Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil II/Arbeitsblatt 31
- Übungsaufgaben
Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 10.3.2020 unter dem Titel „Die Wucht der großen Zahl“ (von Christian Endt, Michael Mainka und Sören Müller-Hansen):
„Um zu verstehen, warum das neue Coronavirus so gefährlich ist, muss man sich klarmachen, was exponentielles Wachstum bedeutet. Der Begriff ist etwas sperrig, das Konzept dahinter aber einfach. Es geht um eine Vermehrung, die sich ständig selbst beschleunigt. Und dieses Muster lässt sich auch beim Coronavirus erkennen. Das ist der Hintergrund, warum nun immer strengere Auflagen verhängt werden, Fußballspiele ohne Publikum ausgetragen, Feste und Kongresse abgesagt werden. Und warum Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzlerin Angela Merkel und andere davon sprechen, man müsse die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Sprich: Verhindern, dass es sich exponentiell verbreitet.“
- Beschleunigt sich lineares Wachstum „ständig selbst“?
- Beschleunigt sich quadratisches Wachstum wie bei der Funktion „ständig selbst“?
- Wie kann man exponentielles Wachstum charakterisieren?
- Wenn man exponentielles Wachstum „verlangsamen“ möchte, verhindert man dann exponentielles Wachstum oder ändert man Parameter (welche?) für exponentielles Wachstum?
- Es sei und die Exponentialfunktion zur Basis . Zeige, dass es ein mit für alle gibt.
- Es sei
vorgeben. Zeige, dass es eine Exponentialfunktion mit
und mit
für alle gibt.
- Man gebe ein Beispiel für eine stetige, streng wachsende Funktion mit für alle , die keine Exponentialfunktion ist.
Bestimme, für welche die Differentialgleichung mit Verzögerung
eine Lösung der Form
besitzt.
Finde alle Lösungen zur gewöhnlichen Differentialgleichung
Finde alle Lösungen zur gewöhnlichen Differentialgleichung
Kommentar:
Mit der Kurzschreibweise
ist
gemeint, dies ist eine Gleichung von zwei Funktionen, und das heißt, dass für jedes die Gleichheit vorliegt. Dies ist eine Bedingung an eine bekannte oder unbekannte Funktion , die von abhängt. Damit die linke Seite sinnvoll ist, muss die Funktion differenzierbar sein. Wenn man sich irgendwie eine Funktion vorgibt, so kann man einfach überprüfen, ob die Gleichung erfüllt ist. Eine „zufällig“ gewählte Funktion erfüllt nahezu nie die Bedingung. Wenn man etwa
nimmt, so steht links
und das ist (egal was ist) nicht die rechte Seite.
Im Allgemeinen ist es schwer, eine Lösung zu finden, hier gibt es aber, wie in der Vorlesung erwähnt, die Lösung
Nach Satz 16.3 und der Kettenregel ist
und das ist das -fache der Funktion . Deshalb ist es eine Lösung. Der Nachweis, dass eine bestimmte Funktion die Differentialgleichung erfüllt, ist also zumeist einfach, man muss halt differenzieren können und dann die beiden Seiten vergleichen. Etwas allgemeiner als die eben hingeschriebene Lösung ist
mit einem , aus dem gleichen Grund.
Von einem ganz anderen Schwierigkeitsgrad ist der Nachweis, dass jede Lösung einer Differentialgleichung von einer bestimmten Bauart ist.Hier gibt es einerseits Sätze, aus denen man das manchmal folgern kann, die wir aber jetzt noch nicht zur Verfügung haben. Oder man muss eben irgendwie eine Idee haben, wie man im vorliegenden Fall das direkt begründen kann. Wir behaupten, dass die Funktionen die einzigen Lösungen der vorliegenden Differentialgleichung sind. Wir müssen also zeigen, dass wenn eine differenzierbare Funktion ist, die die Differentialgleichung erfüllt, und von der wir sonst gar nichts wissen, dass dann schon folgt, dass sie von der Form ist.
Dazu braucht man einen Trick. Allgemein: Wenn man zeigen möchte, dass zwei Funktionen und gleich sind, ist es oft geschickt zu zeigen, dass ihre Differenz gleich ist oder dass ihr Quotient gleich ist (wenn nullstellenfrei ist). Hier hat man nicht zwei Funktionen, sondern eine Funktion und die Funktionsklasse , . Der Trick mit dem Quotienten klappt hier aber. Man betrachtet die Hilfsfunktion
das Minuszeichen im Exponenten übernimmt die Rolle der Division durch . Die Funktion ist nicht bekannt, man kann mit ihr aber alles machen, was man mit Funktionen machen darf. Da nach Voraussetzung differenzierbar ist, ist auch dieses Produkt differenzierbar und nach der produktregel gilt
zuletzt wurde die Voraussetzung an verwendet, dass es die Differentialgleichung erfüllt. Wir haben also eine differenzierbare Funktion, deren Ableitung gleich ist. Aus dem ersten Semester wissen wir, dass dann die Funktion konstant ist. Es gibt also ein mit
Multiplikation mit ergibt
Löse das Anfangswertproblem
Löse das Anfangswertproblem
Löse das Anfangswertproblem
Löse das Anfangswertproblem
Kommentar:
Hier ist zu erkennen, dass es sich um eine ortsunabhängige Differentialgleichung handelt. Daher ist dies direkt ein Integrationsproblem, es geht also einfach um die Stammfunktion des Sinus, und das ist bekanntlich das Negative des Kosinus, also gleich
mit einer Konstanten . Hier ist es optisch etwas besser, die Konstante vorne hinzuschreiben, da der Kosinus nicht darauf bezieht. Das Anfangswert führt somit auf die Bedingung
die einfach lösbar ist - man muss allerdings die Grundfunktionen gut beherrschen.
Man mache sich anschaulich und mathematisch klar, dass bei einer ortsunabhängigen Differentialgleichung der Abstand zwischen zwei Lösungen und zeitunabhängig ist, d.h. dass konstant ist.
Man gebe ein Beispiel, dass dies bei zeitunabhängigen Differentialgleichungen nicht der Fall sein muss.
Untersuche die gewöhnlichen Differentialgleichungen, die sowohl zeit- als auch ortsunabhängig sind.
Es sei ein Intervall und es sei
die Menge der differenzierbaren Funktionen. Zeige, dass ein reeller Vektorraum ist und dass die Ableitung
eine lineare Abbildung ist. Bestimme den Kern dieser Abbildung und seine Dimension.
Es sei
die Menge der unendlich oft differenzierbaren Funktionen. Bestimme die Eigenwerte, die Eigenvektoren und die Dimension der Eigenräume der Ableitung
Kommentar:
Hier ist vielleicht auf den allerersten Blick gar nicht klar, was das mit Differentialgleichungen zu tun hat. Es werden Begriffe aus der linearen Algebra, insbesondere für lineare Abbildungen verwendet, obwohl doch Differentialgleichungen zur Analysis gehören. Der Punkt ist, dass wir es hier mit sogenannten Funktionenräumen zu tun haben, also unendlich dimensionalen reellen Vektorräumen, deren Elemente Funktionen sind. Man muss sich zuerst klar machen, wie hier die Vektorraumstruktur aussieht (siehe die vorstehende Aufgabe).
Es liegt eine Abbildung des Raumes in sich vor, also eine Abbildung von Abbildungen - das ist die normalste Sache der Welt (manchmal spricht man von einem Funktional.) Die Gesamtabbildung ordnet jeder unendlich oft differenzierbaren Funktion ihre Ableitungsfunktion zu. Zum Nachweis der Linearität muss man sich an einfache Ableitungsregeln erinnern, nämlich
für reelle Zahlen und differenzierbare Funktionen , in Verbindung mit der eben erwähnten Vektorraumstruktur. Diese Gesamtabbildung ist also linear und es lassen sich die Konzepte für lineare Abbildung darauf anwenden. Allerdings kann diese Abbildung nicht durch eine Matrix beschrieben werden. Die Eigenwert- bzw. Eigenvektorbedingung lautet einfach (streng die Definition angewendet), ob es Funktionen und Zahlen mit
gibt. Wenn man hier die Funktion mit bezeichnet, steht hier direkt eine Differentialgleichung. Die Antwort kennen wir schon, zu jedem reellen gibt es die Eigenfunktionen (so nennt man das) mit einem beliebigen . Dies ist der gesamte Eigenraum (zur Erinnerung, bei gehört es zum Eigenraum, ist aber kein Eigenvektor). Die Eigenräume sind also eindimensional. Hier ist also jede Zahl ein Eigenwert mit einem eindimensionalen Eigenraum.
Finde die Lösungen für die gewöhnliche Differentialgleichung
mit .
Finde eine inhaltliche Interpretation zu dieser Differentialgleichung analog zu Beispiel 31.14.
a) Es sei
ein nullstellenfreies Vektorfeld, d.h. für alle . Zeige, dass jede Lösungskurve zur Differentialgleichung
injektiv ist.
b) Es sei nun ein zeitunabhängiges Vektorfeld. Zeige, dass genau dann nullstellenfrei ist, wenn jede Lösungskurve injektiv ist.
c) Man gebe ein Beispiel für ein Vektorfeld, das nicht nullstellenfrei ist, für das aber jede Lösungskurve injektiv ist.
Finde eine differenzierbare Funktion (nicht die Nullfunktion), die die Bedingung
erfüllt (dabei ist als der Wert der Funktion an der Stelle zu verstehen, nicht als das Produkt der Funktionsvariablen mit ; es handelt sich also nicht um eine Differentialgleichung).
- Aufgaben zum Abgeben
Aufgabe (2 Punkte)
Löse das Anfangswertproblem
Aufgabe (3 Punkte)
Finde eine Lösung zur gewöhnlichen Differentialgleichung
Aufgabe (4 Punkte)
Löse das Anfangswertproblem
Aufgabe (4 Punkte)
Löse das Anfangswertproblem
auf mit der Anfangsbedingung .
Tipp: Man schreibe Sinus hyperbolicus mit der Exponentialfunktion, führe die Substitution durch und finde so eine Stammfunktion.
Aufgabe (5 Punkte)
Zeige, dass es zu jedem unendlich oft differenzierbare Funktionen
derart gibt, dass die -te Ableitung mit übereinstimmt, die Ableitungen , , aber nicht.
Tipp=Denke an Potenzreihen.
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