} {I \times U} {V } {(t,x)} {f(t,x) } {,} ein \definitionswort {Vektorfeld}{} \zusatzklammer {auf $U$} {} {.}

}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {VectorField.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { VectorField.svg } {} {Jim.belk} {Commons} {PD} {}

Die übliche physikalische Interpretation ist hierbei, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Zeit repräsentiert,
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} den Ort und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(t,x) }
{ \in }{ V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} einen Vektor, der zum Zeitpunkt $t$ an den Ortspunkt $v$ angeheftet ist und dort eine Richtung vorgibt. Manchmal spricht man auch von einem \stichwort {Richtungsfeld} {.} Im physikalischen Kontext werden die Vektoren als Geschwindigkeitsvektoren, als Kraftvektoren oder als Beschleunigungsvektoren interpretiert.

Wenn das Vektorfeld nicht von $t$ abhängt, so spricht man von einem \stichwort {zeitunabhängigen} {} oder \stichwort {autonomen Vektorfeld} {.}






\zwischenueberschrift{Gewöhnliche Differentialgleichungen}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Dann nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{v' }
{ =} { f(t,v) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {gewöhnliche Differentialgleichung}{} \zusatzklammer {oder \definitionswort {gewöhnliches Differential\-gleichungssystem}{}} {} {} zum \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} $f$.

}

\zusatzklammer {Zeitabhängige} {} {} Vektorfelder und gewöhnliche Differentialgleichungssysteme sind im Wesentlichen äquivalente Objekte. Man spricht auch von einem \stichwort {dynamischen System} {.} Von Differentialgleichungen spricht man insbesondere dann, wenn man sich für die Lösungen im Sinne der folgenden Definition interessiert.




\inputdefinition
{ }
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Zur \definitionsverweis {gewöhnlichen Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{v' }
{ =} {f(t,v) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} heißt eine \definitionsverweis {Abbildung}{}{} \maabbeledisp {v} {J} {V } {t} {v(t) } {,} auf einem \definitionsverweis {offenen (Teil)Intervall}{}{\zusatzfussnote {Rein formal gesehen ist hier auch das leere Intervall zugelassen, wobei diese \anfuehrung{leere Lösung}{} natürlich uninteressant ist. Bei einem Anfangswertproblem sichert bereits die Anfangsbedingung, dass die Lösung nicht leer ist} {.} {}}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{J }
{ \subseteq }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionswort {Lösung der Differentialgleichung}{,} wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind. \aufzaehlungdrei{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v(t) }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{J }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Die Abbildung $v$ ist \definitionsverweis {differenzierbar}{}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ v'(t) }
{ = }{ f(t,v(t)) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{J }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }

}

Eine Lösung ist also eine \definitionsverweis {differenzierbare Kurve}{}{,} d.h. eine \zusatzklammer {orts} {-} {}vektorwertige Abbildung \maabbeledisp {v} {J} {V } {t} {v(t) } {.} Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{V }
{ = }{ \R^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, so wird eine solche Abbildung durch ihre Komponenten
\mathdisp {(v_1(t) , \ldots , v_n(t))} { }
beschrieben. Ebenso wird das Vektorfeld durch $n$, von \mathkor {} {t} {und} {v=(v_1 , \ldots , v_n)} {} abhängige Funktionen
\mathl{(f_1 , \ldots , f_n)}{} beschrieben. Die Differentialgleichung lautet dann ausgeschrieben
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \begin{pmatrix} v_1' \\\vdots\\ v_n' \end{pmatrix} }
{ =} { \begin{pmatrix} f_1(t,v_1 , \ldots , v_n) \\\vdots\\ f_n(t,v_1 , \ldots , v_n) \end{pmatrix} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Daher spricht man auch von einem \stichwort {Differentialgleichungssystem} {.}

Häufig soll eine Kurve nicht nur eine Differentialgleichung erfüllen, sondern sich zusätzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befinden. Dies führt zum Begriff des Anfangswertproblems.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t_0,w) }
{ \in }{ I \times U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gegeben. Dann nennt man
\mathdisp {v'=f(t,v) \text{ und } v(t_0)=w} { }
das \definitionswort {Anfangswertproblem}{} zur \definitionsverweis {gewöhnlichen Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v' }
{ = }{f(t,v) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit der \definitionswort {Anfangsbedingung}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ v(t_0) }
{ = }{ w }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t_0,w) }
{ \in }{ I \times U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} vorgegeben. Dann nennt man eine \definitionsverweis {Abbildung}{}{} \maabbeledisp {v} {J} {V } {t} {v(t) } {,} auf einem \definitionsverweis {Intervall}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{J }
{ \subseteq }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t_0 }
{ \in }{J }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionswort {Lösung des Anfangswertproblems}{}
\mathdisp {v'=f(t,v) \text{ und } v(t_0)=w} { , }
wenn $v$ eine \definitionsverweis {Lösung der Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v' }
{ = }{ f(t,v) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist und wenn zusätzlich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ v(t_0) }
{ =} { w }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gilt.

}






\zwischenueberschrift{Lipschitz-Bedingungen}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {RLipschitz.jpeg} }
\end{center}
\bildtext {Rudolf Lipschitz (1832-1903)} }

\bildlizenz { RLipschitz.jpeg } {} {Ahellwig} {Commons} {PD} {}

Für den Satz von Picard-Lindelöf wird die Voraussetzung wesentlich sein, dass das Vektorfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung genügt.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Man sagt, dass das Vektorfeld $f$ einer \definitionswort {Lipschitz-Bedingung}{} genügt, wenn es eine \definitionsverweis {reelle Zahl}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{L }
{ \geq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Vert {f(t,u)-f(t,v)} \Vert }
{ \leq} { L \cdot \Vert {u-v} \Vert }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ u ,v }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gibt.

}

Die reelle Zahl $L$ nennt man auch eine \stichwort {Lipschitz-Konstante} {} für das Vektorfeld $f$.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} \definitionsverweis {reeller Vektorraum}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {V } {(t,v)} {f(t,v) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$. Man sagt, dass das Vektorfeld $f$ \definitionswort {lokal}{} einer \definitionswort {Lipschitz-Bedingung}{} genügt, wenn es zu jedem Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t,v) }
{ \in }{ I \times U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Umgebung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ (t,v) }
{ \in} { I' \times U' }
{ \subseteq} { I \times U }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} derart gibt, dass das auf
\mathl{I' \times U'}{} eingeschränkte Vektorfeld einer \definitionsverweis {Lipschitz-Bedingung}{}{} genügt.

}

Die folgende Aussage liefert ein wichtiges und leicht überprüfbares hinreichendes Kriterium, wann ein Vektorfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung genügt.




\inputfaktbeweis
{Vektorfeld/Stetig partiell differenzierbar in Raumrichtung/Lokal Lipschitz Bedingung/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {reelles}{}{} \definitionsverweis {offenes Intervall}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {offene Menge}{}{} und \maabbeledisp {f} {I\times U} {\R^n } { (t,v_1 , \ldots , v_n)} { f(t,v_1 , \ldots , v_n) } {,} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $U$ derart,}
\faktvoraussetzung {dass die \definitionsverweis {partiellen Ableitungen}{}{} nach $v_j$ existieren und \definitionsverweis {stetig}{}{} sind.}
\faktfolgerung {Dann genügt $f$ \definitionsverweis {lokal einer Lipschitz-Bedingung}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ = }{ (t,v) }
{ = }{ (t,v_1 , \ldots , v_n) }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt in
\mathl{I \times U}{} und sei
\mathdisp {U { \left( t,\epsilon \right) } \times U { \left( v,\epsilon \right) }} { }
eine offene Umgebung von $P$ innerhalb von
\mathl{I \times U}{} derart, dass auch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ B }
{ =} { B \left( t,\epsilon \right) \times B \left( v,\epsilon \right) }
{ \subseteq} { I \times U }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist. Dieses $B$ ist eine \definitionsverweis {abgeschlossene Umgebung}{}{} von $P$ und daher \definitionsverweis {kompakt}{}{.} Da die partiellen Ableitungen
\mathl{{ \frac{ \partial f_i }{ \partial v_j } }}{} nach Voraussetzung \definitionsverweis {stetig}{}{} sind, gibt es nach Satz 22.7 eine gemeinsame Schranke
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ c }
{ \in }{ \R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Vert { { \frac{ \partial f_i }{ \partial v_j } } (Q)} \Vert }
{ \leq} { c }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Q }
{ \in }{ B }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Daher gibt es für die Matrizen
\mathl{{ \left( { \frac{ \partial f_i }{ \partial v_j } } (Q) \right) }_{1 \leq i,j \leq n}}{} eine Schranke $L$ mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Vert { { \left( { \frac{ \partial f_i }{ \partial v_j } } (Q) \right) }_{1 \leq i,j \leq n} } \Vert }
{ \leq} {L }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Man kann daher zu jedem festen Zeitpunkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ s }
{ \in }{ U { \left( t,\epsilon \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Lemma 49.3 anwenden und erhält für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ u,u' }
{ \in }{ U { \left( v,\epsilon \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Abschätzung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Vert {f(s,u)-f(s,u')} \Vert }
{ \leq} { L \cdot \Vert { u - u'} \Vert }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}

}




<< | Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)