Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023)/Vorlesung 1

Aus Wikiversity
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Es sei

eine differenzierbare Funktion und die Faser zu . Diese Teilmengen werden insbesondere im Kontext des Satzes über implizite Abbildungen studiert. Wenn das totale Differential

für jeden Punkt surjektiv ist, wenn also stets ein regulärer Punkt der Abbildung ist, so ist in einer offenen Umgebung von homöomorph zu einer offenen Menge im . Ferner haben wir in diesem Kontext den Tangentialraum an die Faser als den Kern des totalen Differentials eingeführt. Dieser ist ein -dimensionaler Untervektorraum des , man stellt sich ihn aber typischerweise als an den Punkt anliegend vor, also als einen affin-linearen Raum. Dieser Tangentialraum schmiegt sich im Punkt an die Hyperfläche an. Wir besprechen einige geometrische Objekte, die zwar im umgebenden linearen Raum existieren, die aber mit der Hyperfläche in einer derart intensiven Beziehung stehen, dass man sie ausschließlich als Objekte auf erfassen und studieren möchte.

Es sei

eine differenzierbare Kurve, die ganz in verläuft, wobei ein offenes Intervall ist. Dann gehört zu jedem Zeitpunkt die Ableitung zum Tangentialraum an im Punkt . Dies beruht auf der Konstanz , woraus mit der Kettenregel

also folgt. Mit Aufgabe 1. ergibt sich ferner, dass jeder Tangentialvektor in an sich durch eine differenzierbare Kurve auf realisieren lässt.


Beispiel  

Es sei eine offene Menge und sei

eine stetig differenzierbare Funktion. Der Graph von ist

die man auch als Nullstelle von

auffassen kann. Die partiellen Ableitungen von sind

Insbesondere ist in jedem Punkt von regulär. Der Tangentialraum an in einem Punkt steht senkrecht auf . Jede parametrisierte Grundgerade wird zur parametrisierten Kurve

auf , deren Ableitung im Grundpunkt einen Tangentialvektor ergibt. Wenn man den Weg zu

mit bezeichnet, so ist

und

nach Satz 49.1 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)).




Satz  

Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei offen und sei ein differenzierbares Vektorfeld auf mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt der Vektor zum Tangentialraum an die Faser in an gehört.

Dann verläuft die Lösung zum Anfangswertproblem zu mit der Anfangsbedingung ganz in .

Beweis  

Wir arbeiten mit der euklidischen Struktur auf dem und mit dem Gradienten zu . Dieser ist nach Voraussetzung auf nirgendwo gleich und dies überträgt sich wegen der Stetigkeit auf eine offene Umgebung von . Indem wir eventuell verkleiner, können wir annehmen, dass der Gradient auf ganz nullstellenfrei ist. Wir betrachten auf das neue Vektorfeld , das durch

gegeben ist. Für ist , da ja der Gradient senkrecht auf dem Vektorfeld steht. Ferner besitzt (im Unterschied zu ) die Eigenschaft, dass für alle Punkte der Vektor senkrecht zum Gradient steht, es ist ja

Es sei nun

die eindeutige Lösung zum Anfangswertproblem zu mit der Anfangsbedingung . Dann ist

Daher ist auf dem Bild konstant und wegen ist für alle , also für alle .


Einen anderen Beweis für diese Aussage erhält man, wenn man das Vektorfeld über einen Homöomorphismus zwischen und nach transportiert, dort die Existenz der Lösung nachweist und die Lösung nach wieder zurück transportiert und diese stückweisen Lösungen zusammenklebt.

Bemerkung  

Wir betrachten die Kurve

die sich vollständig auf dem Einheitskreis bewegt. Entsprechend sind die Ableitungen stets tangential zum Einheitskreis. Die Norm davon ist konstant gleich , der Einheitskreis wird gleichförmig mit konstantem Betrag der Geschwindigkeit durchlaufen. Allerdings ändert sich die Geschwindigkeitsrichtung kontinuierlich und die zweite Ableitung ist

Die Beschleunigung ist das Negative des Ortsvektors und steht senkrecht auf dem Geschwindigkeitsvektor. Wenn man den Tangentialraum der umgebenden Ebene in einem Punkt des Kreises, also der aufgefasst mit als Ursprung, zerlegt in die zum Kreis tangentiale Richtung (Tangentialraum an die Faser) und in die dazu senkrechte Richtung (Normalraum) (im Sinne einer Zerlegung eines Vektorraumes als direkte Summe von Untervektorräumen), so spielt sich die Beschleunigung allein im Normalraum ab, die senkrechte Projektion auf den Tangentialraum ist . In diesem Sinn ist die Beschleunigung irrelevant für die Bewegung auf dem Einheitskreis.

Wir betrachten nun allgemeiner eine Kurve

wobei eine zweifach differenzierbare reelle Funktion ist. Diese Kurve bewegt sich wie zuvor auf dem Einheitskreis, die Ableitung ist

also wie zuvor stets tangential zum Einheitskreis, wobei die Geschwindigkeitsnorm jetzt gleich ist. Die zweite Ableitung ist

wobei hier direkt die Zerlegung in die tangentiale und die dazu orthogonale Komponente steht. Die tangentiale Komponente, bei nicht konstant gibt es also Beschleunigung in tangentialer Richtung.


Bei einer Hyperfläche und einem Punkt kann man stets den umgebenden Raum , aufgefasst als Tangentialraum von in , orthogonal zerlegen als

wobei eine Gerade ist, die aus allen zu allen Punkten besteht und die Normalengerade heißt. Ein Normalenvektor ist ein Element der Normalegeraden mit Norm , wovon es zwei gibt, die zueinander negativ sind. Durch die orthogonale Projektion längs , also die Abbildung

kann man jedem Objekt im ein Objekt im Tangentialraum zuordnen.


Definition  

Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei

eine (als Abbildung nach ) zweimal stetig differenzierbare Kurve. Dann nennt man die Abbildung

wobei die orthogonale Projektion

bezeichnet, die zweite tangentiale Ableitung (oder die tangentiale Beschleunigung) von .

Die Idee von einer zweiten Ableitung, die tangential zur Hyperfläche ist, wird allgemein im Kontext von den sogenannten Zusammenhängen weiterentwickelt.


Definition  

Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Eine (als Abbildung nach ) zweimal stetig differenzierbare Kurve

heißt Geodätische (oder geodätische Kurve auf ), wenn ihre tangentiale Beschleunigung überall gleich ist.

Eine zweifach differenzierbare Kurve ist genau dann eine Geodätische, wenn ihre zweite Ableitung stets orthogonal zum Tangentialraum ist. Später werden wir eine Beziehung zwischen solchen Geodätischen und kürzesten Verbindungen auf zwischen zwei Punkten auf kennenlernen.


Definition  

Der Durchschnitt einer Kugeloberfläche mit einer durch den Kugelmittelpunkt verlaufenden Ebene heißt ein Großkreis auf .

Auf der Erdkugel sind der Äquator und die Längenkreise Großkreise, die Breitenkreise im Allgemeinen nicht.


Beispiel  

Wir befinden uns auf der Einheitskugel

In befindet sich ein Teilchen, das einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte tangentiale Richtung erhält. Es bewegt sich also in diese Richtung (ungebremst und unbeschleunigt) weiter, wobei es allerdings immer auf der Kugel bleiben muss (wegen der Erdanziehung bzw. wegen dem festen Boden). Der Punkt sei durch gegeben und der dazu senkrechte Tangentialvektor, der den momentanen Impuls beschreibt, durch

wobei ein Orthonormalvektor sei. Die Bewegung findet auf der durch diese beiden Vektoren bestimmten Ebenen und auf der Sphäre statt. Eine parametrisierte Beschreibung ist

Es ist und , also .



Beispiel  

Wir betrachten den Zylindermantel

Geometrisch ergeben sich die folgenden Bewegungen auf dem Zylinder, bei denen die Beschleunigung stets orthogonal zum Tangentialraum ist. Der Tangentialraum im Punkt ist durch gegeben, dazu senkrecht ist . Bei den folgenden Bewegungen kann man die Skalierung affin-linear abändern.

  1. Bewegung auf einer Geraden auf dem Zylindermantel parallel zur inneren Achse:

    mit . Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .

  2. Eine Kreisbewegung, gegeben durch

    Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .

  3. Eine Schraubenlinie (Helix) gegeben durch

    mit . Die erste Ableitung ist , die zweite Ableitung ist .




Rotationsflächen

Es sei eine differenzierbare Kurve

mit gegeben. Wir interessieren uns für die zugehörige Rotationsfläche, also die Teilmenge

des , die entsteht, wenn man die Trajektorie der Kurve um die -Achse dreht. Wir setzen zusätzlich voraus, dass einen Diffeomorphismus auf sein Bild bewirkt.



Lemma  

Es sei ein offenes Intervall und eine differenzierbare Funktion. Dann besitzt die Rotationsfläche (um die -Achse) zum Graphen von folgende Eigenschaften.

  1. Es ist die Nullstelle zu
  2. Die beschreibende Funktion ist in jedem Punkt von regulär.
  3. Der Tangentialraum von in einem Punkt ist (bei )

Beweis  

(1) ist klar. Die Jacobimatrix von ist . Wegen der Positivität von kann nicht sein, daher ist auf regulär. Die angegebenen Vektoren sind bei linear unabhängig und gehören zum Kern der Jacobimatrix.



Lemma  

Es sei ein offenes Intervall und eine differenzierbare Funktion und es sei die Rotationsfläche (um die -Achse) zum Graphen von . Es sei

eine bijektive differenzierbare Funktion derart, dass ein Parametrisierung des Graphen mit konstanter Geschwindigkeit ist. Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Zu jedem Punkt ist

    eine Geodätische.

  2. Eine Kreiskurve

    ist genau dann eine Geodätische, wenn ist.

Beweis  

  1. Die Kurve bewegt sich in der Ebene . Nach einer Drehung können wir ohne Einschränkung annehmen, die Kurve durchläuft also direkt den Graphen von . Wegen der Bogenparametrisierung steht

    senkrecht auf

    Dies bedeutet, dass die Beschleunigung senkrecht auf dem Tangentialraum steht und daher die tangentiale Beschleunigung gleich ist. Also liegt eine Geodätische vor.

  2. Die Kreisbewegung spielt sich auf der durch das fixierte gegebenen Ebene ab, die Beschleunigung der gegebenen Kurve ist gleich und in dieser Ebene proportional zum Ortspunkt. Die Beschleunigung ist damit innerhalb der Ebene senkrecht zur Geschwindigkeit der Kurve, die einen Tangentialvektor der Rotationsfläche bildet. Ein dazu linear unabhängiger Tangentialvektor ist durch gegeben. Dieser steht nur bei stets senkrecht auf der Beschleunigung.


Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023) | >>
PDF-Version dieser Vorlesung
Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)