Kurs:Zahlentheorie (Osnabrück 2016-2017)/Vorlesung 26
- Gitter und konvexe Mengen
Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass die Klassengruppe eines quadratischen Zahlbereichs endlich ist. Zu dem Beweis benötigt man Methoden aus der konvexen Geometrie und einige topologische Begriffe, die im folgenden aufgeführt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Geometrie der Zahlen, die mit dem Namen von Minkowski verbunden ist. Der grundlegende Satz ist der Gitterpunktsatz von Minkowski, den wir in dieser Vorlesung vorstellen und beweisen wollen. Im Fall eines quadratischen Zahlbereichs bilden die ganzen Zahlen ein zweidimensionales Gitter, nämlich , das wir in einem zweidimensionalen reellen Vektorraum auffassen werden. Im imaginär-quadratischen Fall bietet sich die Einbettung in die komplexen Zahlen an. Der Gitterpunktsatz macht eine Aussage darüber, dass gewisse Teilmengen mit hinreichend großem Flächeninhalt
(oder allgemeiner Volumen)
mindestens zwei Gitterpunkte enthalten müssen.
Wir erinnern zunächst an einige Grundbegriffe aus der konvexen Geometrie, der Topologie und der Maßtheorie.
Es seien linear unabhängige Vektoren im . Dann heißt die Untergruppe ein Gitter im .
Manchmal spricht man auch von einem vollständigen Gitter. Als Gruppen sind sie isomorph zu , hier interessieren aber auch Eigenschafen der Einbettung in . Ein Gitter heißt rational, wenn die erzeugenden Vektoren zu gehören.
Eine Teilmenge heißt konvex, wenn mit je zwei Punkten auch jeder Punkt der Verbindungsstrecke, also jeder Punkt der Form
ebenfalls zu gehört.
Der Durchschnitt von konvexen Teilmengen ist wieder konvex. Daher kann man definieren:
Zu einer Teilmenge heißt die kleinste konvexe Teilmenge , die umfasst, die konvexe Hülle von .
Die konvexe Hülle ist einfach der Durchschnitt von allen konvexen Teilmengen, die umfassen.
Im zweidimensionalen kann man sich die konvexe Hülle so vorstellen, dass man eine Schnur um die fixierten Punkte aus legt und die Schnur dann zusammen zieht.
Zu einem durch linear unabhängige Vektoren gegebenen Gitter bezeichnet man die konvexe Hülle der Vektoren mit als die Grundmasche (oder Fundamentalmasche) des Gitters.
Die in der vorstehenden Definition auftauchenden Vektoren sind die Eckpunkte des von den Basisvektoren erzeugten Parallelotops. Die Elemente der Grundmasche selbst sind alle Vektoren der Form
Wir werden die Grundmasche häufig mit bezeichnen. Zu einem Gitterpunkt nennt man die Menge eine Masche des Gitters. Ein beliebiger Punkt hat eine eindeutige Darstellung und damit ist
wobei der erste Summand zum Gitter gehört und der zweite Summand zur Grundmasche. Insbesondere haben zwei verschiedene Maschen nur Randpunkte, aber keine inneren Punkte gemeinsam.
Eine Teilmenge heißt zentralsymmetrisch, wenn mit jedem Punkt auch der Punkt zu gehört.
Der Begriff der Kompaktheit sollte aus den Anfängervorlesungen bekannt sein.
Ein topologischer Raum heißt kompakt (oder überdeckungskompakt), wenn es zu jeder offenen Überdeckung
eine endliche Teilmenge derart gibt, dass
ist.
Für eine Teilmenge im ist eine Teilmenge genau dann kompakt, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist (Satz von Heine-Borel).
Die endliche Vereinigung von kompakten Mengen ist kompakt. Abgeschlossene Teilmengen von kompakten Mengen sind wieder kompakt. Zu zwei disjunkten kompakten Mengen und in einem metrischen Raum gibt es einen Minimalabstand , siehe Aufgabe 26.8. D.h. zu je zwei Punkten und ist .
Wir stellen einige Grundbegriffe aus der Maßtheorie zusammen.
Nicht jeder Teilmenge des kann man sinnvollerweise ein Maß zuordnen. In der Maßtheorie werden die sogenannten Borelmengen eingeführt, und diesen Borelmengen kann ein Maß, das sogenannte Borel-Lebesgue Maß zugeordnet werden. Die Borelmengen umfassen unter anderem alle offenen Mengen, alle abgeschlossenen Mengen (insbesondere alle kompakten Mengen). Borelmengen sind unter abzählbarer Vereinigung und abzählbaren Durchschnitten abgeschlossen, und mit einer Borelmenge ist auch deren Komplement eine Borelmenge.
Das Borel-Lebesgue Maß hat seine Werte in und ist durch folgende Eigenschaften charakterisiert (der Nachweis der Existenz erfordert einigen Aufwand):
- Für einen Quader mit den Seitenlängen ist .
- Für eine abzählbare Familie von disjunkten Borelmengen , , ist .
- Das Borel-Lebesgue Maß ist translationsinvariant, d.h. für eine Borelmenge und einen Vektor ist auch die um verschobene Menge eine Borelmenge mit .
Weitere wichtige Eigenschaften sind:
- Für ist .
- Teilmengen, die in einem echten linearen Unterraum des liegen, haben das Maß , siehe Lemma 66.11 (Analysis (Osnabrück 2014-2016)).
- Ein einzelner Punkt und damit auch jede abzählbare Ansammlung von Punkten hat das Maß .
- Unter einer linearen Abbildung verhält sich das Borel-Lebesgue Maß so: Zu einer Borelmenge ist auch das Bild eine Borelmenge mit , siehe Satz 67.2 (Analysis (Osnabrück 2014-2016)).
Eine Basis von liefert ein Gitter zusammen mit der Grundmasche , nämlich das durch die aufgespannte Parallelotop. Dessen Volumen (also dessen Borel-Lebesgue-Maß) wird im Folgenden eine Rolle spielen. Das Volumen berechnet sich wie folgt: man schreibt die Vektoren (die ja jeweils Einträge haben) als Spalten einer quadratischen - Matrix . Dann ist
Dies folgt aus (bzw. ist äquivalent mit) der oben zitierten Aussage, wie sich das Borel-Lebesgue-Maß unter linearen Abbildung verhält, wenn man sie auf die lineare Abbildung anwendet, die die Standardektoren auf schickt.
Zu einem Gitter gibt es keine eindeutig definierte Gitterbasis und damit auch keine eindeutig definierte Grundmasche. Wenn beispielsweise eine Basis eines zweidimensionalen Gitters bilden, so ist auch () eine Basis desselben Gitters. Wenn man also von einer Grundmasche eines Gitters spricht, so meint man in Wirklichkeit die Grundmasche zu einer fixierten Basis eines Gitters. Wichtig ist dabei, dass das Volumen einer Grundmasche nur vom Gitter selbst abhängt, nicht aber von der Gitterbasis!
Sei nämlich eine weitere Gitterbasis. Dann gibt es zunächst eine quadratische invertierbare reellwertige Matrix , die den Basiswechsel beschreibt. Da die zum Gitter gehören muss diese Matrix ganzzahlig sein. Aus dem gleichen Grund muss die inverse Matrix ganzzahlig sein. Damit muss die Determinante von aber entweder oder sein. Nach der Formel für das Maß unter linearen Abbildungen haben also die Parallelotope zur Basis und zur Basis das gleiche Volumen. Man spricht daher auch vom Volumen (oder Kovolumen) des Gitters.
Der folgende Satz heißt Gitterpunktsatz von Minkowski.
Es sei ein Gitter im mit Grundmasche . Es sei eine konvexe, kompakte, zentralsymmetrische Teilmenge in , die zusätzlich die Volumenbedingung
erfülle. Dann enthält mindestens einen von verschiedenen Gitterpunkt.
Wir betrachten das verdoppelte Gitter . Ist eine Basis für , so ist eine Basis für . Wir bezeichnen die Grundmasche von mit , für ihr Volumen gilt . Zu jeder Masche , , betrachten wir den Durchschnitt
Da kompakt und insbesondere beschränkt ist, gibt es nur endlich viele Maschen derart, dass dieser Durchschnitt nicht leer ist. Es seien diese Maschen (bzw. ihre Ausgangspunkte bzw. ihre Durchschnitte) mit , , bezeichnet (da der Nullpunkt aufgrund der Konvexität und der Zentralsymmetrie zu gehört, umfasst zumindest Elemente). Die in die Grundmasche verschobenen Durchschnitte bezeichnen wir mit
Wir behaupten zunächst, dass die nicht paarweise disjunkt sind. Es sei also angenommen, sie wären paarweise disjunkt. Mindestens eines der (und damit der ) hat positives Volumen, sagen wir für . Wegen der angenommenen Disjunktheit sind insbesondere
disjunkt zueinander. Wir haben also zwei disjunkte kompakte Teilmengen, und diese besitzen einen Minimalabstand (d.h. zu jedem Punkt aus liegen in einer -Umgebung keine Punkte aus , siehe Aufgabe 26.9). Sei ein innerer Punkt (den es gibt, da konvex ist und ein positives Volumen besitzt) und sei . Mit sei die Verbindungsstrecke von nach bezeichnet, die ganz in verläuft. Wir wählen einen Punkt , der weder zu noch zu gehört (solche Punkte gibt es wegen des Minimalabstandes). Da sowohl zu als auch zu einen Minimalabstand besitzt, gibt es eine -Umgebung von , die disjunkt zu und ist. Wir können ferner annehmen, dass ganz innerhalb von liegt (wegen der Wahl von ). Als eine Ballumgebung hat ein positives Volumen, was zu folgendem Widerspruch führt.
Es gibt also Indizes und einen Punkt ( muss selbst nicht zu gehören). Sei
Wegen ist auch und daher
Aus folgt (wegen der Zentralsymmetrie) auch und wegen der Konvexität von ergibt sich
Wir haben also einen von Nullpunkt verschiedenen Gitterpunkt in gefunden.
Wir zitieren abschließend ohne Beweis den Hauptsatz über endlich erzeugte kommutative Gruppen. Der anschließende gegebene Spezialfall für die torsionsfreie Situation besagt insbesondere, dass Untergruppen von Gittern als (abstrakte Gruppe) wieder (nicht vollständige) Gitter sind.
Es sei eine endlich erzeugte kommutative Gruppe.
Dann ist das Produkt von zyklischen Gruppen. D.h. es gibt eine Isomorphie
Es sei ein Erzeugendensystem von . Dann ist die Abbildung
ein surjektiver Homomorphismus. Aufgrund von Fakt ***** ist G daher isomorph zu .
enthält nach Definition des
Kerns
genau alle Darstellungen des
neutralen Elements
von in . Damit wir , bzw. genauer beschreiben können schauen wir uns daher den Kern genauer an.
ist eine Untergruppe von und kann daher aufgrund von Fakt ***** durch erzeugt werden, wobei . Dieses Erzeugendensystem können wir als die Spalten einer - Matrix
schreiben. Es gilt dannDer Fakt ***** erlaubt es, zu schreiben, wobei und Hintereinanderschaltungen von über invertierbaren Matrizen sind. Als invertierbare Matrizen bilden und die Gruppe auf ab und ändern dabei nur die Rollen der Koeffizienten (im Allgemeinen mehr als Vertauschen!). Daher ist die Restklassengruppe der durch die Spalten von erzeugten Untergruppe isomorph zu der Restklassengruppe der durch die Spalten von erzeugten Untergruppe :
Die Matrix hat aber nach Fakt ***** die Form . Die Gruppe hat daher die Form .
Daraus folgt schließlich:
Eine kommutative Gruppe heißt torsionsfrei, wenn für jedes Element , , und gilt .
Die additiven Gruppen sind torsionsfrei, die Restklassengruppen bei nicht.
Es sei eine endlich erzeugte torsionsfreie kommutative Gruppe.
Dann ist eine (endlich-erzeugte) freie Gruppe, d.h. es gibt eine Isomorphie
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