Kurs:Analysis (Osnabrück 2013-2015)/Teil III/Vorlesung 64
Es ist eine naheliegende Idee, den Flächeninhalt einer beliebigen Teilmenge als das Infimum über alle Summen von Rechtecksinhalten anzusetzen, die die Menge überdecken (oder überpflastern). So geht man auch beim Riemannschen Integral vor, wenn man Oberintegrale betrachtet. Mit diesem Ansatz kann man zwar jeder Teilmenge eine Zahl zuordnen, dies ist aber kein Maß. Wichtig sind vielmehr diejenigen Teilmengen, auf denen diese Festlegung zu einem Maß führt.
- Fortsetzung von äußeren Maßen
Es sei eine Menge und ein Präring auf . Dann heißt eine Abbildung
ein äußeres Maß auf , wenn folgende Bedingungen erfüllt sind.
- Für je zwei Mengen mit gilt .
- Für jede
abzählbare Familie
von
paarweise disjunkten
Teilmengen
, ,
aus , für die ebenfalls zu gehört, gilt
Die sogenannte -Subadditivitätseigenschaft, die für ein äußeres Maß für disjunkte Vereinigungen gefordert wird, gilt auch für beliebige abzählbare Vereinigungen, siehe Aufgabe 64.1.
Es sei eine Menge, ein Präring auf und
ein äußeres Maß auf . Für eine beliebige Teilmenge definiert man
und nennt dies die Fortsetzung des äußeren Maßes .
Bei dieser Definition nimmt man also das Infimum über alle Überpflasterungen.
Es sei eine Menge, ein Präring auf und
ein äußeres Maß auf .
Dann ist die Fortsetzung des äußeren Maßes ein äußeres Maß auf der Potenzmenge , das auf mit übereinstimmt.
Es sei . Das Mengensystem ist natürlich eine Überpflasterung von , sodass in der Menge vorkommt, über die das Infimum genommen wird. Für jede Überpflasterung , , von gilt und somit
sodass
gilt.
Für beliebige Teilmengen
gilt trivialerweise
,
da eine Überpflasterung von insbesondere eine Überpflasterung von ist.
Es sei nun
, ,
eine abzählbare Familie von Teilmengen von . Wir müssen
nachweisen. Wenn der rechte Ausdruck gleich ist, so ist nichts zu zeigen. Wir können also voraussetzen, dass die rechte Familie
summierbar
ist. Die Summanden dieser Familie sind jeweils das Infimum über Summen, die jeweils zu Überpflasterungen gehören.
Nehmen wir an, dass die linke Seite größer als die rechte Seite sei, wobei die Differenz größer als
sei. Sei
, ,
so gewählt, dass
ist; eine solche Familie gibt es aufgrund der Abzählbarkeit von , siehe
Aufgabe 64.2.
Zu jedem
gibt es eine Überpflasterung
mit einer abzählbaren Indexmenge , mit
und mit
Die Menge ist als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen wieder abzählbar. Wir betrachten nun die durch , , (mit ) gegebene Überpflasterung von . Damit gelten unter Verwendung des großen Umordnungssatzes die Abschätzungen
ein Widerspruch.
Es ist keineswegs so, dass die Fortsetzung eines Prämaßes auf der
Potenzmenge
ein
Maß
liefert. Dies gilt allerdings auf der von dem Präring erzeugten -Algebra,
was wir im Folgenden nach einigen Vorbereitungen beweisen werden. Zunächst führen wir den folgenden technischen Hilfsbegriff ein.
Es sei eine Menge, ein Präring auf ,
ein äußeres Maß auf und die Fortsetzung von auf die Potenzmenge . Man sagt, dass eine Teilmenge die Zerlegungseigenschaft besitzt, wenn für alle die Gleichheit gilt.
Eine Teilmenge besitzt also die Zerlegungseigenschaft, wenn man für jede Menge die Berechnung ihres äußeren Maßes auf die durch gegebene Zerlegung von zurückführen kann. Die schwächere Eigenschaft gilt für jede Teilmenge , siehe Aufgabe 64.3.
Es sei eine Menge, ein Präring auf ,
ein äußeres Maß auf und die Fortsetzung von auf die Potenzmenge . Dann gelten folgende Aussagen.
- Das Mengensystem aller Teilmengen , die die Zerlegungseigenschaft besitzen, bilden eine - Algebra.
- Die Einschränkung von auf diese -Algebra ist ein Maß.
(1). Sei
Offensichtlich gehört zu und dieses System ist abgeschlossen unter Komplementbildung. Bevor wir zeigen können, dass unter abzählbaren Vereinigungen abgeschlossen ist, zeigen wir, dass dies für endliche Vereinigungen gilt. Es seien also und aus und sei eine beliebige Teilmenge. Dann ist
Damit ist auch unter endlichen Vereinigungen abgeschlossen und somit liegt insgesamt eine
Mengen-Algebra
vor.
Es sei nun
, ,
eine abzählbare Familie aus . Wir wissen, dass die Teilmengen zu gehören. Deren Vereinigung ist gleich der Vereinigung der , sodass wir annehmen können, dass die paarweise disjunkt sind. Wegen der Disjunktheit ergibt sich induktiv für eine beliebige Teilmenge
Daraus ergibt sich unter Verwendung der Zerlegungseigenschaft von und der Monotonie des äußeren Maßes die Abschätzung
Da dies für alle gilt, und da ein äußeres Maß vorliegt, folgt
Da die umgekehrte Abschätzung sowieso gilt, haben wir die gewünschte Gleichheit.
(2). Für paarweise disjunkte Mengen
, ,
aus ist, wie unter (1) bewiesen,
Da dies für alle gilt, folgt
Da auch die umgekehrte Abschätzung gilt, liegt Gleichheit vor.
Es sei eine Menge, ein Präring auf ,
ein Prämaß auf und die Fortsetzung von auf die Potenzmenge .
Dann besitzen alle Mengen aus die Zerlegungseigenschaft.
Es sei und . Es sei , , eine abzählbare Überpflasterung von mit Mengen aus . Die Durchschnitte , , bzw. , , sind Überpflasterungen von bzw. von . Für jedes gilt , da ein Prämaß vorliegt. Daher ist
Da dies für alle Überpflasterungen gilt, folgt
Da auch die umgekehrte Abschätzung gilt, liegt Gleichheit vor.
- Existenzsätze für Maße
Dies folgt aus Lemma 64.5 und Lemma 64.6. Der Zusatz ergibt sich aus Satz 63.7.
- Produkt-Messräume
In den nächsten Vorlesungen wollen wir Produkte von Maßräumen definieren und insbesondere auf dem ein Maß definieren.
Es seien und Messräume und es sei die Produktmenge mit der Produkt-- Algebra.
Dann sind die Projektionen
Dies folgt direkt daraus, dass zu einer messbaren Teilmenge die Urbildmenge
ein Quader ist und daher nach Definition zu gehört.
Diese Aussage gilt natürlich auch für beliebige endliche Produkte. Man kann den Beweis von solchen Aussagen sehr häufig durch eine einfache Induktion auf den Fall von zwei Faktoren zurückführen, so dass wir uns zumeist auf diesen Fall beschränken werden.
Es seien und Messräume und eine messbare Teilmenge des Produktes .
Dann sind für jedes und jedes die Mengen
messbar in bzw. in .
Wir zeigen, dass für jedes die Inklusionsabbildung
messbar ist. Dazu genügt es nach Lemma 61.15, die Urbilder von messbaren Mengen der Form zu betrachten. Für eine solche Menge gilt
und dies ist leer, falls
und gleich , falls
.
So oder so ist sie also eine messbare Teilmenge.
Für eine beliebige Teilmenge
ist daher
messbar.
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