Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil I/Vorlesung 6
- Darstellungsmöglichkeiten für Abbildungen
Wir modellieren das Abzählen einer Menge mathematisch als eine bijektive Abbildung zwischen einer Menge der Form und . Wir wollen zeigen, dass dabei das unabhängig von der gewählten Abbildung ist. Um dies klar begründen zu können, müssen wir uns etwas genauer mit Abbildungen beschäftigen. Abbildungen können auf recht unterschiedliche Arten dargestellt werden. Zu nennen sind (vollständige oder unvollständige) Wertetabellen, der Graph einer Abbildung, Säulen- und Kuchendiagramme, Pfeildiagramme, Höhenlinien, Animationen. Eine besondere Rolle spielen funktionale Vorschriften, mit denen häufig Abbildungen festgelegt werden, das sind Ausdrücke der Form .
Wir wollen zu zwei gegebenen Nummerierungen einer Menge , also zu zwei bijektiven Abbildungen und zeigen, dass ist. Da bei einer Bijektion sich die Elemente der beiden Mengen eindeutig entsprechen, führt dies zu einer eindeutigen Entsprechung zwischen und . Mit diesem Trick, dem die Hintereinanderschaltung von Abbildungen und die Umkehrabbildung einer bijektiven Abbildung zugrunde liegt, kann man also unter Umgehung der Menge direkt diese Teilmengen der natürlichen Zahlen untereinander vergleichen.
- Die Hintereinanderschaltung von Abbildungen
Es seien und Mengen und
und
Abbildungen. Dann heißt die Abbildung
die Hintereinanderschaltung der Abbildungen und .
Eine Hintereinanderschaltung kann man sich durch ein Diagramm der Form
gut veranschaulichen.
Die Wertetabelle
beschreibt, welche Person der Bearbeitungsgruppe welche Aufgabe federführend macht und die Wertetabelle
mit den möglichen Werten beschreibt, wie viel Lust die Personen in dieser Woche haben (: hat Megalust, : hat Superlust, hat Lust, hat wenig Lust, hat Unlust). Die zusammengesetzte Abbildung beschreibt dann, mit wie viel Lust die verschiedenen Aufgaben bearbeitet werden, die zugehörige Wertetabelle ist
Wenn die Abbildungen durch funktionale Ausdrücke gegeben sind, so erhält man die zusammengesetzte Abbildung, in den man den einen funktionalen Ausdruck in den anderen funktionalen Ausdruck einsetzt. Damit ist folgendes gemeint: Wenn
Funktionen sind, die durch und gegeben sind, so besitzt die zusammengesetzte Funktion (also in der Ausführung zuerst !) die Vorschrift
In der anderen Reihenfolge ergibt sich
Hier haben wir die beiden Funktionen mit unterschiedlichen Variablen geschrieben, was die Einsetzung dann erleichtert hat. Häufig muss man zuerst eine sinnvolle Umbenennung durchführen.
Zwei Abbildungen sind genau dann gleich, wenn für jedes die Gleichheit gilt. Es sei also . Dann ist
Es seien und Mengen und
und
Abbildungen mit der Hintereinanderschaltung
- Es seien
mit
gegeben. Aufgrund der Injektivität von folgt
und aufgrund der Injektivität von folgt
was die Injektivität von bedeutet.
- Sei
gegeben. Aufgrund der Surjektivität von gibt es ein
mit
Aufgrund der Surjektivität von gibt es ein mit
Insgesamt ist
es gibt also ein Urbild von und somit ist die Gesamtabbildung surjektiv.
- Folgt aus (1) und (2).
- Die Umkehrabbildung
Es sei eine Menge. Dann heißt die Abbildung
die also jedes Element auf sich selbst schickt, die identische Abbildung oder Identität auf . Sie wird mit oder bezeichnet.
Die Identität ist natürlich bijektiv. Umgekehrt kann man zu einer bijektiven Abbildung eine Abbildung derart angeben, dass die Verknüpfung die Identität ergibt.
Es sei eine bijektive Abbildung. Dann heißt die Abbildung
die jedes Element auf das eindeutig bestimmte Element mit abbildet, die Umkehrabbildung zu .
Die Umkehrabbildung zu wird mit bezeichnet. Es gilt die charakteristische Eigenschaft, dass sowohl als auch die Identität (auf den jeweiligen Mengen) sind.
Die Nummerierung der Schüler durch Heino,
ist bijektiv und hat daher eine eindeutig bestimmte Umkehrabbildung. Die Wertetabelle dieser Umkehrabbildung ist
Bei einem natürlichen Zählvorgang kann man sich darüber streiten, ob die Zahlen „eher“ den Personen oder die Personen eher den Zahlen zugeordnet wird. Bei einer bijektiven Abbildung liegt eine Entsprechung vor.
Wir erwähnen noch die konstanten Abbildungen.
Es seien und Mengen und es sei ein Element. Dann heißt die Abbildung
die also jedes Element auf abbildet, die konstante Abbildung zum Wert .
- Die Wohldefiniertheit der Anzahl
Wir kehren zu dem Problem zurück, warum die Anzahl einer endlichen Menge wohldefiniert ist, warum es also egal ist, in welcher Reihenfolge man zählt.
Es sei eine natürliche Zahl mit dem Vorgänger , es sei also . Es sei ein fixiertes Element.
Dann gibt es eine bijektive Abbildung zwischen und .
Wir definieren eine Abbildung
durch
Dies ist eine wohldefinierte Abbildung, da die Bilder echt unterhalb von oder echt oberhalb von liegen, niemals aber gleich sind, und da maximal der Nachfolger von , also erreicht wird.
Die Abbildung ist injektiv: Wenn und beide unterhalb von liegen, so werden beide Elemente auf sich selbst abgebildet. Wenn beide oberhalb von liegen, so werden beide auf ihren Nachfolger abgebildet, und das Nachfolgernehmen ist injektiv (dies ist die Eigenschaft, dass der Vorgänger eindeutig bestimmt ist). Wenn unterhalb von und oberhalb von (oder umgekehrt) liegt, so ist erst recht oberhalb von und somit von verschieden.
Die Abbildung ist auch surjektiv. Die Zahlen echt unterhalb von werden durch sich selbst erreicht und die Zahlen echt oberhalb von (und unterhalb von einschließlich ) kann man als
mit oberhalb von (einschließlich ) und echt unterhalb von , also maximal gleich schreiben. Insgesamt ist also eine Bijektion.
Wenn eine Menge ist und wenn
und
bijektive Abbildungen sind,
so ist
Die Anzahl einer endlichen Menge ist also wohldefiniert.
Es seien die bijektiven Abbildungen
und
gegeben. Da man bijektive Abbildungen umkehren kann und da die Hintereinanderschaltung von bijektiven Abbildungen nach Lemma 6.4 (3) wieder bijektiv ist, ist auch
bijektiv. Wir müssen also nur die endlichen Standardmengen untereinander vergleichen. Wir müssen also zeigen, dass wenn eine bijektive Abbildung
vorliegt, dass dann
ist. Dies zeigen wir durch Induktion[1] nach . Wenn ist, so ist die Menge links leer und somit muss auch die rechte Menge leer sein, also ist dann auch . Es seien nun nicht , sodass sie also jeweils einen Vorgänger haben. Es sei der Vorgänger von und der Vorgänger von . Diese Zahlen sind eindeutig bestimmt, da die Nachfolgerabbildung injektiv ist. Wir setzen
Dann gibt es nach der Herausnahme von bzw. eine bijektive Abbildung
Nach Lemma 6.9 gibt es eine bijektive Abbildung zwischen und . Somit gibt es dann auch insgesamt eine bijektive Abbildung zwischen und . Nach Induktionsvoraussetzung ist , also auch
- Zählen von Prozessen
Mit natürlichen Zahlen kann man nicht nur endliche Mengen zählen, sondern auch Prozesse. Wenn ein Einzelprozess wohldefiniert ist, wie beispielsweise das Nachfolgernehmen in einem Modell der natürlichen Zahlen, oder das Umlegen eines Apfel von einem Haufen auf einen anderen Haufen, oder auf einer Leiter eine Sprosse nach oben steigen, so kann man mit den natürlichen Zahlen angeben, wie oft der Prozess durchgeführt wird oder werden soll. Dies eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, komplexere mathematische Konzepte dadurch festzulegen, dass gesagt wird, wie oft ein gewisser grundlegenderer Prozess durchgeführt werden soll. In diesem Sinne kann die Addition von zwei natürlichen Zahlen dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft von der anderen[2] Zahl ausgehend der Nachfolger genommen werden soll, die Multiplikation von zwei natürlichen Zahlen kann dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft die andere Zahl zur addiert werden soll (die Anzahl der Summanden ist durch die erste Zahl festgelegt), die Potenzierung von zwei natürlichen Zahlen kann dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft die andere Zahl mit sich selbst multipliziert werden soll (Anzahl der Faktoren). Wenn eine Strecke und eine natürliche Zahl gegeben ist, so kann man die Strecke -fach Hintereinanderlegen. Dabei entsteht eine Strecke, die -mal so lang wie die Ausgangsstrecke ist. Geometrisch kann man dies dadurch durchführen, dass man die Stecke zu einer Geraden verlängert und dann mit Hilfe eines Zirkels die Strecke -mal umschlägt.
- Fußnoten
- ↑ Dies ist ein Induktionsbeweis, ein Prinzip, das für die natürlichen Zahlen gilt und das wir später begründen werden.
- ↑ Es ist bei diesen wichtigen Operationen nicht einheitlich festgelegt, welche der beiden beteiligten Zahlen die Anzahl der Prozesse angibt und welche angibt, dass mit ihr der Prozess durchgeführt werden soll. Ferner kommt beispielsweise bei der Summand fünfmal vor, in der ersten Darstellung kommt aber nur viermal das Pluszeichen vor, sodass hier Präzisierungen nötig sind. Auch Formulierungen wie „mit sich selbst addieren“ sind problematisch, es wird ja jeweils zu dem Teilergebnis hinzuaddiert.
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