Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil II/Vorlesung 36

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Integration von stetigen Wegen

Für eine stetige Kurve

in einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum definieren wir für das Integral komponentenweise, d.h. man wählt eine Basis von und drückt die stetige Kurve durch ihre Komponentenfunktionen aus. Dann setzt man

Das Ergebnis ist ein Vektor in , der unabhängig von der gewählten Basis ist. Wenn man die untere Intervallgrenze fixiert und die obere Intervallgrenze variiert, so bekommt man eine Integralkurve

Diese Integralkurve kann man wieder ableiten und erhält die Ausgangskurve zurück, d.h. es gilt wieder der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung.

Es gilt die folgende Integralabschätzung.


Satz  

Es sei ein euklidischer Vektorraum und

eine stetige Abbildung.

Dann gilt

Beweis  

Wenn ist, so ist nichts zu zeigen. Es sei also

Es sei . Das ergänzen wir zu einer Orthonormalbasis von . Es seien die Koordinatenfunktionen von bezüglich dieser Basis. Dann besteht aufgrund unserer Basiswahl die Beziehung

da ja ein Vielfaches von ist und somit die anderen Koeffizienten gleich sind. Daher ist


Bemerkung  

Die Abschätzung aus Satz 36.1 ist im Allgemeinen recht grob. Wenn beispielsweise die Ableitung einer stetig differenzierbaren Kurve

ist, so ist die rechte Seite nach Satz 35.6 gleich

also die Kurvenlänge von . Die linke Seite ist hingegen

Die Abschätzung ist also in diesem Fall trivial, da ja die Kurvenlänge nach Definition 35.5 das Supremum der Längen der interpolierenden Streckenzüge ist, und ist die Länge der direkten Strecke.


Bemerkung  

Aus Satz 36.1 kann man Satz 35.1 für eine stetig differenzierbare Kurve

gewinnen. Mit ist nämlich

für ein gewisses , dessen Existenz aus dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (in einer Variablen) folgt.




Vektorfelder

Definition  

Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall und eine offene Menge. Dann nennt man eine Abbildung

ein Vektorfeld (auf ).

Die übliche physikalische Interpretation ist hierbei, dass die Zeit repräsentiert, den Ort und einen Vektor, der zum Zeitpunkt an den Ortspunkt angeheftet ist und dort eine Richtung vorgibt. Manchmal spricht man auch von einem Richtungsfeld. Im physikalischen Kontext werden die Vektoren als Geschwindigkeitsvektoren, als Kraftvektoren oder als Beschleunigungsvektoren interpretiert.

Wenn das Vektorfeld nicht von abhängt, so spricht man von einem zeitunabhängigen oder autonomen Vektorfeld.

Wir werden im Rahmen der Differentialgleichungen auf zeitabhängige Vektorfelder zurückkommen. Zuerst untersuchen wir zeitunabhängige Vektorfelder und Wegintegrale.



Wegintegrale

Definition  

Es sei eine offene Teilmenge,

ein stetiges Vektorfeld und

eine stetig differenzierbare Kurve. Dann heißt

das Wegintegral zum Vektorfeld längs des Weges .

Statt Wegintegral sagt man auch Kurvenintegral. Die stetige Differenzierbarkeit sichert dabei, dass die Ableitung und damit auch der Integrand stetig sind, sodass das Integral existiert.

Wenn der Weg nur (stetig und) stückweise stetig differenzierbar ist, wenn es also eine Unterteilung derart gibt, dass die Einschränkungen[1] stetig differenzierbar sind, so setzt man

Bemerkung  

Das Vektorfeld

sei durch die Komponentenfunktionen

und die Kurve durch die Komponentenfunktionen

mit der Ableitung

gegeben. Dann wird das Wegintegral durch

berechnet.



Beispiel  

Zu einem konstanten Vektorfeld

mit einem Vektor und einem affin-linearen Weg

ist



Beispiel  

Wir betrachten das Vektorfeld

und den Weg

Die Ableitung von ist

Daher ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld längs dieser Kurve gleich



Beispiel  

Wir betrachten das Vektorfeld

Für einen stetig differenzierbaren Weg

ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld gleich

Insbesondere hängt dieser Wert nur von und ab, also dem Anfangspunkt und dem Endpunkt der Bewegung, nicht aber vom Verlauf des Weges.


Das folgende Beispiel zeigt, dass für einen geschlossenen Weg , wo also ist, das Wegintegral nicht sein muss. Wir werden allerdings später sehen, dass Gradientenfelder (Potentialfelder) die Eigenschaft besitzen, dass die Wegintegrale nur vom Anfangs- und Endpunkt abhängen.


Beispiel  

Wir betrachten das Vektorfeld

und den Weg

Die Ableitung von ist

Daher ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld längs dieser Kurve gleich


Bemerkung  

Bei der üblichen pysikalischen Interpretation eines Wegintegrals stellt man sich das Vektorfeld als ein Kraftfeld und den Weg als die Bewegung eines Massepunktes vor. Dabei ist die Bewegung erzwungen, d.h. es handelt sich nicht um die natürliche Bewegung, die das Kraftfeld bewirkt , sondern um eine geführte Bewegung. Eine solche Bewegung erfordert einen Arbeitsaufwand, wenn sie gegen das Kraftfeld durchgeführt wird, und setzt Energie frei, wenn sie mit der Kraft geführt wird. Entscheidend ist dabei der Winkel zwischen der momentanten Bewegungsrichtung zu einem Zeitpunkt und dem Kraftfeld zum Ortspunkt . Daher taucht in der Definition des Wegintegrals das Skalarprodukt zwischen Vektorfeld und Bewegungsrichtung auf. Das gesamte Wegintegral ist die Arbeit, die man längs des Weges in dem Kraftfeld verrichtet. Das Skalarprodukt bedeutet zu einem fixierten Zeitpunkt die momentane Leistung.




Satz  

Es sei eine offene Teilmenge,

ein stetiges Vektorfeld und

eine stetig differenzierbare Kurve. Es sei

eine bijektive, monoton wachsende, stetig differenzierbare Funktion und sei .

Dann gilt

Beweis  

Es seien die Komponentenfunktionen von und die Komponentenfunktionen von . Dann gilt mit der Substitution

unter Verwendung von Korollar 33.9

Die Funktion nennt man in diesem Zusammenhang eine (orientierungserhaltende) Umparametrisierung. Der Satz besagt, dass das Wegintegral nur von dem durchlaufenen Weg (einschließlich der Richtung) abhängt, nicht aber von der Geschwindigkeit, mit der das passiert. Wenn die Funktion monoton fallend ist, so vertauschen sich bei der Substitution die Integrationsgrenzen und man erhält

Diese Beziehung gilt insbesondere, wenn der Weg in umgekehrter Richtung durchlaufen wird.



Fußnoten
  1. Hier haben die eine andere Bedeutung als in der folgenden Bemerkung, wo sie die Komponentenfunktionen bezeichnen.



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