Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023)/Vorlesung 1/kontrolle
- Hyperflächen
Es sei
eine differenzierbare Funktion und die Faser zu . Diese Teilmengen werden insbesondere im Kontext des Satzes über implizite Abbildungen studiert. Wenn das totale Differential
für jeden Punkt surjektiv ist, wenn also stets ein regulärer Punkt der Abbildung ist, so ist in einer offenen Umgebung von homöomorph zu einer offenen Menge im . Ferner haben wir in diesem Kontext den Tangentialraum an die Faser als den Kern des totalen Differentials eingeführt. Dieser ist ein -dimensionaler Untervektorraum des , man stellt sich ihn aber typischerweise als an den Punkt anliegend vor, also als einen affin-linearen Raum. Dieser Tangentialraum schmiegt sich im Punkt an an. Wir nennen eine Hyperfläche, da ihr Tangentialraum eine Dimension weniger als der umgebende Raum besitzt. Bei liegt in der Tat eine Fläche vor. Wenn man mit dem Standardskalarprodukt des arbeitet, kann man den Tangentialraum an die Faser auch als den Raum aller Vektoren auffassen, die senkrecht zum Gradienten stehen.
Es sei
und wir betrachten die Faser zu über , also die Kugeloberfläche zum Radius mit dem Ursprung als Mittelpunkt. Das totale Differential ist , in einem jeden Punkt der Kugeloberfläche ist also zumindest ein Eintrag ungleich und daher ist in jedem Punkt von regulär. Es sei . Der Tangentialraum in ist durch die lineare Bedingung
gegeben, das ist die Menge aller Vektoren, die orthogonal zum Gradienten stehen.
Es sei eine offene Menge und sei
eine stetig differenzierbare Funktion. Der Graph von ist
die man auch als Nullstellengebilde (Faser über ) von
auffassen kann. Die partiellen Ableitungen von sind
Insbesondere ist in jedem Punkt von regulär. Der Tangentialraum an in einem Punkt steht senkrecht auf . Jede parametrisierte Grundgerade wird zur parametrisierten Kurve
auf , deren Ableitung einen Tangentialvektor ergibt. Wenn man den Weg zu
mit bezeichnet, so ist
und
- Analysis und Geometrie
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Wir besprechen einige Objekte bzw. Konstruktionen, die zwar im umgebenden linearen Raum existieren, die aber mit der Hyperfläche in einer derart intensiven Beziehung stehen, dass man sie ausschließlich als Objekte auf erfassen und studieren möchte. Vorläufig benötigen sie den umgebenden Raum, da ihre Definitionen Bezug auf höherdimensionale Analysis nehmen, die im Moment nur für einen (linearen) Vektorraum zur Verfügung steht. Es wird ein wichtiges Ziel sein, diese Konzepte allein auf dem (nichtlinearen) geometrischen Objekt zu entwickeln. Wir erwähnen Kurven auf Hyperflächen, Extrema mit Nebenbedingungen, Differentialgleichungen zu tangentialen Vektorfeldern.
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei
eine differenzierbare Kurve, die ganz in verläuft, wobei ein offenes Intervall ist. Dann gehört zu jedem Zeitpunkt die Ableitung zum Tangentialraum an im Punkt . Dies beruht auf der Konstanz , woraus mit der Kettenregel
also folgt. Mit Aufgabe 1.1 ergibt sich ferner, dass jeder Tangentialvektor in an sich durch eine differenzierbare Kurve auf realisieren lässt. Der Tangentialraum lässt sich also durch differenzierbare Kurven allein auf sinnvoll beschreiben, wobei die Differenzierbarkeit der Kurven den umgebenden Raum voraussetzt.
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Wir rekapitulieren den Satz über lokale Extrema mit Nebenbedingungen in dieser Situation, vergleiche Korollar 54.3 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) (mit anderer Notation). Dabei gibt es neben der Funktion , die und damit de Nebenbedingung festlegt, eine weitere in einer offenen Umgebung von definierte reellwertige Funktion , und man interessiert sich für lokale Extrema von , allerdings nicht auf ganz , was man mit dem Gradienten und der Hesse-Matrix untersucht, sondern nur auf . Man möchte beispielsweise die maximale Temperatur auf der Oberfläche eines Körpers finden und dabei ignorieren, dass er im Innern wärmer ist. Der angeführte Satz besagt jedenfalls, dass, wenn stetig differenzierbar ist und ein lokales Extremum in einem Punkt unter der Nebenbedingung besitzt, dass dann der Gradient ein Vielfaches des Gradienten ist. Dieses Differenzierbarkeitskriterium nimmt Bezug auf den umgebenden Raum, und zwar sowohl in die Sinn, dass die Differenzierbarkeit Bezug auf den umgebenden Raum nimmt, als auch in dem Sinn, dass die zu vergleichenden Gradienten in den umgebenden Raum hineinragen.
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei offen und sei ein differenzierbares Vektorfeld auf mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt der Vektor zum Tangentialraum an die Faser in an gehört.[1]
Dann verläuft die Lösung zum Anfangswertproblem zu mit der Anfangsbedingung ganz in .
Wir arbeiten mit der euklidischen Struktur auf dem und mit dem Gradienten zu . Dieser ist nach Voraussetzung auf nirgendwo gleich und dies überträgt sich wegen der Stetigkeit auf eine offene Umgebung von . Indem wir eventuell verkleinern, können wir annehmen, dass der Gradient auf ganz nullstellenfrei ist. Wir betrachten auf das neue Vektorfeld , das durch
gegeben ist. Für ist , da ja auf der Gradient zu senkrecht auf dem Vektorfeld steht. Ferner besitzt (im Unterschied zu ) die Eigenschaft, dass für alle Punkte der Vektor senkrecht zum Gradienten steht, es ist ja
Es sei nun
die nach Satz 56.2 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) eindeutige Lösung zum Anfangswertproblem zu mit der Anfangsbedingung . Dann ist
Daher ist auf dem Bild konstant und wegen ist für alle , also für alle .
Einen anderen Beweis für diese Aussage erhält man, wenn man das Vektorfeld über einen Homöomorphismus zwischen
und
nach transportiert, dort die Existenz der Lösung nachweist und die Lösung nach wieder zurück transportiert und diese stückweisen Lösungen zusammenklebt.
Die offene Umgebung von wird benötigt, um von einem differenzierbaren Vektorfeld zu sprechen, wobei aber letztlich nur das Vektorfeld auf relevant ist.
- Beschleunigung
Wir betrachten die Kurve
die sich vollständig auf dem Einheitskreis bewegt. Entsprechend sind die Ableitungen stets tangential zum Einheitskreis (was auch aus Bemerkung 1.3 folgt). Die Norm davon ist konstant gleich , der Einheitskreis wird gleichförmig mit konstantem Betrag der Geschwindigkeit durchlaufen. Allerdings ändert sich die Geschwindigkeitsrichtung kontinuierlich und die zweite Ableitung ist
Die Beschleunigung ist das Negative des Ortsvektors und steht senkrecht auf dem Geschwindigkeitsvektor. Wenn man den Tangentialraum der umgebenden Ebene in einem Punkt des Kreises, also der aufgefasst mit als Ursprung, zerlegt in die zum Kreis tangentiale Richtung (Tangentialraum an die Faser) und in die dazu senkrechte Richtung (Normalraum) (im Sinne einer Zerlegung eines Vektorraumes als direkte Summe von Untervektorräumen), so spielt sich die Beschleunigung allein im Normalraum ab, die senkrechte Projektion auf den Tangentialraum ist stets . In diesem Sinn ist die Beschleunigung irrelevant für die Bewegung auf dem Einheitskreis.
Wir betrachten nun allgemeiner eine Kurve
wobei eine zweifach differenzierbare reelle Funktion ist. Diese Kurve bewegt sich wie zuvor auf dem Einheitskreis, die Ableitung ist
sie ist also wie zuvor stets tangential zum Einheitskreis, wobei die Geschwindigkeitsnorm jetzt gleich ist. Die zweite Ableitung ist
wobei hier direkt die Zerlegung in die tangentiale und die dazu orthogonale Komponente steht. Die tangentiale Komponente ist , bei nicht konstant gibt es also auch Beschleunigung in tangentialer Richtung.
Bei einer Hyperfläche und einem Punkt kann man stets den umgebenden Raum , aufgefasst als Tangentialraum von in , orthogonal zerlegen als
wobei eine Gerade ist, die aus allen zu orthogonalen Punkten besteht und die Normalengerade heißt. Die Normalengerade besteht aus allen Vielfachen des Gradienten zu , wenn eine beschreibende Funktion für bezeichnet. Ein Normalenvektor ist ein Element der Normalegeraden mit Norm , wovon es zwei gibt, die zueinander negativ sind. Durch die orthogonale Projektion längs , also die Abbildung
kann man jedem Vektor im einen Vektor im Tangentialraum zuordnen.
Definition Definition 1.7 ändern
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei
eine (als Abbildung nach ) zweimal stetig differenzierbare Kurve. Dann nennt man die Abbildung
wobei die orthogonale Projektion
bezeichnet, die zweite tangentiale Ableitung (oder die tangentiale Beschleunigung) von .
Die Idee von einer zweiten Ableitung, die tangential zur Hyperfläche ist, wird allgemein im Kontext von den sogenannten Zusammenhängen weiterentwickelt.
- Geodätische Kurven
Definition Definition 1.8 ändern
Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Eine (als Abbildung nach ) zweimal stetig differenzierbare Kurve
heißt Geodätische (oder geodätische Kurve auf ), wenn ihre tangentiale Beschleunigung überall gleich ist.
Eine zweifach differenzierbare Kurve ist genau dann eine Geodätische, wenn ihre zweite Ableitung stets orthogonal zum Tangentialraum ist. Die zugrunde liegende physikalische Idee ist die Bewegung eines Teilchens, das sich beschleunigungsfrei auf bewegt. Es gibt zwar im Allgemeinen Zwangsbedingungen, die die Bewegung auf erzwingen wie Gravitation oder magnetische Anziehung, die wiederum eine Beschleunigung im umgebenden Raum erfordern, auf selbst gibt es aber keine Beschleunigung. Eine geodätische Kurve beschreibt also die natürliche unbeschleunigte Bewegung auf einer differenzierbaren Hyperfläche.
Der Durchschnitt einer Kugeloberfläche mit einer durch den Kugelmittelpunkt verlaufenden Ebene heißt ein Großkreis auf .
Auf der Erdkugel sind der Äquator und die Längenkreise Großkreise, die Breitenkreise im Allgemeinen nicht.
Wir befinden uns auf der Einheitskugel
In befindet sich ein Teilchen, das einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte tangentiale Richtung erhält. Es bewegt sich also in diese Richtung (ungebremst und unbeschleunigt) weiter, wobei es allerdings immer auf der Kugel bleiben muss (wegen der Erdanziehung bzw. wegen dem festen Boden). Der Punkt sei durch gegeben und der dazu senkrechte Tangentialvektor, der den momentanen Impuls beschreibt, durch
wobei ein zum Ortsvektor senkrechter Vektor mit Norm sei. Die Bewegung findet auf der durch diese beiden Vektoren bestimmten Ebene und auf der Sphäre statt. Eine parametrisierte Beschreibung ist
Es ist und , also .
Wir betrachten den Zylindermantel
Geometrisch ergeben sich die folgenden Bewegungen auf dem Zylinder, bei denen die Beschleunigung stets orthogonal zum Tangentialraum ist. Der Tangentialraum im Punkt ist durch gegeben, dazu senkrecht ist . Bei den folgenden Bewegungen kann man die Skalierung affin-linear abändern.
- Bewegung auf einer Geraden auf dem Zylindermantel parallel zur inneren Achse:
mit . Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .
- Eine Kreisbewegung, gegeben durch
Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .
-
Eine Schraubenlinie (Helix) gegeben durch
mit . Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .
- Fußnoten
- ↑ Solche Vektorfelder nennt man tangentiale Vektorfelder.