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Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil I/Vorlesung 27

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Prozentrechnung

Ein Prozent ist .


Ein Promille ist .

Der Bundeshaushalt von 2011

Dafür gibt es spezielle Zeichen, und . Von der Definition her ist die Prozentrechnung ein Spezialfall des Rechnens mit rationalen Zahlen, und zwar mit Dezimalbrüchen. Eine rationale Zahl zwischen und gibt den Anteil von einer gegebenen Grundgröße an. Diese Anteilsgröße wird in vielen alltäglichen Kontexten am besten durch einen Dezimalbruch angeben, da dieser eine unmittelbare Größenvorstellung mitliefert, da Dezimalbrüche untereinander einfach vergleichbar sind, wie in Bemerkung 26.5 erwähnt wurde. Bei der Größenordnung will man es häufig gar nicht so genau wissen, sondern nur eine ungefähre Größenvorstellung haben. Deshalb werden viele Größenanteile in Hunderstel oder seltener in Tausendstel angegeben, wofür sich die Bezeichnungen Prozent und Promille eingebürgert haben. Die Prozentrechnung beschäftigt sich mit dem Rechnen von Größenangaben, die in Prozent gemacht werden. Prozentrechnung ist einfach, wenn man erkennt, dass es sich um Rechnungen mit rationalen Zahlen handelt. Dennoch gibt es einige, für die Prozentrechnung typische Formulierungen, bei denen man sich die zugrunde liegende mathematische Bedeutung erst klar machen muss. Im Prozentkontext werden die Angaben grundsätzlich nur mit einer gewissen Fehlergenauigkeit gemacht.

Wenn eine endliche Grundmenge und eine Teilmenge gegeben ist, so versteht man unter dem Anteil von in einfach den Quotienten der Anzahlen, also den Bruch

Diese Zahl liegt zwischen und . Wenn man daraus eine Prozentangabe machen will, so macht man die Umformung

Durch die Multiplikation mit dem Faktor kommt der Anteil, der ja eigentlich zwischen und liegt, in einen Zahlenbereich zwischen und , der für die meisten Menschen vertrauter ist (in einer solchen Situation ist die Prozentangabe unterhalb von , in vielen anderen Kontexten ist aber auch ein größerer Anteil sinnvoll). Überhaupt werden Prozentangaben nur in einer Größenordnung verwendet, in der sie suggestiv sind, wo also die Multiplikation mit dem Vorstellungsvermögen entgegenkommt. Ob man sagt, dass der Anteil von Gold an der Gesamtmasse des Universums gleich ist oder beträgt, macht keinen Unterschied.

Wenn eine Grundmenge gegeben ist und davon Anteile durch Prozente beschrieben werden, und die Anteile disjunkt zueinander sind, so muss man die Prozentangaben addieren, um den Gesamtanteil zu erhalten. Wenn beispielsweise die Inhaltsstoffe eines Getränkes in Prozent angegeben werden, sagen wir Wasser, Orangensaft, Himbersaft und Heidelbeersaft und Cola, so liegt der Fruchtsaftanteil wegen

bei Prozent. Die Gesamtsumme der Prozentwerte sollte sich auf addieren; da man bei Prozentangaben aber häufig gerundete Werte nimmt, muss das nicht immer stimmen.


Häufig ändert sich, auch in einem bestimmten Kontext, die Bezugsmenge bei verschiedenen Prozentangaben. Wenn beipielsweise die Lebenshaltungskosten prozentual nach Essen, Wohnung, Körperpflege, Vergnügen aufgelistet wird, so werden die Vergnügungskosten eventuell weiter prozentual unterteilt, nach Kino, Theater, Kneipe, Spielhölle, und diese Angaben beziehen sich dann häufig auf die Gesamtvergnügungskosten. Den prozentualen Anteil an den Gesamtlebenshaltungskosten vom Kino muss man dann ausrechnen, indem man die relativen Prozentangaben als Brüche interpretiert, diese miteinander multipliziert und daraus wieder einen Prozentwert macht. Wenn die Vergnügungskosten der Lebenshaltungskosten ausmachen und Kinobesuche an den Vergnügungskosten, so muss man

ausrechnen und erhält, dass die Kinobesuche der Lebenshaltungskosten ausmachen.


Wenn man zwei Mengen (Vermögen, Einwohnerzahl, ...) und der Größe nach vergleicht, so kann man das durch einen Anteil und als Prozent ausdrücken. Man muss dabei deutlich machen, welche Menge man als Grundmenge betrachten möchte. Wenn man als Grundmenge nimmt, so ist

und (bzw. in Prozent) beschreibt die Größe von in Bezug auf . Beispielsweise kann das Vermögen einer Person des Vermögens einer anderen Person betragen. Wenn man die Verhältnisgröße umgekehrt wissen möchte, also die Größe von in Bezug auf , so muss man den inversen Bruch berechnen. Um aus der ersten Prozentangabe die neue Prozentangabe zu erhalten, muss man invertieren und mit 10000 multiplizieren (!), also

Prozent. Die zweite Person hat also Prozent des Vermögens der ersten Person.


Wenn Angaben üblicherweise in Prozenten gemacht werden, wie beispielsweise das Ergebnis von Wahlen, so drückt man die Änderung zwischen zwei Wahlen durch Prozentpunkte aus, also nicht prozentual! Wenn die Partei vor vier Jahren erzielt hat und bei den neuen Wahlen erzielt, so spricht man von einem Verlust von Prozentpunkten.



Wachstum

Viele Wachstumsprozesse in Natur und Gesellschaft sind von der Form, dass sich die Größe nach einem bestimmten Zeitraum (beispielsweise nach einem Jahr) zur Ausgangsgröße proportional mit einem bestimmten konstanten Proportionalitätsfaktor verhält. Beispiele hierfür sind das Wachstum einer Population oder die Inflation. Bei konstanten Bedingungen hängt das Wachstum einer Population mit einem festen Faktor, genannt Wachstumsfaktor, von der Größe der Population ab. Wenn sich beispielsweise eine gewisse Population, sagen wir Mäuse, auf katzenfreien, kornreichen Feldern, in einem Jahr verdoppelt, so werden in einem Jahr aus Mäusen Mäuse, aus Mäusen Mäuse u.s.w. Das Verhältnis der Population nach einem Jahr zur Population vor einem Jahr ist also konstant gleich . Wenn die Bedingungen über einem längeren Zeitraum konstant sind, so ändert sich dieser Faktor nicht, und man muss von Jahr zu Jahr mit diesem Faktor multiplizieren. Nach Jahren gibt es dann Mäuse, wenn die Größe der jetzigen Mauspopulation bezeichnet.

Jahre
Mäuse

Der Wachstumsfaktor ist recht groß. Häufiger sind Wachstumsfaktoren wie , , und ähnliches. Bei einem Preisentwicklungsfaktor von erhält man beispielsweise (gerundete Werte)

Jahre
Bierpreis auf der Wiesn

Ein Wachstum wird häufig nicht mit dem Wachstumsfaktor beschrieben, sondern mit dem proportionalen Zuwachs, dem Zuwachsfaktor. Es wird also der proportionale Anteil in Bezug auf die Vorgängergröße angegeben, der hinzukommt. Bei einem Wachstumsfaktor von ist der Zuwachsfaktor gleich (die Größe der Population kommt in einem Jahr neu hinzu), in den weiteren genannten Beispielen ist der Zuwachsfaktor gleich , , . Dieser Zuwachsfaktor wird zumeist in Prozent angegeben, man spricht von einem jährlichen Wachstum von , von , , . Eine Prozentangabe bei Wachstumsprozessen von bedeutet also einen Zuwachsfaktor von und einen Wachstumsfaktor von . Wenn man einen Wachstumsprozess, der mit einer Prozentangabe beschrieben wird, über mehrere Jahre verstehen will, muss man also den Wachstumsfaktor ausrechnen und diesen potenzieren (mit der Anzahl der Jahre im Exponenten). Es ist falsch, die Prozentwerte mit der Anzahl der Jahre zu multiplizieren und dies als Gesamtzuwachs zu nehmen. Im Wiesnbeispiel führt die falsche Rechnung zu folgendem Ergebnis

Jahre
Bierpreis auf der Wiesn (falsch gerechnet)

Die Abweichung wird zunehmend größer, für kleine Zeiträume ist die einfachere falsche Rechnung als Überschlagsrechnung akzeptabel. Aufgrund der allgemeinen binomischen Formel ist

und ist das Ergebnis bei der falschen Rechnung. Wenn wie häufig klein, etwa ist, so sind die höheren Potenzen besonders klein, und das wird auch durch die Binomialkoeffizienten (bei nicht allzu großem ) nicht sehr groß gemacht. Der Fehler wird aber, egal wie klein der Prozentsatz ist, bei hinreichend großem beliebig groß.



Exponentialfunktionen auf

Wir studieren das Wachstumsverhalten bei konstanten Bedingungen genauer mit dem Begriff der (ganzzahligen) Exponentialfunktion.

Die Exponentialfunktionen werden wir später auf ganz bzw. ausdehnen, definiert haben wir sie bisher nur für ganzzahlige Stellen.

Es sei ein angeordneter Körper und ein positives Element. Dann nennt man die Abbildung

die (ganzzahlige) Exponentialfunktion zur Basis .

Die Basis ist dabei der Wachstumsfaktor.  Später werden wir Exponentialfunktionen für beliebige reelle Zahlen erklären, bis jetzt aber haben wir Ausdrücke wie oder noch nicht zur Verfügung. In den Skizzen werden wir aber diese Fortsetzung gelegentlich schon benutzen.



Es sei ein angeordneter Körper und ein positives Element. Dann besitzt die (ganzzahlige) Exponentialfunktion

zur Basis die folgenden Eigenschaften.

  1. Es ist

    für alle .

  2. Es ist
  3. Es ist
  4. Es ist

    für .

  5. Für ist

Die erste Aussage folgt für aus der Verträglichkeit der Ordnung mit der Multiplikation und für negativ aus Lemma 24.5  (1), die anderen Eigenschaften folgen aus den Potenzgesetzen.


Die Exponentialfunktion zur Basis im Vergleich zu einer linearen Funktion und zur dritten Potenz. Auf der - und der -Achse wurden unterschiedliche Maßstäbe gewählt.



Es sei ein angeordneter Körper und ein positives Element. Dann besitzt die (ganzzahlige) Exponentialfunktion

zur Basis die folgenden Eigenschaften.

  1. Bei ist die Exponentialfunktion streng wachsend.
  2. Bei ist die Exponentialfunktion streng fallend.
  1. Sei und . Wir müssen zeigen, dass

    ist. Nach Lemma 27.7  (4) ist

    mit . Wegen Lemma 19.13  (8) ist

    und daher ist auch

  2. Dies folgt aus Teil (1), wenn man die Identität

    und Lemma 24.5  (3) verwendet.



Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und ein positives Element und

die zugehörige (ganzzahlige) Exponentialfunktion zur Basis . Es seien und , , vorgegebene Zahlen.

Dann gibt es eine ganze Zahl mit

und eine ganze Zahl mit

Für und ist dies eine Umformulierung von Lemma 25.6, für und ist dies eine Umformulierung von Korollar 25.7. Die anderen Fälle können darauf zurückgeführt werden, indem man negative Exponenten betrachtet.


Häufig findet man die Vorstellung, dass exponentielles Wachstum etwas wie „explosives Wachstum“ ist. Das ist so nicht richtig. Wenn der Wachstumsfaktor zwischen und liegt, so ist die Exponentialfunktion sogar fallend und wenn der Faktor knapp oberhalb von , so ist das Wachstum langsam. Exponentielles Wachstum ist ein natürliches Phänomen und hat nichts mit unkontrollierbaren Entwicklungen zu tun. Allerdings zeigt der folgende Satz, dass sich exponentielles Wachstum gegenüber jedem Wachstum, das durch eine Potenzfunktion beschrieben wird, letztlich durchsetzt. Man beachte auch, dass sowohl eine Exponentialfunktion als auch eine Potenzfunktion durch den gleichen funktionalen Ausdruck, nämlich als Potenz , beschrieben wird. Der Unterschied besteht darin, ob die Grundzahl oder der Exponent als variabel betrachtet wird.


Wir vergleichen die Werte der Identität und der Quadratfunktion mit der Exponentialfunktion zur Basis

Es ergibt sich die folgende Wertetabelle.

Im Vergleich mit der identischen Funktion ist die Exponentialfunktion schon durchgängig größer (außer bei ), im Vergleich mit der Quadratfunktion bleibt die Exponentialfunktion im angegebenen Bereich (außer bei ) zurück. Man sieht aber, dass sie „ziemlich schnell“ aufholt.




Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und gegeben mit der zugehörigen Exponentialfunktion

zur Basis . Es sei eine natürliche Zahl.

Dann gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzung

gilt.

Wir zeigen die Existenz des durch Induktion über für jedes . Für ist die Aussage klar. Sei . Wir schreiben mit und betrachten (für ) die auf dem binomischen Lehrsatz in Verbindung mit beruhende Abschätzung

Da positiv ist, gibt es nach Lemma 25.4 eine natürliche Zahl mit

Für ist dann

wie gewünscht. Es sei nun die Aussage für und alle schon bewiesen, und wir müssen sie für beweisen. Wir schreiben mit Zahlen

die es nach Aufgabe 24.17 gibt. Aufgrund der Induktionsvoraussetzung gibt es eine natürliche Zahl derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Ebenso gibt es eine natürliche Zahl mit der Eigenschaft, dass für alle die Abschätzung

gilt. Damit gilt für alle

die Abschätzung


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