Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil II/Vorlesung 43
- Polynome in mehreren Variablen und Nullstellenmengen
Als eine Anwendung der Diagonalisierbarkeit von symmetrischen Matrizen bzw. der Hauptachsentransformation besprechen wir, wie man einfache polynomiale Gleichungen in mehreren Variablen von niedrigem Grad auf eine besonders einfache Form bringen kann. Dazu führen wir kurz Polynome in mehreren Variablen ein.
Zu einer Variablenmenge und einem - Tupel nennt man einen Ausdruck der Form ein Monom in den .
Der Grad eines Monoms ist die Summe der Exponenten, also gleich .
Der Grad eines Polynoms ist das Maximum der Grade der beteiligten Monome (also derjenigen Monome, die mit einem von verschiedenen Koeffizienten wirklich vorkommen). Ein Polynom in Variablen über definiert durch Einsetzen eine Funktion
Dies sind wichtige Funktionen in der höherdimensionalen Analysis. Die Variable in diesem Sinne interpretiert repräsentiert einfach die -te Projektion, und die Addition und die Multiplikation von Polynomen entspricht dann der Addition und der Multiplikation von Funktionen, bei der die Werte in addiert bzw. multipliziert werden.
Zu einem Körper und einer Variablenmenge besteht der Polynomring
aus allen Polynomen in diesen Variablen, wobei diese Menge durch die komponentenweise Addition und die Multiplikation, die sich durch die distributive Fortsetzung der Regel
ergibt, zu einem kommutativen Ring gemacht wird.
Das Nullstellengebilde zu ist also einfach die Faser zu der durch gegebenen Funktion
Bei ist dies einfach eine endliche Ansammlung von einzelnen Punkten, den Nullstellen von , (bei handelt es sich um ganz ), bei entstehen aber zunehmend interessantere und kompliziertere geometrische Gebilde. Das Studium dieser Gebilde heißt algebraische Geometrie. Bei spricht man von algebraischen Kurven.
Bei beliebigem hat ein Polynom vom Grad die Gestalt
und das zugehörige Nullstellengebilde ist einfach die Lösungsmenge der inhomogenen linearen Gleichung
also ein affin-linearer Raum.
- Reelle Quadriken
Die Polynome vom Grad zwei und ihre Nullstellenmengen sind weitgehend mit Mitteln der linearen Algebra beherrschbar.
Zu einem quadratischen Polynom in einer Variablen mit und findet man die Nullstellen durch quadratisches Ergänzen. D.h. man schreibt (die Charakteristik des Körpers sei nicht )
Dies ist genau dann gleich , wenn
und die Wurzel
in dem Körper existiert. Je nachdem gibt es keine, eine oder zwei Lösungen.
Wir stellen nun den Zusammenhang zwischen quadratischen Polynomen und Bilinearformen her.
Zu einer Bilinearform auf einem - Vektorraum nennt man die Abbildung
die zugehörige quadratische Form.
Zu einer fixierten Basis wird eine Bilinearform durch ihre Gramsche Matrix
beschrieben, und die zugehörige quadratische Form wird, wenn man für die -te Projektion (die zugehörige Dualbasis) schreibt, durch das quadratische Polynom
beschrieben. Im symmetrischen Fall ist dies
Umgekehrt kann man jedes rein-quadratische Polynom in Variablen in dieser Weise mit einer symmetrischen Gramschen Matrix ausdrücken. Die Theorie der reell-symmetrischen Bilinearformen erlaubt es, durch eine geeignete Koordinatentransformation (einen Basiswechsel) die gemischten Terme wegzukriegen.
Wir erstellen eine Liste von reellen quadratischen Polynomen in den zwei Variablen und mit den zugehörigen Nullstellenmengen, wobei wir die Koeffizienten auf beschränken. Wenn nur die eine Variable vorkommt, so hat man im Wesentlichen die drei folgenden Möglichkeiten.
- Das Nullstellengebilde ist eine „verdoppelte Gerade“.
- Das bedeutet
- Das Nullstellengebilde ist leer.
In diesen Fällen ist das Nullstellengebilde einfach die Produktmenge eines nulldimensionalen Nullstellengebildes (endlich viele Punkte) und einer Geraden.
Nun betrachten wir die Polynome, wo beide Variablen vorkommen.
- Das Nullstellengebilde ist eine Parabel.
- Das bedeutet
- Die einzige Lösung ist der Punkt , das Nullstellengebilde ist also ein einziger Punkt.
- Das bedeutet
- Das Nullstellengebilde ist der Einheitskreis.
- Das ist wieder leer.
Das Polynom taucht in dieser Liste nicht direkt auf, da es in den Variablen und , also
geschrieben werden kann. In dieser Form ist es also doch in der Liste. Der folgende Satz sagt unter anderem, dass bis auf Verzerrungen die Liste vollständig ist.
Jedes reelle quadratische Polynom
besitzt in einer geeigneten (verschobenen) Orthonormalbasis die Form (mit )
oder die Form (mit )
Wir betrachten die quadratische Matrix
mit
Damit hat der rein-quadratische Term des Polynoms die Gestalt
Diese Gleichung gilt für jede Ersetzung für durch Elemente aus und als Gleichung in . Nach Definition ist die Matrix symmetrisch. Nach Satz 42.12 gibt es eine Orthonormalbasis des , bezüglich der die neue Gramsche Matrix
Diagonalgestalt besitzt, wobei den Basiswechsel bezeichnet. Es seien die Variablen bezüglich des neuen Orthonormalsystems, die beschreiben also als Funktionen die Linearformen zu dieser neuen Basis, also die Dualbasis dazu. In den neuen Variablen fallen die gemischten quadratischen Ausdrücke weg, d.h. das Polynom bekommt die Gestalt
mit einem gewissen zwischen und , wobei die seien. Die Summanden
können durch quadratisches Ergänzen mit den neuen Variablen auf die Gestalt
gebracht werden. Abgesehen vom nun rein quadratischen Term bleibt entweder eine Konstante oder ein lineares Polynom übrig, welches als Variable angesetzt werden kann.
Die im vorstehenden Satz auftretende Darstellung nennen wir die Standardgestalt einer quadratischen Form. Bei ihr kommen nur rein-quadratische Terme sowie allenfalls eine Variable in der ersten Potenz vor. Der Satz besagt also, dass jede quadratische Form in geeigneten orthonormalen Koordinaten auf eine solche Standardgestalt gebracht werden kann. Für das Nullstellengebilde bedeutet eine solche Koordinatentransformation lediglich, dass eine affin-lineare Isometrie angewendet wird.
Eine quadratische Form in Standardgestalt
wie sie nach Satz 43.9 stets erreicht werden kann, kann weiter vereinfacht werden, wobei man allerdings Verzerrungen in Kauf nehmen muss. In den neuen Koordinaten
bzw.
für besitzt die quadratische Form eine Darstellung der Form
wobei die Vorfaktoren jetzt gleich oder gleich sind. Man spricht von einer normierten Standardgestalt der quadratischen Form. Durch Vertauschen der Reihenfolge kann man erreichen, dass die ersten Variablen den Vorfaktor und die hinteren den Vorfaktor besitzen. Bei diesem Übergang erfäht das Nullstellengebilde Verzerrungen, aus einer Ellipse wird beispielsweise ein Kreis gemacht oder eine Parabel wird gestaucht. Da sich das Nullstellengebilde nicht ändert, wenn man die Form mit multipliziert, kann man davon ausgehen, dass die Anzahl des Vorfaktors mindestens so groß ist wie die Anzahl des Vorfaktors .
Wir betrachten das quadratische Polynom
Wir müssen zunächst die Matrix
diagonalisieren. Das charakteristische Polynom ist
Somit sind die Eigenwerte gleich
Eigenvektoren sind
Daher bilden
eine Orthonormalbasis aus Eigenvektoren.
Wir erstellen eine Liste von reellen quadratischen Polynomen in den drei Variablen und mit den zugehörigen Nullstellenmengen, wobei wir die Koeffizienten auf beschränken. Ferner betrachten wir nur solche Polynome, wo sämtliche Variablen vorkommen und deren Nullstellengebilde nicht leer ist.
- Das Nullstellengebilde ist ein Paraboloid.
- Das Nullstellengebilde ist eine Sattelfläche.
- Die einzige Lösung ist der Punkt , das Nullstellengebilde ist also ein einziger Punkt.
- Das Nullstellengebilde ist eine Sphäre, also die Oberfläche einer Kugel.
- Das Nullstellengebilde ist die Lösungsmenge zur Gleichung . Das ist ein runder (Doppel)-Kegel.
- Das Nullstellengebilde ist ein einschaliges Hyperboloid.
- Das Nullstellengebilde ist ein zweischaliges Hyperboloid.
Wir betrachten die quadratische Form
Die zugehörige symmetrische Matrix ist
Wir möchten eine Orthonormalbasis des finden, bezüglich der die Form Diagonalgestalt besitzt. Dazu müssen wir die Eigenwerte (Hauptwerte) der Matrix bestimmen. Das charakteristische Polynom der Matrix ist
die Eigenwerte sind also
Die zugehörigen Hauptgeraden berechnen sich folgendermaßen.
Zu ist der Kern der Matrix
gleich , ein normierter Erzeuger ist
Zu ist der Kern der Matrix
gleich , ein normierter Erzeuger ist
Zu ist der Kern der Matrix
gleich , ein normierter Erzeuger ist
Wir bezeichnen diese Eigenvektoren mit , sie bilden eine Orthonormalbasis. In den neuen Koordinaten bezüglich der neuen Orthonormalbasis schreibt sich die quadratische Form als
Dies weiß man allein aufgrund der Eigenwerte, dazu muss man die Eigenvektoren nicht ausrechnen.
Zwischen den beiden Basen besteht die Beziehung
Nach Lemma 14.13 ergibt sich für die Koordinaten (die Dualbasen) bezüglich der Standardbasis (die eingangs mit bezeichnet worden waren) und den Koordinaten bezüglich der neuen Orthogonalbasis der Zusammenhang
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