Kurs:Fundamentalgruppe und Vektorbündel (Osnabrück 2011)/Vorlesung 1/kontrolle
Die Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes wird über Homotopieklassen von stetigen geschlossenen Wegen definiert. Eine solche Konstruktion ist im Kontext der algebraischen Geometrie nicht direkt durchführbar. Wenn eine (glatte) Varietät über den komplexen Zahlen vorliegt, so kann man zu dem zugehörigen komplexen Raum (bzw. der komplexen Mannigfaltigkeit) übergehen und dessen Fundamentalgruppe betrachten. Doch ist dieses Verfahren nicht algebraisch und für andere Grundkörper nicht durchführbar. Die Wege durch Morphismen von punktierten algebraischen Kurven (wie die punktierte affine Gerade ) nach zu ersetzen und zu betrachten, welche sich zu Morphismen auf die unpunktierte Kurve fortsetzen lassen, ist ebenfalls nicht hilfreich, da es relativ wenige Morphismen von algebraischen Kurven in eine algebraische Varietät hinein gibt und diese Menge ziemlich unflexibel ist.
Dagegen lässt sich der topologische Überlagerungsbegriff (mit endlichen Fasern), der eng mit der Fundamentalgruppe zusammenhängt, algebraisieren und bildet so den Ansatzpunkt für die Entwicklung einer algebraischen Theorie der Fundamentalgruppe (und auch für eine algebraische Kohomologietheorie mit topologischen Eigenschaften: die étale Kohomologie). Dabei wird mit Hilfe der Automorphismengruppen der Überlagerungen (die Gruppe der Decktransformationen) über einen geeigneten Limes die étale Fundamentalgruppe eingeführt. Durch diesen Zugang entsteht zugleich ein gemeinsamer Blick auf die Topologie von algebraischen Varietäten und auf die Galoistheorie. Diese Betrachtungsweise geht auf Abhyankar (im Kurvenfall) und Grothendieck (allgemein) zurück.
Der geeignete algebraische Ersatzbegriff für eine Überlagerung ist der des (endlichen) étalen Morphismus.
- Étale Morphismen
Es sei ein Schemamorphismus. Er heißt unverzweigt in einem Punkt , wenn für die maximalen Ideale die Beziehung gilt und wenn die Körpererweiterung separabel ist. Wenn in jedem Punkt unverzweigt ist, so nennt man unverzweigt.
Es sei
ein Schemamorphismus von endlichem Typ. Er heißt étale, wenn er flach ist und wenn die Garbe der relativen Differentiale gleich ist.
Sei
- ist étale.
- ist flach und unverzweigt.
Eine endliche Körpererweiterung ist genau dann étale, wenn sie separabel ist.
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und
die punktierte affine Gerade, also die affine Gerade ohne das maximale Ideal . Für jede natürliche Zahl , die kein Vielfaches der Charakteristik von ist, ist die Abbildung
(die dem Einsetzungshomomorphismus zu entspricht) eine endliche étale Abbildung. Dies folgt unmittelbar aus der Ableitung von , da sich aus direkt in ergibt.
Die Automorphismengruppe dieser Überlagerung entspricht den -ten Einheitswurzeln in , wobei eine solche Einheitswurzel auf durch wirkt, und ist daher zu isomorph.
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und ein von verschiedenes Polynom vom Grad , das wir als Morphismus
auffassen (zum Einsetzungshomomorphismus ). Auf der Ringebene beschrieben geht es um die -Algebra
mit der durch definierten Multiplikationsregel für . Daher ist diese Abbildung endlich und frei vom Rang und insbesondere flach.
Der Modul der relativen Differentiale ist
Daher ist die Einschränkung auf das Komplement der Verzweigungspunkte, also auf die offene Menge , ein étaler Morphismus. Diese Einschränkung ist im Allgemeinen nicht endlich und bei auch keine Überlagerung. Wenn man dagegen aus (dem Bildbereich) sämtliche Bildpunkte der Verzweigungspunkte herausnimmt und die Abbildung auf diese offene Menge und ihr Urbild einschränkt, so erhält man eine endliche étale Abbildung. Es handelt sich ja einfach um eine Nenneraufnahme zu der vorgegebenen endlichen Abbildung, wobei sich die Endlicheit und der Rang überträgt. Zu jedem Punkt besteht die Faser aus Punkten, da die zugehörige -Algebra, die die Faser beschreibt, die -Dimension besitzt, separabel (wegen der Unverzweigtheit) über ist und sämtliche Restklassenkörper wegen der algebraischen Abgeschlossenheit isomorph zu sind.
Es sei eine elliptische Kurve über einem algebraisch abgeschlossenen Körper und
die -te Multiplikationsabbildung. Dies ist stets eine endliche Abbildung, die darüber hinaus étale ist, wenn kein Vielfaches der Charakteristik des Grundkörpers ist. In diesem Fall liegt also eine Überlagerung (und zwar vom Grad ) der elliptischen Kurve durch sich selbst vor.
Bei besitzen elliptische Kurven die Beschreibung , wobei ein (volles) Gitter in ist ( ist dann auch die universelle Überlagerung der elliptischen Kurve, deren topologische Fundamentalgruppe gleich ist). Ein Punkt wird durch einen Punkt in einer fixierten Gittermasche repräsentiert.
Die Multiplikationsabbildung liftet zur Multiplikationsabbildung auf , und wenn durch den Punkt repräsentiert wird, so wird die Faser von über in der Gittermasche durch die Punkte
repräsentiert, wobei und Erzeuger des Gitters seien. Die Multiplikation auf kann man auffassen als die (natürliche Restklassen)-Abbildung
Die Gruppe operiert dabei auf , indem eben zu einem repräsentierenden Punkt addiert wird, und diese Operation ist einfach transitiv auf den Fasern. Insgesamt liegt das kommutative Diagramm
aus Überlagerungen vor.
Es sei ein normaler Integritätsbereich mit Quotientenkörper und eine endliche Galoiserweiterung mit Galoisgruppe . Es sei der ganze Abschluss von in . Dann operiert nach Satz 21.2 (Algebraische Zahlentheorie (Osnabrück 2020-2021)) auf und der Invariantenring ist . Der Morphismus
ist i.A. nicht étale (weder flach noch unverzweigt). Es gibt aber natürliche offene nichtleere Mengen , sodass die Einschränkung
étale ist.
Die symmetrische Gruppe operiert auf dem Polynomring in Variablen bzw. auf dem affinen Raum ( ein Körper) Der Invariantenring ist der Polynomring in den elementarsymmetrischen Polynomen . Die Ringerweiterung ist frei (insbesondere flach). Die zugehörige Erweiterung der Quotientenkörper ist eine Galoiserweiterung. Die Gesamtabbildung
ist nicht étale, sie ist in denjenigen Punkten verzweigt, deren Bahnen weniger als Punkte besitzen, und das sind diejenigen Punkte, wo mindestens zwei Koordinaten übereinstimmen.
In Hinblick auf die Frage, inwiefern Vektorbündel mit Darstellungen der algebraischen Fundamentalgruppe zusammenhängen, ist das folgende Beispiel wichtig.
Es sei ein Schema und eine invertierbare Garbe auf , die in der Picardgruppe endliche Ordnung besitze, wobei in invertierbar sei. Mit einem fixierten Isomorphismus kann man auf der direkten Summe
eine -Algebra-Struktur definieren. Das zugehörige (relative) Spektrum definiert einen endlichen Schemamorphismus
Dieser ist flach, da die Algebra lokal frei ist. Die Unverzweigtheit weist man auch lokal nach, wobei man zu offenen affinen Mengen übergeht, über denen trivial ist. Auf einer solchen Menge wird die Algebra durch mit einer Einheit gegeben. Die relativen Differentiale werden von erzeugt und dafür gilt
Da sowohl als auch (als Teiler von ) Einheiten sind, ist . Wenn man die invertierbare Garbe nach zurückzieht, so ergibt sich wegen
die Strukturgarbe. Die konstruierte étale Abbildung trivialisiert also diese Torsionsgarbe.
- Zusammenhang zur komplexen Situation
Es seien und glatte Varietäten über und sei
ein endlicher étaler Morphismus.
Dann ist die zugehörige Abbildung
eine Überlagerung von komplexen Mannigfaltigkeiten.
Wegen der vorausgesetzten Glattheit sind die Garben der Differentialformen und lokal frei, und ihr Rang ist gleich der (wegen der Flachheit und Endlichkeit gemeinsamen) Dimension von und . Wir betrachten auf die exakte Sequenz
Wegen étale ist dabei , sodass ein surjektiver Garbenhomomorphismus vorliegt. Da beide Garben lokal frei sind und denselben Rang besitzen, handelt es sich um einen Isomorphismus. Es folgt durch Dualisieren, dass auch die Tangentialabbildung
ein Isomorphismus ist.
Wir gehen nun zu den zugehörigen komplexen Mannigfaltigkeiten und über. Nach der Überlegung von eben ist insbesondere für jeden Punkt die Tangentialabbildung
ein
Vektorraum-Isomorphismus,
und dieser wird auf geeigneten Karten durch das
totale Differential
beschrieben. Nach
dem Satz über die Umkehrabbildung
gibt es daher eine offene Umgebung
(in der komplexen Topologie)
von , die unter eine Diffeomorphie mit einer offenen Umgebung von induziert. D.h., dass ein
lokaler Homöomorphismus
vorliegt.
Da endlich ist, ist auch
eigentlich
und daher ist auch
eigentlich
im Sinne der Topologie, d.h. Urbilder von kompakten Mengen sind wieder kompakt. Daraus folgt insgesamt, dass eine Überlagerung mit endlichen Fasern ist.
Der folgende Satz ist der sogenannte Riemannsche Existenzsatz. Er wurde in der Dimension
- für projektive algebraische Kurven bzw. kompakte riemannsche Flächen -
von Riemann und in beliebiger Dimension von Grauert und Remmert bewiesen. Er bildet die Grundlage dafür, dass man die topologische Fundamentalgruppe in sinnvoller Weise mit der Grothendieckschen Fundamentalgruppe in Beziehung setzen kann.
Es sei eine glatte Varietät über und sei die zugehörige komplexe Mannigfaltigkeit. Es sei
eine endliche Überlagerung (also eine topologisch eigentliche Überlagerung mit endlichen Fasern) durch eine komplexe Mannigfaltigkeit .
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Varietät über und einen endlichen étalen Morphismus
mit und .
Für eine komplexe Mannigfaltigkeit und eine Überlagerung
besitzt eine eindeutig bestimmte Struktur als komplexe Mannigfaltigkeit derart, dass die Abbildung zu einem lokalen Isomorphismus von komplexen Mannigfaltigkeiten wird. Dies beruht auf einer unmittelbaren Konstruktion und ist trivial im Vergleich mit dem Auffinden einer algebraischen Struktur auf , falls eine besitzt.