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Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 34

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Wir erinnern an den Begriff einer rationalen Funktion.


Zu Polynomen , , heißt die Funktion

wobei das Komplement der Nullstellen von ist, eine rationale Funktion.

Wir möchten zeigen, wie man zu solchen rationalen Funktionen eine Stammfunktion finden kann. In vielen Fällen wissen wir das bereits. Wenn ist, so handelt es sich um ein Polynom , das problemlos zu integrieren ist.

Für die Funktion ist der natürliche Logarithmus eine Stammfunktion.[1] Damit ist auch eine Funktion vom Typ

(mit ) integrierbar, eine Stammfunktion ist . Damit kann man überhaupt beliebige rationale Funktionen der Form

integrieren. Die Division mit Rest[2] führt zu einer Darstellung

mit einem weiteren Polynom und wobei das Restpolynom konstant ist, da sein Grad kleiner als der Grad des linearen Polynoms ist, durch das die Division durchgeführt wird. Aus dieser Gleichung erhält man die Darstellung

wobei wir für die beiden Summanden Stammfunktionen angeben können. Die Division mit Rest wird auch im allgemeinen Fall entscheidend sein. Davor betrachten wir aber noch den Fall eines quadratischen Nennerpolynoms mit Zähler , also

mit . Durch Multiplikation mit kann man den Koeffizienten vor zu normieren. Durch quadratisches Ergänzen kann man

schreiben. Mit der neuen Variablen (bzw. mit der Substitution ) schreibt sich dies als . Mit einer weiteren Substitution unter Verwendung der Quadratwurzel von bzw. von gelangt man zu

Im ersten Fall gilt

und im zweiten Fall gilt

wie in der 32. Vorlesung gezeigt wurde. Für die inversen Funktionen zu Potenzen von quadratischen nullstellenfreien Polynomen werden die Stammfunktionen durch folgende Rekursionsformel bestimmt.


Es sei (mit ) ein quadratisches Polynom ohne reelle Nullstelle (d.h., dass ist).

Dann ist[3]

eine Stammfunktion von

und für gilt die Rekursionsformel

Ableiten ergibt


Zum Beweis der Rekursionsformel setzen wir und leiten ab.

Division durch und Umstellen ergibt

Dies ist die Behauptung.


Mit Lemma 34.2 kann man auch rationale Funktionen der Form

(mit ,) integrieren, wo also das Zählerpolynom linear und das Nennerpolynom eine Potenz eines quadratischen Polynoms ist. Bei ist

D.h., dass die Differenz zwischen dieser Ableitung und der zu integrierenden Funktion vom Typ

ist, was wir aufgrund von Lemma 34.2 integrieren können. Bei ist

und wieder ist das Integral auf eine schon behandelte Situation zurückgeführt.


Wir möchten für beliebige rationale Funktionen mit Stammfunktionen bestimmen. Dies geht grundsätzlich immer, vorausgesetzt, dass man eine Faktorzerlegung des Nennerpolynoms besitzt. Aufgrund der reellen Version des Fundamentalsatzes der Algebra gibt es eine Faktorzerlegung

wobei die quadratische Polynome ohne reelle Nullstellen sind. Das Bestimmen der Stammfunktionen zu rationalen Funktionen beruht auf der Partialbruchzerlegung von rationalen Funktionen, die wir zuerst besprechen.



Partialbruchzerlegung

Die Partialbruchzerlegung liefert eine wichtige Darstellungsform für eine rationale Funktion , bei der die Nenner besonders einfach werden. Wir beginnen mit dem Fall , wo wir den Fundamentalsatz der Algebra zur Verfügung haben.


Es seien , , Polynome und es sei

mit verschiedenen .

Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes Polynom und eindeutig bestimmte Koeffizienten , , , mit

Die Division mit Rest liefert eine eindeutige Darstellung

mit . Wir müssen daher die Aussage nur für Quotienten aus Polynomen zeigen, bei denen der Grad des Zählerpolynoms kleiner als der Grad des Nennerpolynoms ist. Wir führen Induktion über den Grad des Nennerpolynoms. Bei ist nichts zu zeigen, denn der Quotient steht bereits in der gewünschten Form. Es sei nun ein Nennerpolynom vom Grad und die Aussage sei für kleineren Grad bereits bewiesen. Es sei ein Linearfaktor von , sodass wir

schreiben können, wobei den Grad besitzt. Die Ordnung von in sei . Wir setzen

an. Dies führt auf

aus der wir und bestimmen wollen. Da die Gleichheit insbesondere für gelten soll, muss

sein, wobei diese Division erlaubt ist, da die als verschieden vorausgesetzt worden sind. Wir betrachten nun

mit dem soeben bestimmten Wert . Für diese Differenz ist dann nach Konstruktion eine Nullstelle, sodass man nach Lemma 17.4 durch teilen kann, also

erhält. Dadurch ist eindeutig festgelegt. Der Grad von ist kleiner als der Grad von und daher ist der Grad von auch kleiner als der Grad von . Daher können wir auf die Induktionsvoraussetzung anwenden.


Wir wenden uns nun der reellen Situation zu.


Es seien , , Polynome und es sei

mit verschiedenen und verschiedenen quadratischen Polynomen ohne reelle Nullstellen.

Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes Polynom und eindeutig bestimmte Koeffizienten , , , und eindeutig bestimmte lineare Polynome , , , mit

Wir gehen von der komplexen Partialbruchzerlegung von aus. Die reell quadratischen Polynome zerfallen komplex als

mit . In der komplexen Partialbruchzerlegung betrachten wir die Teilsumme

mit . Wenn man auf die gesamte komplexe Partialbruchzerlegung die komplexe Konjugation anwendet, so bleibt der reelle Quotient unverändert, sodass auch die Partialbruchzerlegung in sich überführt wird. Daher müssen und zueinander konjugiert sein und die obige Teilsumme ist daher

wobei das Zählerpolynom reell ist, da es invariant unter der komplexen Konjugation ist. Dieses Zählerpolynom ist im Allgemeinen nicht linear, wir werden aber zeigen, dass man weiter auf lineare Zählerpolynome reduzieren kann. Der Grad von ist kleiner als der Grad des Nennerpolynoms. Durch sukzessive Division mit Rest von durch erhält man

mit linearen (reellen) Polynomen . Daher ist

Wenn man alles aufsummiert, so erhält man insgesamt die Existenz der reellen Partialbruchzerlegung. Für die Eindeutigkeit siehe Aufgabe *****.


Neben dem Umweg über die komplexe Partialbruchzerlegung gibt es weitere Methoden, in Beispielen die reelle Partialbruchzerlegung zu bestimmen. Grundsätzlich bedeutet das Bestimmen der (reellen oder komplexen) Koeffizienten in der Partialbruchzerlegung, ein (inhomogenes) lineares Gleichungssystem zu lösen, wobei man sowohl durch Koeffizientenvergleich als auch durch das Einsetzen von bestimmten Zahlen zu hinreichend vielen linearen Gleichungen kommt.


Wir betrachten die rationale Funktion

wobei der Faktor rechts reell nicht weiter zerlegbar ist. Daher muss es eine eindeutige Darstellung

geben. Multiplikation mit dem Nennerpolynom führt auf

Koeffizientenvergleich führt auf das inhomogene lineare Gleichungssystem

mit den eindeutigen Lösungen

Die Partialbruchzerlegung ist also



Wir betrachten die rationale Funktion

wo die Faktorzerlegung des Nennerpolynoms sofort ersichtlich ist. Der Ansatz

führt durch Multiplikation mit dem Nennerpolynom auf

Koeffizientenvergleich führt auf das inhomogene lineare Gleichungssystem

mit der Lösung

Insgesamt ist die Partialbruchzerlegung also gleich




Integration rationaler Funktionen

Es sei eine rationale Funktion

gegeben, für die eine Stammfunktion gefunden werden soll. Dabei seien und reelle Polynome. Man geht folgendermaßen vor.

  1. Bestimme die reelle Faktorzerlegung des Nennerpolynoms .
  2. Finde die Partialbruchzerlegung
  3. Bestimme für , für jedes

    und für jedes

    eine Stammfunktion.


Wir möchten eine Stammfunktion zu

bestimmen. Nach Beispiel 34.6 ist die reelle Partialbruchzerlegung gleich

Als Stammfunktion ergibt sich daher

wobei wir für den rechten Summanden Lemma 34.2 verwendet haben.



Wir möchten eine Stammfunktion zu

bestimmen. Nach Beispiel 34.7 ist die reelle Partialbruchzerlegung gleich

Als Stammfunktion ergibt sich daher




Fußnoten
  1. Die Wahl eines geeigneten Definitionsbereichs, um die Aussagen über Stammfunktionen auch in dieser Hinsicht präzise zu machen, überlassen wir dem Leser.
  2. Man kann die Division mit Rest durch ein lineares Polynom sukzessive fortsetzen und erhält ein Polynom in der „neuen Variablen“ . Dies geht nicht mit einem Polynom von höherem Grad.
  3. Manchmal wird eine Stammfunktion zu einer Funktion mit einer neuen Variablen angegeben, um die Rollen von Integrationsvariablen und Variable für die Integrationsgrenzen auseinander zu halten. In einem unbestimmten Integral, wo keine Integrationsgrenzen aufgeführt werden, ist das nicht wichtig. Bei einem Integral der Form ist die Integrationsvariable und die Grenzvariable. Der Ausdruck hängt aber nicht von ab, sondern lediglich von . Deshalb ist (auf beiden Seiten steht eine von abhängige Funktion, und diese stimmen überein) richtig und falsch. Eine Formulierung wie ist eine Stammfunktion von ist aber korrekt..



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