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Kurs:Elemente der Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Vorlesung 19

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Wir möchten Körpererweiterungen verstehen, und zwar insbesondere solche Körpererweiterungen von , die geometrischen Konstruktionen entsprechen. Der zentrale Begriff einer Körpererweiterung ist der Grad, der wiederum auf der Dimension von Vektorräumen beruht. Deshalb werden wir in den folgenden drei Vorlesungen, die zur linearen Algebra gehören, den Vektorraumbegriff bis zur Dimension entwickeln.



Vektorräume
Die Addition von zwei Pfeilen und , ein typisches Beispiel für Vektoren.

Der zentrale Begriff der linearen Algebra ist der Vektorraum.


Es sei ein Körper und eine Menge mit einem ausgezeichneten Element und mit zwei Abbildungen

und

Dann nennt man einen -Vektorraum (oder einen Vektorraum über ), wenn die folgenden Axiome erfüllt sind[1] (dabei seien und beliebig) [2]

  1. ,
  2. ,
  3. ,
  4. Zu jedem gibt es ein mit ,
  5. ,
  6. ,
  7. ,
  8. .

Die Verknüpfung in nennt man (Vektor)-Addition und die Operation nennt man Skalarmultiplikation. Die Elemente in einem Vektorraum nennt man Vektoren, und die Elemente heißen Skalare. Das Nullelement wird auch als Nullvektor bezeichnet, und zu heißt das inverse Element bezüglich der Addition das Negative zu und wird mit bezeichnet. Wie in Ringen gilt wieder Punktrechnung vor Strichrechnung, d.h. die Skalarmultiplikation bindet stärker als die Vektoraddition.

Den Körper, der im Vektorraumbegriff vorausgesetzt ist, nennt man auch den Grundkörper. Alle Begriffe der linearen Algebra beziehen sich auf einen solchen Grundkörper, er darf also nie vergessen werden, auch wenn er manchmal nicht explizit aufgeführt wird. Bei spricht man von reellen Vektorräumen und bei von komplexen Vektorräumen. Bei reellen und komplexen Vektorräumen gibt es zusätzliche Strukturen wie Längen, Winkel, Skalarprodukt. Zunächst entwickeln wir aber die algebraische Theorie der Vektorräume über einem beliebigen Körper.



Es sei ein Körper und . Dann ist die Produktmenge

mit der komponentenweisen Addition und der durch

definierten Skalarmultiplikation ein Vektorraum. Man nennt ihn den -dimensionalen Standardraum. Insbesondere ist selbst ein Vektorraum.


Der Nullraum , der aus dem einzigen Element besteht, ist ebenfalls ein Vektorraum. Man kann ihn auch als auffassen.

Die Vektoren im Standardraum kann man als Zeilenvektoren

oder als Spaltenvektoren

schreiben. Der Vektor

wobei die an der -ten Stelle steht, heißt -ter Standardvektor.



Die komplexen Zahlen bilden einen Körper und daher bilden sie einen Vektorraum über sich selbst. Andererseits sind die komplexen Zahlen als additive Struktur gleich . Die Multiplikation einer komplexen Zahl mit einer reellen Zahl geschieht komponentenweise, d.h. diese Multiplikation stimmt mit der skalaren Multiplikation auf überein. Daher sind die komplexen Zahlen auch ein reeller Vektorraum. Unter Verwendung einer späteren Terminologie kann man sagen, dass ein eindimensionaler komplexer Vektorraum ist und dass ein zweidimensionaler reeller Vektorraum ist mit der reellen Basis und .



Zu einem Körper und gegebenen natürlichen Zahlen bildet die Menge

der -Matrizen mit komponentenweiser Addition und komponentenweiser Skalarmultiplikation einen - Vektorraum. Das Nullelement in diesem Vektorraum ist die Nullmatrix




Es sei der Polynomring in einer Variablen über dem Körper , der aus sämtlichen Polynomen, also Ausdrücken der Form

mit besteht. Mit (komponentenweiser) Addition und der ebenfalls komponentenweisen Multiplikation mit einem Skalar (was man auch als die Multiplikation mit dem konstanten Polynom auffassen kann) ist der Polynomring ein - Vektorraum.



Wir betrachten die Inklusion der rationalen Zahlen in den reellen Zahlen. Mit der reellen Addition und mit der Multiplikation von rationalen Zahlen mit reellen Zahlen ist ein - Vektorraum, wie direkt aus den Körperaxiomen folgt. Dies ist ein ziemlich unübersichtlicher Vektorraum.




Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann gelten die folgenden Eigenschaften (dabei sei und ).

  1. Es ist . [3]
  2. Es ist .
  3. Es ist .
  4. Aus und folgt .

Beweis

Siehe Aufgabe 19.18.



Untervektorräume

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Teilmenge heißt Untervektorraum, wenn die folgenden Eigenschaften gelten.

  1. .
  2. Mit ist auch .
  3. Mit und ist auch .

Auf einem solchen Untervektorraum kann man die Addition und die skalare Multiplikation einschränken. Daher ist ein Untervektorraum selbst ein Vektorraum, siehe Aufgabe 19.3. Die einfachsten Untervektorräume in einem Vektorraum sind der Nullraum und der gesamte Vektorraum .



Es sei ein Körper und

ein homogenes lineares Gleichungssystem über .

Dann ist die Menge aller Lösungen des Gleichungssystems ein Untervektorraum des (mit komponentenweiser Addition und Skalarmultiplikation).

Beweis

Siehe Aufgabe 19.7.


Man spricht daher auch vom Lösungsraum des Gleichungssystems. Insbesondere ist die Summe von zwei Lösungen eines linearen Gleichungssystems wieder eine Lösung. Die Lösungsmenge eines inhomogenen Gleichungssystems ist kein Vektorraum. Man kann aber zu einer Lösung eines inhomogenen Gleichungssystems eine Lösung des zugehörigen homogenen Gleichungssystems hinzuaddieren und erhält wieder eine Lösung des inhomogenen Gleichungssystems.

Die Lösungsmenge eines homogenen linearen Gleichungssystems in Variablen über einem Körper ist ein Untervektorraum des . Häufig wird dieser Lösungsraum durch die Menge aller „Linearkombinationen“ von endlich vielen (besonders einfachen) Lösungen beschrieben.



Erzeugendensysteme
Die von zwei Vektoren und erzeugte Ebene besteht aus allen Linearkombinationen .

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Es sei eine Familie von Vektoren in . Dann heißt der Vektor

eine Linearkombination dieser Vektoren (zum Koeffiziententupel ).

Zwei unterschiedliche Koeffiziententupel können denselben Vektor definieren.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt eine Familie , , ein Erzeugendensystem von , wenn man jeden Vektor als

mit einer endlichen Teilfamilie und mit darstellen kann.

Im bilden die Standardvektoren , , ein Erzeugendensystem. Im Polynomring bilden die Potenzen , , ein (unendliches) Erzeugendensystem.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Zu einer Familie , , setzt man

und nennt dies den von der Familie erzeugten oder aufgespannten Untervektorraum.

Der von der leeren Menge erzeugte Unterraum ist der Nullraum.[4] Dieser wird ebenso von der erzeugt. Zu einem einzigen Vektor besteht der aufgespannte Raum aus . Bei ist dies eine Gerade, was wir im Rahmen der Dimensionstheorie noch präzisieren werden. Bei zwei Vektoren und hängt die „Gestalt“ des aufgespannten Raumes davon ab, wie die beiden Vektoren sich zueinander verhalten. Wenn sie beide auf einer Geraden liegen, d.h. wenn gilt, so ist überflüssig und der von den beiden Vektoren erzeugte Unterraum stimmt mit dem von erzeugten Unterraum überein. Wenn dies nicht der Fall ist (und und nicht sind), so erzeugen die beiden Vektoren eine „Ebene“.

Wir fassen einige einfache Eigenschaften für Erzeugendensysteme und Unterräume zusammen.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es sei , , eine Familie von Untervektorräumen. Dann ist auch der Durchschnitt[5]

    ein Untervektorraum.

  2. Zu einer Familie , , von Elementen in ist der erzeugte Untervektorraum ein Untervektorraum[6] von .
  3. Die Familie , , ist genau dann ein Erzeugendensystem von , wenn

    ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 19.17.



Fußnoten
  1. Die ersten vier Axiome, die unabhängig von sind, bedeuten, dass eine kommutative Gruppe ist.
  2. Auch für Vektorräume gilt die Klammerkonvention, dass Punktrechnung stärker bindet als Strichrechnung.
  3. Man mache sich hier und im Folgenden klar, wann die in und wann sie in zu verstehen ist.
  4. Dies kann man als Definition nehmen oder aber aus der Definition ableiten, wenn man die Konvention berücksichtigt, dass die leere Summe gleich ist.
  5. Der Durchschnitt zu einer beliebigen Indexmenge und einer durch indizierten Familie , , von Teilmengen einer festen Obermenge besteht aus allen Elementen aus , die in allen Mengen enthalten sind.
  6. In der Bezeichnung „erzeugter Untervektorraum“ wurde diese Eigenschaft schon vorweg genommen.


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Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)