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Hikayat Faridah Hanom 21 - Übersetzung

Aus Wikiversity
Einundzwanzigstes Kapitel
DIE SCHÖNHEIT DER ISLAMISCHEN RELIGION, DEREN GEIST DIE MUSLIME AUFLEBEN LÄSST

Als Kasim Bey zu Ohren kam, dass Shafik Efendis Vater alle Geschäfte und Besitztümer seinem Sohn übertragen hatte, dachte er: „Es ist sehr richtig, was Talaat Bey tut. Er ist schon alt, und sein Sohn ist ein Mann von gutem Betragen und guter Bildung. Man kann bestimmt erwarten, dass er die Arbeit übernimmt und Talaat Bey die Freizeit genießen kann. Er hat nicht länger Tag und Nacht Lärm und Sorgen um die Ohren. Ich habe einen Sohn und eine Tochter, ich übergebe ebenfalls am besten meinem Sohn Muhammad alles, weil er auch gebildet und klug sein dürfte. Solange er die Apotheke weiterführt, hat er selbst sehr gute Einkünfte, da mache ich mir keine Sorgen. Er und seine Schwester Faridah Hanom sollen unter sich ausmachen, was gut für sie ist.“ Dann teilte er seine Gedanken seiner Frau mit. Sie war mit seinen Überlegungen…


einverstanden und beauftragte eine ihrer Dayangs, die Tochter Faridah Hanom und ihren Mann rufen.

An diesem Tag hielt Kasim Bey den Sohn Muhammad Efendi nach dem Essen zurück und ließ ihn nicht gehen. Wenig später betraten Shafik Efendi und Faridah Hanom das Esszimmer, wo sie ihre Eltern und ihren Bruder Muhammad sitzend antrafen. Sie traten zu ihnen.

Faridah Hanom und ihr Mann setzten sich, und Kasim Bey sagte: „Der Vater ruft die beiden Tuans, um ihnen etwas mitzuteilen. Der Vater ist schon alt und fühlt sich schwach von der Arbeit, die er geleistet hat. Denn er ist nur weniger als ein Jahr jünger als Tuan Talaat Bey. Deshalb möchte er sehr gerne für die Jahre, die ihm noch verbleiben, in den Ruhestand gehen und alle seine Geschäfte zusammen mit seinem Besitz Muhammad und Faridah übertragen. Wie die beiden möchten, soll es ausgeführt werden.“

Muhammad Efendi antwortete: „Was die Geschäfte betrifft, obliegt es Anakanda, sie zu übernehmen. Was aber den Besitz betrifft, so sollte der Vater zuerst an Faridah denken, denn sie ist ja nur ein weibliches Geschwister Anakandas. Der Vater hat sie mit ihrem ganzen Körper Shafik Efendi übereignet, während Anakanda Gott sei Dank ein Geschäft hat, das genügend Gewinn abwirft, der größer ist als er zum Leben benötigt.“ Kasim Bey antwortete: „Gut, was Tuan möchte, mögen die Tuans beraten. Dann ruft den Rechtsanwalt, um die Urkunde auszustellen, der Vater kann die Unterschrift leisten.“ Muhammad Efendi sagte: „Anakanda denkt, teilt es einfach unter ihm und Faridah gleichmäßig auf.“ Kasim Bey sagte: „Gut, gemacht wird, was Tuan wünscht.“

Als Faridah Hanom die Worte ihres Bruders hörte, war sie sehr gerührt von seiner Liebe ihr gegenüber, schaute sehr ergriffen…


zu den Eltern und schluchzte, so dass sie nichts auf die Worte ihres Vaters und Bruders antworten konnte. Shafik Efendi hatte Mitleid, als er seine Frau so weinen sah, und antwortete seinem Schwager: „Was Faridah anlangt, so mögen sich die Eltern und Kakanda keine Sorgen machen, denn die dortigen Eltern haben ihren vollständigen Besitz nicht Anakanda allein übertragen, sondern in alle Urkunden auch Faridah aufgenommen, weil sie keine Tochter bekommen und als Ersatz Anakanda Faridah als ihre wirkliche Tochter angenommen haben.“

Muhammad Efendi antwortete: „Tuans Worte sind richtig, und Kakanda zusammen mit den Eltern hier bedanken sich bei ihm und seinen Eltern, die für seine Schwester eintreten und sie wie ihr eigenes Kind betrachten. Aber ist es angemessen, zu sagen, dass Kakanda den gesamten Besitz alleine erhalten soll, was werden die Leute sagen?“

Shafik Efendi sagte: „Was kümmert sich Kakanda um die Rede der Leute, wenn wir in gegenseitiger Liebe und gegenseitigem Einverständnis etwas ausmachen? Außerdem, denkt bitte ein bisschen nach! Adinda [Fn.] und Adinda Faridah haben allein aus gegenseitiger Liebe geheiratet, anfangs war dies nicht der Wunsch der Eltern. Und wenn Adinda sie dazu ermuntert, so viel Besitz zu erhalten, dann werden bestimmt die Leute bald sagen, dass er sich nur deshalb um sie bemüht hat, weil er wusste, dass sie großen Besitz erhalten würde. Wie wird er dann in den Augen der Menge dastehen?“


Als Faridah Hanom die Worte ihres Gatten gegenüber ihrem Bruder hörte, dachte sie bei sich: „Man kann die beiden nicht so streiten lassen. Wenn sich das noch weiter hinzieht, ist das nicht gut.“

Sie hob daraufhin den Kopf und sagte: „Kakandas, Adinda bittet inständig darum, dass wir diese Angelegenheit erst einmal auf sich beruhen lassen. Allein dass Kakanda Muhammad Efendi das ganze Geschäft des Vaters übernimmt und weiterführt, ist zur Sicherung seiner Zufriedenheit notwendig. Was den Anteil am Besitz und die Ausstellung von irgendwelchen Dokumenten darüber anlangt, so geduldet Euch bitte ein paar Tage, bis wir nachgedacht und uns darüber beraten haben. Wenn wir uns dann auf etwas Gutes geeinigt haben, machen wir es.“

Als Kasim Bey die Worte seiner Tochter hörte, sagte er: „Das ist richtig, was Faridah da sagt. Es gibt keinen Grund zur Eile. Denkt lieber erst vier, fünf Tage gemeinsam als Geschwister darüber nach, was soll daran auszusetzen sein?“

Die anderen stimmten zu und billigten die Worte des Vaters. Dann sprachen sie über andere Dinge, und die Dayangs servierten Speisen und Getränke. Sie aßen und tranken zusammen und unterhielten sich über Dinge, die das Herz der Eltern erfreuten. Kurz danach verabschiedeten sich Shafik Efendi und seine Frau von ihren Eltern und Muhammad Efendi, stiegen in eine Kutsche und fuhren nach Hause.

Als sie dort angekommen waren, nahm Faridah Hanom ihren Gatten an der Hand, um ihn dort entlangzuführen, wo ihre Schwiegereltern saßen. Als…


Talaat Bey die beiden Kinder vorbeigehen sah, ließ er Aminah die beiden hereinrufen. Shafik Efendi und Faridah Hanom traten ein, küssten seinen Eltern die Hand und nahmen dann auf den Sesseln gegenüber von den beiden Platz.

Talaat Bey fragte seinen Sohn: „Die beiden Tuans sind von den dortigen Eltern gerufen worden, was gibt es?“ Faridah Hanom lächelte, als sie die Frage ihres Schwiegervaters hörte, schaute zu ihrem Mann und bedeutete ihm, dass er von der Sache erzählen sollte. Shafik Efendi lächelte und erzählte die ganze Sache. Er berichtete von dem Wortwechsel zwischen ihm, seinem Schwager Muhammad Efendi und seinem Schwiegervater und von dem, was Faridah Hanom gesagt hatte. Talaat Bey und Frau lachten, als sie hörten, was vorgefallen war. Und er sagte zu Faridah Hanom: „Was denkt denn Tuan über diese Angelegenheit? Wer hat ihrer Auffassung nach Recht?“ Faridah Hanom antwortete: „Anakanda denkt, dass beide im Unrecht sind, indem sie sich gegen Gott, den Herrn der Welten, stellen und gegen seine Weisheit verstoßen, deren großer Nutzen im Gesetz der erhabenen islamischen Religion liegt.“

Shafik Efendi schaute seine Frau mit weit aufgerissenen Augen an, als er diese entsetzlichen Worte hörte, mit denen sie ihn und ihren Bruder ins Unrecht setzte. Talaat Bey lachte laut auf, als er die Worte seiner Schwiegertochter hörte, stand von seinem Sessel auf, ging zu Faridah Hanom, umarmte sie, küsste ihr mit großer Zuneigung die Stirn und sagte: „Allah, gepriesen sei Er und erhaben, möge dieser meiner Tochter Schutz geben. Was sie gesagt hat, lag dem Vater schon auf den Lippen. Er wollte es schon sagen, als er den Bericht von…


Tuans Gatten über seinen Wortwechsel mit Muhammad hörte.“

Als Shafik Efendi die Worte seines Vaters hörte, nahm sein Entsetzen noch zu, und er senkte seinen Kopf und traute sich nicht mehr, seinen Vater anzublicken.

Als sich Talaat Bey wieder auf seinen Sessel gesetzt hatte, schaute er zu seinem Sohn Shafik Efendi und sah, dass er seinen Kopf gesenkt hatte und nicht mehr hob. Da erkannte er, dass sein Sohn den Sinn der Worte seiner Frau, die ihm Vorwürfe machte, nicht verstand. So sagte er: „Mein Sohn Shafik, wundert Euch nicht über die Worte Eurer Frau und die Worte des Vaters. Denn es ist wirklich so, dass Tuan und sein Schwager Muhammad die Absichten der islamischen Religion nicht verstanden haben, die in stärkstem Maße das Wohl der Gesellschaft des Lebens dieser Welt befördern, weil sich die beiden von dem Vergnügen der Bildung und Ordnung der Völker Europas haben verführen lassen. So sind die beiden der Gesellschaft der meisten jungen Männer eingetreten, die ihrer Religion falsche Vorwürfe machen, weil sie denken, dass die islamische Religion das ist, was die Leute gebieten, die für sich in Anspruch nehmen, kluge Religionsführer zu sein und die Gebote und Verbote der Religion umzusetzen, und Kleidung tragen, die nicht zu ihrem Schmutz passt und in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren verschiedenen Beschäftigungen steht, ganz zu schweigen von ihrer Faulheit bei der Bemühung um ihren Lebensunterhalt oder der Aussat des Samens ihres Wissens zum Zweck der Belebung ihres Volkes und der Förderung des Wohlstands ihres Heimatlandes.


Nein, nein. Dies sind nicht die Leute, die als Beispiel für die Botschaft der erhabenen islamischen Religion genommen werden können. Sie sind vielmehr die größten Feinde und Gegner, die den Geist dieser hochehrwürdigen Religion töten wollen. Der Sohn und alle gebildeten jungen Leute müssen sie bekämpfen, weil sie die größten Feinde sind, die die Religion zerstören wollen. Deshalb muss der Sohn stets die Absichten und das Bestreben der Religion von ihrer Quelle her lesen und studieren, das heißt dem edlen Koran und den Handlungen ihres Gesandten und seiner edlen Gefährten. Hat nicht der Sohn schon in ausreichendem Maße die arabische Wissenschaft studiert, Ṣarf (Flexion), Naḥw (Syntax), Manṭiq (Logik), Maʿānī (Semantik), Bayān (Rhetorik) und so weiter? Warum vernachlässigt er dies alles, nur um sich in das Studium der europäischen Wissenschaften zu vertiefen, die ihm nicht dabei helfen, die Intentionen und die Weisheit zu untersuchen und zu verstehen, die von Gott im Gesetz Seiner Religion eingeschlossen wurden.

Wenn Tuan die Hälfte der Weisheit Gottes in dem Gesetz Seiner Religion verstände, könnte er die Worte seiner Frau von eben begreifen, dass er zusammen mit ihrem Bruder Muhammad den Fehler machen, Gott den Herrn der Welten zu bekämpfen und gegen seine Weisheit verstoßen.

Sie besteht nämlich darin, dass Er in Seinem Koran ein Gesetz hinabgesandt hat, dass das Kind den Besitz seines Vaters erbt. Warum will dann Tuan das Erbe seiner Frau von ihrem Vater nicht annehmen? Obwohl unser hochgeachteter Herr Muhammad – Gott segne ihn und schenke ihm Heil – seiner Gemeinschaft geboten hat, eine Frau zu suchen, die ein schönes Gesicht hat,…


sich an ihre Religion hält, einem guten Volk entstammt und reich ist [Fn.]. Tuan hat gottseidank eine Frau bekommen, die alle diese Eigenschaften in vollkommenem Maße besitzt. Warum will er dann eine dieser Eigenschaften schmälern, nämlich den Reichtum, und sie zu einer armen Frau machen, indem er ihr das Recht auf ihren Anteil von ihrem Vater wegnimmt? Was ist der Grund, dass sie selbst gewählt hat, dass Tuan mit Einverständnis ihrer Eltern ihr Gatte werden soll? Ist es angemessen, dass Tuan ihre Liebe damit beantwortet, dass er beinahe mit seiner Nyawa verloren gegangen wäre. Vielleicht denkt Tuan, dass der Besitz, den diese Tuan hat, gleichbedeutend wie das Recht seiner Frau geworden ist. Aber vielen Besitz Menschen zu geben, die ihn gar nicht benötigen und wünschen, ist das nicht eine Verschwendung von Besitz, die von der islamischen Religion streng verboten wird? Wenn Tuan diesen Besitz nicht benötigt, warum nimmt er ihn dann nicht an und verwendet ihn für Projekte, die seinem Volk, seiner Nation und seinem Heimatland gut tun, die in dieser Zeit dringend einiger Unternehmungen bedürfen, die dabei helfen, sie im Leben der Welt voranzubringen? Sind nicht die armen Kinder von Tuans Nation, Volk und Heimatland mehr bedürftig nach Projekten, die mit diesem Geld durchgeführt werden können, als Tuans Schwager Muhammad, der schon ein Erbe erhalten hat und ein Unternehmen hat, das großen Gewinn erzielt? Das ist eine Hälfte von Tuans Fehler, den seine Frau vorhin als Unrecht bezeichnet hat, mit dem er sich gegen Gott, den Herrn der Welten, stellt, weil es eine sehr große Sünde in der Religion ist, dem Kind das Erbe seines Vaters zu entziehen.

Was den Fehler von Tuans Schwager anlangt, so besteht er darin, dass Gott…


in Seinem Koran das Gesetz der islamischen Religion herabgesandt hat, dass der Sohn zwei Anteile bekommt und die Tochter einen Anteil. Muhammad wollte jedoch das Gebot Gottes ändern, indem er gleich große Anteile zumaß. Wenn wir sagen, dass Muhammad dies aus Liebe zu seiner Schwester getan hat, müssen wir doch auch sagen, dass Gott, der dieses Gebot herabgesandt hat, Seinen Knecht verabscheut. Wenn Muhammads Tat ausgeführt worden wäre, hätte sein Vater gewiss eine Sünde begangen, weil er dem Gebot Gottes zuwidergehandelt hätte. Wenn hingegen Muhammad den Anteil erhalten hätte, der von Gott vorgesehen ist, und das Vermögen zu seinem Besitz geworden wäre und er erst dann seiner Schwester soviel übergeben hätte, wie er wollte, denn hätte gewiss niemand mehr gesagt, dass das falsch ist.

Weiß denn Anakanda, was die Weisheit Gottes dahinter ist, dass er den Anteil der Männer beim Erbe größer gemacht als bei den Frauen? Bestimmt nicht. Weil Tuan sicherlich in seinem Herzen geprägt ist von der Bezichtigung der Leute mit europäischer Bildung, die sagen, dass die Gebote der islamischen Religion nicht mit dem Fortschritt der heutigen Welt vereinbar sind, ohne dass sie es, bevor sie diesen Vorwurf gegenüber der Weisheit Gottes erheben, anhand der Quellen der Religion, die von unserem Propheten überbracht wurde, geprüft haben. Sie geben sich allein mit den Worten der Händler zufrieden, die mit ihrer Religion Handel treiben, um damit ihr Leben zu bestreiten und Reichtum anzusammeln, und mit den Fiqh-Büchern [Fn.], die neu abgefasst wurden von Leuten, die hinsichtlich der Rangstufe ihres Wissens nicht wirklich anerkannt sind, was eine zunehmende Zerstörung der Muslime verursacht.

Was die Weisheit Gottes anlangt, die in den Geboten eingeschlossen ist, die in der islamischen Religion festgeschrieben sind, so kann man sagen, dass, wenn nicht in allen, so doch in den meisten Fällen…


mit ihr der Nutzen und Vorteil der Gesellschaft als Ganzem bezweckt wird. Und der Nutzen und Vorteil, der von dem einzelnen Menschen daraus gezogen werden kann, folgt dem Maße des Nutzens, der von seiner Gesellschaft daraus gezogen wird.

Gott hat den Erbanteil für die Männer deshalb größer gemacht als für die Frauen, weil die Last der Männer größer ist als die der Frauen. Wenn die Männer heiraten, müssen sie ihre Familie und ihren Hausstand unterhalten. Wenn diese Männer sehen, dass ihre Schwester ihren Mann verloren hat und Witwe geworden ist oder sie von ihm geschieden wurde und ihr Vermögen nicht zum Lebensunterhalt reicht, dann verpflichten sie Menschlichkeit und Mannesehre, ihre Scham zu wahren, zu schützen und zu bedecken, indem sie für ihre Schwester sorgen, ganz gleich wie groß ihre Lebenskraft ist. Wenn ihre Schwester Kinder hat, für die sie sorgen muss, fallen sie ebenfalls unter ihre Verantwortung. Gewöhnlich sind es die Männer der wohlhabenden Frauen, die ihr Vermögen aufbrauchen. Nur sehr selten sind es die Ehefrauen, die das Vermögen ihrer wohlhabenden Männer aufbrauchen. Deshalb sehen wir immer die vermögenden Frauen durch ihre Männer in Schwierigkeiten geraten, manchmal werden sie von ihnen ganz fallengelassen. Dann obliegt es ihrem Bruder, der Mannesehre hat, es zu übernehmen, ihre Scham zu wahren, zu schützen und zu bedecken.

Der Grund dafür, dass der Anteil der Tochter geringer ist, ist also, dass ihre Last geringer ist, weil bei jeder Frau mit der Heirat die Verantwortung für ihren Lebensunterhalt [Fn.] sowie den Unterhalt von Hausstand und Kindern auf ihren Mann übergeht, ja sogar…


der Friseur und die Reinigung ihrer Kleidung eingeschlossen sind. Wenn sie einen unverheirateten Bruder hat, kann sie ihn nicht schützen und für ihn sorgen, weil es für einen vernunftbegabten und ehrenhaften Mann eine Schande wäre, von seinem Schwager abhängig zu sein und selbst keine Bemühungen zu unternehmen, um seinen Lebensunterhalt zu besorgen, solange er noch atmet. Deshalb kann gesagt werden, dass der eine Anteil, den Gott dem Bruder dazu gibt, eine Bevorzugung ist, die sehr gerecht ist, unter Berücksichtigung der Bürde der Verantwortung, die er in seinem Leben zu tragen hat.

Nach Meinung des Vaters reicht das, was er dem Sohn gesagt hat, schon aus, um ihm an der Lektüre, Suche und Erkenntnis der Weisheiten Freude zu bereiten, die Gott in den Gesetzen seiner Religion eingeschlossen hat, denn Tuan besitzt ja eine eheliche Bildung, die diese aufdecken kann. Und wenn der Sohn einen Lotsen auf diesem Kurs sucht, kann er eine Zeitschrift abonnieren, die seit zwei, drei Jahren publiziert wird. Sie heißt al-Manār [Fn.] und wird von einem Sayyid [Fn.] herausgegeben, der aus Syrien kommt. Ihm hilft dabei ein Mann von der Azhar hier, der Scheich Muhammad ʿAbduh heißt. Sie enthält eine Vielzahl von Erörterungen über die Schönheit der islamischen Religion und ihre Vereinbarkeit mit dem Fortschritt mit klaren Beweisen. In diesem Jahr hat er angefangen, den Korankommentar aufzunehmen, den Scheich Muhammad ʿAbduh in der al-Azhar-Moschee in Anwesenheit der großen ʿUlamā' vorträgt. Der Vater hat hier die Ausgaben von zwei Jahren, die er gesammelt und eingebunden hat. Der Sohn kann sie mitnehmen und lesen. Diesen Jahrgang, der den Korankommentar enthält, hat der Vater auch, aber er hat ihn noch nicht eingebunden, weil das Jahr noch nicht abgeschlossen ist. Wahrscheinlich…


kann Tuan, nachdem er diese Zeitschrift gelesen hat, die Schönheit seiner Religion klar erkennen.“

Faridah Hanom sprang auf, ging in die Bibliothek ihres Schwiegervaters, nahm alle Bände, die sich dort befanden, holte sie heraus und setzte sich wieder zu ihrem Schwiegervater.

Talaat Bey sagte: „Nun, wie denkt Tuan über ihren Bruder?“ Faridah Hanom antwortete: „Die Tochter traut sich nicht, sich zu dieser Angelegenheit zu äußern, aber sie bittet Ayahanda, das zu tun, was ihm gut erscheint. Wenn er es dann für angemessen hält, dass Anakanda ihren Anteil erhält, wieviel auch immer es ist, dann bittet sie um Ayahandas Mitgefühl, dass er ihr hilft, ihren ganzen Anteil zu einer wohlätigen Einrichtung zur Förderung der Bildung der Frauen in diesem Land zu machen.“ Talaat Bey erschrak, als er den Wunsch Faridah Hanoms hörte und fragte: „Den ganzen Anteil, Tuan?“ Faridah Hanom antwortete: „Ja, den ganzen Anteil, Ayahanda. Denn die Tochter hat mit seinen Geschenken schon mehr als genug.“ Talaat Bey fragte den Sohn Shafik: „Was sagt denn Tuan zu dem Wunsch seiner Frau?“ Shafik antwortete: „Anakanda ist mit Faridahs Wunsch völlig einverstanden. Denn er würde sich sich sehr schämen, wenn der Vater diesen Besitz erhielte, weil er schon vorhin dem Gespräch mit Muhammad Efendi ausgewichen ist (?).“ Talaat Bey antwortete: „Gut. Wenn die beiden Tuans einer Meinung sind, um so besser. Was aber die Organisation von Frauenbildung anlangt, so möchte der Vater es gerne verwirklichen, denn er ist schon alt, und sein Unternehmen wird bereits von Shafik gesteuert. So kann…


der Vater dereinst im Jenseits an dem Lohn für dieses wohltätiges Werk teilhaben.“ Dann wandte sich Talaat Bey seinem Sohn zu und sagte mit Tränen in den Augen: „O mein Sohn Shafik, wenn Tuan es wirklich wissen will: Dies ist ist der Geist der islamischen Lehre, der schon das Herz und die Blutbahnen im ganzen Körper seiner Frau erfüllt. Das ist die wahre Intention der islamischen Religion, dass ein jeder, der ihr angehört, das Wohl seines Volks, seiner Nation und seines Heimatlandes vermehrt. Das ist der wahre Ruf unseres Oberhaupts und unserer Heiligkeit Sayyidina [Fn.] Muhammad – Gott segne ihn und seine Familie und schenke ihnen Heil. Und wenn jeder Mensch, der an dieser Religion festhält, sich nur ein wenig darum bemüht, seinem Volk und seiner Nation dabei zu helfen, nach Wissen zu streben, dann wird der Islam gewiss die Welt beherrschen, wie vor 1300 Jahren.

Sehr groß ist das Glück meines Bruders Kasim Bey, dass er eine Tochter erhalten hat, die den Mut, den Großteil eines Vermögens, das mehr wert ist als eine Million Pfund, für das Wohl ihrer Volksnation und ihre Heimatlandes auszugeben. Zwar hast Du, o Herrgott, Deinem Knecht kein Kind geschenkt, das eine solche Empfindung hat, aber Dein Knecht dankt Dir sehr für Deine großzügige Gnade, ihm eine Schwiegertochter zu geben, von der er sehr hofft, dass Gott sie mit seiner Barmherzigkeit zu einem Fingerzeig, Vorbild und Modell machen möge, das sehr nützlich für ihren Gatten ist.“ Dann stand Talaat Bey auf, zog seine Schwiegertochter Faridah Hanom zu sich, umarmte sie und küsste ihren Kopf. Faridah Hanom begrub ihr Gesicht in dem Schoß ihres Schwiegervaters und weinte, weil sie sehr von seinen Worten gerührt war. Talaat Bey streichelte den Kopf und Rücken seiner Schwiegertochter und sagte: „Beruhigt Euch, es ist schon gut. Geht an Euren Platz zurück. …


Euer ganzes Unternehmen, der Vater selbst wird es ausführen, macht Euch keine Sorgen mehr. Jetzt wird sogar der Vater mit Tuans Vater in dieser Sache zusammentreffen.“ Faridah Hanom stand auf, küsste die Hände ihrer Schwiegereltern, ging zusammen mit ihrem Ehemann hinaus und brachte mit ihm die Zeitschriften, die sie hergeholt hatte, an ihren Platz zurück. Shafik Efendi erkannte erst an diesem Tag, dass seine Ehefrau keine Frau war, die man zur Gespielin machen konnte, um nur das eigene Bedürfnis nach Liebe zu befriedigen. Nein, sie war vielmehr eine Frau des Spiels und der Geschäftigkeit, die Disziplin und höchste Empfindung der Menschlichkeit besitzt. Aus diesem Grund nahm seine Liebe und sein Respekt vor ihr noch einmal zu, so dass er gezwungen war, ihre Ordnung einzuhalten, was schließlich seine Frau zu einer echten Lebenspartnerin machte, mit der er alle schwierigen Angelegenheiten seiner Geschäfte besprach.

Was Talaat Bey anlangt, so machte er sich an diesem Abend auf, um den Vater seiner Schwiegertochter Kasim Bey in seinem Haus zu treffen. Aufgrund der Klugheit und Aufrichtigkeit, mit er diese Aufgabe erledigte, konnte er alles erreichen, was er wollte. Es dauerte nicht lange, da erhielt Talaat Bey den gesamten Anteil von Faridah Hanom, mit dem er einige neue Frauenschulen gründete und andere Schulen, die bereits bestanden und Untertützung benötigten, unterstützte, nachdem er das Einverständnis des Landesbildungsministers erhalten hatte.

Zu Anfang seines Unternehmens hatte er einige Beschimpfungen von den Satanen, die sich Wächter der islamischen Religion nennen, und ihren Untergebenen hinzunehmen. Da er aber diesen Reden keine Beachtung schenkte und…


sein Unternehmen mit dem Geld, das aus dem Anteil Faridah Hanoms floss, fleißig und unentwegt verfolgte, konnte er es sehr weit bringen. Es dauerte nicht lange, da entsprangen aus diesem edlen Werk sehr wohlschmeckende Früchte in Form von ägyptischen Frauenvereinigungen. Zu jener Zeit gab es viele von den Landeskindern, die ihr Bestes taten. Sie standen auf und förderten ebenfalls die Bildung von armen und reichen Frauen, indem sie einige Schulen mit mehreren Unterrichtsstufen gründeten. In dieser Zeit haben schon viele junge Frauen diese Schulen absolviert, sind zu Autorinnen geworden und haben selbst verschiedene Zeitungen und Journale auf Arabisch und Französisch ins Leben gerufen und Frauenvereinshäuser gegründet, aus denen Stimmen dringen, die ihr Recht von der Regierung einfordern. Sie haben auch angefangen, an allen Arten von Frauenkonferenzen der europäischen Nationen teilzunehmen, in Rom und Paris, ja sogar Amerika, um die Rechte der Frauen von den betreffenden Regierungen einzufordern.

Alle, die die ägyptischen Zeitungen lesen, wissen das durch die Lektüre der Reden von as-Saiyida Huda Hanom Sha'rawi, die zur Vorsitzenden der Ägyptischen Frauenvereinigung gewählt wurde, und die Vorträge ihrer Sekretärin as-Sitt Shiza Nabrawi auf allen großen Konferenzen in den Ländern Europas. Sie haben dort die Überlegenheit der islamischen Religion und ihrer Gesetze bezeugt, die die Frauen davor bewahren, in die Reihen der Menschenmassen abzugleiten, und ausgesprochen, dass die Unwissenheit der Frauen und die Gesetze, die ihnen in den meisten muslimischen Gesellschaften in dieser Zeit auferlegt sind, in völligem Widerspruch zu den Intentionen und der Botschaft der islamischen Religion stehen, und der einzige Grund für die Unwissensheit der Muslime hinsichtlich der Intentionen ihrer erhabenen Religion…


ist, dass sie den alten Sitten und Gebräuchen, die schon ihre Vorfahren durchgeführt haben, folgen (vgl. Sure 2:170) [Fn.]. Ende.

Hier bittet der Autor die Leser, kurz innezuhalten. Aus der Hoffnung, dass ihm alle Fehler und Ausrutscher der Feder in diesem Werk, die darin niederzuschreiben den klugen Lesern unpassend dünkt, verziehen sein mögen, erfolgt die Verabredung des Autors mit den Lesern, bald wieder zusammenzutreffen in der Erzählung Taman Cinta Berahi atau Mahir Afandi dengan Ikbal Hanom, deren größter Teil schon gedruckt ist, mit 600 Seiten in drei Bänden. Wenn diese Erzählung nicht mehr bietet als diese hier, so ist der Nutzen, den die männlichen und weiblichen Leser in den Angelegenheiten der Religion und der Gesellschaft des weltlichen Lebens aus ihr ziehen werden können, gewiss nicht geringer.

Wa-s-salām ʿalaikum wa-raḥmatu Llāh wa-barakātuh
Der Verfasser
as-Saiyid Šaiḫ ibn Aḥmad al-Hādī
410 Jelutong Road, Pulau Pinang
Oktober 1926