Kurs:Paläographie/Übung 2/Lösungen

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Aufgabe 1: Transkription[Bearbeiten]

1a)[Bearbeiten]

Vergleiche meine Transkription mit der Handschrift. Welche Veränderungen fallen Dir auf?

Wie sol ich den ritter nv gescheiden. vnd
dc vil schone wib. die dike bi ein an
dern waren e. den rat ich an rehten triv
wen beiden. vnd vf ir selber lib. das si sich
scheiden vnd er dannen ge. masse ist zallen
dingen gvot.
  • keine Unterscheidung zwischen s (Rund-s) und ſ (Schaft-s), z.B. sol statt ſol. Die Bildausschnitte unten (aus den anderen Strophen) zeigen beide s-Formen im Vergleich.
  • Nasalstriche wurden aufgelöst (dreimal vnd, je einmal dannen, zallen)
  • die Punkte, die das Versende markieren, stehen in der Handschrift mittig, nicht auf der Grundlinie

1b)[Bearbeiten]

Bl. 28v mit dem Lied Wie sol ich den ritter

Transkribiere den Rest des Liedes, und formatiere ihn so, dass jeder Vers eine Zeile bildet.

Auf eine Unterscheidung zwischen Schaft-s und Rund-s kommt es nicht an.

Achte aber spaßeshalber auf "u" und "v" (siehe 1d).

Die Strophen sind hier mit 19C ff. bezeichnet. Die Manessische Handschrift trägt in der Minnesangforschung die Sigle C; im Abschnitt Ottos von Botenlouben bilden die Strophen 19-21 unser Tagelied.

19C

Wie sol ich den ritter nv gescheiden
vnd dc vil schone wib
die dike bi ein andern waren e
den rat ich an rehten trivwen beiden
vnd uf ir selber lib
das si sich scheiden vnd er dannen ge
masse ist zallen dingen guot
lib vnd ere ist vnbehvot
ob man iht langer lit
ich ensinge eht anders niht wan es ist zit

20C

Din kuslich munt din lip clar vnd svesse
din drvken an die brvst
din vmbevahen tvont mich hie betagen
das ich noch bi dir betagen mvesse
ane aller froeiden flust
so dc geschiht so endvrfen wir niht klagen.
din minne ist gar ein zange mir
si klembert mich ich mvos zuo dir
gienge es mir an den lib
dich enlat der tag dc klage ich sendes wib

21C

Hoerest dv fruint den wachter an der zinnen
wes vns sin sang vergiht
wir mvessen vns nv scheiden lieber man
alsus muost dv leider von mir hinnen
o we mir der geschiht
dc vns dui naht so fluehteklich entran
naht git senfte we tuot tag
o we herzeliep ine mag
din wol vergessen niet
uns nimt die froeide gar des wahters liet

1c)[Bearbeiten]

Gelegentlich verwendet die Handschrift Nasalstriche und r-Häkchen.

Lös diese Abkürzungen in Deiner Transkription auf, wenn Du magst, aber bring die r-Häkchen nicht mit übergeschriebenen Vokalen durcheinander!

In der dritten Strophe, zweite Zeile, findest Du ein r-Häkchen als Beispiel. Es ist eine Zickzacklinie, ein "kleiner Blitz", und steht hier für "-er-".

1d)[Bearbeiten]

Der Vokal "u" wird in der Hs. mit den Schriftzeichen "u" oder "v" wiedergegeben. Wieviele Schriftzeichen "u" findest Du in jeder Strophe?

  • einmal in der zweiten Strophe
  • fünfmal in der dritten Strophe

1e)[Bearbeiten]

Hast Du die zwei verschiedenen Formen des r (mal abgesehen vom Häkchen) erkannt?

Neben dem r mit dem geraden Schaft gibt es ein rundes r, bei dem der Schaft gebogen ist. Es wird verwendet, wenn der vorausgehende Buchstabe (im Beispielbild ein d bzw. b) ebenfalls einen Bogen besitzt, der auf das r gerichtet ist.

Aufgabe 2: Vergleich mit der Edition[Bearbeiten]

Vergleiche Deine Transkription mit der Fassung in Wikisource s:Wie sol ich den ritter. Beschreibe die Unterschiede!

  • Die Reihenfolge der Strophen ist anders: 19C - 21C - 20C
  • Einzelne Wörter sind anders, außerdem ist die Schreibung nicht immer gleich.
  • Bei Wikisource enden die Strophen jeweils mit der Aufforderung des Sängers an den Ritter, aufzustehen. In unserer Handschrift C fehlt diese Zeile jeweils.

Aufgabe 3: Textverständnis[Bearbeiten]

3a)[Bearbeiten]

Versuch, die Wörter der erste Strophe in ihre neuhochdeutsche Form zu bringen. Lass Wörter, die Du nicht verstehst, einfach stehen. Es geht hier nicht um eine Übersetzung, sondern nur um die Veränderung der schriftlichen und lautlichen Form! Hier folgen gleich alle drei Strophen:

19C

Wie - soll - ich - den - Ritter - nun - gescheiden?
und - das - viel - schöne - Weib
die - dick? - bei - einander - waren - eh?
denen - rate - ich - an - rechten - Treuen - beiden
und - auf - ihren - selber - Leib
dass - sie - sich - scheiden - und - er - dannen - gehe
Maße - ist - zu allen - Dingen - gut
Leib - und - Ehre - ist - unbehütet
ob - man - icht? - länger - liegt
ich - ensinge? - echt? - anders - nicht - wann - es - ist - Zeit

20C

Dein - küsslich? - Mund - dein - Leib - klar - und - süß
Dein - Drücken - an - die - Brust
Dein - umbevahen? - tunt? - mich - hier - betagen?
dass - ich - noch - bei - Dir - betagen? - müsse
an? - aller - Freuden - flust?
so - dass - geschieht - so - endürfen? - wir - nicht - klagen
Deine - Minne - ist - gar - eine - Zange - mir
sie - klembert? - mich - ich - muss - zu - dir
Ginge - es - mir - an - den - Leib
dich - enlat? - der - Tag - das - klage - ich - sendes? - Weib

21C

Hörst - Du - Freund - den - Wächter - an - der - Zinne
was? - uns - sein - sang - vergeht?
wir - müssen - uns - nun - scheiden - lieber - Mann
also - musst - Du - leider - von - mir - hinnen?
oh - weh - mir - der - Geschichte?
dass - uns - die - Nacht - so - flüchtiglich - entrann
Nacht - gibt - Sänfte? - weh - tut - Tag
oh - weh - Herzlieb - ich-nicht - mag
Dein - wohl - vergessen - nicht
uns - nimmt - die - Freude - gar - des - Wächters - Lied

Das ist nun natürlich noch sehr krude, und da sind noch so einige Fragezeichen im Text. Bei einigen Wörtern fängt man an zu raten (vergiht => vergeht?), bei anderen weiß man nicht einmal mehr, was man da raten soll (enlat???).

Erstens: keine Panik, zweitens gibt es Wörterbücher. :-) Bevor wir den Text ein zweites Mal durchgehen und unklare Wörter nachschlagen, versuchen wir erst einmal ein ganz grobes Vorverständnis zu erhalten.

3b)[Bearbeiten]

Die Strophen verteilen sich auf den Wächter und das Liebespaar. Verstehst Du die ungefähre Aussage jeder Person?

Wer spricht welche Strophe? Fällt Dir ein Grund ein, warum die veränderte Reihenfolge der Strophen (in der Edition) mehr Sinn ergibt als die Anordnung in der Handschrift?


3c)[Bearbeiten]

Wörter nachschlagen

Wie soll ich den Ritter nun gescheiden(?)
und das viel schöne Weib
  • vil "sehr (zur steigerung von adj. u. adv.)"
  • wîp weib, allgem. u. zwar: gegens. zu [Mann]
  • gescheiden – tr. scheiden, trennen
Wie soll ich den Ritter nun trennen
und die wunderschöne (sehr schöne) Frau
die dick? bei einander waren eh?
  • dicke "dicht, dick" oder "oft, häufig"
  • ê "früher"
die vorher eng bei einander waren
denen - rate - ich - an - rechten - Treuen - beiden
und - auf - ihren - selber - Leib
dass - sie - sich - scheiden - und - er - dannen - gehe
Maße - ist - zu allen - Dingen - gut
Leib - und - Ehre - ist - unbehütet
ob - man - icht? - länger - liegt
ich - ensinge? - echt? - anders - nicht - wann - es - ist - Zeit
  • triuwe
  • lîb
  • mâze
  • êre
  • ob
  • iht/eht
  • wan
(provisorische Übertragung) Den beiden rate ich in aller Treue
und um ihrer Leben willen,
dass sie sich trennen und er (von dannen) fort gehe.
Maßhalten ist in jeder Hinsicht gut.
Leben und Ehre sind nicht sicher,
wenn man noch länger liegen bleibt.
Ich singe nichts anderes als: Es ist Zeit!

20C

Dein - küsslich? - Mund - dein - Leib - klar - und - süß
Dein - Drücken - an - die - Brust
Dein - umbevahen? - tunt? - mich - hier - betagen?
dass - ich - noch - bei - Dir - betagen? - müsse
ohne! - aller - Freuden - flust?
so - dass - geschieht - so - endürfen? - wir - nicht - klagen
Deine - Minne - ist - gar - eine - Zange - mir
sie - klembert? - mich - ich - muss - zu - dir
Ginge - es - mir - an - den - Leib
dich - enlat? - der - Tag - das - klage - ich - sendes? - Weib

21C

Hörst - Du - Freund - den - Wächter - an - der - Zinne
was? - uns - sein - sang - vergeht?
wir - müssen - uns - nun - scheiden - lieber - Mann
also - musst - Du - leider - von - mir - hinnen?
oh - weh - mir - der - Geschichte?
dass - uns - die - Nacht - so - flüchtiglich - entrann
Nacht - gibt - Sänfte? - weh - tut - Tag
oh - weh - Herzlieb - ich-nicht - mag
Dein - wohl - vergessen - nicht
uns - nimmt - die - Freude - gar - des - Wächters - Lied