Zum Inhalt springen

Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil II/Vorlesung 50

Aus Wikiversity
Doch dann hat sie das Beste draus gemacht. Vermutlich hängt ihre Zugänglichkeit und Menschenbezogenheit auch mit ihren frühen Erfahrungen zusammen.


Wir betrachten die Polynomfunktion

Offenbar ist , d.h. der Wert der Funktion ist unmittelbar am konstanten Koeffizienten des Polynoms ablesbar. Ähnliches gilt für die Ableitungen an der Stelle : Um beispielsweise auszurechnen, muss man lediglich den Term anschauen. Alle anderen Summanden ergeben unter der partiellen Ableitung nach direkt (wenn gar nicht vorkommt) oder einen Ausdruck der Form . Da man darin und einsetzt, ergibt sich immer , mit der Ausnahme und . Somit ist .

Die höheren Ableitungen sind ebenfalls „direkt“ aus den Koeffizienten ablesbar. Beispielsweise ist



Die Taylor-Formel - Vorbereitungen

Die Taylor-Entwicklung bzw. Taylor-Formel in einer Variablen, die wir im ersten Semester kennengelernt haben (siehe insbesondere Satz 17.2 und Korollar 17.3), liefert zu einem Punkt und einer gewünschten Ordnung eine optimale Approximation in diesem Punkt einer (hinreichend oft differenzierbaren) Funktion durch ein Polynom, das Taylor-Polynom. Eine entsprechende Aussage gilt auch in mehreren Variablen. Wir beginnen mit einigen Vorbereitungen.

Zu einem Monom nennt man die Summe

den Grad des Monoms. Ein Polynom in Variablen,

(wobei die Summe endlich ist) lässt sich entlang des Grades der beteiligten Monome anordnen, also

Für jedes kann man dies auch als

schreiben mit ()

Für gilt dabei

siehe Aufgabe 50.12. Bei ist

die affin-lineare Approximation von im Punkt , und dabei gilt für die Abweichung in der linearen Approximation die Beziehung . Im Allgemeinen liefern die Polynome bessere Approximationen im Nullpunkt als die lineare Approximation, und mit kann man die Abweichung kontrollieren. Entscheidend für uns ist, dass man nicht nur für Polynomfunktionen, sondern generell für hinreichend oft differenzierbare Funktionen approximierende Polynome finden und die Abweichung gut kontrollieren kann. Dies ist der Inhalt der Taylor-Formel für Funktionen in mehreren Variablen.

Zu einem Vektor und einem Tupel aus natürlichen Zahlen setzt man abkürzend

Entsprechend schreibt man für eine Polynomfunktion abkürzend

Die gleiche Abkürzungsphilosophie übernimmt man für Richtungsableitungen. Wenn ein -Vektorraum mit einer Basis ist, so setzt man , und für setzt man

Diese Bezeichnung verwendet man insbesondere im , versehen mit der Standardbasis und den partiellen Ableitungen. Man beachte, dass man aufgrund des Satzes von Schwarz unter gewissen Differenzierbarkeitsvoraussetzungen sämtliche Reihenfolgen von Richtungsableitungen in dieser Weise ausdrücken kann. Des weiteren definieren wir für ein Tupel die Fakultät durch

und bei die Multinomialkoeffizienten (oder Polynomialkoeffizienten) durch

Bevor wir die Taylor-Formel beweisen, die das lokale Verhalten einer Funktion in einer „kleinen“ offenen Ballumgebung eines Punktes beschreibt, wenden wir uns dem lokalen Verhalten in dem Punkt längs einer fixierten Richtung zu, wofür wir die Taylor-Formel in einer Variablen zur Verfügung haben. Zu einer Funktion (, euklidischer Vektorraum)

ist die Differenzierbarkeit im Punkt in Richtung äquivalent zur Differenzierbarkeit der Funktion

für , wobei ein geeignetes reelles Intervall ist. Wir werden zunächst zeigen, dass eine entsprechende Beziehung auch für höhere Ableitungen gilt. D.h. die höheren Ableitungen von können als eine Kombination der höheren partiellen Ableitungen auf der durch gegebenen Geraden ausgerechnet werden.



Es sei offen,

eine -mal

stetig differenzierbare Funktion, ein Punkt und eine fixierte Richtung. Es sei

wobei ein offenes Intervall um sei mit für alle .

Dann ist ebenfalls -mal stetig differenzierbar, und es gilt

für alle .



Es sei eine offene Teilmenge,

eine -mal stetig-differenzierbare Funktion und . Dann heißt

das Taylor-Polynom vom Grad[1] zu in .

Es liegt also ein Polynom in den (verschobenen) Variablen vor. Der Punkt heißt Entwicklungspunkt. Wenn der Nullpunkt ist, so schreibt man in der Regel (oder große ) statt . Dies ist im Normalfall unproblematisch, da man ja in die partiellen Ableitungen schon die Koordinaten eingesetzt hat. Wenn ist, so schreibt man meistens statt , wobei die die Standardkoordinaten des bezeichnen. Man spricht auch vom Taylor-Polynom der Ordnung oder einfach vom -ten Taylor-Polynom.

Das -teTaylor-Polynom ist das konstante Polynom, das durch den Funktionswert gegeben ist, das -teTaylor-Polynom ist die lineare Approximation von in und das -teTaylor-Polynom ist die quadratische Approximation von in .

Ein Polynom vom Grad stimmt mit seinem Taylor-Polynom vom Grad im Nullpunkt überein. Wegen der Additivität der Richtungsableitungen muss man dies nur für überprüfen. Es ist aber

und

für jedes -Tupel , siehe Aufgabe 50.2.

Wenn man zu einem Polynom die Taylor-Polynome in einem Punkt

berechnen möchte, so kann man (neben der Berechnung der Ableitungen) auch folgendermaßen vorgehen: Man schreibt das Polynom in den Variablen . Dazu ersetzt man in die Variablen durch

und rechnet dies aus, bis ein Polynom in dasteht. Aus diesem Polynom sind die Taylor-Polynome im Entwicklungspunkt direkt ablesbar.



Wir betrachten die Funktion

und wollen die Taylor-Polynome bis zur Ordnung dazu im Nullpunkt berechnen. Das Taylor-Polynom der Ordnung ist das konstante Nullpolynom, da ist. Für das Taylor-Polynom der Ordnung müssen wir die beiden partiellen Ableitungen ausrechnen. Diese sind

mit den Werten  und . Daher ist die lineare Approximation zu , also das Taylor-Polynom der Ordnung . Für das Taylor-Polynom der Ordnung berechnen wir die zweiten Ableitungen, diese sind

und

Die Werte dieser zweiten partiellen Ableitungen im Nullpunkt sind der Reihe nach , sodass das zweite Taylor-Polynom (also die quadratische Approximation) gleich

ist. Für das Taylor-Polynom der Ordnung berechnen wir die dritten Ableitungen, diese sind

und

Die Werte dieser dritten partiellen Ableitungen im Nullpunkt sind , sodass (wegen und ) das dritte Taylor-Polynom gleich

ist.



Es sei offen,

eine -mal

stetig differenzierbare Funktion, ein Punkt und derart, dass die Strecke von nach ganz in liegt. Dann gibt es ein mit




Die Taylor-Formel



Es sei offen,

eine -mal

stetig differenzierbare Funktion, ein Punkt und derart, dass ist.

Dann gilt für alle mit die Beziehung

wobei

ist.

Nach Satz 50.5 gibt es zu jedem ein (von abhängiges) mit

Die rechte Summe ist also die Abweichungsfunktion , die wir abschätzen müssen. Wegen

ist

Da nach Voraussetzung die -ten Richtungsableitungen stetig sind, existiert für jede einzelne Funktion der Limes für und ist gleich . Daher gilt dies auch für die Summe rechts und damit auch für den Ausdruck links.




Fußnoten
  1. Die etwas sperrige Formulierung „vom Grad “ ist dem Umstand geschuldet, dass die -ten Ableitungen alle sein können. In diesem Fall hat das Taylor-Polynom einen Grad , enthält aber alle Informationen bis zum Grad .
  2. Der Beweis der Taylor-Formel für eine Variable zeigt, dass zwischen den beiden beteiligten Punkten gewählt werden kann.


<< | Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil II | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)