Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 26
- Stammfunktionen zu rationalen Funktionen
Wir möchten zeigen, wie man zu einer rationalen Funktion (gegeben durch zwei Polynome , ) eine Stammfunktion finden kann. Im Allgemeinen gehen bei der Bestimmung einer solchen Stammfunktion verschiedene Techniken ein, die wir im Laufe der Vorlesung kennengelernt haben: die Division mit Rest für Polynome, das Lösen inhomogener linearer Gleichungssysteme und Integrationsregeln.
Wenn das Nennerpolynom ist, so handelt es sich einfach um ein Polynom , das problemlos zu integrieren ist. Für die Funktion ist der natürliche Logarithmus eine Stammfunktion.[1] Damit ist auch eine Funktion vom Typ
(mit ) integrierbar, eine Stammfunktion ist . Damit kann man überhaupt beliebige rationale Funktionen der Form
integrieren. Die Division mit Rest[2] führt zu einer Darstellung
mit einem weiteren Polynom , und wobei das Restpolynom konstant ist, da sein Grad kleiner als der Grad des linearen Polynoms ist, durch das die Division durchgeführt wird. Aus dieser Gleichung erhält man die Darstellung
wobei wir für die beiden Summanden Stammfunktionen angeben können. Die Division mit Rest wird auch im allgemeinen Fall entscheidend sein. Davor betrachten wir aber noch den Fall eines quadratischen Nennerpolynoms mit Zähler , also
schreiben. Mit der neuen Variablen (bzw. mit der Substitution ) schreibt sich dies als . Mit einer weiteren Substitution unter Verwendung der Quadratwurzel von bzw. von gelangt man zu
Im ersten Fall gilt
und im zweiten Fall gilt
wie früher gezeigt wurde. Für die inversen Funktionen zu Potenzen von quadratischen nullstellenfreien Polynomen werden die Stammfunktionen durch folgende Rekursionsformel bestimmt.
Ableiten ergibt
Zum Beweis der Rekursionsformel setzen wir und leiten ab.
Division durch und Umstellen ergibt
Dies ist die Behauptung.
Mit Lemma 26.1 kann man auch rationale Funktionen der Form
(mit ,) integrieren, wo also das Zählerpolynom linear und das Nennerpolynom eine Potenz eines quadratischen Polynoms ist. Bei ist
D.h., dass die Differenz zwischen dieser Ableitung und der zu integrierenden Funktion vom Typ
ist, was wir aufgrund von Lemma 26.1 integrieren können. Bei ist
und wieder ist das Integral auf eine schon behandelte Situation zurückgeführt.
Wir möchten für beliebige rationale Funktionen mit Stammfunktionen bestimmen. Dies geht grundsätzlich immer, vorausgesetzt, dass man eine Faktorzerlegung des Nennerpolynoms besitzt. Aufgrund der reellen Version des Fundamentalsatzes der Algebra gibt es eine Faktorzerlegung
wobei die quadratische Polynome ohne reelle Nullstellen sind. Das Bestimmen der Stammfunktionen zu rationalen Funktionen beruht auf der Partialbruchzerlegung von rationalen Funktionen, die wir zuerst besprechen.
- Partialbruchzerlegung
Die Partialbruchzerlegung liefert eine wichtige Darstellungsform für eine rationale Funktion , bei der die Nenner besonders einfach werden. Wir beginnen mit dem Fall , wo wir den Fundamentalsatz der Algebra zur Verfügung haben.
Es seien , , Polynome und es sei
mit verschiedenen .
Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes Polynom und eindeutig bestimmte Koeffizienten , , , mit
Beweis
Wir wenden uns nun der reellen Situation zu.
Es seien , , Polynome und es sei
mit verschiedenen und verschiedenen quadratischen Polynomen ohne reelle Nullstellen.
Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes Polynom und eindeutig bestimmte Koeffizienten , , , und eindeutig bestimmte lineare Polynome , , , mit
Beweis
Neben dem Umweg über die komplexe Partialbruchzerlegung gibt es weitere Methoden, in Beispielen die reelle Partialbruchzerlegung zu bestimmen. Grundsätzlich bedeutet das Bestimmen der
(reellen oder komplexen)
Koeffizienten in der Partialbruchzerlegung, ein
(inhomogenes) lineares Gleichungssystem zu lösen, wobei man sowohl durch Koeffizientenvergleich als auch durch das Einsetzen von bestimmten Zahlen zu hinreichend vielen linearen Gleichungen kommt.
Wir betrachten die rationale Funktion
wobei der Faktor rechts reell nicht weiter zerlegbar ist. Daher muss es eine eindeutige Darstellung
geben. Multiplikation mit dem Nennerpolynom führt auf
Koeffizientenvergleich führt auf das inhomogene lineare Gleichungssystem
mit den eindeutigen Lösungen
Die Partialbruchzerlegung ist also
Wir betrachten die rationale Funktion
wo die Faktorzerlegung des Nennerpolynoms sofort ersichtlich ist. Der Ansatz
führt durch Multiplikation mit dem Nennerpolynom auf
Koeffizientenvergleich führt auf das inhomogene lineare Gleichungssystem
mit der Lösung
Insgesamt ist die Partialbruchzerlegung also gleich
- Integration rationaler Funktionen
Es sei eine rationale Funktion
gegeben, für die eine Stammfunktion gefunden werden soll. Dabei seien und reelle Polynome. Man geht folgendermaßen vor.
- Bestimme die reelle Faktorzerlegung des Nennerpolynoms .
- Finde die Partialbruchzerlegung
- Bestimme für , für jedes
und für jedes
eine Stammfunktion.
Wir möchten eine Stammfunktion zu
bestimmen. Nach Beispiel 26.5 ist die reelle Partialbruchzerlegung gleich
Als Stammfunktion ergibt sich daher
wobei wir für den rechten Summanden Lemma 26.1 verwendet haben.
Wir möchten eine Stammfunktion zu
bestimmen. Nach Beispiel 26.6 ist die reelle Partialbruchzerlegung gleich
Als Stammfunktion ergibt sich daher
- Stammfunktionen zu rationalen Funktionen in der Exponentialfunktion
Nachdem wir nun rationale Funktionen integrieren können, können wir auch für eine ganze Reihe von Funktionen eine Stammfunktion finden, die wir durch gewisse Standardsubstitution auf eine rationale Funktion zurückführen können. Wir führen dies exemplarisch für Funktionen durch, die sich als rationale Funktionen in der Exponentialfunktion schreiben lassen.
Es sei eine rationale Funktion in der Exponentialfunktion, d.h. es gebe Polynome , , derart, dass
gilt.
Dann kann man durch die Substitution das Integral auf das Integral einer rationalen Funktion zurückführen.
Bei der Substitution ist
und für die Polynome und ergeben sich
Insgesamt ergibt sich also die rationale Funktion . In deren Stammfunktion muss man dann einsetzen.
Wir wollen eine Stammfunktion für die Funktion
finden. Das in Lemma 26.10 beschriebene Verfahren führt auf die rationale Funktion
sodass die Partialbruchzerlegung direkt vorliegt. Die Stammfunktion von dieser rationalen Funktion ist
Die Stammfunktion von ist daher
- Fußnoten
- ↑ Die Wahl eines geeigneten Definitionsbereichs, um die Aussagen über Stammfunktionen auch in dieser Hinsicht präzise zu machen, überlassen wir dem Leser.
- ↑ Man kann die Division mit Rest durch ein lineares Polynom sukzessive fortsetzen und erhält ein Polynom in der „neuen Variablen“ . Dies geht nicht mit einem Polynom von höherem Grad.
- ↑ Manchmal wird eine Stammfunktion zu einer Funktion mit einer neuen Variablen angegeben, um die Rollen von Integrationsvariablen und Variable für die Integrationsgrenzen auseinander zu halten. In einem unbestimmten Integral, wo keine Integrationsgrenzen aufgeführt werden, ist das nicht wichtig. Bei einem Integral der Form ist die Integrationsvariable und die Grenzvariable. Der Ausdruck hängt aber nicht von ab, sondern lediglich von . Deshalb ist (auf beiden Seiten steht eine von abhängige Funktion, und diese stimmen überein) richtig und falsch. Eine Formulierung wie ist eine Stammfunktion von ist aber korrekt.
<< | Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I | >> |
---|