Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 6
- Angeordnete Körper
Ein Körper heißt angeordnet, wenn es eine totale Ordnung auf gibt, die die beiden Eigenschaften
- Aus folgt (für beliebige ),
- Aus und folgt (für beliebige ),
erfüllt.
Statt schreibt man auch . Die Schreibweise bedeutet und . Eine wichtige Beziehung in einem angeordneten Körper ist, dass äquivalent zu ist. Diese Äquivalenz ergibt sich durch beidseitiges Addieren von bzw. aus dem ersten Axiom. In einem angeordneten Körper nennt man ein Element positiv, wenn ist, und negativ,[1] wenn ist. Die ist demnach weder positiv noch negativ, und jedes Element ist entweder positiv oder negativ oder null. Die Elemente mit nennt man dann einfach nichtnegativ und die Elemente mit nichtpositiv. Für die entsprechenden Mengen schreibt man
oder Ähnliches. Die wichtigsten Beispiele für angeordnete Körper sind der Körper der rationalen Zahlen und der Körper der reellen Zahlen .
In einem angeordneten Körper gelten die folgenden Eigenschaften.
- ,
- Aus und folgt ,
- Aus und folgt .
Beweis
Es sei ein angeordneter Körper. Zu , , nennt man
das abgeschlossene Intervall.
das offene Intervall.
das linksseitig offene Intervall.
das rechtsseitig offene Intervall.
Für das offene Intervall wird häufig auch geschrieben. Die Zahlen und heißen die Grenzen des Intervalls, genauer spricht man von oberer und unterer Grenze. Die Bezeichnung linksseitig und rechtsseitig bei den beiden letzten Intervallen (die man auch als halboffen bezeichnet) rühren von der üblichen Repräsentierung der reellen Zahlen als Zahlengerade her, bei der rechts die positiven Zahlen stehen. Zutreffender (also weniger konventionsverhaftet) wäre es von „größerseitig offen“ und „kleinerseitig offen“ zu sprechen. Manchmal werden auch Schreibweisen wie verwendet. Dies bedeutet nicht, dass es in ein Element gibt, sondern ist lediglich eine kurze Schreibweise für .
Bemerkung
Ein äquivalenter Zugang zum Begriff des angeordneten Körpers funktioniert so: Man hat einen Körper , bei dem eine Teilmenge (die „positive Hälfte“) ausgezeichnet ist mit den folgenden Eigenschaften
- Entweder oder oder .
- Aus folgt .
- Aus folgt .
In einem angeordneten Körper erfüllen die positiven Elemente diese Bedingungen. Man kann aber umgekehrt aus einem Körper mit einer solchen positiven Teilmenge einen angeordneten Körper machen, indem man
definiert, siehe Aufgabe 6.19.
- Der Betrag
In einem angeordneten Körper ist der Betrag eines Elementes folgendermaßen definiert.
Der Betrag ist also nie negativ und hat nur bei den Wert , sonst ist er immer positiv. Die Gesamtabbildung
Es sei ein angeordneter Körper.
Dann erfüllt die Betragsfunktion
- Es ist .
- Es ist genau dann, wenn ist.
- Es ist genau dann, wenn oder ist.
- Es ist .
- Es ist .
- Für ist .
- Es ist (Dreiecksungleichung für den Betrag).
- Es ist .
Beweis
- Bernoulli'sche Ungleichung
In der folgenden Aussage verwenden wir für ein Element in einem Körper und einer natürlichen Zahl die Schreibweisen
Es sei ein angeordneter Körper und eine natürliche Zahl. Dann gilt für jedes mit die Abschätzung
Wir führen Induktion über . Bei steht beidseitig , sodass die Aussage gilt. Es sei nun die Aussage für bereits bewiesen. Dann ist
da Quadrate (und positive Vielfache davon) in einem angeordneten Körper nichtnegativ sind.
- Archimedisch angeordnete Körper
Wenn man sich wie üblich die reellen Zahlen als Zahlengerade vorstellt, so ist das nächste Axiom selbstverständlich. Es gibt aber auch sehr interessante angeordnete Körper, in denen dieses Axiom nicht gilt; es gilt auch nicht im Rahmen der sogenannten Nichtstandardanalysis. Zur Formulierung dieses Axioms muss man jede natürliche Zahl in einem Körper interpretieren können. Dies geschieht, indem man einer natürlichen Zahl das Körperelement
zuordnet.
Es sei ein angeordneter Körper. Dann heißt archimedisch angeordnet, wenn das folgende Archimedische Axiom gilt, d.h. wenn es zu jedem eine natürliche Zahl mit
gibt.
Diese Eigenschaft ist für negative Elemente stets erfüllt, für positive Elemente handelt es sich aber um eine echte neue Bedingung, die nicht jeder angeordnete Körper erfüllt. Die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen bilden jeweils einen archimedisch angeordneten Körper, ein nicht-archimedisch angeordneter Körper wird in Aufgabe 17.24 besprochen. Einen archimedisch angeordneten Körper kann man sich als eine Zahlengerade vorstellen, auf denen auch die ganzen Zahlen liegen. Mit Zahlengerade wird noch nichts genaues über „Lücken“ oder „Kontinuität“ behauptet.
Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.
Dann gibt es zu mit stets ein mit .
Wir betrachten . Aufgrund des Archimedes-Axioms gibt es ein mit . Da positiv ist, gilt nach Lemma 6.2 (6) auch .
Es sei ein archimedisch angeordneter Körper. Es sei .
Dann gibt es eine natürliche Zahl mit .
Im folgenden Lemma verwenden wir, dass man zunächst die ganzen Zahlen in einem angeordneten Körper wiederfindet und dass man dann auch die rationalen Zahlen in wiederfindet. Die rationale Zahl ist als das Element zu interpretieren, siehe auch
Aufgabe 6.17.
Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.
Dann gibt es zwischen je zwei Elementen auch eine rationale Zahl (mit ) mit
Wegen ist und daher gibt es nach Lemma 6.10 ein mit . Nach Lemma 6.9 gibt es auch ein mit
und ein mit
Daher gibt es auch ein derart, dass
ist. Damit ist einerseits
und andererseits
wie gewünscht.
In einem archimedisch angeordneten Körper bilden die ganzzahligen Intervalle
, ,
eine disjunkte Überdeckung. Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.
Da die Werte der Gaußklammer die ganzen Zahlen sind, kann man die Gaußklammer auch als eine Abbildung auffassen.
Wir schreiben mit . Aufgrund von Lemma 6.9 gibt es eine natürliche Zahl mit . Damit gilt unter Verwendung der Bernoulli-Ungleichung die Abschätzung
- Tupel
In der Definition einer Abbildung sind die Definitionsmenge und die Wertemenge grundsätzlich gleichwichtig. Dennoch gibt es Situationen, wo mal das Hauptgewicht auf der einen oder der anderen Menge liegt. Der allgemeine Abbildungsbegriff deckt eben auch Situationen ab, bei denen man zunächst gar nicht unbedingt an Abbildungen denkt.
Betrachten wir beispielsweise die Potenzmenge einer Menge . Jede Teilmenge von kann man mit einer Abbildung von in die zweielementige Menge identifizieren, siehe Aufgabe 1.15. Hier ist also die Wertemenge extrem einfach und die Abbildung repräsentiert an jeder Stelle eine Ja/Nein-Entscheidung.
Andererseits kann man (geordnete) Paare zu einer Menge , also Elemente aus der Produktmenge , als eine Abbildung
ansehen, mit und . Hier identifiziert man also die Abbildung mit der geordneten Aufzählung der Werte. In einer solchen Situation bezeichnet man die Abbildung häufig mit einem Symbol, das sich an den Bezeichnungen für die Elemente aus anlehnt. Wenn man beispielsweise die Elemente aus mit bezeichnet, so schreibt man für ein Paar häufig
In der Sprache der Abbildungen ist dabei der Wert der Abbildung an der Stelle . Die Schreibweise (statt ) suggeriert, dass das Hauptgewicht darauf liegt, was in der Wertemenge passiert, und nicht in der Definitionsmenge.
Es seien und Mengen. Dann nennt man eine Abbildung
auch ein -Tupel in . Bei spricht man von einem -Tupel in .
Die Menge heißt in diesem Zusammenhang auch Indexmenge, ein Element aus der Indexmenge heißt Index. Bei einem -Tupel sind die Elemente durch die Indices indiziert. Zu heißt die -te Komponente des Tupels. Ein -Tupel schreibt man meist als
Bei einer zweielementigen Indexmenge spricht man von einem Paar, bei einer dreielementigen Menge von einem Tripel.
Die Menge aller -Tupel wird mit
bezeichnet. Bei schreibt man auch
Die reelle Ebene ist also nichts anderes als die Menge der Zweitupel von reellen Zahlen, der reelle Raum besteht aus allen reellen Tripeln.
Bei spricht man von Folgen in , worauf wir in aller Ausführlichkeit noch eingehen werden. Eine endliche Indexmenge kann man stets durch eine Menge der Form ersetzen (diesen Vorgang kann man eine Nummerierung der Indexmenge nennen), doch ist das nicht immer sinnvoll. Wenn man z.B. mit einer Indexmenge startet und sich dann für gewisse Teilindexmengen interessiert, so ist es natürlich, die von ererbten Bezeichnungen beizubehalten, anstatt mit einer neuen Nummerierung zu versehen. Häufig gibt es für ein bestimmtes Problem „natürliche“ Indexmengen, die (allein schon mnemotechnisch)
einen Teil des strukturellen Gehalts des Problems widerspiegeln. Eine lineare Abbildung vom in den wird z.B. durch eine Matrix mit Zeilen und Spalten beschrieben, also insgesamt mit Einträgen. Diese Matrixeinträge indiziert man am einfachsten mit einem Doppelindexwobei der eine Index für den Spaltenindex und der andere für den Zeilenindex steht. Durch eine solche natürliche Bezeichnung ist stets der Bezug klar, und dieser würde völlig verloren gehen, wenn man eine neue Indexmenge der Form einführen würde.
- Familien von Mengen
Es können nicht nur Elemente, sondern auch Mengen durch eine Indexmenge indiziert werden. Dann spricht man von einer Mengenfamilie.
Es sei eine Menge und zu jedem sei eine Menge gegeben. Eine solche Situation nennt man eine Familie von Mengen
Die Menge heißt dabei die Indexmenge der Mengenfamilie.
Dabei können die Mengen völlig unabhängig voneinander sein, es kann aber auch sein, dass sie alle Teilmengen einer bestimmten Grundmenge sind.
Es sei , , eine Familie von Teilmengen einer Grundmenge . Dann heißt
der Durchschnitt der Mengen und
die Vereinigung der Mengen.
Man beachte, dass dabei der Durchschnitt und die Vereinigung auf den All- bzw. den Existenzquantor zurückgeführt wird.
Es sei eine Menge und zu jedem sei eine Menge gegeben. Dann nennt man die Menge
die Produktmenge der .
Sobald eine der beteiligten Mengen leer ist, ist auch das Produkt leer, da es dann für die -te Komponente keinen möglichen Wert gibt. Wenn aber umgekehrt alle Mengen nicht leer sind, so ist auch ihr Produkt nicht leer, da man für jeden Index dann ein Element wählen kann. Bei einem formalen axiomatischen Aufbau der Mengentheorie muss man übrigens fordern, dass dieses Wählen möglich ist. Dies ist der Inhalt des Auswahlaxioms.
Zu sei
die Menge aller natürlichen Zahlen, die mindestens so groß wie sind. Diese ist eine durch die natürlichen Zahlen indizierte Familie von Teilmengen von . Es gelten die Inklusionen
Der Durchschnitt
ist leer, da es keine natürliche Zahl gibt, die größer/gleich jeder anderen natürlichen Zahl ist.
Zu sei
die Menge aller positiven natürlichen Zahlen, die Vielfache von sind. Dies ist eine durch die positiven natürlichen Zahlen indizierte Familie von Teilmengen von . Es gelten die Inklusionen
Der Durchschnitt
ist leer, da es keine positive natürliche Zahl gibt, die ein Vielfaches von jeder positiven natürlichen Zahl ist (die ist ein solches Vielfaches).
Es sei eine reelle Zahl[2] und es sei diejenige rationale Zahl, die sich aus allen Vorkommaziffern und den ersten Nachkommaziffern von im Dezimalsystem ergibt. Wir definieren die Intervalle
Dies sind Intervalle der Länge und es ist
Die Familie , , ist also eine Intervallschachtelung für .
Es sei eine Menge. Für definieren wir rekursiv[3]
Man nimmt also jeweils von der Vorgängermenge die Potenzmenge. Ein Element aus dem Produkt
besteht also in der nullten Komponenten aus einem Element aus , in der ersten Komponenten aus einer Teilmenge von , in der zweiten Komponenten aus einer Menge von Teilmengen von usw. Zwischen den einzelnen Mengen aus der Familie besteht keine Inklusionsbeziehung.
- Fußnoten
- ↑ Man beachte, dass hier negativ in einem neuen Sinn auftritt. In jedem Körper gibt zu jedem Element das negative Element , also das Inverse von bezüglich der Addition. Das Element ist aber nicht in einem absoluten Sinn negativ, sondern nur in Bezug auf . Dagegen gibt es in einem angeordneten Körper wirklich negative und positive Elemente.
- ↑ Die reellen Zahlen werden wir später axiomatisch einführen, Intervallschachtelungen repräsentieren ein wichtiges Existenzprinzip für reelle Zahlen.
- ↑ Es wird also eine Definition unter Bezug auf einen Vorgänger gemacht.
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- Positiv (MSW)
- Negativ (MSW)
- Nichtnegativ (MSW)
- Nichtpositiv (MSW)
- Grenzen eines Intervalls (MSW)
- Halboffenes Intervall (MSW)
- Betragsfunktion (MSW)
- Stückweise linear (MSW)
- Dreiecksungleichung für den Betrag (MSW)
- Zahlengerade (MSW)
- Indexmenge (MSW)
- Index (MSW)
- Komponente (MSW)
- Paar (MSW)
- Tripel (MSW)
- Folge (MSW)
- Doppelindex (MSW)
- Spaltenindex (MSW)
- Zeilenindex (MSW)
- Auswahlaxiom (MSW)
- Intervallschachtelung (MSW)
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