Totale Differenzierbarkeit/Gradient/Einführung/Textabschnitt

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Lemma  

Es sei ein Körper und ein -Vektorraum, der mit einer Bilinearform versehen sei. Dann gelten folgende Aussagen

  1. Für jeden Vektor sind die Zuordnungen

    und

    -linear.

  2. Die Zuordnung

    ist -linear.

  3. Wenn nicht ausgeartet ist, so ist die Zuordnung in (2) injektiv. Ist zusätzlich endlichdimensional, so ist diese Zuordnung bijektiv.

Beweis  

(1) folgt unmittelbar aus der Bilinearität.
(2). Seien und . Dann ist für jeden Vektor

und dies bedeutet gerade die Linearität der Zuordnung.
(3). Da die Zuordnung nach (2) linear ist, müssen wir zeigen, dass der Kern davon trivial ist. Es sei also so, dass die Nullabbildung ist. D.h. für alle . Dann muss aber nach der Definition von nicht ausgeartet sein.
Wenn endliche Dimension hat, so liegt eine injektive lineare Abbildung zwischen Vektorräumen der gleichen Dimension vor, und eine solche ist nach Fakt bijektiv.


Wenn es also in einem endlichdimensionalen Vektorraum eine nicht ausgeartete Bilinearform gibt, beispielsweise ein Skalarprodukt, so gibt es zu jeder Linearform einen eindeutig bestimmten Vektor, mit dem diese Linearform beschrieben werden kann. Wendet man dies auf die Linearform an, die durch das totale Differential zu einer differenzierbaren Funktion gegeben ist, so gelangt man zum Begriff des Gradienten.


Definition  

Es sei ein euklidischer Vektorraum, offen und

eine in differenzierbare Funktion. Dann nennt man den eindeutig bestimmten Vektor mit

für alle den Gradienten von in . Er wird mit

bezeichnet.

Man beachte, dass wir durchgehend die endlichdimensionalen Vektorräume mit einem Skalarprodukt versehen, um topologische Grundbegriffe wie Konvergenz und Stetigkeit zur Verfügung zu haben, dass diese Begriffe aber nicht von dem gewählten Skalarprodukt abhängen. Dem entgegen hängt aber der Gradient von dem gewählten Skalarprodukt ab.

Bei , versehen mit dem Standardskalarprodukt, ist der Gradient einfach gleich

Bemerkung  

Zu einer differenzierbaren Funktion lässt sich der Gradient (bezüglich des Standardskalarproduktes) einfach durch partielles Differenzieren berechnen. Es wäre aber eine künstliche Einschränkung, nur diese Situation zu betrachten. Um dies zu illustrieren sei beispielsweise

eine differenzierbare Funktion und eine Ebene, die etwa als Lösungsmenge der linearen Gleichung gegeben sei. Dann induziert das Standardskalarprodukt des durch Einschränkung ein Skalarprodukt auf . Diese Ebene ist zwar isomorph zu , es ergibt aber keinen Sinn, das eingeschränkte Skalarprodukt als Standardskalarprodukt anzusprechen. Der Gradient zu in einem Punkt lässt sich direkt mit den partiellen Ableitungen zu den drei Raumkoordinaten berechnen. Bei wird im Allgemeinen der Gradient nicht auf liegen. Die eingeschränkte Funktion

ist aber ebenfalls differenzierbar und besitzt daher einen Gradienten , der auf liegt, und dieser lässt sich nicht über partielle Ableitungen berechnen, da es auf keine Standardbasis gibt. Übrigens ist die orthogonale Projektion von auf .




Satz  

Es sei ein euklidischer Vektorraum, sei offen und sei

eine in differenzierbare Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Für jeden Vektor ist
  2. Dabei gilt Gleichheit genau dann, wenn linear abhängig zum Gradienten ist.
  3. Sei . Unter allen Vektoren  mit ist die Richtungsableitung in Richtung des normierten Gradienten maximal, und zwar gleich der Norm des Gradienten.

Beweis  

(1) folgt wegen

direkt aus der Abschätzung von Cauchy-Schwarz.
(2) ergibt sich aus den Zusätzen zur Abschätzung von Cauchy-Schwarz, siehe Aufgabe.
(3). Aus (1) und (2) folgt, dass

gilt, und dass diese beiden Vektoren die einzigen Vektoren der Norm sind, für die diese Gleichung gilt. Wenn man links die Betragstriche weglässt, so gilt die Gleichheit für nach wie vor, da das Skalarprodukt positiv definit ist.


Der Gradient gibt demnach die Richtung an, in die die Funktion den stärksten Anstieg hat. In die entgegengesetze Richtung liegt entsprechend der steilste Abstieg vor.


Beispiel  

Ein Punkt legt das Rechteck mit den Eckpunkten fest. Wenn der Punkt bewegt wird, bewegt sich das zugehörige Rechteck mit.

In welche Richtung muss der Punkt bewegt werden, damit der Umfang des Rechteckes möglichst schnell wächst? Der Umfang des Rechteckes ist durch

gegeben, nach Fakt wächst diese Funktion am schnellsten in Richtung des Gradienten, also in Richtung , was insbesondere unabhängig vom gegebenen Eckpunkt ist.

In welche Richtung muss der Punkt bewegt werden, damit der Flächeninhalt des Rechteckes möglichst schnell wächst? Der Flächeninhalt des Rechteckes ist durch

gegeben, nach Fakt wächst diese Funktion am schnellsten in Richtung des Gradienten, also in Richtung .