Zum Inhalt springen

Kurs:Vorkurs Mathematik (Osnabrück 2014)/Vorlesung 5

Aus Wikiversity



Cauchy-Folgen

Ein Problem des Konvergenzbegriffes ist, dass zur Formulierung der Grenzwert verwendet wird, den man unter Umständen noch gar nicht kennt. Wenn man beispielsweise die durch das babylonische Wurzelziehen konstruierte Folge (sagen wir zur Berechnung von ) mit einem rationalen Startwert betrachtet, so ist dies eine Folge aus rationalen Zahlen. Wenn wir diese Folge in betrachten, wo existiert, so ist die Folge konvergent. Innerhalb der rationalen Zahlen ist sie aber definitiv nicht konvergent. Es ist wünschenswert, allein innerhalb der rationalen Zahlen den Sachverhalt formulieren zu können, dass die Folgenglieder beliebig nahe zusammenrücken, auch wenn man nicht sagen kann, dass die Folgenglieder einem Grenzwert beliebig nahe zustreben. Dazu dient der Begriff der Cauchy-Folge.


Eine reelle Folge heißt Cauchy-Folge, wenn folgende Bedingung erfüllt ist

Zu jedem gibt es ein derart, dass für alle die Beziehung

gilt.



Es sei eine konvergente Folge mit Grenzwert . Sei vorgegeben. Wir wenden die Konvergenzeigenschaft auf an. Daher gibt es ein mit

Für beliebige gilt dann aufgrund der Dreiecksungleichung

  Also liegt eine Cauchy-Folge vor.




Die Vollständigkeit der reellen Zahlen

Die reellen Zahlen sind ein vollständiger archimedisch angeordneter Körper.

Damit haben wir alle Axiome der reellen Zahlen zusammengetragen: die Körperaxiome, die Anordnungsaxiome und das Vollständigkeitsaxiom. Diese Eigenschaften legen die reellen Zahlen eindeutig fest, d.h. wenn es zwei Modelle und gibt, die beide für sich genommen diese Axiome erfüllen, so kann man eine bijektive Abbildung von nach angeben, die alle mathematischen Strukturen erhält (sowas nennt man einen „Isomorphismus“).

Die Existenz der reellen Zahlen ist nicht trivial. Vom naiven Standpunkt her kann man, und das haben wir bisher getan und werden wir auch weiterhin tun, die Vorstellung einer „kontinuierlichen lückenfreien Zahlengerade“ zugrunde legen, und dies als Existenznachweis akzeptieren. In einer strengeren mengentheoretischen Begründung der Existenz geht man von aus und konstruiert die reellen Zahlen als die Menge der Cauchy-Folgen in mit einer geeigneten Identifizierung.



Intervallschachtelungen

Aus der Vollständigkeit ergeben sich wichtige Resultate über die Existenz von Zahlen, nämlich in dem Sinne, dass Approximationsverfahren in der Tat reelle Zahlen liefern. Wir besprechen Intervallschachtelungen und Dezimalbruchentwicklung.


Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen

in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also

gegen konvergiert.



Es sei , , eine Intervallschachtelung in .

Dann besteht der Durchschnitt

aus genau einem Punkt

.

Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.

Beweis

Siehe Aufgabe 5.4.


Wenn diese Intervalle durch gegeben sind, so ist

Dies wird in Aufgabe 5.5 bewiesen.



Konvergenz der Zifferndarstellung



Eine Zifferndarstellung (im Dezimalsystem) definiert eine eindeutig bestimmte reelle Zahl.

Wenn

die Zifferndarstellung bezeichnet, so ist die Zahl der Grenzwert der durch

gegebenen Folge.

Es sei eine Zifferndarstellung (oder Dezimalentwicklung) gegeben, wobei wir uns nur um Darstellungen der Form kümmern müssen. Es genügt zu zeigen, dass die zugehörige Folge

eine Cauchy-Folge ist. Aufgrund der Vollständigkeit von besitzt dann die Zifferndarstellung einen eindeutigen Grenzwert, und dieser ist die durch die Zifferndarstellung bestimmte Zahl. Dazu betrachten wir die Differenz (für )

wobei wir in der letzten Abschätzung verwendet haben, dass die Ziffern kleiner als sind. Nach Aufgabe 3.19 gilt für die Summe rechts die Gleichheit

Bei gegebenem haben wir also für jedes die Abschätzung

Zu einem beliebig vorgegeben finden wir zuerst ein mit

und für gilt dann


Wir besprechen nun, wie man zu einer reellen Zahl die Dezimalbruchentwicklung findet und zeigen, dass sie eindeutig bestimmt ist. Für die reellen Zahlen bilden die ganzzahligen Intervalle , , aufgrund des Archimedes-Axioms eine disjunkte Überdeckung. Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.

Es ist also die größte ganze Zahl, die kleiner oder gleich ist.


Zu einer reellen Zahl ist die Gaußklammer durch

definiert.


Zu einer reellen Zahl

erhält man eine Ziffernentwicklung (im Dezimalsystem) mit den Ziffern durch die rekursive Bestimmung

die darstellt.

Zu jeder reellen Zahl in einem halboffenen Intervall gibt es ein eindeutiges , , mit

da diese Intervalle eine disjunkte Zerlegung von bilden. Bei kann man das als finden. Das angegebene Rekursionsschema funktioniert auf diese Weise, d.h. mit ist die linke Grenze des halboffenen Teilintervalls der Länge , in dem liegt. Die Zahl gibt somit das Zehnfache des Abstands der Zahl von der linken Grenze des Teilintervalls an. Induktiv sieht man, dass eine natürliche Zahl zwischen und ist, dass ist und dass

für jedes ist. Daher ist eine Ziffernentwicklung und es liegt eine Intervallschachtelung für vor, wobei die unteren Intervallgrenzen die durch die Ziffernentwicklung gegebenen Folgenglieder sind. Die zu dieser Ziffernentwicklung nach Satz 5.6 gehörige Zahl muss nach Aufgabe 5.5 gleich sein.


Die im vorstehenden Satz formulierte Ziffernentwicklung nennt man auch die kanonische Ziffernentwicklung; sie ist in eindeutiger Weise einer reellen Zahl zugeordnet. Die Ziffernentwicklung

ist zwar eine erlaubte Ziffernentwicklung, aber keine kanonische Ziffernentwicklung. Die zugehörige reelle Zahl ist die , und deren kanonische Ziffernentwicklung ist

Die besprochene Dezimalentwicklung gemäß dem angegebenen Rekursionsschema funktioniert für eine jede reelle Zahl ; dabei kann sie auf recht unterschiedliche Art festgelegt sein (als Grenzwert einer Folge, durch eine algebraische Eigenschaft, etc.). Für eine rationale Zahl () besitzt das Schema die Eigenschaft, dass selbst ein Bruch mit als Nenner ist und wobei der Rest bei Division von durch b ist. Durch Induktion nach zeigt man nämlich die Beziehung

und

siehe Aufgabe 5.7.



Eine reelle Zahl ist

genau dann eine rationale Zahl, wenn sie eine periodische Ziffernentwicklung (im Dezimalsystem) besitzt.

Es sei eine rationale Zahl, von der wir annehmen können, dass sie in liegt. Es sei

die nach Satz 5.8 zugehörige Zifferenentwicklung gemäß dem Rekursionsschema und . Es ist einerseits und andererseits sind die rationale Zahlen mit als Nenner. D.h. muss eine der Zahlen

sein. Unter den muss es also irgendwann eine Wiederholung geben, sagen wir mit . Da die Zahlen und nur von abhängen, ist , , u.s.w, d.h., es liegt eine Periodizität vor.
Es liege eine periodische Ziffernentwicklung für die reelle Zahl vor. Da sich die Eigenschaft, eine rationale Zahl zu sein, weder bei Multiplikation mit einer rationalen Zahl noch bei Addition mit einer rationalen Zahl ändert, können wir sofort annehmen, dass die Ziffernentwicklung die Form

besitzt. Die dadurch definierte Zahl können wir als

auffassen, wobei die Einsen an der -ten, -ten u.s.w. Stelle stehen. Wir müssen uns also nur noch um periodische Ziffernentwicklungen von dieser speziellen Art kümmern. Wir betrachten die Folge

deren Glieder approximierende abbrechende Ziffernentwicklungen von sind (wobei manche übersprungen werden). Aufgrund von Aufgabe 3.19 ist

Der Limes davon (für gegen unendlich) ist, da ja gegen konvergiert, gleich

wobei jeweils Neunen vorkommen. Diese Zahl ist also rational.


Die entsprechende Aussage gilt für die Ziffernentwicklung zu jeder Basis, nicht nur im Dezimalsystem. Eine reelle Zahl mit einer periodischen Ziffernentwicklung wird so geschrieben, dass man einen Strich über die Periode macht, also beispielsweise


<< | Kurs:Vorkurs Mathematik (Osnabrück 2014) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)