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Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)/Teil I/Vorlesung 19

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In den folgenden Vorlesungen werden wir versuchen, eine quadratische - Matrix (bzw. einen Endomorphismus) dadurch zu verstehen, dass wir Ausdrücke der Form

untersuchen, wobei als das -fache Matrixprodukt der Matrix mit sich selbst und als Einheitsmatrix zu interpretieren ist. Solche Ausdrücke ergeben sich, indem man in Polynome Matrizen einsetzt. In dieser Vorlesung führen wir Polynome und den Polynomring ein.



Der Polynomring über einem Körper

Der Polynomring über einem Körper besteht aus allen Polynomen

mit , , und mit komponentenweiser Addition und einer Multiplikation, die durch distributive Fortsetzung der Regel

definiert ist.

Ein Polynom

ist formal gesehen nichts anderes als das Tupel , die die Koeffizienten des Polynoms heißen. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie in allen ihren Koeffizienten übereinstimmen. Dabei nennt man die Variable des Polynomrings. Der Körper heißt in diesem Zusammenhang der Grundkörper des Polynomrings. Aufgrund der komponentenweisen Definition der Addition liegt unmittelbar eine kommutative Gruppe vor, mit dem Nullpolynom (bei dem alle Koeffizienten sind) als neutralem Element. Die Polynome mit für alle heißen konstante Polynome, man schreibt sie einfach als .

Die für ein einfaches Tupel zunächst ungewöhnliche Schreibweise deutet in suggestiver Weise an, wie die Multiplikation aussehen soll, das Produkt ist nämlich durch die Addition der Exponenten, also , gegeben. Für beliebige Polynome ergibt sich die Multiplikation aus dieser einfachen Multiplikationsregel durch distributive Fortsetzung gemäß der Vorschrift, „alles mit allem“ zu multiplizieren. Die Multiplikation ist also explizit durch folgende Regel gegeben:[1]

Die Multiplikation ist assoziativ, kommutativ, distributiv und besitzt das konstante Polynom als neutrales Element, siehe Aufgabe *****. Insgesamt liegt also ein kommutativer Ring vor.



Der Grad eines von verschiedenen Polynoms

mit ist .

Das Nullpolynom bekommt keinen Grad. Der Koeffizient , der zum Grad des Polynoms gehört, heißt Leitkoeffizient des Polynoms. Der Ausdruck heißt Leitterm. Ein Polynom mit Leitkoeffizient heißt normiert.

Der Graph einer Polynomfunktion von nach vom Grad .

In ein Polynom kann man ein Element einsetzen, indem man die Variable an jeder Stelle durch ersetzt. Dies führt zu einer Abbildung

die die durch das Polynom definierte Polynomfunktion heißt. Diese Abbildung ist im Allgemeinen nicht linear, Linearität liegt nur bei vor.



Die Division mit Rest

Es sei ein Körper. Man sagt, dass ein Polynom ein Polynom teilt, wenn es ein Polynom mit

gibt.

Wenn von geteilt wird, so sagt man auch, dass ein Vielfaches von ist. In ist es, anders wie in einem Körper, aber ähnlich wie in , nicht möglich, ein Element durch ein anderes Element zu teilen. Es gibt aber einen wichtigen Ersatz dafür, die Division mit Rest.



Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es seien Polynome mit .

Dann gibt es eindeutig bestimmte Polynome mit

Wir beweisen die Existenzaussage durch Induktion über den Grad von . Wenn der Grad von größer als der Grad von ist, so ist und eine Lösung, sodass wir dies nicht weiter betrachten müssen. Bei ist nach der Vorbemerkung auch , also ist ein konstantes Polynom, und damit ist (da und ein Körper ist) und eine Lösung. Es sei nun und die Aussage für kleineren Grad schon bewiesen. Wir schreiben und mit . Dann gilt mit die Beziehung

Dieses Polynom hat einen Grad kleiner als und darauf können wir die Induktionsvoraussetzung anwenden, d.h. es gibt und mit

Daraus ergibt sich insgesamt

sodass also und eine Lösung ist. Zur Eindeutigkeit sei mit den angegebenen Bedingungen. Dann ist . Da die Differenz einen Grad kleiner als besitzt, ist aufgrund der Gradeigenschaften diese Gleichung nur bei und lösbar.


Das Polynom ist genau dann ein Teiler von , wenn bei der Division mit Rest von durch der Rest gleich ist. Der Beweis des Satzes ist konstruktiv, d.h. es wird in ihm ein Verfahren beschrieben, mit der man die Division mit Rest berechnen kann. Dazu muss man die Rechenoperationen des Grundkörpers beherrschen. Wir geben dazu zwei Beispiele, eines über den rationalen Zahlen und eines über den komplexen Zahlen.


Wir führen die Polynomdivision

(über ) durch. Es wird also ein Polynom vom Grad durch ein Polynom vom Grad dividiert, d.h. dass der Quotient und auch der Rest (maximal) vom Grad sind. Im ersten Schritt überlegt man, mit welchem Term man multiplizieren muss, damit das Produkt mit im Leitterm übereinstimmt. Das ist offenbar . Das Produkt ist

Die Differenz von zu diesem Produkt ist

Mit diesem Polynom, nennen wir es , setzen wir die Division durch fort. Um Übereinstimmung im Leitkoeffizienten zu erhalten, muss man mit multiplizieren. Dies ergibt

Die Differenz zu ist somit

Dies ist das Restpolynom und somit ist insgesamt



Wir führen die Polynomdivision

aus. Das Inverse zu ist und daher ist

Daher beginnt mit und es ist

Dies muss man nun von abziehen und erhält

Auf dieses Polynom (nennen wir es ) wird das gleiche Verfahren angewendet. Man berechnet

Daher ist der konstante Term von gleich und es ergibt sich

Dies ziehen wir von ab und erhalten

Dies ist der Rest , die vollständige Division mit Rest ist also




Nullstellen

Unter einer Nullstelle eines Polynoms versteht man ein mit . Ein Polynom muss keine Nullstellen besitzen, ferner hängt dies vom Grundkörper ab. Das Polynom hat keine reelle Nullstelle, dagegen gibt es die komplexen Nullstellen und . Als Element in kann man nicht als Produkt von einfacheren Polynomen schreiben, in hingegen hat man die Zerlegung

Es sei ein Körper, der Polynomring über und . Dann ist die Einsetzungsabbildung

- linear. Darüber hinaus gilt

siehe Aufgabe 19.8.




Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es sei ein Polynom und .

Dann ist genau dann eine Nullstelle von , wenn ein Vielfaches des linearen Polynoms ist.

Wenn ein Vielfaches von ist, so kann man

mit einem weiteren Polynom schreiben. Einsetzen ergibt

Im Allgemeinen gibt es aufgrund der Division mit Rest eine Darstellung

wobei oder aber den Grad besitzt, also so oder so eine Konstante ist. Einsetzen ergibt

Wenn also ist, so muss der Rest sein, und das bedeutet, dass ist.



Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es sei ein Polynom () vom Grad .

Dann besitzt maximal Nullstellen.

Wir beweisen die Aussage durch Induktion über . Für ist die Aussage offensichtlich richtig. Es sei also und die Aussage sei für kleinere Grade bereits bewiesen. Es sei eine Nullstelle von (falls keine Nullstelle besitzt, sind wir direkt fertig). Dann ist nach Lemma 19.8 und hat den Grad , sodass wir auf die Induktionsvoraussetzung anwenden können. Das Polynom hat also maximal Nullstellen. Für gilt . Dies kann nach Lemma 3.10 nur dann sein, wenn einer der Faktoren ist, sodass eine Nullstelle von gleich ist oder aber eine Nullstelle von ist. Es gibt also maximal Nullstellen von .



Der Fundamentalsatz der Algebra

Es gilt der folgende Fundamentalsatz der Algebra, den wir hier ohne Beweis erwähnen.


Jedes nichtkonstante Polynom über den komplexen Zahlen

besitzt eine Nullstelle.

Aus dem Fundamentalsatz der Algebra folgt, dass jedes von verschiedene Polynom in Linearfaktoren zerfällt, d.h. man kann

mit bis auf die Reihenfolge eindeutig bestimmten komplexen Zahlen schreiben (wobei Wiederholungen erlaubt sind).



Rationale Funktionen

Der Polynomring ist ein kommutativer Ring, aber kein Körper. Man kann aber mit Hilfe von formal-rationalen Funktionen einen Körper konstruieren, der den Polynomring enthält, ähnlich wie man aus die rationalen Zahlen konstruieren kann. Dazu definiert man

wobei man wie bei zwei Brüche und miteinander identifiziert, wenn

ist. Auf diese Weise entsteht der Körper der rationalen Funktionen (über ).

Man kann Brüche von Polynomen als Funktionen auffassen, die außerhalb der Nullstellen des Nenners definiert sind. Das Beispiel zeigt den Graph der rationalen Funktion .

Einen formalen Ausdruck kann man in folgender Weise wieder als eine Funktion auffassen.


Es sei ein Körper. Zu Polynomen , , heißt die Funktion

wobei das Komplement der Nullstellen von ist, eine rationale Funktion.

Die nach den Polynomfunktionen einfachsten Funktionen sind die rationalen Funktionen.



Fußnoten
  1. Wobei wir natürlich, wie auch bei der Addition oder dem Vergleichen von Polynomen verschiedener Grade, die Polynome für bzw. mit den Koeffizienten bzw. ergänzen können.


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Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)