Kurs:Topologie (Osnabrück 2008-2009)/Vorlesung 3

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Unterräume und Quotientenräume

Ziel ist es nun, aus bereits gegebenen topologischen Räumen neue zu konstruieren. Ist etwa ein topologischer Raum, so ist es gegebenenfalls von Interesse, lediglich eine Teilmenge von zu betrachten. Diese kann man im Allgemeinen auf verschiedene Weisen mit einer Topologie versehen, aber es gibt eine ausgezeichnete, die Unterraumtopologie. Ebenso ist es gegebenenfalls von Interesse, gewisse Punkte von zu identifizieren, mit Hilfe einer Äquivalenzrelation. Die zugehörige Quotientenmenge kann wieder mit einer ausgezeichneten Topologie, der Quotiententopologie, versehen werden.


Definition (Unterraumtopologie)  

Es sei ein topologischer Raum und eine Teilmenge. Folgende Vorschrift definiert eine Topologie auf : Für eine Teilmenge gilt genau dann, wenn es eine in offene Menge gibt, so dass gilt.


Beispiel  

Es sei versehen mit der üblichen Topologie und sei das Einheitsintervall. Das halboffene Intervall ist eine in der Unterraumtopologie offene Teilmenge von . Denn ist offen in (es ist ja eine offene Kugel), und es gilt


Nun ist es so, dass eine Teilmenge in Begleitung einer Abbildung daherkommt, der kanonischen Inklusion . Es ist . Die Unterraumtopologie ist so definiert, dass die kanonische Inklusion stetig ist (alles andere wäre ja auch ziemlich idiotisch). Aber auch die diskrete Topologie auf hätte die Eigenschaft, dass die kanonische Inklusion stetig ist. Was die Unterraumtopologie auszeichnet, ist die folgende Eigenschaft.



Satz (Universelle Eigenschaft der Unterraumtopologie)  

Es sei ein topologischer Raum und eine Teilmenge. Es sei weiter ein topologischer Raum und eine Abbildung.

Die Abbildung ist stetig bezüglich der Unterraumtopologie genau dann, wenn die Komposition stetig ist.

Beweis  

Eine Implikation folgt sofort, da die Komposition stetiger Abbildungen wieder stetig ist nach Fakt *****. Es sei also stetig. Es ist zu zeigen, dass stetig ist. Es sei also . Nach Definition der Unterraumtopologie gibt es mit . Nun ist aber

also ist nach Voraussetzung


Ist ein metrischer Raum und eine Teilmenge, so ist auch ein metrischer Raum, wobei die Einschränkung der Metrik von auf ist. Die Unterraumtopologie von bezüglich stimmt überein mit der durch induzierten Topologie .

Um sich mit Quotiententopologien zu beschäftigen, ist es erforderlich, den Begriff der Äquivalenzrelation verinnerlicht zu haben. Die folgende Sammlung von Definitionen kann dies nicht leisten.


Definition (Relation)  

Es seien und Mengen. Eine Relation zwischen und ist eine Teilmenge .

Abbildungen sind Relationen mit bestimmten Eigenschaften.


Definition (Äquivalenzrelation)  

Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge ist eine Relation , die die folgenden drei Eigenschaften besitzt:

    • Es ist
    (Die Relation ist reflexiv).
    • Ist , so ist auch
    (Die Relation ist symmetrisch).
    • Sind und , so ist auch
    (Die Relation ist transitiv).

Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge kann auch als Zerlegung der Menge aufgefaßt werden. Hierzu ist der Begriff der Äquivalenzklasse nützlich.


Definition (Äquivalenzklasse)  

Es sei eine Äquivalenzrelation und . Dann ist

die Äquivalenzklasse von bezüglich .

In Worten: ist die Teilmenge aller der Elemente von , die zu äquivalent sind. Weil reflexiv ist, gilt . Insbesondere ist


Definition (Quotientenmenge)  

Sei eine Äquivalenzrelation. Dann heißt

die Quotientenmenge von .


Weil symmetrisch und transitiv ist, folgt aus schon . Insbesondere ist die Vereinigung eine disjunkte Vereinigung. In anderen Worten: ist eine Zerlegung von in die Äquivalenzklassen bezüglich .


Definition (Kanonische Projektion)  

Es sei eine Äquivalenzrelation und die Quotientenmenge. Die Abbildung

heißt kanonische Projektion von .

Auf diese Weise sieht man, dass Äquivalenzrelationen ebenso als surjektive Abbildungen aufgefaßt werden können. Ist eine Äquivalenzrelation und eine Abbildung mit , so gibt es genau eine Abbildung mit . Man setzt , was nach Voraussetzung nicht von der Wahl des Repräsentanten der Äquivalenzklasse abhängt.

Zurück zur Topologie.


Definition (Quotiententopologie)  

Es sei ein topologischer Raum und eine Äquivalenzrelation auf . Es sei weiter die kanonische Projektion auf die Quotientenmenge. Folgende Vorschrift definiert eine Topologie auf : Für eine Teilmenge gilt genau dann, wenn gilt. Es läßt sich leicht nachweisen, dass eine Topologie ist. Sie heißt Quotiententopologie, und der topologische Raum ist ein Quotientenraum von .

Die Quotiententopologie ist so definiert, dass die kanonische Projektion stetig ist (alles andere wäre ja auch ziemlich idiotisch). Aber auch die indiskrete Topologie auf der Quotientenmenge hätte die Eigenschaft, dass die kanonische Projektion stetig ist. Was die Quotiententopologie auszeichnet, ist die folgende Eigenschaft.



Satz (Universelle Eigenschaft der Quotiententopologie)  

Es sei ein topologischer Raum und eine Äquivalenzrelation. Es sei weiter ein topologischer Raum und eine Abbildung.

Die Abbildung ist stetig bezüglich der Quotiententopologie genau dann, wenn die Komposition stetig ist.

Beweis  

Eine Implikation folgt sofort, da die Komposition stetiger Abbildungen wieder stetig ist nach Fakt *****. Es sei also stetig. Es ist zu zeigen, dass stetig ist. Es sei also . Nach Definition der Quotiententopologie ist genau dann, wenn . Letzteres gilt nach Voraussetzung.


Eine stetige Abbildung auf einem Quotientenraum konstruiert man, indem eine stetige Abbildung auf konstruiert wird, die mit der Äquivalenzrelation verträglich ist.


Beispiel  

Es sei das Einheitsintervall (versehen mit der üblichen Topologie) und

die von erzeugte Äquivalenzrelation. Die Quotientenmenge hat also genau zwei Elemente: Die Äquivalenzklasse , und die Äquivalenzklasse . Die Quotiententopologie besteht also aus den Mengen . Die Menge ist offen, weil das Urbild offen ist in . Der topologische Raum sieht also genau so aus wie der Sierpinski-Raum von Fakt *****. Wie wir später sehen werden, ist die Topologie des Quotientenraumes nicht von einer Metrik induziert, obwohl ein metrischer Raum ist. Der Quotientenraum eines metrischen Raumes ist also nicht notwendigerweise ein metrischer Raum. Dies ist ein wesentlicher Vorteil topologischer Räume.


Der folgende Quotientenraum (und gewisse Verwandte, die später auftauchen) ist einer der wichtigsten topologischen Räume überhaupt.


Beispiel (Reell projektiver Raum)  

Es sei und . Der euklidische Raum ist ein reeller Vektorraum, wobei die Skalarmultiplikation von und mit bezeichnet wird. Es sei weiter

Dies ist eine Äquivalenzrelation, denn
  1. ,
  2. ,
  3. , und
  4. die Skalarmultiplikation ist assoziativ.

Die Quotientenmenge, versehen mit der Quotiententopologie, heißt reell-projektiver Raum (der reellen Dimension ) und wird mit bezeichnet. Einen Punkt im kann man sich als Gerade durch den Nullpunkt im vorstellen.


Um die universelle Eigenschaft der Quotiententopologie zu illustrieren, sei die von erzeugte Äquivalenzrelation auf dem Einheitsintervall. Anschaulich sollte der Quotientenraum , das Einheitsintervall mit identifizierten Endpunkten, praktisch dasselbe sein wie der Kreis . Dem ist auch so. Man präzisiert dies auf folgende Weise.


Definition (Topologische Äquivalenz)  

Eine stetige Abbildung topologischer Räume ist eine topologische Äquivalenz, wenn es eine stetige Abbildung gibt, so dass die Gleichungen und gelten.

Eine topologische Äquivalenz zwischen einem Quotientenraum und einem anderen Raum konstruiert man am besten weg vom Quotientenraum. Gesucht ist also eine stetige Abbildung , die mit der Äquivalenzrelation verträglich ist. Ein Kandidat ist die Exponentialabbildung , denn

Die Exponentialabbildung induziert also eine Abbildung Aus der Analysis ist bereits bekannt, dass die Exponentialabbildung stetig ist. Nach der universellen Eigenschaft der Quotiententopologie ist also auch stetig. Da schon surjektiv ist, ist erst recht surjektiv. Und ist injektiv, denn es ist . Weil die Abbildung bijektiv ist, besitzt sie eine Umkehrabbildung. Sei diese . Es bleibt nun zu zeigen, dass stetig ist. Sei also offen. Es ist zu zeigen, dass offen ist. Ist , so gibt es nichts zu tun. Sei also . Es ist zu zeigen, dass eine offene -Kugel um enthält.

  1. Sei . Dann ist nach Definition der Quotiententopologie eine offene Menge, die enthält. Es gibt also ein mit der Eigenschaft, dass . Dann ist aber

    und letzteres ist der Schnitt einer offenen -Kugel in um mit .

  2. Sei . Weil offen ist in der Quotiententopologie, ist offen. Da gibt es ein derart, dass . Dann ist aber

    und letzteres ist der Schnitt einer offenen -Kugel in um mit .

Somit ist auch die Umkehrabbildung von stetig. Dies beendet den Nachweis der topologischen Äquivalenz zwischen und für .


Beispiel (Warnung)  

Es sei die Einschränkung der Exponentialabbildung auf das halboffene Intervall . Diese Abbildung ist stetig und bijektiv, aber die Umkehrabbildung ist nicht stetig. Denn es ist eine Folge mit

Dieses Phänomen tritt bei Gruppenhomomorphismen nicht auf. Ist ein bijektiver Gruppenhomomorphismus, so ist die Umkehrabbildung automatisch ein Gruppenhomomorphismus. In der kommenden Veranstaltung werden wir topologische Kriterien erarbeiten, die dieses pathologische Phänomen ausschließen.




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