Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2011-2012)/Vorlesung 7
- Quantorenaxiome und -regeln
Wir besprechen nun die Tautologien und Ableitungsregeln, die mit den Quantoren zusammenhängen. Wir arbeiten allein mit dem Existenzquantor und wir arbeiten nur mit nichtleeren Grundmengen. Letzteres ist Voraussetzung dafür, dass es überhaupt eine Variablenbelegung geben kann. Bei den jetzt einzuführenden Axiomen handelt es sich um eine Tautologie (genauer gesagt um ein Schema von Tautologien), nämlich die Existenzeinführung im Sukzedens und um eine Schlussregel, nämlich die Existenzeinführung im Antezedens. Für letztere ist die exakte Formulierung und der Korrektheitsnachweis nicht trivial.
Es sei ein Symbolalphabet erster Stufe, ein - Ausdruck, eine Variable und ein - Term. Dann ist
Diese Tautologie bedeutet inhaltlich gesprochen, dass ein Ausdruck, für den man einen erfüllenden Term gefunden hat, auf die entsprechende Existenzaussage schließen kann. Diese Tautologie ist allgemeingültig: Wenn in einer Interpretation die Beziehung
gilt, so ist dies nach dem Substitutionslemma äquivalent zu
und das bedeutet wiederum
Einen wichtigen Spezialfall dieser Tautologie erhält man für , nämlich
Für den Allquantor (den wir als Abkürzung verstehen) ergibt sich die entsprechende Tautologie
Es sei ein Symbolalphabet erster Stufe, und seien - Ausdrücke, und seien Variablen. Dann gilt die folgende Regel: Wenn
gilt und wenn weder in noch in frei vorkommt, so gilt auch
Ein Spezialfall dieser Ableitungsregel ist, dass man aus unter der Bedingung, dass nicht frei in vorkommt, auf schließen kann.
Die Allvariante dieser Schlussregel ist die Alleinführung im Sukzedens. Sie besagt, dass man aus
unter der Bedingung, dass weder in noch in frei vorkommt, auf
schließen kann.
Die Existenzeinführung im Antezedens ist die einzige syntaktische Gesetzmäßigkeit, deren Korrektheit nicht unmittelbar klar ist.
Die Existenzeinführung im Antezedens ist eine korrekte Regel.
Es sei allgemeingültig, d.h.
für jede - Interpretation . Wir müssen zeigen, dass dann auch allgemeingültig ist (unter den gegebenen Voraussetzungen). Es sei dazu eine Interpretation mit
Aufgrund der Modellbeziehung bedeutet dies, dass es ein (aus der Grundmenge der Interpretation) mit
gibt. Die Variable kommt nach Voraussetzung in nicht frei vor, d.h. bei , dass in nicht frei vorkommt. Wir können daher das Koinzidenzlemma anwenden und erhalten
Diese Aussage gilt trivialerweise auch bei . Damit gilt auch
Wir schreiben dies (etwas künstlich) als
Darauf können wir das Substitutionslemma (für die Interpretation und den Term ) anwenden und erhalten
Wegen der vorausgesetzten Allgemeingültigkeit von folgt
Da in nicht frei vorkommt, liefert das Koinzidenzlemma
Die Variablenbedingung in der Existenzeinführung im Antezedenz ist wesentlich. Das zeigt am besten die Betrachtung , wobei darin die Variable frei vorkommen möge (also z.B. , wobei ein einstelliges Relationssymbol sei). Dann ist natürlich
richtig, und die Variablenbedingung an , bezogen auf diesen Ausdruck, ist nicht erfüllt. Die Aussage
die man unter Missachtung dieser Variablenbedingung ableiten könnte, ist keine Tautologie. Aus der Existenz eines Elementes , das die Relation erfüllt, folgt ja keineswegs, dass die Relation für alle Elemente gilt. Diese Ableitungsregel lässt sich also insbesondere nicht durch eine interne Tautologie ersetzen.
- Abgeleitete Regeln
Es sei ein Symbolalphabet erster Stufe, ein - Ausdruck und eine Variable.
Dann ist genau dann, wenn ist.
Nach der Allquantorversion von Axiom 7.1 ist
also
Daher folgt aus
mittels Modus ponens direkt
Es sei umgekehrt gegeben. Es sei ein beliebiger Ausdruck, in dem nicht vorkomme. Nach Axiom 6.4 (1) und Modus ponens ergibt sich
und
Auf diese beiden abgeleiteten Ausdrücke wird nun die Allquantorversion der Existenzeinführung im Antezedens (also die Alleinführung im Sukzedens) angewendet. Dies ist möglich, da in überhaupt nicht und in nicht frei vorkommt. Man erhält
und
Daraus ergibt sich mit der Fallunterscheidungsregel
Diese Aussage bedeutet aber keineswegs, dass man den Allquantor überall weglassen oder hinzufügen könnte. Sie bedeutet lediglich, dass bei einem Ausdruck, der als Ganzes als eine Tautologie erwiesen ist, auch der entsprechende Allausdruck eine Tautologie ist und umgekehrt. Semantisch betrachtet beruht diese Äquivalenz darauf, dass die Allgemeingültigkeit von bedeutet, dass bei einer beliebigen (Struktur- und) Variablenbelegung die entstehende Aussage ohne freie Variable wahr wird. Da ist also eine Allaussage schon miteingebunden.
Für den Existenzquantor gilt die entsprechende Äquivalenz nicht. Zwar ergibt sich aus direkt (und zwar unabhängig davon, ob in vorkommt oder nicht; die Allgemeingültigkeit beruht darauf, dass nur nichtleere Grundmengen betrachtet werden), aber nicht umgekehrt. Beispielsweise ist
aber ist keine Tautologie.
Die folgenden Ausdrücke sind im Prädikatenkalkül ableitbar.
(1). Durch Existenzeinführung im Sukzedenz haben wir
und
und daraus
Dabei ist hinten gebunden und somit kann man mit der Existenzeinführung im Antezedens auf
schließen. Da auch hinten gebunden ist, ergibt sich
(2). Aufgrund der Alleinführung im Antezedens ist
und
Dies konjugiert (unter Verwendung von Lemma 6.7 (2)) ergibt
Ferner haben wir die aussagenlogische Tautologie
Damit ergibt sich aufgrund der Transitivität der Implikation die Ableitung
Da vorne und in gebunden vorkommt, gilt nach der Alleinführung im Sukzedens auch
Zu (3) siehe
Aufgabe *****
und
Aufgabe *****.
(4). Aufgrund der Alleinführung im Antezedens ist
was wir als
schreiben. Wegen ist auch
was wir als
schreiben. Im Sukzedens ist gebunden, daher folgt aus der Existenzeinführung im Antezedens
was aussagenlogisch äquivalent zur Behauptung ist.
Zu (5) siehe
Aufgabe 7.3.
- Die Ableitungsbeziehung
Analog zur Folgerungsbeziehung definieren wir die Ableitungsbeziehung aus einer Ausdrucksmenge.
Es sei ein Symbolalphabet, eine Menge an - Ausdrücken
und ein weiterer -Ausdruck. Man sagt, dass aus ableitbar ist, geschriebenderart gibt, dass
gilt.
Man kann sich also wieder fragen, welche Ausdrücke aus einer vorgegebenen Ausdrucksmenge , beispielsweise einem Axiomensystem einer Sprache erster Stufe, ableitbar sind. Unser „unbedingter“ Prädikatenkalkül, der die syntaktischen Tautologien generiert, führt zu einem entsprechenden Regelsatz für die Ableitbarkeit aus . Dies ist näher an der mathematischen Praxis, da man sich dort in einem bestimmten mathematischen Kontext bewegt (z.B. der Gruppentheorie) und daher unter der Voraussetzung arbeitet, dass eine gewisse Ausdrucksmenge (z.B. die Gruppenaxiome) vorliegt, aus der heraus man etwas beweisen möchte.
- Der Vollständigkeitssatz
Im Laufe der Einführung des syntaktischen Prädikatenkalküls haben wir gesehen, dass die in ihm ableitbaren Ausdrücke allgemeingültig sind, dass also sämtliche durch den Prädikatenkalkül generierten formalen Tautologien auch semantische Tautologien sind. Daraus ergibt sich insbesondere, dass sich aus der Ableitbarkeitsbeziehung
die Folgerungsbeziehung
ergibt. Diese Aussage nennt man auch den Korrektheitssatz. Der entworfene Kalkül produziert also nur korrekte mathematische Aussagen.
Die Umkehrung ist deutlich schwieriger: Es geht um die Frage, ob der Kalkül jeden allgemeingültigen Ausdruck formal ableiten kann, ob es also für jeden mathematischen Beweis eines Ausdrucks einer Sprache erster Stufe auch einen formalen Beweis gibt. Es ist die Frage, ob der Kalkül vollständig ist. Dies ist in der Tat der Fall. Für diesen Vollständigkeitssatz, der auf Gödel zurückgeht, geben wir nur eine kurze Beweisidee.
Es sei ein Symbolalphabet, eine Menge an - Ausdrücken und ein weiterer -Ausdruck.
Dann gilt genau dann, wenn gilt.
Beweis
(also insbesondere eine - Struktur) gibt, unter der gilt, aber nicht . Wegen der Unableitbarkeit kann man aus der Ausdrucksmenge keinen Widerspruch ableiten. Daher muss man zu einer (syntaktisch) widerspruchsfreien Ausdrucksmenge ein erfüllendes Modell konstruieren. Die Grundidee dazu ist, auf der Menge der -Terme eine Äquivalenzrelation unter Berücksichtigung der Ausdrucksmenge einzuführen und die resultierende Quotientenmenge
als Grundmenge der Struktur zu nehmen. Dahinter stecken aber einige Feinheiten, die wir hier nicht ausführen.
Das folgende Korollar, der sogenannte Endlichkeitssatz, demonstriert, dass der Vollständigkeitssatz keineswegs selbstverständlich ist. Es sei eine Folgerungsbeziehung bewiesen, also gezeigt, dass jede Interpretation, die erfüllt, auch erfüllen muss. Dabei sei unendlich, man denke etwa an ein unendliches Axiomenschema, wie es im Induktionsschema der erststufigen Peano-Arithmetik vorliegt. Ist es vorstellbar, dass in einem Beweis irgendwie auf all diese unendlich vielen Voraussetzungen Bezug genommen wird?
Es sei ein Symbolalphabet, eine Menge an - Ausdrücken und ein weiterer -Ausdruck.
Dann gilt genau dann, wenn es eine endliche Teilmenge gibt mit .
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