Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 39
- Integration von stetigen Wegen
Für eine stetige Kurve
in einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum definieren wir für das Integral komponentenweise, d.h. man wählt eine Basis von und drückt die stetige Kurve durch ihre Komponentenfunktionen aus. Dann setzt man
Das Ergebnis ist ein Vektor in , der unabhängig von der gewählten Basis ist, siehe Aufgabe 39.1. Wenn man die untere Intervallgrenze fixiert und die obere Intervallgrenze , so bekommt man eine Integralkurve
Diese Integralkurve (oder Stammkurve) kann man wieder ableiten und erhält die Ausgangskurve zurück, d.h. es gilt wieder der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung.
Es gilt die folgende Integralabschätzung.
Wenn ist, so ist nichts zu zeigen. Es sei also
Es sei . Das ergänzen wir zu einer Orthonormalbasis von . Es seien die Koordinatenfunktionen von bezüglich dieser Basis. Dann besteht aufgrund unserer Basiswahl die Beziehung
da ja ein Vielfaches von ist und somit die anderen Koeffizienten gleich sind. Daher ist
Die Abschätzung aus Satz 39.1 ist im Allgemeinen recht grob. Wenn beispielsweise die Ableitung einer stetig differenzierbaren Kurve
ist, so ist die rechte Seite nach Satz 38.6 gleich
also die Kurvenlänge von . Die linke Seite ist hingegen
Die Abschätzung ist also in diesem Fall trivial, da ja die Kurvenlänge nach Definition 38.5 das Supremum der Längen der interpolierenden Streckenzüge ist, und ist die Länge der direkten Strecke.
Aus Satz 39.1 kann man Satz 38.1 für eine stetig differenzierbare Kurve
gewinnen. Mit ist nämlich
für ein gewisses , dessen Existenz aus dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (in einer Variablen) folgt.
- Vektorfelder
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall und eine offene Menge. Dann nennt man eine Abbildung
ein Vektorfeld (auf ).
Die übliche physikalische Interpretation ist hierbei, dass die Zeit repräsentiert, den Ort und einen Vektor, der zum Zeitpunkt an den Ortspunkt angeheftet ist und dort eine Richtung vorgibt. Manchmal spricht man auch von einem Richtungsfeld. Im physikalischen Kontext werden die Vektoren als Geschwindigkeitsvektoren, als Kraftvektoren oder als Beschleunigungsvektoren interpretiert.
Wenn das Vektorfeld nicht von abhängt, so spricht man von einem zeitunabhängigen oder autonomen Vektorfeld.
Wir werden im Rahmen der Differentialgleichungen auf zeitabhängige Vektorfelder zurückkommen. Zuerst untersuchen wir zeitunabhängige Vektorfelder und Wegintegrale.
- Wegintegrale
Es sei eine offene Teilmenge in einem euklidischen Vektorraum,
ein stetiges Vektorfeld und
eine stetig differenzierbare Kurve. Dann heißt
das Wegintegral zum Vektorfeld längs des Weges .
Statt Wegintegral sagt man auch Kurvenintegral. Die stetige Differenzierbarkeit sichert dabei, dass die Ableitung und damit auch der Integrand stetig sind, sodass das Integral existiert.
Wenn der Weg nur (stetig und) stückweise stetig differenzierbar ist, wenn es also eine Unterteilung derart gibt, dass die Einschränkungen[1]
stetig differenzierbar sind, so setzt man
Bei der üblichen pysikalischen Interpretation eines Wegintegrals stellt man sich das Vektorfeld als ein Kraftfeld und den Weg als die Bewegung eines Massepunktes vor. Dabei ist die Bewegung erzwungen, d.h. es handelt sich nicht um die natürliche Bewegung, die das Kraftfeld bewirkt , sondern um eine geführte Bewegung. Eine solche Bewegung erfordert einen Arbeitsaufwand, wenn sie gegen das Kraftfeld durchgeführt wird, und setzt Energie frei, wenn sie mit der Kraft geführt wird. Entscheidend ist dabei der Winkel zwischen der momentanten Bewegungsrichtung zu einem Zeitpunkt und dem Kraftfeld zum Ortspunkt . Daher taucht in der Definition des Wegintegrals das Skalarprodukt zwischen Vektorfeld und Bewegungsrichtung auf. Das gesamte Wegintegral ist die Arbeit, die man längs des Weges in dem Kraftfeld verrichtet. Das Skalarprodukt bedeutet zu einem fixierten Zeitpunkt die momentane Leistung.
Das Vektorfeld
sei durch die Komponentenfunktionen
und die Kurve durch die Komponentenfunktionen
mit der Ableitung
gegeben. Dann wird das Wegintegral durch
berechnet.
Zu einem konstanten Vektorfeld
auf einem euklidischen Vektorraum mit einem Vektor und einem affin-linearen Weg
ist
Wir betrachten das Vektorfeld
und den Weg
Die Ableitung von ist
Daher ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld längs dieser Kurve gleich
Wir betrachten das Vektorfeld
Für einen stetig differenzierbaren Weg
ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld gleich
Insbesondere hängt dieser Wert nur von und ab, also dem Anfangspunkt und dem Endpunkt der Bewegung, nicht aber vom Verlauf des Weges.
Im vorstehenden Beispiel besitzt insbesondere bei das Wegintegral den Wert . Wir werden später sehen, dass die sogenannten Gradientenfelder (Potentialfelder) die Eigenschaft besitzen, dass die Wegintegrale nur vom Anfangs- und Endpunkt abhängen. Das folgende Beispiel zeigt, dass für einen geschlossenen Weg , wo also ist, das Wegintegral im Allgemeinen nicht sein muss.
Wir betrachten das Vektorfeld
und den Weg
Die Ableitung von ist
Daher ist das Wegintegral zu diesem Vektorfeld längs dieser Kurve gleich
Es sei eine offene Teilmenge in einem euklidischen Vektorraum,
eine (stückweise) stetig differenzierbare Kurve. Dann gelten folgende Aussagen.
- Für
ist
- Es ist
wobei den umgekehrt durchlaufenen Weg bezeichnet.
- Wenn
ein weiterer (stückweise) stetig differenzierbarer Weg mit ist, so ist
wobei den aneinander gelegten Weg bezeichnet.
Beweis
Es sei eine offene Teilmenge in einem euklidischen Vektorraum,
ein stetiges Vektorfeld und
eine stetig differenzierbare Kurve. Es sei
eine bijektive, monoton wachsende, stetig differenzierbare Funktion und sei .
Dann gilt
Es seien die Komponentenfunktionen von und die Komponentenfunktionen von bezüglich einer fixierten Orthonormalbasis von . Dann gilt mit der Substitution unter Verwendung von Korollar 25.9
Die Funktion nennt man in diesem Zusammenhang eine (orientierungserhaltende) Umparametrisierung der Zeit. Der Satz besagt, dass das Wegintegral nur von dem durchlaufenen Weg (einschließlich der Richtung) abhängt, nicht aber von der Geschwindigkeit, mit der das passiert. Wenn die Funktion monoton fallend ist, so vertauschen sich bei der Substitution die Integrationsgrenzen und man erhält
Diese Beziehung gilt insbesondere, wenn der Weg in umgekehrter Richtung durchlaufen wird, was schon in Lemma 39.12 (2) formuliert wurde.
- Fußnoten
- ↑ Hier haben die eine andere Bedeutung wie in der folgenden Bemerkung, wo sie die Komponentenfunktionen bezeichnen.
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