Zum Inhalt springen

Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil II/Vorlesung 49/kontrolle

Aus Wikiversity

Zu einem Körper wie oder und einer fixierten Variablen kann man sich fragen, welche Terme man mit dieser Variablen über diesem Körper „basteln“ kann. Dazu gehören

wobei wir Potenzschreibweise verwendet und einige Klammern weggelassen haben. Als Terme sind und verschieden. Bei jeder Interpretation von in einem Ring sind diese Ausdrücke aber gleich. Der Polynomring besteht aus genau diesen Termen, wobei allerdings Terme miteinander identifiziert werden, wenn sich dies aus den Rechenregeln für einen kommutativen Ring ergibt.



Der Polynomring über einem Körper

Der Polynomring über einem Körper besteht aus allen Polynomen

mit , , und mit komponentenweiser Addition und einer Multiplikation, die durch distributive Fortsetzung der Regel

definiert ist.

Ein Polynom ist formal gesehen nichts anderes als das Tupel , die die Koeffizienten des Polynoms heißen. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie in allen ihren Koeffizienten übereinstimmen. Der Körper heißt in diesem Zusammenhang der Grundkörper des Polynomrings. Aufgrund der komponentenweisen Definition der Addition liegt unmittelbar eine Gruppe vor, mit dem Nullpolynom (bei dem alle Koeffizienten sind) als neutralem Element. Die Polynome mit für alle heißen konstante Polynome, man schreibt sie einfach als .

Die für ein einfaches Tupel zunächst ungewöhnliche Schreibweise deutet in suggestiver Weise an, wie die Multiplikation aussehen soll, das Produkt ist nämlich durch die Addition der Exponenten, also , gegeben. Dabei nennt man die Variable des Polynomrings. Für beliebige Polynome ergibt sich die Multiplikation aus dieser einfachen Multiplikationsbedingung durch distributive Fortsetzung gemäß der Vorschrift, „alles mit allem“ zu multiplizieren. Die Multiplikation ist also explizit durch folgende Regel gegeben:[1]

Beispielsweise ist


Der Polynomring über einem Körper

ist ein kommutativer Ring.

Lediglich die Gültigkeit des Assoziativgesetzes für die Multiplikation und des Distributivgesetzes sind nicht unmittelbar klar. Zum Nachweis dieser Eigenschaften schreiben wir abkürzend die beteiligten Polynome als

Mit diesen Bezeichnungen ist

woraus wegen der Symmetrie des Ausdrucks die Assoziativität ablesbar ist. Ferner ist

was die Distributivität bedeutet.


Der Polynomring ist kein Körper, beispielsweise gibt es zur Variablen kein inverses Element.


Der Grad eines von verschiedenen Polynoms

mit ist .

Das Nullpolynom bekommt keinen Grad. Der Koeffizient , der zum Grad des Polynoms gehört, heißt Leitkoeffizient des Polynoms. Der Ausdruck heißt Leitterm. Ein Polynom mit Leitkoeffizient heißt normiert.



Es sei ein Körper und Polynome über .

Dann gelten für den Grad folgende Aussagen.

  1. Es ist .
  2. Es ist .

Es seien

und

mit , also und . Bei ist der Grad der Summe, bei ist bei dies auch der Grad des Summenpolynoms, im andern Fall wird der Grad kleiner (die Summe kann sein, dann ist die Aussage als erfüllt zu interpretieren). Wegen Lemma 23.12 ist und somit ist der Leitterm des Produktpolynoms , dessen Grad somit gleich ist.


Polynome vom Grad sind die konstanten Polynome, Polynome vom Grad nennt man auch lineare Polynome.



Quadratische Polynome

Ein Polynom vom Grad zwei nennt man auch ein quadratisches Polynom. Wir schreiben es in der Form

Wenn ist, so fällt der vordere Term weg und es liegt ein lineares, kein quadratisches Polynom vor. Wenn ist, so spricht man von einem rein-quadratischen Polynom.

Es sei ein quadratisches Polynom über gegeben. Wir interessieren uns für die Frage, ob das Polynom Nullstellen[2] besitzt und wie diese zu ermitteln sind. Es geht also um Lösungen einer Gleichung der Form

Dabei sind vorgegeben mit und gesucht ist derart, dass wenn man die Zahl für die Variable einsetzt, sich der Wert ergibt. Wenn ist, also eine Gleichung der Form

vorliegt, so geht es einfach um das ziehen einer Quadratwurzel. Die Gleichung ist ja äquivalent zu

Wenn die Zahl rechts negativ ist, so gibt es keine Lösung. Wenn die Zahl rechts ist (was bei der Fall ist), so gibt es die einzige Lösung . Wenn die Zahl rechts positiv ist, so gibt es zwei Lösungen, nämlich . In einem beliebigen Körper geht es um die Frage, ob eine Quadratwurzel besitzt oder nicht.

Für die Gleichung

wo also ist, kann man sofort die Lösungen angeben, nämlich und .

Für die allgemeine quadratische Gleichung

gibt es einen wichtigen Trick, sie auf eine rein-quadratische Form zurückzuführen und sie damit durch Wurzelziehen zu lösen, das sogenannte quadratische Ergänzen. Zunächst dividiert man durch und erhält die äquivalente Gleichung

Das nennt man auch eine normierte Gleichung, da links ein normiertes Polynom steht. Wir schreiben diese Gleichung mit

und

als

Dieses Polynom schreiben wir nun scheinbar komplizierter als

Durch Ausmultiplizieren der rechten Seite mit Hilfe der ersten binomischen Formel sieht man, dass die Terme links und rechts übereinstimmen. Der Gewinn ist dabei, dass eine „verschobene Variable“ ist, die wie eine Variable behandelt werden kann, und dass eine reelle Zahl ist. Es liegt also im Wesentlichen eine rein-quadratische Gleichung vor. Mit einer Umstellung erhält man

und somit

vorausgesetzt, dass der Ausdruck unter dem Wurzelzeichen nichtnegativ ist. Als Lösung erhält man dann



Satz  Satz 49.5 ändern

Es sei

eine reelle quadratische Gleichung.

Dann gilt folgendes Lösungsverhalten.[3]

  1. Bei

    gibt es keine reelle Lösung.

  2. Bei

    gibt es die eine Lösung

  3. Bei

    gibt es die beiden Lösungen

Die Lösung in (2) ist ein Spezialfall von (3), in dem die beiden Lösungen zusammenfallen. Wir zeigen explizit, dass in der Tat Lösungen vorliegen. Es ist

Da eine quadratische Gleichung nur maximal zwei Lösungen besitzt, sind wir im dritten Fall fertig.

Im Allgemeinen schreiben wir

Der rechte Term ist bei

stets positiv und so hat das Polynom in diesem Fall keine Nullstelle, bei

hat es genau die eine angegebene Nullstelle.


Diese Lösungsformel heißt auch Mitternachtsformel. Wenn man zuerst durch durchdividiert und die quadratische Gleichung in der Form

vorliegt, so vereinfachen sich die Lösungen zu

Dazu sagt man auch p-q-Formel. Diese Formeln gelten in jedem Körper, in dem ist. Die Lösbarkeit hängt dann allein davon ab, ob die Diskriminante eine Quadratwurzel besitzt oder nicht.


Wir betrachten die quadratische Gleichung

Nach Satz 49.5 sind

und

die Lösungen.



Bauer Ernst möchte ein neues quadratisches Beet für Melonen anlegen. Die Anlage des Beetes kostet pro Quadratmeter Euro. Das Beet muss mit einem Schneckenzaun rundum versehen werden, der pro Meter Euro koste. Ernst möchte Euro insgesamt investieren. Wie groß wird das Beet?

Es sei die Seitenlänge des Beetes. Die Kosten sind dann , was zur Gleichung

bzw.

führt. Nach Satz 49.5 führt dies auf

Die Seitenlänge des Beetes ist also ungefähr Meter.


Der folgende Satz von Vieta ermöglicht eine sinnvolle Probe für das Ergebnis. Wenn man weiß, dass es ganzzahlige Lösungen geben muss, kann man damit auch häufig die Lösungen der quadratischen Gleichung erraten.


Es sei eine quadratische Gleichung in der Form

gegeben und es seien und die Lösungen.

Dann gilt

und

Aufgrund von Satz 49.5 ist

und

Daher ist

und


Von dieser Aussage gilt auch die Umkehrung, siehe Aufgabe 49.24. Wenn man beispielsweise die Zusatzinformation kennt, dass

ganzzahlige Lösungen besitzt, so kommen dafür nur die Teiler von in Frage, und in der Tat sind und die beiden Lösungen.



Fußnoten
  1. Wobei wir natürlich, wie auch bei der Addition oder dem Vergleichen von Polynomen verschiedener Grade, die Polynome für bzw. mit den Koeffizienten bzw. ergänzen können.
  2. Dieses Konzept werden wir in der nächsten Vorlesung allgemeiner besprechen.
  3. Den Ausdruck nennt man auch die Diskriminante der quadratischen Gleichung.


<< | Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil II | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)