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Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil I/Vorlesung 22/kontrolle

Aus Wikiversity

Ein gesundes Frühstück beginnt mit einem Obstsalat. Die folgende Tabelle zeigt, wie viel Vitamin C, Calcium und Magnesium (jeweils in Milligramm) unterschiedliche Früchte (pro 100 Gramm) besitzen.

Apfel Orange Traube Banane
Vitamin C
Calcium
Magnesium

Mein Obstsalat heute morgen besteht aus den angegebenen Früchten in den Anteilen (also Gramm Apfel u.s.w.). Daraus kann man den gesamten Vitamin-C-Gehalt, den Calcium-Gehalt und den Magnesium-Gehalt des Obstsalats ausrechnen, indem man einfach für jede Frucht ihre Menge mit dem entsprechenden Gehalt multipliziert und alles aufsummiert. Der Vitamingehalt des gesamten Obstsalats ist also (in Milligramm)

Diese Operation ist ein Beispiel für die Wirkungsweise einer Matrix. Die Tabelle führt unmittelbar zu einer -Matrix, nämlich zu , und die obige Rechnung wird durch die Matrixmultiplikation

realisiert.

Man kann auch umgekehrt sich einen Obstsalat wünschen, der eine bestimmte Menge an Vitamin C, Calcium und Magnesium besitzt, sagen wir . Dies führt zum linearen Gleichungssystem in Matrixform




Der Matrizenkalkül

Ein lineares Gleichungssystem lässt sich am einfachsten mit Matrizen schreiben. Dies ermöglicht es, die Umformungen, die zur Lösung eines solchen Systems führen, durchzuführen, ohne immer die Variablen mitschleppen zu müssen. Matrizen (und der zugehörige Kalkül) sind recht einfache Objekte; sie können aber ganz unterschiedliche mathematische Objekte beschreiben (eine Familie von Spaltenvektoren, eine Familie von Zeilenvektoren, eine lineare Abbildung, eine Tabelle von Wechselwirkungen, ein Vektorfeld etc.), die man stets im Hinterkopf haben sollte, um vor Fehlinterpretationen geschützt zu sein.


Es sei ein Körper und und Indexmengen. Eine -Matrix ist eine Abbildung

Bei und spricht man von einer -Matrix. In diesem Fall schreibt man eine Matrix zumeist tabellarisch als

Wir beschränken uns weitgehend auf den durchnummerierten Fall. Zu jedem heißt  , , die -te Zeile der Matrix, was man zumeist als einen Zeilenvektor

schreibt. Zu jedem heißt  , , die -te Spalte der Matrix, was man zumeist als ein Spaltentupel

schreibt. Die Elemente heißen die Einträge der Matrix. Zu heißt der Zeilenindex und der Spaltenindex des Eintrags. Man findet den Eintrag , indem man die -te Zeile mit der -ten Spalte kreuzt. Eine Matrix mit nennt man eine quadratische Matrix. Eine -Matrix ist einfach ein Spaltentupel (oder Spaltenvektor) der Länge , und eine -Matrix ist einfach ein Zeilentupel (oder Zeilenvektor) der Länge . Die Menge aller Matrizen mit Zeilen und Spalten (und mit Einträgen in ) wird mit bezeichnet, bei schreibt man .

Zwei Matrizen werden addiert, indem man sie komponentenweise addiert. Ebenso ist die Multiplikation einer Matrix mit einem Element (einem Skalar) komponentenweise definiert, also

und

Die Matrizenmultiplikation wird folgendermaßen definiert.


Es sei ein Körper und es sei eine - Matrix und eine -Matrix über . Dann ist das Matrixprodukt

diejenige -Matrix, deren Einträge durch

gegeben sind.

Eine solche Matrizenmultiplikation ist also nur möglich, wenn die Spaltenanzahl der linken Matrix mit der Zeilenanzahl der rechten Matrix übereinstimmt. Als Merkregel kann man das Schema

verwenden, das Ergebnis ist eine -Matrix. Insbesondere kann man eine -Matrix mit einem Spaltenvektor der Länge (von rechts) multiplizieren, und erhält dabei einen Spaltenvektor der Länge . Die beiden soeben angeführten Matrizen kann man auch in der anderen Reihenfolge multiplizieren (was nicht immer möglich ist) und erhält


Eine - Matrix der Form

nennt man Diagonalmatrix.


Die - Matrix

nennt man die Einheitsmatrix.

Die Einheitsmatrix besitzt die Eigenschaft für eine beliebige -Matrix .

Wenn man eine -Matrix mit einem Spaltenvektor multipliziert, so erhält man

Damit lässt sich ein inhomogenes lineares Gleichungssystem mit dem Störvektor kurz als

schreiben. Die erlaubten Gleichungsumformungen durch Manipulationen an den Gleichungen, die die Lösungsmenge nicht ändern, können dann durch die entsprechenden Zeilenumformungen in der Matrix (unter Berücksichtigung der Störvektorseite) ersetzt werden. Man muss dann die Variablen nicht mitschleppen.




Vektorräume
Die Addition von zwei Pfeilen und , ein typisches Beispiel für Vektoren.

Der zentrale Begriff der linearen Algebra ist der Vektorraum.


Es sei ein Körper und eine Menge mit einem ausgezeichneten Element und mit zwei Abbildungen

und

Dann nennt man einen Vektorraum (oder einen Vektorraum über ), wenn die folgenden Axiome erfüllt sind[1] (dabei seien und beliebig) [2]

  1. ,
  2. ,
  3. ,
  4. Zu jedem gibt es ein mit ,
  5. ,
  6. ,
  7. ,
  8. .

Die Verknüpfung in nennt man (Vektor)-Addition und die Operation nennt man Skalarmultiplikation. Die Elemente in einem Vektorraum nennt man Vektoren, und die Elemente heißen Skalare. Das Nullelement wird auch als Nullvektor bezeichnet, und zu heißt das inverse Element das Negative zu und wird mit bezeichnet. Den Körper, der im Vektorraumbegriff vorausgesetzt ist, nennt man auch den Grundkörper. Alle Begriffe der linearen Algebra beziehen sich auf einen solchen Grundkörper, er darf also nie vergessen werden, auch wenn er manchmal nicht explizit aufgeführt wird. Bei spricht man von reellen Vektorräumen und bei von komplexen Vektorräumen. Bei reellen und komplexen Vektorräumen gibt es zusätzliche Strukturen wie Längen, Winkel, Skalarprodukt. Zunächst entwickeln wir aber die algebraische Theorie der Vektorräume über einem beliebigen Körper.



Es sei ein Körper und . Dann ist die Produktmenge

mit der komponentenweisen Addition und der durch

definierten Skalarmultiplikation ein Vektorraum. Man nennt ihn den -dimensionalen Standardraum. Insbesondere ist selbst ein Vektorraum.


Der Nullraum , der aus dem einzigen Element besteht, ist ebenfalls ein Vektorraum. Man kann ihn auch als auffassen.

Die Vektoren im Standardraum kann man als Zeilenvektoren
oder als Spaltenvektor

schreiben. Der Vektor

wobei die an der -ten Stelle steht, heißt -ter Standardvektor.


Die komplexen Zahlen bilden einen Körper und daher bilden sie einen Vektorraum über sich selbst. Andererseits sind die komplexen Zahlen als additive Struktur gleich . Die Multiplikation einer komplexen Zahl mit einer reellen Zahl geschieht komponentenweise, d.h. diese Multiplikation stimmt mit der skalaren Multiplikation auf überein. Daher sind die komplexen Zahlen auch ein reeller Vektorraum. Unter Verwendung einer späteren Terminologie kann man sagen, dass ein eindimensionaler komplexer Vektorraum ist und dass ein zweidimensionaler reeller Vektorraum ist mit der reellen Basis und .



Zu einem Körper und gegebenen natürlichen Zahlen bildet die Menge

der -Matrizen mit komponentenweiser Addition und komponentenweiser Skalarmultiplikation einen - Vektorraum. Das Nullelement in diesem Vektorraum ist die Nullmatrix



Es sei der Polynomring in einer Variablen über dem Körper , der aus sämtlichen Polynomen, also Ausdrücken der Form

mit besteht. Mit (komponentenweiser) Addition und der ebenfalls komponentenweisen Multiplikation mit einem Skalar (was man auch als die Multiplikation mit dem konstanten Polynom auffassen kann) ist der Polynomring ein - Vektorraum.




Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann gelten die folgenden Eigenschaften (dabei sei und ).

  1. Es ist . [3]
  2. Es ist .
  3. Es ist .
  4. Aus und folgt .

Beweis

Siehe Aufgabe 22.34.




Untervektorräume

Definition  Definition 22.13 ändern

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Teilmenge heißt Untervektorraum, wenn die folgenden Eigenschaften gelten.

  1. .
  2. Mit ist auch .
  3. Mit und ist auch .

Auf einem solchen Untervektorraum kann man die Addition und die skalare Multiplikation einschränken. Daher ist ein Untervektorraum selbst ein Vektorraum, siehe Aufgabe 22.20. Die einfachsten Untervektorräume in einem Vektorraum sind der Nullraum und der gesamte Vektorraum .



Lemma Lemma 22.14 ändern

Es sei ein Körper und

ein homogenes lineares Gleichungssystem über .

Dann ist die Menge aller Lösungen des Gleichungssystems ein Untervektorraum des (mit komponentenweiser Addition und Skalarmultiplikation).

Beweis

Siehe Aufgabe 22.22.


Man spricht daher auch vom Lösungsraum des Gleichungssystems. Insbesondere ist die Summe von zwei Lösungen eines linearen Gleichungssystems wieder eine Lösung. Die Lösungsmenge eines inhomogenen Gleichungssystems ist kein Vektorraum. Man kann aber zu einer Lösung eines inhomogenen Gleichungssystems eine Lösung des zugehörigen homogenen Gleichungssystems hinzuaddieren und erhält wieder eine Lösung des inhomogenen Gleichungssystems.


Beispiel  Beispiel 22.15 ändern

Wir knüpfen an die homogene Version von Beispiel 21.11 an, d.h. wir betrachten das homogene lineare Gleichungssystem

über . Aufgrund von Lemma 22.14 ist die Lösungsmenge ein Untervektorraum von . Wir haben ihn in Beispiel 21.11 explizit als

beschrieben, woraus ebenfalls erkennbar ist, dass dieser Lösungsraum ein Vektorraum ist. In dieser Schreibweise wird klar, dass in Bijektion zu steht, und zwar respektiert diese Bijektion sowohl die Addition als auch die Skalarmultiplikation (die Lösungsmenge des inhomogenen Systems steht ebenfalls in Bijektion zu , allerdings gibt es keine sinnvolle Addition und Skalarmultiplikation auf ). Allerdings hängt diese Bijektion wesentlich von den gewählten „Basislösungen“ und ab, die von der gewählten Eliminationsreihenfolge abhängen. Es gibt für andere gleichberechtigte Basislösungen.


An diesem Beispiel kann man sich Folgendes klar machen: Der Lösungsraum eines linearen Gleichungssystems über ist „in natürlicher Weise“, d.h. unabhängig von jeder Auswahl, ein Untervektorraum des (wenn die Anzahl der Variablen ist). Der Lösungsraum kann auch stets in eine „lineare Bijektion“ (eine „Isomorphie“) mit einem () gebracht werden, doch gibt es dafür keine natürliche Wahl. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, mit dem abstrakten Vektorraumbegriff zu arbeiten anstatt lediglich mit dem .



Fußnoten
  1. Die ersten vier Axiome, die unabhängig von sind, bedeuten, dass eine kommutative Gruppe ist.
  2. Auch für Vektorräume gilt die Klammerkonvention, dass Punktrechnung stärker bindet als Strichrechnung.
  3. Man mache sich hier und im Folgenden klar, wann die in und wann sie in zu verstehen ist.