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Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil I/Vorlesung 3

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Körper

Wir werden nun die Eigenschaften der reellen Zahlen besprechen. Grundlegende Eigenschaften von mathematischen Strukturen werden als Axiome bezeichnet. In der Mathematik werden sämtliche Eigenschaften aus den Axiomen logisch abgeleitet. Die Axiome für die reellen Zahlen gliedern sich in algebraische Axiome, Anordnungsaxiome und das Vollständigkeitsaxiom. Die algebraischen Axiome werden im Begriff des Körpers zusammengefasst. Unter algebraischen Eigenschaften versteht man solche Eigenschaften, die sich auf die Rechenoperationen, also die Addition, die Subtraktion, die Multiplikation und die Division, beziehen. Diese Operationen ordnen zwei reellen Zahlen eine weitere reelle Zahl zu, es handelt sich also um Verknüpfungen.


Eine Menge heißt ein Körper, wenn es zwei Verknüpfungen (genannt Addition und Multiplikation)

und zwei verschiedene Elemente gibt, die die folgenden Eigenschaften erfüllen.

  1. Axiome der Addition
    1. Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
    2. Kommutativgesetz: Für alle gilt .
    3. ist das neutrale Element der Addition, d.h. für alle ist .
    4. Existenz des Negativen: Zu jedem gibt es ein Element mit .
  2. Axiome der Multiplikation
    1. Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
    2. Kommutativgesetz: Für alle gilt .
    3. ist das neutrale Element der Multiplikation, d.h. für alle ist .
    4. Existenz des Inversen: Zu jedem mit gibt es ein Element mit .
  3. Distributivgesetz: Für alle gilt .

Dass all diese Axiome für die reellen Zahlen (und die rationalen Zahlen) mit den natürlichen Verknüpfungen gelten, ist aus der Schule bekannt. Das heißt nicht, dass sie dort bewiesen wurden. Unter Verwendung des Gruppenbegriffs kann man auch sagen, dass ein Körper eine Menge mit zwei Verknüpfungen und und zwei fixierten Elementen ist, derart, dass und jeweils kommutative Gruppen[1] sind und dass das Distributivgesetz gilt. Daher gelten für die Addition und die Multiplikation häufig strukturell ähnliche Eigenschaften. Da wir in dieser Vorlesung die Gruppentheorie nicht systematisch entwickeln werden, ist das nur eine Nebenbemerkung.

In einem Körper gilt die Klammerkonvention, dass die Multiplikation stärker bindet als die Addition. Man kann daher statt schreiben. Zur weiteren Notationsvereinfachung wird das Produktzeichen häufig weggelassen. Die besonderen Elemente und in einem Körper werden als Nullelement und als Einselement bezeichnet. Nach der Definition müssen sie verschieden sein.

Die wichtigsten Beispiele für einen Körper sind für uns die rationalen Zahlen, die reellen Zahlen und die komplexen Zahlen, die wir später kennenlernen werden. Wir nennen die Elemente eines beliebigen Körper einfach Zahlen.



In einem Körper ist zu einem Element das Element mit eindeutig bestimmt. Bei ist auch das Element mit eindeutig bestimmt.

Es sei vorgegeben und seien und Elemente mit . Dann gilt

Insgesamt ist also . Für den zweiten Teil sei mit vorgegeben. Es seien und Elemente mit . Dann ist

Also ist .


Zu einem Element nennt man das nach diesem Lemma eindeutig bestimmte Element mit das Negative von und bezeichnet es mit . Es ist , da wegen das Element gleich dem eindeutig bestimmten Negativen von ist.

Statt schreibt man abkürzend und spricht von der Differenz. Die Differenz ist also keine grundlegende Verknüpfung, sondern wird auf die Addition mit dem Negativen zurückgeführt.

Das zu , , nach diesem Lemma eindeutig bestimmte Element mit nennt man das Inverse von und bezeichnet es mit .

Für , , schreibt man auch abkürzend

Die beiden linken Ausdrücke sind also eine Abkürzung für den rechten Ausdruck.

In einem jeden Körper findet sich eine jede natürliche Zahl wieder, und zwar wird die natürliche als die des Körpers interpretiert, die natürliche wird als die des Körpers interpretiert, die natürliche wird als interpretiert, u.s.w. Die natürliche Zahl wird also als -fache Summe der (also Summanden) des Körpers mit sich selbst interpretiert. Es gibt Körper, siehe etwa Beispiel 3.3 weiter unten, bei denen diese Zuordnung nicht injektiv ist, bei denen also verschiedene natürliche Zahlen gleich interpretiert werden. Eine negative ganze Zahl (mit ) wird in einem Körper als die -fache Summe von mit sich selbst interpretiert. Zu einem Körperelement und wird als die -fache Summe von mit sich selbst interpretiert, dabei gilt (wobei diese Gleichung dann zeigt, dass der Index nicht nötig ist). Für negative Zahlen mit ist als die -fache Summe von mit sich selbst definiert.


Zu einem Körperelement und wird als das -fache Produkt von mit sich selbst (also Faktoren) definiert, und bei wird als interpretiert.

Ein „kurioser“ Körper wird im folgenden Beispiel beschrieben. Dieser Körper mit zwei Elementen ist in der Informatik und der Kodierungstheorie wichtig, wird für uns aber keine große Rolle spielen. Er zeigt, dass es nicht für jeden Körper sinnvoll ist, seine Elemente auf der Zahlengeraden zu verorten.


Wir suchen nach einer Körperstruktur auf der Menge . Wenn das neutrale Element einer Addition und das neutrale Element einer Multiplikation sein soll, so ist dadurch schon alles festgelegt, da sein muss, da ein inverses Element bezüglich der Addition besitzen muss, und da in jedem Körper nach Lemma 3.4  (1) gelten muss. Die Operationstafeln sehen also wie folgt aus.


und


Durch etwas aufwändiges Nachrechnen stellt man fest, dass es sich in der Tat um einen Körper handelt.


Die folgenden Eigenschaften sind für den Körper der reellen Zahlen vertraut, wir beweisen sie aber allein aus den Axiomen eines Körpers. Sie gelten daher für einen jeden Körper.


Es sei ein Körper und seien Elemente aus . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. (Annullationsregel).
  2. (Vorzeichenregel).

  3. Aus folgt oder (Nichtnullteilereigenschaft).
  4. (allgemeines Distributivgesetz).
  1. Es ist . Durch beidseitiges Abziehen (also Addition mit dem Negativen von ) von ergibt sich die Behauptung.
  2. nach Teil (1). Daher ist das

    (eindeutig bestimmte) Negative von . Die zweite Gleichheit folgt analog.

  3. Nach (2) ist und wegen folgt die Behauptung.
  4. Dies folgt auch aus dem bisher Bewiesenen.
  5.  Nehmen wir an, dass und beide von verschieden sind. Dann gibt es dazu inverse Elemente und und daher ist . Andererseits ist aber nach Voraussetzung und daher ist nach der Annullationsregel
     sodass sich der Widerspruch

    ergibt.

  6. Dies folgt aus einer Doppelinduktion, siehe Aufgabe 3.21.



Die rationalen Zahlen

Wir geben eine Definition der rationalen Zahlen allein unter Bezug auf die ganzen Zahlen.


Unter einer rationalen Zahl versteht man einen Ausdruck der Form

wobei und sind, und wobei zwei Ausdrücke und genau dann als gleich betrachtet werden, wenn (in ) gilt. Die Menge aller rationalen Zahlen wird mit bezeichnet.

Einen Ausdruck nennt man Bruch, wobei der Zähler und der Nenner des Bruches heißt. Eine rationale Zahl wird durch verschiedene Brüche beschrieben, beispielsweise ist . Man sagt auch, dass diese beiden Brüche gleichwertig sind. Für die rationale Zahl schreibt man einfach . In diesem Sinne sind ganze Zahlen insbesondere auch rationale Zahlen. Es gelten die folgenden Identitäten (dabei seien , ansonsten seien alle beliebig).

Die Addition und die Multiplikation auf rationalen Zahlen wird folgendermaßen festgelegt.

Man addiert also zwei rationale Zahlen, indem man die Nenner gleichnamig macht. Diese Operationen sind wohldefiniert und wie in assoziativ, kommutativ und es gilt das Distributivgesetz. Diese Eigenschaften kann man auf die entsprechenden Eigenschaften der ganzen Zahlen zurückführen, siehe Aufgabe 3.1.

Die hat wieder die Eigenschaft

und die hat wieder die Eigenschaft

Ferner gibt es wieder zu einer rationalen Zahl die negative Zahl

Sie besitzt die charakteristische Eigenschaft

Zu einer rationalen Zahl mit (also wenn Zähler und Nenner von verschieden sind) ist auch der umgedrehte Bruch eine rationale Zahl, und es gilt

Man nennt die inverse rationale Zahl zu .  Mit all diesen Festlegungen ist ein Körper.

Man kann die rationalen Zahlen auf der Zahlengeraden platzieren (die ganzen Zahlen seien dort schon platziert). Die rationale Zahl mit findet man so: Man unterteilt die Strecke von nach in gleichlange Teilstrecken. Die Zahl ist dann die rechte Grenze der (von links) ersten Teilstrecke. Insbesondere ist die Länge des Intervalls, dass -fach nebeneinander gelegt die Einheitsstrecke (oder das Einheitsintervall) ergibt.[2]

Als Punkte auf der Zahlengeraden lassen sich rationale Zahlen ihrer Größe nach vergleichen. Dabei gilt für und mit und die Beziehung

genau dann, wenn in die Beziehung

gilt. Um dies von der Zahlengerade her einzusehen, bringt man die beiden rationalen Zahlen auf den Hauptnenner, d.h. man vergleicht und . Die Größerbeziehung hängt dann, wegen positiv, allein von den beiden Zählern ab.



Die Binomialkoeffizienten

Zu einer natürlichen Zahl nennt man die Zahl

die Fakultät von (sprich Fakultät).

Bei einer -elementigen Menge gibt es bijektive Abbildungen von nach . Gleichbedeutend damit ist, dass es Möglichkeiten gibt, Objekte auf Plätze zu verteilen.


Es seien und natürliche Zahlen mit . Dann nennt man

den Binomialkoeffizienten über “.

Diesen Bruch kann man auch als

schreiben, da die Faktoren aus auch in vorkommen und daher kürzbar sind. In dieser Darstellung stehen im Zähler und im Nenner gleich viele Faktoren. Gelegentlich ist es sinnvoll, auch negative oder zuzulassen und in diesen Fällen die Binomialkoeffizienten gleich zu setzen.

Von der Definition her ist es nicht sofort klar, dass es sich bei den Binomialkoeffizienten um natürliche Zahlen handelt. Dies folgt aus der folgenden Beziehung.

Das Dreieck der Binomialkoeffizienten war in Indien und in Persien schon um 1000 bekannt,
in China heißt es Yanghui-Dreieck (nach Yang Hui (um 1238-1298)),
in Europa heißt es das Pascalsche Dreieck (nach Blaise Pascal (1623-1662)).



Die Binomialkoeffizienten

erfüllen die rekursive Beziehung

Beweis

Siehe Aufgabe 3.13.

Der Binomialkoeffizient hat die folgende inhaltliche Bedeutung: Er gibt für eine -elementige Menge die Anzahl sämtlicher -elementigen Teilmengen von an, siehe Aufgabe 3.15.

Die folgende allgemeine binomische Formel bringt die Addition und die Multiplikation in einem Körper miteinander in Beziehung.


Es seien Elemente in einem Körper. Ferner sei eine natürliche Zahl.

Dann gilt

Wir führen Induktion nach . Für steht einerseits und andererseits . Es sei die Aussage bereits für bewiesen. Dann ist





Fußnoten
  1. Das beinhaltet hier insbesondere, dass die Multiplikation sich zu einer Verknüpfung auf einschränken lässt. Aus den Körperaxiomen folgt dies, siehe Lemma 3.4  (6).
  2. Die Frage, wie man diese Unterteilung elementar durchführt, besprechen wir hier nicht.


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Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)