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Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 4

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Induktive Definition von Abbildungen

Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und es sei eine Menge mit einem fixierten Element[1] und einer Abbildung .

Dann gibt es genau eine Abbildung

die die beiden Eigenschaften

erfüllt.

Wir zeigen zuerst durch Induktion über , dass es auf der Menge eine eindeutig bestimmte Abbildung

gibt, die die erste Bedingung und die zweite Bedingung für alle erfüllt. Bei besteht die Menge aus dem einzigen Element und dafür legt die erste Bedingung die Abbildung eindeutig fest. Sei die Aussage nun für bewiesen und betrachte . Es ist und die Bedingungen legen nach Induktionsvoraussetzung eine eindeutige Abbildung fest. Für das zusätzliche Element muss gelten, wodurch die Abbildung auch auf der größeren Menge eindeutig festgelegt ist.

Aufgrund der Eindeutigkeit gilt insbesondere, dass wenn man auf mit einschränkt, sich ergibt. Daher gilt auch, dass die zu konstruierende Abbildung eingeschränkt auf jeden Abschnitt mit übereinstimmen muss. Daher setzen wir , und diese Abbildung erfüllt die Eigenschaften für alle .


Aufgrund dieser Eigenschaft kann man jetzt einfach zeigen (siehe Aufgabe 4.3), dass es zu je zwei Peanomodellen und für natürliche Zahlen eine eindeutig bestimmte bijektive Abbildung

gibt, die in überführt und die mit der Nachfolgeabbildung verträglich ist.



Verknüpfungen

Ausgehend von den Peano-Axiomen kann man eine Addition auf der Menge der natürlichen Zahlen definieren, wobei die Nachfolgefunktion der Addition mit entspricht. Die Definierbarkeit beruht selbst auf dem Induktionsprinzip. Ebenso kann man eine Multiplikation definieren. Beide Operationen fallen unter den Begriff der Verknüpfung, den wir nun allgemein einführen.


Eine Verknüpfung auf einer Menge ist eine Abbildung

Eine Verknüpfung macht also aus einem Paar

ein einziges Element

Eine Vielzahl von mathematischen Konstruktionen fällt unter diesen Begriff: Die Addition, die Differenz, die Multiplikation, die Division von Zahlen, die Verknüpfung von Abbildungen, der Durchschnitt oder die Vereinigung von Mengen, etc. Als Verknüpfungssymbol kommt eine ganze Reihe in Frage, z.B. u.s.w. Je nach dem gewählten Symbol spricht man statt Verknüpfung auch von Multiplikation oder Addition, ohne dass man damit eine inhaltliche Bedeutung verbinden sollte. Wichtige strukturelle Eigenschaften einer Verknüpfung werden in den folgenden Definitionen aufgelistet.


Eine Verknüpfung

auf einer Menge heißt kommutativ, wenn für alle die Gleichheit

gilt.


Eine Verknüpfung

auf einer Menge heißt assoziativ, wenn für alle die Gleichheit

gilt.


Es sei eine Menge mit einer Verknüpfung

gegeben. Dann heißt ein Element neutrales Element der Verknüpfung, wenn für alle die Gleichheit gilt.

Im kommutativen Fall muss man natürlich für das neutrale Element nur eine Reihenfolge betrachten.


Es sei eine Menge mit einer Verknüpfung

und einem neutralen Element gegeben. Dann heißt zu einem Element ein Element inverses Element (zu ). wenn die Gleichheit

gilt.

Bei einer Verknüpfung auf einer Menge bezeichnet man eine (vollständige) Wertetabelle auch als Verknüpfungstafel. In einer solchen Tabelle stehen sowohl in der Leitzeile als auch in der Leitspalte die (linear geordneten) Elemente aus , und in der Überkreuzungsstelle zu und steht der Verknüpfungswert als Eintrag. Dabei muss man festlegen, welche Ordnung zwischen den Zeilen und Spalten gilt, also ob im Kreuzungspunkt der -ten Spalte und der -ten Zeile oder steht. Diese Festlegung ist insbesondere wichtig, da bei Matrizen und Koordinatensystemen andere Konventionen gelten.



Addition auf natürlichen Zahlen

Wir wollen die Addition auf den natürlichen Zahlen definieren, und zwar ausgehend von den Peanoaxiomen. Die Addition mit soll dabei das Element wiedergeben - d.h. soll das neutrale Element der Addition sein - und die Addition eines Elementes mit soll der Nachfolger von sein. Die Grundidee ist dabei, die Summe dadurch zu definieren, dass man sukzessive den ersten Summand um eins erhöht (also den Nachfolger nimmt) und den zweiten um eins vermindert (also den Vorgänger nimmt, falls ist). Um dies präzise durchzuführen verwenden wir obiges induktives Definitionsprinzip. Wir wenden dieses Prinzip für die Nachfolgerabbildung und für eine natürliche Zahl als Startglied an. Die daraus gewonnene Abbildung beschreibt das Addieren mit dieser Zahl (es wird also die zweistellige Addition auf einstellige Operationen zurückgeführt).


Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und . Dann definieren wir die Addition mit als diejenige aufgrund von Lemma 4.1 eindeutig bestimmte Abbildung

für die

gilt.

Damit definieren wir
und nennen das die Addition von natürlichen Zahlen. Man beachte, dass hier die Addition in einer Weise definiert wird, in der die Kommutativität keineswegs offensichtlich ist.[2]



Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen.

Dann gibt es genau eine Verknüpfung

mit

Beweis

Siehe Aufgabe 4.4.



Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen mit der in Definition 4.7 festgelegten Addition.

Dann gelten folgende Aussagen.

  1. für alle , d.h. ist das neutrale Element für die Addition.

  2. für alle .

  3. Die Addition ist kommutativ.
  4. Die Addition ist assoziativ.
  5. Aus einer Gleichung folgt
    (Abziehregel).

(1). Die Gleichung links ergibt sich direkt aus der Definition, die rechte Gleichung, also , folgt aus einer einfachen Induktion nach .

(2). Die linke Gleichung folgt direkt aus der Definition, die rechte besagt . Wir beweisen sie für beliebiges durch Induktion über . Bei steht beidseitig . Es sei die Aussage nun für schon bewiesen und betrachten wir . Dann ist

Für die anderen Aussagen siehe Aufgabe 4.5.




Multiplikation auf natürlichen Zahlen

Zur Definition der Multiplikation verwenden wir erneut das Prinzip der induktiven Definition. Zu einer natürlichen Zahl betrachten wir den Startwert und die durch die Addition mit definierte Abbildung .


Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und . Dann definieren wir die Multiplikation mit als diejenige aufgrund von Lemma 4.1 eindeutig bestimmte Abbildung

für die

gilt.

Damit definieren wir die Multiplikation von zwei natürlichen Zahlen durch

Es gilt also und . Diese beiden Eigenschaften legen bereits die Multiplikationsverknüpfung eindeutig fest.


Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen.

Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Verknüpfung

die

erfüllt.

Beweis

Siehe Aufgabe 4.6.



Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen mit der in Definition 4.10 festgelegten Multiplikation.

Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es gilt

    für alle ,

  2. Es gilt

    für alle , d.h. ist das neutrale Element für die Multiplikation.

  3. Es ist

    für alle .

  4. Die Multiplikation ist kommutativ.
  5. Die Multiplikation ist assoziativ.
  6. Aus einer Gleichung mit folgt (Kürzungsregel).
  7. Für beliebige gilt

    (Distributivgesetz).

Beweis

Siehe Aufgabe 4.13.




Summen und Produktzeichen

Es seien nun , , () natürliche Zahlen (das wird später ebenso für reelle Zahlen oder Elemente in einem beliebigen Körper verwendet). Dann wird das Summen- und das Produktzeichen folgendermaßen definiert.

Dies sind geschlossene und einfach zu verstehende Ausdrücke. Formal korrekter und auch beweistechnisch vorteilhaft ist es, diese Zeichen induktiv (oder rekursiv) durch

zu erklären. Insbesondere sind für die Vielfachen durch

und die Potenzen durch

definiert. Dabei gelten die Konventionen und

(die erste lässt sich auch über die Multiplikation begründen, die zweite ist aber auch sinnvoll). [3]


Zu einer natürlichen Zahl nennt man die Zahl

die Fakultät von (sprich Fakultät).

Bei einer -elementigen Menge gibt es bijektive Abbildungen von nach . Gleichbedeutend damit ist, dass es Möglichkeiten gibt, Objekte auf Plätze zu verteilen.



Gruppen

Eine Menge mit einem ausgezeichneten Element und mit einer Verknüpfung

heißt Gruppe, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.

  1. Die Verknüpfung ist assoziativ, d.h. für alle gilt
  2. Das Element ist ein neutrales Element, d.h. für alle gilt
  3. Zu jedem gibt es ein inverses Element, d.h. es gibt ein mit

Man beachte, dass kein Kommutativitätsgesetz vorausgesetzt wird, so dass man die zweifachen Formulierungen in Teil (2) und (3) benötigt (eine Gruppe, wo zusätzlich die Kommutativität gilt, heißt kommutative Gruppe). Die Symbole für die Verknüpfung und für das neutrale Element sind willkürlich gewählt, man könnte sie auch anders nennen. Es ist aber sinnvoll, bei der abstrakten Einführung eine Bezeichnung zu wählen, die intuitiv nicht vorbelastet ist. Eine Bezeichnung wie für die Verknüpfung und für das neutrale Element birgt die Gefahr, dass man sich zu Schlüssen verleiten lässt, die von der Multiplikation von Zahlen her vertraut sind, die aber eventuell für eine beliebige Gruppe nicht gelten müssen.

Beispiele für Gruppen sind [4](die wir in der nächsten Vorlesung einführen werden), dagegen ist mit der Multiplikation und ebensowenig keine Gruppe. Eine Gruppe ist niemals leer, da es ja ein neutrales Element enthalten muss. Die Menge, die nur aus einem einzigen Element besteht, ist mit der einzig darin möglichen Verknüpfung und dem einzig darin möglichen neutralen Element eine Gruppe. Man spricht von der trivialen Gruppe. Eine weitere Gruppe ist die zweielementige Menge

mit der von bekannten Multiplikation.

In einer Gruppe ist zu einem Element das Element mit der Eigenschaft (das es aufgrund der Gruppenaxiome geben muss) eindeutig bestimmt. Wenn nämlich und beide diese Eigenschaft besitzen, so gilt

Man beachte, dass in diesen Beweis die Bedingungen an

und nicht völlig symmetrisch eingehen. Diese Eindeutigkeit erlaubt es, das zu einem Gruppenelement eindeutig bestimmte inverse Element als

zu bezeichnen.

In der Mathematik geht es zu einem beträchtlichen Teil um die Lösung von Gleichungen, und zwar um die Existenz von Lösungen, die Berechnung von Lösungen und die Eindeutigkeit von Lösungen. Bei einer Gruppe besitzen die formulierbaren Einzelgleichungen eine eindeutige Lösung. Insofern handelt es sich bei einer Gruppe um eine besonders einfache mathematische Struktur.



Es sei eine Gruppe.

Dann besitzen zu je zwei Gruppenelementen die beiden Gleichungen

eindeutige Lösungen .

Wir betrachten die linke Gleichung. Aus beidseitiger Multiplikation[5] mit (bzw. mit ) von links folgt, dass nur

als Lösung in Frage kommt. Wenn man dies einsetzt, so sieht man, dass es sich in der Tat um eine Lösung handelt.




Fußnoten
  1. Man denke bei an Startwert.
  2. Wenn man die natürlichen Zahlen einführt als Anzahlklassen zu endlichen Mengen, wie in Beispiel 3.6 beschrieben, so kann man die Summe definieren als die Anzahl einer disjunkten Vereinigung. Bei diesem Ansatz ist die Addition automatisch kommutativ, doch muss man dann an anderer Stelle mehr arbeiten.
  3. Bei einer Menge mit einer Verknüpfung setzt man für eine endliche Familie von Elementen generell
    Das leere -Produkt wird dabei als neutrales Element interpretiert, wenn es ein solches gibt

    (es gibt maximal ein neutrales Element).

  4. Eine Gruppe wird häufig in Tupelschreibweise in der Form (Gruppe, Operation, neutrales Element) geschrieben.
  5. Hier wird das Gleichheitsprinzip angewendet: wenn ist, so kann man beidseitig eine beliebige Abbildung anwenden und erhält eine neue Gleichung . Im vorliegenden Fall ist die beidseitige Multiplikation mit einem festen Gruppenelement auch eine Abbildung.


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